Städte, die als Lebensumfeld für Familien ausfallen (1). Heute: Münster

Der Blog Astrodicticum simplex, den ich sehr schätze, brachte kürzlich eine Geschichte aus dem vergangenem September und verlinkte auch die eher positive und die eher negative Presse dazu. Folgendes ist da bei Münster passiert: Kinder haben unter Anleitung ihrer Lehrer, einiger Chöre und Musiker sowie einem Aktionskünstler versucht, das Wasser sauber zu singen.

Ernsthaft, die Schwingungen des Schalls sollten die Wasserqualität verbessern, sogar ein Mensch vom Wasserwirtschaftsamt war da um eine Probe zu entnehmen. Komischerweise schreibt keiner davon, was da rauskam, aber alleine die Tatsache, daß man für diesen Esoterik-Quatsch Kinder mißbraucht lässt einen schaudern.

Was haben sich bei dieser Sache die Verantwortlichen gedacht? Ich habe daher mal das Schulamt angeschrieben, in der Hoffnung, daß man mir erklären kann, was da los war. Vielleicht ist das alles ja auch gar nicht so schlimm, das wird von deren Antwort abhängen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie ich dem Internet-Blog „Astrodicticum Simplex“ entnommen habe, haben die Schüler der Sekundarschule Roxel, der Hauptschule Coerde und der Gesamtschule Münster-Innenstadt im vergangenen September versucht, unter Anleitung des Künstlers Thomas Nufer die Qualität des Wassers besser zu singen.

Hierzu hätte ich einige Fragen:
1. Inwiefern hat sich die Wasserqualität geändert?
2. Inwieweit wurden die Schülerinnen und Schüler über den Zweck und die zu erwartende Wirksamkeit der Veranstaltung unterrichtet?
3. Fand die Veranstaltung in der Schulzeit statt?
4. Ist die Veranstaltung vor- und nachbereitet worden, unter anderem auch von der Lehrkraft Oeynhausen-Brand, die sich in der Presse mit den Worten äußerte, es handle sich um eine „hochinteressante“ Aktion?
5. Wird den Kindern der betreffenden Schule auch etwas über Experimente, wie sie funktionieren und wie ein Wissenschaftler damit umgeht beigebracht?
6. Hat man die Kinder mit der grundsätzlichen Physik des Flusses (Wasser fließt weiter, sauber gesungenes bleibt also nicht vor Ort) vertraut gemacht?

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir diese Fragen kurz beantworten könnten und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Lastknightnik

Gesendet am 15.1.2013. Ich bin mal gespannt auf die Antwort – die bislang ausblieb.

Was genau haben die da eigentlich versucht? Das sehr seltsam anmutende Webportal „Schwingung und Gesundheit“ will mir jedenfalls ein Buch verkaufen und erklärt mir folgendes: „Durch zwei Studien konnte bei Chorsängern nachgewiesen werden, dass durch Singen der Anteil an Immunglobulin A bereits nach kurzer Zeit deutlich steigt (um bis zu 240%). Immunglobulin A ist ein Antikörper, der an den Schleimhäuten des Körpers sitzt und Krankheitserreger und Allergene an der „vordersten Front“ – also bereits beim Eindringen in den Körper bekämpft und unschädlich macht.“ Aha. Äh…. Also Immunglobulin A ist zwar tatsächlich ein wichtiger Antikörper, aber warum sollte der durch Singen gebildet werden? Das Zeug wird von weißen Blutkörperchen gebildet und ich bin mir ziemlich sicher, daß die nicht mitsingen.

Ich bin gerne bereit zuzugestehen, daß Gesang eine positive Wirkung auf Menschen hat. Es kann emotional verbinden (weswegen das in politischen und religiösen Gruppierungen ein so wichtiger Bestandteil ist – deswegen gibt es beispielsweise Nationalhymnen) und die Emotionen beeinflussen, Musik kann beruhigen oder aggressiv machen, alles ok. Aber gleich Antikörper nachwachsen lassen? Hm, die Studien werden auf der Seite ja auch vorsichtshalber nicht verlinkt, also mußte ich mich selber auf die Suche machen und fand diesen Artikel in der Welt. Naja. Scheint mir mehr auch damit zu tun zu haben, daß professionelle Sänger halt quasi einen Sport betreiben und gesünder leben.

Der Verein für Homöopathie bietet mir einen Vortrag an und erklärt in der Einladung folgendes: „Anhand eines Filmausschnitts demonstrierte Herr Bossinger die Wirkung von Musik auf Wasser. Die Töne bringen das Wasser in Schwingung. Und da auch der Mensch zu einem Großteil aus Flüssigkeit besteht, erzeugt Musik zweifellos auch in uns entsprechende Schwingungen.“ Aha, da kommen wir der Sache schon näher.

Also, daß Schall auf Wasser wirkt ist nun nicht gerade eine besondere Erkenntnis. Schall wirkt auf alle Materie und nebenbei auch nur in Materie – im Vakuum gibt es keinen Schall (weswegen röhrende Raumschiffe im Vorbeiflug in der Science-Fiction auch so lustig sind). Aber Schall hat je nach Dichte der Materie (und ihrem Zustand) eine unterschiedliche Geschwindigkeit. Je dichter das Material, desto schneller der Schall.

Schall ist eine Welle. Man kann sich das vielleicht ganz gut vorstellen (Das hier ist keine physikalisch korrekte Erklärung, sondern eine Modellvorstellung, klar?), wenn man sich ein Kugelstoßpendel vorstellt. Hier geht es zwar um abgegebene Impulse, aber das Prinzip ist ähnlich: Die Welle erzeugt eine Bewegung der Atome, diese wird an das nächste weitergegeben, wieder an das nächste und so weiter. Daher ist die Schallgeschwindigkeit in dünner Luft auch kleiner als in Zement: Da die Welle quasi länger braucht um das nächste Atom zu finden, das Schwingen kann, dauert es länger sich auszubreiten. Bei flüssigem Zement ist die Dichte schon sehr hoch (und in Granit oder Diamant noch höher; Mal zum Vergleich: Bei Luft mit etwa 20°C Temperatur beträgt sie 343 m/s oder 1235 km/h. In Diamant 18.000 m/s oder 64.800 km/h).

Nun wird Schall, auch der vom Singen, auf das Wasser treffen und sich dort schneller ausbreiten (und die Fische verscheuchen, weswegen Angler nicht singen). Das macht das Wasser aber nicht sauber. Könnte man durch Schall Bakterien abtöten, tät man es längst. (Zugegeben, manche versuchen das tatsächlich) Das geht aber nicht. Wasser hat keine Emotionen, die man beeinflussen könnte und auch kein Bewußtsein. Wasser ist Wasser, eine Lebensumgebung für eine Menge Lebewesen und das war es dann aber auch schon. Es ist nicht belebt und wird auch nicht besser, wenn man es bei Vollmond abfüllt.

In diesem Bereich ist leider eine Menge Quatsch unterwegs. Kennen Sie Masaru Emoto? Das ist ein japanischer Parawissenschaftler, der glaubt, daß Wasser Emotionen speichere und zwar in Wasserclustern. Das Dumme ist nur, daß sich diese Wassercluster in wenigen Picosekunden (eine Picosekunde sind 0,000 000 000 001 Sekunden!) wieder auflösen und anders zusammensetzen, weil die Wasserstoffbrückenbindungen sich neu anordnen. Emoto geht davon aus, daß man im Eis (wo die Verbindungen stabiler sind) die Emotionen sehen könnte und versucht das experimentell zu beweisen, was ihm bislang aber nicht gelungen ist. Ein bißchen erinnert mich das an die Akte-X Folge „Unruhe“ (4. Staffel, Folge 2), wo sich die psychischen Probleme des Serienkillers auf Photopapier niederschlugen. Sicherlich eine spannende und unterhaltsame Horror-Geschichte aber was hat das mit Wissenschaft zu tun?

Wenig. Sucht man in dem Bereich herum findet man schnell alte Freunde von der Channeling-Nummer wieder, diesmal erhält der Walgesang das Netz der Erde. Ach herrjeh.

Was ist jetzt mit der Antwort vom Schulamt Münster? Bislang bleibt sie aus. Sollte sich da was dran ändern, werde ich aber gerne entsprechendes auch veröffentlichen.

Eine seltsam erscheinende Diskussion

Seit dem letzten Amoklauf beobachtet die deutsche Presse mit wachsender Irritation die Diskussion über eine potentielle Verschärfung des amerikanischen Waffenrechts. Diese Auseinandersetzung nimmt bisweilen groteske Formen an – aber worum geht es denn eigentlich da?

Für einen Mitteleuropäer ist es einigermaßen schwierig zu verstehen, warum die Amerikaner sich mit einer solchen Vehemenz um das Waffenrecht streiten. Das mag damit zusammenhängen, daß man in Europa im Großen und Ganzen nicht auf die Idee kommt, eine Waffe zur Selbstverteidigung zu benötigen. In Amerika braucht man das in Wirklichkeit auch nicht, aber dennoch reagieren einige Waffenfans… naja, hysterisch. Gucken Sie mal:


Schon seltsam, oder? Dieser Alex Jones redet sich in Minutenschnelle in Rage… und sein Diskussionspartner, der Moderator Piers Morgan antwortet ziemlich scharf darauf. Andere Diskussionen laufen da um einiges ziviler ab, aber dennoch geht es in den USA hier (ähnlich wie beim Thema Obamacare) ziemlich heftig zu.

Doch worum geht es denn? Das Recht aus Waffenbesitz ist im 2. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung niedergelegt und hat nach den beiden Gerichtsurteilen des Supreme Court in den Fällen District of Columbia v. Heller und McDonald v. Chicago den Rang eines Grundrechtes bekommen. Das wiederum kann man nur verstehen, wenn man in die amerikanische Geschichte im Hinterkopf hat. Die hat nun einmal viel mit der Eroberung eines Landes (und einer ziemlich kontrovers zu diskutierenden Behandlung diverser Menschengruppen) zu tun.

Wenn die Regierung also wie geplant die Waffenverkäufe einschränken will muß das sorgfältig gemacht werden, sofern sie nicht die Verfassung ändern möchte. Und dafür wird sie niemals eine Mehrheit bekommen.

Auch hier gilt es wieder, die amerikanische Denkweise zu verstehen: Wer welche Waffe bekommt entschiedet nicht der Bund, sondern die einzelnen Bundesstaaten. Und da gibt es unterschiedlich starke Reglementierungen. Allerdings gibt es das Problem, daß bislang theoretisch jeder Amerikaner von einem anderen privat eine Waffe erwerben kann – und niemand registriert diese Waffen. Dabei gibt es eine theoretische Ausnahme: Den District of Columbia, der keinem Bundesstaat, sondern dem Bund – also dem Kongress – direkt unterstellt ist. Hier sind Waffen komplett verboten. Interessanter Weise stieg die Gewaltrate nach dem Beschluß, Waffen zu verbieten ziemlich dramatisch an, bis Washington auch zur “Mordhauptstadt” der USA wurde. Ein beliebtes Argument.

Wenn die Regierung nur die Verkaufsrechte für Waffen einschränkt wird es spannend – weil die NRA und ihre Sympathisanten sicherlich vor dem Obersten verfassungsgericht dagegen klagen werden. Vermutlich verhandelt deswegen die Regierung direkt mit der Lobby – ein Vorgang, bei dem es einem Demokraten eigentlich die Zehennägel aufrollen sollte.

Accepted – Über das Schulsystem

Diesmal nehme ich einen Film als Anstoß um meine Gedanken über das moderne Schul- und Hochschulsystem loszuwerden – aber gleich vorneweg: ich empfehle jedem, den Film mal zu sehe. Eigentlich seichte Unterhaltung, wundert man sich, warum man noch nach Tagen nicht aufhören kann, darüber nachzudenken.

Ich gebe ehrlich zu, dass ich eine befremdliche Schwäche für amerikanische High School Komödien habe – jedenfalls manchmal. Aber “Accepted”, ein Film, der unverdienterweise ziemlich untergegangen ist. Zugegeben, was die deutschen Titelübersetzer an dem Abend geraucht hatten, würde ich international verbieten: “S.H.I.T. – Die Highschool GmbH” Erstens hat es nichts mit dem Film zu tun, zweitens versteht man den Witz nicht, wenn man den Film nicht gesehen hat, drittens ist es auf mehreren Ebenen einfach falsch und viertens abschreckend. So – zur Sache.

Warum mag ich den Film? Folgendes Zitat: “Was willst Du lernen? Ich habe nämlich das Gefühl, dass Dich das noch niemand gefragt hat.” Bartelby hat ein Problem: er ist ein Durchschnittsschüler. Aber der Ruhm von Colleges misst sich daran “wie viele Anwärter sie zurückweisen”. Bartelby wird nirgendwo aufgenommen, was für seine Eltern allerdings keine Option darstellt – der Sohn muss aufs College. Jetzt hat Bartelby allerdings gewisse Talente – nur nicht die, auf die man in der Schule gute Noten bekommt – und Freunde. Gemeinsam fälschen sie einen Aufnahmebrief, mit dazugehörigem Internetauftritt einer fiktiven Hochschule. Doch wie es solche Dinge so an sich haben, verselbstständigt sich die Aktion – ein Campus muss her, damit Bartelby von seinen Eltern abgeliefert werden kann. Ein Dekan muss organisiert werden. Und dann kommen ein Haufen zukünftiger Studenten – alles Schüler, die überall abgewiesen wurden, weil sie anders waren oder sich einfach nicht zwei Beine ausgerissen haben um zusätzliche Stunden, Arbeitskreise und “extracurricular activities” zu belegen.

Was als Notfallplan begann, wird plötzlich zu einer innovativen Idee: zum ersten Mal im Leben wird von den Studenten verlangt, ihre Talente zu fördern und ihre Vorlieben zu entdecken. Der Klassendepp leitet plötzlich den Kochkurs. Die Streberin erkennt, dass sie für Zen wie geschaffen ist. Der “Dekan” hält Debattierstunden, in denen er gegen das Establishment wettert. Eine ehemalige Straßennutte leitet Modedesign. Falls euch interessiert wie’s weitergeht: guckt den Film! Er ist lustig und unterhaltsam und natürlich etwas naiv.

Der springende Punkt ist – so unrecht hat er gar nicht: von klein auf werden wir darauf getrimmt, dass wir in das System passen müssen. Wir überlegen uns unsere Freizeitgestaltung im Alter von 15 nicht anhand dessen, was uns Spaß macht, sondern was “gut auf dem Lebenslauf aussieht”. Unsere Kurse sind “streamlined” – soll heißen: das College/die Uni entscheidet, was Du studierst. Sie sagen Dir, welche Kurse für “Deine Fachrichtung” geeignet sind und welche nicht – die, für die Du dich interessierst, sind es in der Regel nicht. Ich kenne einen Haufen Kommilitonen, die sich ihren Studiengang nach sogenannten wirtschaftlichen Gesichtspunkten aussuchen – sprich: was statistisch gesehen nachher Geld bringt, das lernen wir. Ein Großteil von ihnen beendet ihr Studium nicht. Ich frage mich immer, was wohl aus ihnen geworden wäre, hätten sie ihrem Ehrgeiz und ihrem Fleiß noch die Leidenschaft für ein Fach hinzufügen können. Ob sie am Ende nicht erfolgreicher aber zumindest glücklicher geworden wären.

Genau dieses Problem spricht “Accepted” nämlich an: Junge Menschen wollen lernen – oder sie würden es wollen, wenn man sie ließe. Statt Druck auf sie auszuüben, dass sie unbedingt diesen oder jenen Abschluss brauchen, um ein vollwertiger Mensch zu sein, sollte man sie vielleicht mal dazu bringen, sich etwas mit Leidenschaft zu widmen. Der aktuelle Dalai Lama soll mal gesagt haben “Widme Dich der Liebe und dem Kochen mit ganzem Herzen” – damit hat er durchaus recht. Wir arbeiten ganz anders, sind kreativ, belastbar, flexibel – all die Sachen, die Personalleiter angeblich von uns wollen, bringen wir nur zustande, wenn wir für das, was wir tun, Liebe empfinden. Aber das wird uns schon in der Schule genommen.

Sobald man das Wort “Student” sagt, sieht man in den Gesichtern der Leute, dass sie “faul, säuft ständig, liegt der Gesellschaft auf der Tasche” denken. Dabei wollen die meisten von denen tatsächlich nur Wissen sammeln. Kann eigentlich so verwerflich nicht sein. Also wer sind die Dekane und Direktoren, Kultusminister und angeblichen Pädagogen, die uns davon abhalten können, weil sie “Leistungsträger” ausspucken wollen wie ein Sägewerk Holzlatten. Sie wollen die Seele ihrer Studenten deformieren wie ein Stück heißes Metall unter dem Schmiedehammer und wundern sich, dass dabei kein Werkstück herauskommt, dass ihren Erwartungen entspricht.

Um es mit Bartelby zu sagen “Vielleicht wollten Sie auch nicht immer Gutachter werden. Vielleicht wollten sie früher mal Dichter werden” […] “Es war die Posaune”. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, die Leute zu fragen: “Was wollt ihr heute lernen?” Wir wär’s? Kann eigentlich irgendjemand noch eine Antwort darauf geben? Ich glaube kaum. Weil uns nie jemand gefragt hat, wissen wir es einfach nicht.

Zum Abschluss: man lernt 500% effektiver, wenn man sich und anderen selbst etwas beibringen muss. Denn – seien wir ehrlich – von der Vorlesung nimmt man mit Mühe und Not 10% mit. Der Rest geht zum einen Ohr rein, zum anderen raus, ohne Widerstand. Und daraus sollen kreative Denker werden? Ich sehe den kausalen Zusammenhang nicht.

das war ein Gastbeitrag von Corneliya

Wofür man sich als Deutscher schämen sollte

Der heutige Kommentar von Heribert Prantl brachte mir wieder einmal die Tatsache in Erinnerung, daß wir seit der Kohlregierung ein unglaublich schlechtes Asyl- und Flüchtlingsrecht haben, das jedweder Beschreibung einem zivilisierten Staat Hohn spottet.

Vor einiger Zeit machte eine Journalistin des rbb eine Reportage namens „Vier Wochen Asyl – ein Selbstversuch mit Rückkehrrecht“ bei dem sie vier Wochen lang als Asylbewerberin lebte und dabei lernte, wie diese Menschen eigentlich zu leben gezwungen werden in einem der reichsten Länder der Erde. Falls Sie die verpasst haben, gönnen Sie sich die halbe Stunde, die Doku ist wirklich gut.

Tatsächlich ist es so, daß in den 1990er Jahren die „bürgerliche“ Rechte den Medienzirkus mit einer „Das Boot ist voll“-Rhetorik beherrschte. Von einer „Asylantenschwemme“ war die Rede, die den Staat irgendwie aussaugen würde. Tatsächlich gab es in dieser Zeit eine größere Zahl von Flüchtlingen, was vor allem dem Zusammenbruch Jugoslawiens geschuldet war der in mehrere Kriege mündete, die der „Ehrenbürger Europas“ Helmut Kohl geflissentlich ignorierte, Völkermord hin oder her. Die Stimmung kumulierte letztendlich in den Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen, bei dem eine Gruppe Neonazis unter johlendem Beifall der ansässigen Bevölkerung ein Asylbewerberheim niederbrannten und die Polizei sich nicht traute, einzugreifen.

Diesen großen Erfolg des Boulevards möchte sich selbiger natürlich nicht wegnehmen lassen weswegen immer wieder in kleinen Beiträgen Stimmung gemacht wird was dann auch prompt funktioniert. Damals allerdings hatten sich CDU/CSU und FdP etwas ganz besonderes einfallen lassen – und die SPD hat sich ebenfalls mit dieser Schande befleckt, weil sie dem auch noch im Bundesrat zustimmte: Die Abschaffung des deutschen Asylrechts.

Nach dem zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck der Verbrechen der Nationalsozialisten haben die Gründerväter der Bundesrepublik in die Formulierung der Grundrechte den Artikel 16a aufgenommen: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Die Bestimmungen der Grundrechte (Art. 1–19) und der sog. grundrechtsgleichen Rechte (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104) sind allerdings, bis auf Artikel 1 und 20, veränderlich, sofern nicht ein Gericht feststellt, daß das Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 1) durch ein Gesetz verändert wird und genau das hatten Kanzler Kohl und seine Handlanger in den anderen Parteien ausgenutzt, um das Asylrecht de facto abzuschaffen und es zu einem bürokratischen Monster aufzublähen, das letztendlich abschreckt und abschrecken soll.

Im Ursprung hatten die Väter der Verfassung nämlich vorgesehen, daß das Deutsche Volk als künftig friedlicher Teil der Völkergemeinschaft der Erde seine Kraft auch dazu benutzt, all jenen, denen Unrecht geschieht, Schutz angedeihen zu lassen, wenn man es darum bittet. Wer in seiner Heimat verfolgt wurde aufgrund seiner Hautfarbe, Religion und Weltanschauung, der sollte nach Deutschland fliehen können und von Deutschland beschützt werden, bis sich die Situation in seiner Heimat verbessert hat. Wir alle, wir Deutschen, wir sollten helfen, Unrecht zu verhindern oder es wenigstens abmildern indem wir jenen wenigstens ein Dach über dem Kopf anbieten.

Darauf kann man stolz sein, denn das ist ein klares Signal an die Welt gewesen, daß wir es künftig anders machen als früher.

Bis halt Helmut Kohl kam.

Die Politik stand dem in den 90ern plötzlich aufflammenden Rassismus ziemlich hilflos gegenüber und wußte nicht, wie sie das wirksam bekämpfen könnte und entschloß sich daher zur feigsten Art der Lösung: Dem Brand einfach die Grundlage zu entziehen. Anstatt ihn zu bekämpfen und sofort mit Aufklärungsmaßnahmen letztendlich das neorechte Denken zu zersetzen und halbwegs anständige Menschen aus denen zu machen, tauschte man lieber Opfer gegen Täter und zuckte mit den Schultern: Wenn Asylanten angegriffen werden sind sie schon selber schuld, hätten ja nicht kommen brauchen. Das nannte sich Asylkompromiß.

Die damaligen Parteivorsitzenden, Helmut Kohl (CDU), Otto Graf Lambsdorff (FDP), Björn Engholm (SPD) und Theo Waigel (CSU) tragen hierbei eine ebenso große Schuld an der Zerschlagung des Ausländerrechtes, wie die Ministerpräsidenten dieser Zeit und die Generalsekretäre. Es wäre wirklich an der Zeit, hier endlich einmal Veränderungen durchzusetzen und es stünde ganz besonders der SPD gut an, sich hier wieder auf die Grundbegriffe der Menschenwürde zu besinnen – und dem widerwärtigen Boulevard zu trotzen.

Vom Dativ

Ein jeder weiß heute, daß „der Dativ dem Genitiv sein Tod“ ist; Dative sind also sprachliche Vereinfachungen die weniger Mühe bei der Aussprache machen, als es die Formulierung des Genitivs erfordert. Aber was sind Dative eigentlich und was für Arten von Dativen gibt es? Im Rahmen meiner Büffelei für das Staatsexamen bin ich der Geschichte nachgegangen und habe es hier mal zusammengetragen.

E gibt zwei Lager in der Beschreibungsgeschichte des Dativs: Das eine sieht den Dativ in einer klaren Funktion, in einer einheitlichen Form, das andere unterscheidet verschiedene Dativsorten bzw. Dativkonzeptionen zum Einen auf der syntaktischen, zum Anderen auf der semantischen Ebene.

Semantisch? Ja, in der inhaltsbezogenen Grammatik wird der Dativ quasi als Darlegung des Wesens behandelt, die Grundbedeutung der Kasusform wird untersucht. Glinz beispielsweise unterschied 1952 noch nicht zwischen sogenannten freien Dativen und Dativobjekten. Selbst Brinkmann unterschied den Dativ nur dahingehend, daß er Dative der teilnehmenden Personen und der sinngebenden Personen erkannte, eine recht vage Unterscheidung. Ein Dativ der teilnehmenden Person ist ein freier Dativ, der nicht zum Verständnis des Satzes gebraucht wird, also zum Beispiel: „Er trägt ihr den Koffer.“ Der Dativ „ihr“ ist nicht unbedingt nötig, sondern schmückt den Satz aus bzw. verpasst ihm einen größeren Sinngehalt. Ein Dativ der sinngebenden Person ist, laut Brinkmann, ein Dativ, der eine Person beschreibt, welcher sich das Geschehen zuwendet. Also wenn ich „jemandem zulache“, dann ist das Geschehen von mir zur anderen Person gegangen.

 

Man könnte Dative strukturalistisch untersuchen, also den Kasus als Teil eines Systems aller Kasus. Dabei gibt es allerdings das Problem, daß man freie Dative nicht einsortieren kann, weil sie systematisch nicht beschreibbar sind. Zwar versuchte Fillmore mit der Tiefenkasustheorie dem zu begegnen, scheiterte aber letztendlich.

Freie Dative
Jetzt habe ich diesen Begriff schon mehrfach benutzt, vielleicht sollte ich ihn nochmal etwas eingehender erklären. Freie Dative sind sowohl semantisch, als auch syntaktisch verbunabhängig, das heißt, sie werden nicht vom Verb regiert. Man kann sie meistens einfach weglassen und trotzdem bleibt der Satz grammatikalisch korrekt, es geht nur eine Information verloren. Es gibt mehrere Typen, die man unterscheiden kann:

  • Der Dativus Ethicus: Drückt eine gefühlsmäßige Anteilnahme aus. „Fall mir bloß nicht auf!“ Heute wird er seltener gebraucht, vielleicht noch bei Ermahnungen, aber im großen und ganzen gilt er als veraltet. Dieser Dativ ist nicht erststellenfähig, man kann ihn also nicht nach vorne stellen.
  • Der Dativus Commodi: Er bezeichnet den Begünstigten einer Handlung. „Peter fährt ihr das Auto in die Garage.“ Dieser Dativ ist erststellenfähig: „Ihr fährt Peter das Auto in die Garage“. Auch dieser Dativ ist prinzipiell weglassbar.
  • Der Dativus Incommodi: Er ist das genaue Gegenteil, bezeichnet also den Geschädigten einer Handlung. Ob man die beiden ernsthaft unterscheiden muß ist eine semantische Frage, keine syntaktische. „Es sind ihm alle Teller heruntergefallen.“, wäre so ein Satz.
  • Der Dativ Iudicantis: Dieser Dativ bezeichnet den Sprecher einer Aussage und verschafft ihr so Gültigkeit. „Das Essen war ihm zu heiß“
  • Der Pertinenzdativ: Er ist ein possessiver Dativ, der in aller Regel bedingt ist. Daher ist er nicht weglassbar weil sonst die Schlüsselinformation des Satzes fehlt. Allerdings ist er erststellenfähig, also betont. „Mir brummt der Schädel“

Das Gegenstück zum freien Dativ ist das Dativobjekt, also der konstitutive Dativ. Er ist erststellenfähig, nominal und pronominal, manchmal weglassbar und kann nicht durch ein Gefüge mit „für“ ersetzt werden. Gemein ist es, freie Dative und Dativobjekte zu unterscheiden, das ist manchmal gar nicht so einfach.

Beispiel: „Ich schreibe ihm einen Brief.“

Das kann jetzt ein Dativobjekt sein: Ich schreibe ihm einen Brief, also an ihn. Dann ist es relevant, weil es den exakten Bezug herstellt.

Das kann aber auch ein Dativus Commodi sein: Ich schreibe ihm einen Brief, also für ihn. Jetzt ist es nicht mehr relevant, ein freier Dativ.

Ich brauche also zur Unterscheidung manchmal den semantischen Zusammenhang, um die syntaktische Funktion festzustellen.

Vom Vokalismus

Sprache und Sprachwissenschaft ist ja eines der Fächer, die so ein bißchen nebenbei laufen und bei denen kaum einer, der nicht daran beteiligt ist, genau sagen kann, welchen Zweck das Ganze eigentlich hat. Ich werde heute und in den folgenden beiden Tagen aus aktuellem Anlaß einiges aus der Sprachwissenschaft darstellen, was dem geneigten Leser vielleicht dabei helfen kann, seine eigenen Studien zu erweitern.

Was, zum Geier, ist „Vokalismus“?

Vokalismus ist, ganz einfach ausgedrückt, der Gesamtbestand der Vokale in einer Sprache. Im Deutschen sind das grundsätzlich nur fünf Stück: a,e,i,o und u. Dazu kommen allerdings Umlaute und Diphthonge, also aus zwei Vokalen bestehende Vokallaute. Wenn man nun im Rahmen der Sprachgeschichte Vokalismus untersucht, dann untersucht man also speziell zwei Bereiche: Den Wandel der Vokale und ihre Häufigkeit im Ausdruck. Das Gegenstück ist übrigens „Konsonantismus“, die Lehre von den Konsonanten.

Was hat sich denn mit den Vokalen so verändert?

Vokale sind eine tolle Sache: Erst sie geben dem Wort wirklich eine Bedeutung und lassen es uns sprechen, denn Konsonanten sind im großen und Ganzen klanglos. Vokale werden aber im Neuhochdeutschen recht einheitlich, in den Dialekten aber recht unterschiedlich benutzt. Das Bayerische beispielsweise verwendet mitunter mehr Vokale für das gleiche Wort: statt „Bruder“ sagt man „Bruada“.

Das ist tatsächlich ein sprachlicher Rest aus den mittelalterlichen Sprachen. Hier muß man sich zunächst eine Sache klar machen: Mittelhochdeutsch ist keine Einheitssprache, die uns irgendwie schriftlich überliefert ist, sondern mehr ein Ausdruck für eine Gruppe von Überlieferungen, denen eine ähnliche Grammatik und Ausdrucksweise zugrunde liegt, die aber dennoch große Unterschiede zueinander aufweisen. Mit Hilfe von Texten und ihrem sprachlichen Ausdruck ist es manchmal möglich, bestimmte Autoren festzumachen, von denen wir andere Texte schon kennen.

Vom Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche haben sich allerdings einige bestimmte Lautwandlungen vollzogen, von denen ich hier einige überblicksweise behandeln möchte:

  • die neuhochdeutsche Monophthongierung
  • die neuhochdeutsche Diphthongierung
  • die Entrundung der Umlaute und die kombinatorische Rundung
  • Senkung
  • Hebung
  • Dehnung
  • Kürzung
  • Diphthongwandel
  • die Weiterentwicklung des Umlautes
  • Ausgleichserscheinungen
  • die Entwicklung der mittelhochdeutschen e-Laute
  • und schließlich noch den Vokalismus in den Nebensilben.

Puh, ein ganz schönes Arbeitsprogramm. Das wird ein langer Artikel, packen wir’s also an.

Beginnen wir erst einmal mit den grundsätzlichen Fragen der Sprachentwicklung: Es gab vor dem 16. Jahrhundert keine einheitliche Schriftsprache, jeder schrieb, wenn er denn schrieb, so, wie er sprach. Daher geben uns die Texte einen zum Teil recht schönen Aufschluß darüber, wie man wohl früher gesprochen hatte. Maßgeblich zur Vereinheitlichung der Schriftsprache beigetragen hat die lutherische Übersetzung der Bibel, die Verbreitung erfolgte durch den Buchdruck. Nun sprach Luther aber gar nicht Hochdeutsch, sondern Mitteldeutsch, um genau zu sein, Obermitteldeutsch, eine Sprache, die sich im 11. Jahrhundert durch die deutsche Ostsiedelung und die daraus folgende Sprachmischung mit den ansässigen Völkern entstanden ist; Ein Teil dieser neuen Sprache hat auch Eingang in die Schriftsprache gefunden.

Mitteldeutsch? Ja, man unterscheidet Hochdeutsch, Niederdeutsch und Mitteldeutsch und so albern es auch klingt es hat etwas mit der Höhenlage der Wohnung der Sprechenden zu tun. Hochdeutsche Sprachen finden sich im Süden, Niederdeutsche im Norden des deutschen Sprachgebietes. Plattdeutsch ist beispielsweise ein Niederdeutscher Dialekt, sächsisch ist eher Mitteldeutsch und bayerisch ein hochdeutscher bzw. präziser ein oberdeutscher Dialekt. Das Oberdeutsche umfasst das Bayerische (allerdings das Altbayerische) und das Alemannische.

Fangen wir nun also mit den Besonderheiten an. Denn es gibt einige Dinge, die man im Wandel vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen festhalten kann und die uns auch systematisch vorkommen. Man muß sich nur im Klaren darüber sein, daß dieser Wandel nicht eine unmittelbare Weiterentwicklung darstellt, sondern eher punktuell stattfand. Da gibt es verschiedene Theorien, das eine ist die sogenannte Wellentheorie, die besagt, daß die Sprachentwicklung als Monogenese in kleinräumlichen Bereichen begann und sich dann wellenartig ausbreitete, und zum Anderen gibt es da die Entfaltungstheorie, die eine Polygenese behauptet, daß sich also die Sprachentwicklung an mehreren Stellen durchsetzte und viele Kleinräume so letztendlich einen Großraum ergaben.

Beginnen wir nun also mit der neuhochdeutschen Monophthongierung. Alleine das Wort verursacht ja gefühlt schon Kopfzerbrechen. Es bedeutet, daß im geregelten Lautwandel vom Mittel- zum Neuhochdeutschen ein Diphthong wie zum Beispiel „uo“ oder „ie“, das man im Mittelhochdeutschen tatsächlich komplett aussprach, zu einem Monophthong wurde, in den genannten Beispielen oftmals zu „u“ und zu „i“. Das ie ist insofern etwas Besonderes, weil sich die Schreibweise manchmal erhalten hat und das „e“ zu einem Dehnungs-e wird. Sprach man also mittelhochdeutsch „hier ruoft der reke küen“ jeden Buchstaben aus, so sagt man neuhochdeutsch „hier ruft der Recke kühn“. Es gibt eine Vielzahl von Wörtern, auf die dieser Vorgang zutrifft.

Was daran fasziniert ist die Tatsache, daß sich diese Sprachwandlung im Mitteldeutschen Raum, vor allem im Rheinland ausgebreitet hat und beispielsweise im bayerischen nicht angekommen ist. „bruoder“ (mhd.) ist im bayerischen „Bruada“geblieben, nur eine minimale Senkung der Vokale fand da statt.

Das genaue Gegenteil ist die neuhochdeutsche Diphthongierung. Hier wurde aus einem mittelhochdeutschen Monophthong ein Diphthong. Der Monophthong war im Mittelhochdeutschen oftmals ein langer Vokal, was man durch die Schreibweise mit einem Zirkumflex ausdrückte. Den Zirkumflex kennen die meisten wahrscheinlich noch aus dem Französischen, wo er in der Regel den Überrest eines ausgefallenen „s“ darstellt (frz. fenêtre = lat. Fenestra). Im Mittelhochdeutschen zeigt er an, daß ein Vokal lang gesprochen wird. Diese langen Vokale und manche Diphtonge (wie „iu“, das zu „eu“ wurde) werden im Neuhochdeutschen zu Diphtongen: „mîde lûte liute“ wird zu „meide laute Leute“

Kommen wir zu Rundungen und Entrundungen.
Die mittelhochdeutschen Vokale e, i und â werden im Neuhochdeutschen gelegentlich labialisiert, also gerundet. Gerundet heißt, ist wirklich so simpel, mit gerundeten Lippen gesprochen. So wird aus mhd. „helle“ nhd. die „Hölle“, aus „finf“ wird „fünf“, aus „mâne“ wird der „Mond“. Und was ist nun die Entrundung? Nun, der Übergang von gerundeten Monophthongen und Diphthongen zu auf gleicher Zungenhöhe benachbarten, ungerundeten Vordervokalen nennt man Entrundung. Das tritt allerdings nur vereinzelt auf, beispielsweise wird aus dem mittelhochdeutschen „küssen“ im neuhochdeutschen „Kissen“.

Senkung, Hebung, Dehnung, Kürzung
Das Mittelhochdeutsche sprach sich völlig anders aus. Vorhin habe ich ja erwähnt, daß man lange Vokale mit einem Zirkumflex ausstattete – und das bedeutet, daß man alle anderen Vokale mit wenigen Ausnahmen kurz gesprochen hat.

Die neuhochdeutsche Dehnung ist nun der Vorgang, daß ein kurz gesprochenes Wort heute lang gesprochen wird. So sagte man früher „Nibelungenklage“ und sprach dabei den Teil „klage“ wie „klagge“, wird das vielleicht klarer. Manchmal gibt unsere Schreibweise das wieder: Bei „Wiese“ zum Beispiel, was früher unter Umständen „wise“ geschrieben wurde.

Eine Kürzung ist genau das Gegenteil: Hier werden aus langen Lauten kurze. Kürzungen sind wesentlich seltener, da sie nur geschlossene Tonsilben betreffen. Hieß es also früher „hôchzît“ (zwei lange Vokale), sagt man heute „Hochzeit“.

Senkungen und Hebungen sind eine Ausspracheveränderung. Im Mittelhochdeutschen wird das „ei“ beispielsweise fast immer „e-i“ ausgesprochen, also das „e“ bleibt im Laut erhalten. „keiser“ wäre so ein Wort. Das wird im Neuhochdeutschen zu „Kaiser“ gesenkt. Aus „ouge“ wird „Auge“. Vor Nasal-Lauten findet das auch noch einmal statt: Aus „sumer“ und „sune“ werden „Sommer“ und „Sonne“.

Fortsetzung folgt…

Meine Worte sind wie Sterne….

Im Jahr 1855 machte der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Franklin Pierce, dem Stamm der Duwamish das Angebot, ihr Land zu verkaufen und in ein Reservat zu ziehen. Für die Indianer war das eine unverständliche Idee – Land gehörte in ihrer Vorstellung niemandem.

Der Häuptling der Duwamish, Noah Sealth, antwortete dem amerikanischen Präsidenten mit einer Rede, deren Kraft und besondere Weisheit uns heute, 160 Jahre später, vielleicht ein wenig Einsicht geben könnte.

Leider fand ich diese Rede nicht auf Deutsch im Netz, daher habe ich mir erlaubt sie Ihnen hier zur Verfügung zu stellen. Allerdings muß ich vorneweg hinzufügen, daß diese Rede nicht zwingend die historische Wahrheit widerspiegelt, denn die vorliegende Variante stammt mutmaßlich aus den 1970er Jahren von einem Filmemacher namens Ted Perry, der sie für seinen Film „Home“ (zu Deutsch: Die Söhne der Erde) geschrieben hat. Die Rede ist also nicht historisch belegbar, sondern ein Produkt der Umweltbewegung, aber sie basiert auf der originalen Rede von Chief Seattle (nach dem im Übrigen die Hauptstadt des Staates Washington benannt ist), die seinerzeit von Henry A. Smith auf der Basis von Notizen im Seattle Sunday Star veröffentlicht wurde – 1887!

Die Duwamish bekamen keine Entschädigung für das Land und erlitten eine ziemlich brutale Geschichte. Noch 1910 brannten weiße Siedler indianische Häuser nieder, um die Indianer zu vertreiben. Inzwischen haben die letzten Duwamish ein wenig Land (ca. 70 Hektar) in der Nähe des Discovery Parks von der amerikanischen Regierung gepachtet. 2069 wird der Vertrag auslaufen. Viele sind nicht mehr übrig, vielleicht 500. Ihr Schicksal ist, wie das aller übrig gebliebenen Reste einer ganzen Zivilisation, ungewiss.

„Der große Häuptling in Washington sendet Nachricht, daß er unser Land zu kaufen wünscht.

Der große Häuptling sendet uns auch Worte der Freundschaft und des guten Willens. Das ist freundlich von ihm, denn er bedarf unserer Freundschaft nicht. Aber wir werden sein Angebot bedenken, denn wir wissen – wenn wir nicht verkaufen – kommt vielleicht der weiße Mann mit Gewehren und nimmt sich unser Land. Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen – oder die Wärme der Erde? Diese Vorstellung ist uns fremd. Wenn wir die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers nicht besitzen – wie könnt Ihr sie von uns kaufen? Wir werden unsere Entscheidung treffen.

Was der Häuptling Seattle sagt, darauf kann sich der große Häuptling in Washington verlassen, so sicher wie sich unser weißer Bruder auf die Wiederkehr der Jahreszeiten verlassen kann.

Meine Worte sind wie Sterne, sie gehen nicht unter. Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig, in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes. Der Saft, der in den Bäumen steigt, trägt die Erinnerung des roten Mannes.

Die Toten der Weißen vergessen das Land ihrer Geburt, wenn sie fortgehen, um unter den Sternen zu wandeln. Unsere Toten vergessen diese wunderbare Erde nie, denn sie ist des roten Mannes Mutter. Wir sind ein Teil der Erde und sie ist ein Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern, die Rehe, das Pferd, der große Adler – sie sind unsere Brüder. Die felsigen Höhen, die saftigen Wiesen, die Wärme des Ponys und des Menschen – sie alle gehören zur gleichen Familie.

Wenn also der große Häuptling in Washington uns Nachricht sendet, daß er unser Land zu kaufen gedenkt, so verlangt er viel von uns. Der große Häuptling teilt uns mit, daß er uns eine Platz gibt, wo wir angenehm und für uns leben können. Er wird unser Vater und wir werden seine Kinder sein. Aber kann das jemals sein? Gott liebt Euer Volk und hat seine roten Kinder verlassen. Er schickt Maschinen um dem weißen Mann bei seiner Arbeit zu helfen und baut große Dörfer für ihn. Er macht Euer Volk stärker, Tag für Tag. Bald werdet Ihr das Land überfluten wie Flüsse, die die Schluchten hinab stürzen nach einem unerwarteten Regen.

Mein Volk ist wie eine ablaufende Flut – aber ohne Wiederkehr. Nein, wir sind verschiedene Rassen. Unsere Kinder spielen nicht zusammen und unsere Alten erzählen nicht die gleichen Geschichten. Gott ist Euch gut gesinnt und wir sind Waisen. Wir werden Euer Angebot, unser Land zu kaufen, bedenken. Das wird nicht leicht sein, denn dieses Land ist uns heilig.

Wir erfreuen uns an diesen Wäldern. Ich weiß nicht – unsere Art ist anders als die Eure.

Glänzendes Wasser, das sich in Bächen und Flüssen bewegt, ist nicht unser Wasser – sondern das Blut unserer Vorfahren. Wenn wir Euch das Land verkaufen, müsst Ihr wissen, daß es heilig ist, und Eure Kinder lehren, daß es heilig ist und daß jede flüchtige Spiegelung im klaren Wasser der Seen von Ereignissen und Überlieferungen aus dem Leben meines Volkes erzählt. Das Murmeln des Wassers ist die Stimme meiner Vorväter. Die Flüsse sind unsere Brüder – sie stillen unseren Durst. Die Flüsse tragen unsere Kanus und nähren unsere Kinder.

Wenn wir unser Land verkaufen, so müßt Ihr Euch daran erinnern und Eure Kinder lehren: Die Flüsse sind unsere Brüder – und Eure – und Ihr müsst von nun an den Flüssen Eure Güte geben, so wie jedem anderen Bruder auch. Der rote Mann zog sich immer zurück vor dem eindringenden weißen Mann – so wie der Frühnebel in den bergen vor der Morgensonne weicht. Aber die Asche unserer Väter ist heilig, ihre Gräber sind geweihter Boden und so sind diese Hügel, diese Bäume, dieser Teil der Erde uns geweiht. Wir wissen, daß der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist ein Fremder, der kommt in der nacht und nimmt von der Erde was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern Feind, und wenn er sie erobert hat, schreitet er weiter. Er läßt die Gräber seiner Väter zurück und kümmert sich nicht. Er stiehlt die Erde von seinen Kindern und kümmert sich nicht. Seiner Väter Gräber und seiner Kinder Geburtsrecht sind vergessen. Er behandelt seine Mutter, die Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern, zum verkaufen wie Schafe oder glänzende Perlen. Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als eine Wüste.

Ich weiß nicht – unsere Art ist anders als die Eure. Der Anblick Eurer Städte schmerzt die Augen des roten Mannes. Vielleicht, weil der rote Mann ein Wilder ist und nicht versteht.

Es gibt keine Stille in den Städten der Weißen. Keinen Ort um das Entfalten der Blätter im Frühling zu hören oder das Summen der Insekten. Aber vielleicht nur deshalb, weil ich ein Wilder bin und nicht verstehe. Das Geklappere scheint unsere Ohren nur zu beleidigen. Was gibt es schon im Leben, wenn man nicht den einsamen Schrei des Ziegenmelkervogels hören kann oder das Gestreite der Frösche am Teich bei Nacht? Ich bin ein roter Mann und verstehe das nicht. Der Indianer mag das sanfte Geräusch des Windes, der über eine Teichfläche streicht – und den Geruch des Windes, gereinigt vom Mittagsregen oder schwer vom Duft der Kiefern. Die Luft ist kostbar für den roten Mann, denn alle Dinge teilen den selben Atem; Das Tier, der Baum der Mensch, sie alle teilen den selben Atem. Der weiße Mann scheint die Luft, die er atmet, nicht zu bemerken; wie ein Mann der seit vielen Tagen stirbt ist er abgestumpft gegen den Gestank. Aber wenn wir Euch unser Land verkaufen, dürft Ihr nicht vergessen, daß die Luft uns kostbar ist – daß die Luft ihren Geist teilt mit all dem Leben, das sie enthält. Der Wind gab unseren Vätern den ersten Atem und empfängt ihren letzten. Und der Wind muß auch unseren kindern den Lebensgeist geben. Und wenn wir Euch unser Land verkaufen, so müßt Ihr es als ein besonderes und geweihtes schätzen, als einen Ort, wo auch der weiße Mann spürt, daß der Wind süß duftet von den Wiesenblumen.

Das Ansinnen, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken und wenn wir uns entschließen, anzunehmen, so nur unter einer Bedingung: Der weiße Mann muß die Tiere des Landes behandeln wie Brüder.

Ich bin ein Wilder und verstehe es nicht anders. Ich habe tausende verrottende Büffel gesehen, vom weißen Mann zurückgelassen, erschossen aus einem vorüber fahrenden Zug. Ich bin ein Wilder und kann es nicht verstehen, wie das qualmende Eisenpferd wichtiger sein soll als der Büffel, den wir nur töten, um am Leben zu bleiben. Was ist der Mensch ohne Tiere? Wären alle Tiere fort, so stürbe der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes. Was immer den Tieren geschieht – es geschieht auch bald dem Menschen. Alle Dinge sind miteinander verbunden.

Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Ihr müßt Eure Kinder lehren, daß der Boden unter ihren Füßen die Asche unserer Großväter ist. Damit sie das Land achten erzählt ihnen, daß die Erde erfüllt ist von den Seelen unserer Vorfahren. Lehrt Eure Kinder das, was wir unseren Kindern lehren: Die Erde ist unsere Mutter. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Wenn die Menschen auf die Erde spucken, spucken sie auf sich selbst. Denn das wissen wir: Die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört der Erde – das wissen wir. Alles ist miteinander verbunden, wie das Blut, das eine Familie vereint. Alles ist verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde. Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut Ihr Euch selber an. Nein, Tag und Nacht können nicht zusammenleben. Unsere Toten leben fort in den süßen Flüssen der Erde, kehren wieder mit des Frühlings leisem Schritt und es ist ihre Seele im Wind, der die Oberfläche des Teiches kräuselt.

Das Ansinnen des weißen Mannes, unser Land zu kaufen, werden wir bedenken. Aber mein Volk fragt, was denn will der weiße Mann? Wie kann man den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen – oder die Schnelligkeit der Antilope? Wie können wir Euch diese Dinge verkaufen und wie könnt Ihr sie kaufen? Könnt Ihr denn mit der Erde tun was Ihr wollt, nur weil der rote Mann ein Stück Papier unterzeichnet und es dem weißen Manne gibt? Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen, wie könnt Ihr sie dann von uns kaufen? Könnt Ihr die Büffel zurückkaufen, wenn der letzte getötet ist?

Wir werden Euer Angebot bedenken. Wir wissen, wenn wir nicht verkaufen, kommt wahrscheinlich der weiße Mann mit Waffen und nimmt sich unser Land.Aber wir sind Wilde. Der weiße Mann, vorübergehend im Besitz der macht, glaubt, er sei schon Gott, dem die Erde gehört. Wie kann ein Mensch seine Mutter besitzen?

Wir werden Euer Angebot, unser Land zu kaufen, bedenken, Tag und Nacht können nicht zusammenleben – wir werden Euer Angebot bedenken, in der Reservat zu ziehen. Wir werden abseits und in Frieden leben. Es ist unwichtig, wo wir den Rest unserer Tage verbringen. Unsere Kinder sahen ihre Väter gedemütigt und besiegt. Unsere Krieger wurden beschämt. Nach Niederlagen verbringen sie ihre Tage müßig – vergiften ihren Körper mit süßer Speise und starkem Trunk.

Es ist unwichtig, wo wir den Rest unserer Tage verbringen. Es sind nicht mehr viele. Noch wenige Stunden, ein paar Winter, und kein Kind der großen Stämme, die einst in diesem Land lebten oder jetzt in kleinen Gruppen durch die Wälder streifen, wird mehr übrig sein um an den Gräbern eines Volkes zu trauern, das einst so stark und voller Hoffnung war wie das Eure.

Aber warum soll ich trauern über den Untergang meines Volkes, Völker bestehen aus Menschen und nichts anderem. Menschen kommen und gehen wie die Wellen im Meer. Selbst der weiße Mann, dessen Gott mit ihm wandelt und redet wie Freund zu Freund, kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir doch Brüder. Wir werden sehen.

Eines wissen wir, was der weiße Mann vielleicht eines Tages entdeckt – unser Gott ist derselbe Gott. Ihr denkt vielleicht, daß Ihr ihn besitzt, so wie Ihr unser Land zu besitzen trachtet, aber das könnt Ihr nicht. Er ist der Gott der Menschen – gleichermaßen der Roten und Weißen. Dieses Land ist ihm wertvoll und die Erde zu verletzen heißt ihren Schöpfer zu verachten.

Auch die Weißen werden vergehen, eher vielleicht als die anderen Stämme. Fahret fort, Euer Bett zu verseuchen, und eines Tages werdet Ihr im eigenen Abfall ersticken. Aber in Eurem Untergang werdet Ihr hell strahlen – angefeuert von der Stärke des Gottes, der Euch in dieses Land brachte und Euch bestimmte, über dieses Land und den roten Mann zu herrschen. Diese Bestimmung ist uns ein Rätsel. Wenn die Büffel alle geschlachtet sind, die wilden Pferde gezähmt, die heimlichen Winkel des Waldes schwer vom Geruch der vielen Menschen und der Anblick reifer Hügel geschändet von redenden Drähten – wo das Dickicht fort, wo der Adler fort, und was bedeutet es, Lebewohl zu sagen dem schnellen Pony und der Jagd: Das Ende des Lebens – und der Beginn des Überlebens.

Gott gab Euch die Herrschaft über die Tiere, die Wälder und den roten Mann aus einem besonderen Grund – doch dieser Grund ist uns ein Rätsel. Vielleicht könnten wir es verstehen, wenn wir wüßten wovon der weiße Mann träumt, welche Hoffnungen er seinen Kindern an langen Winterabenden erzählt, und welche Visionen er in ihre Vorstellung brennt, so daß sie sich nach dem Morgen sehnen. Aber wir sind Wilde – die Träume des weißen Mannes sind uns verborgen. Und weil sie uns verborgen sind, werden wir unsere eigenen Wege gehen. Denn vor allem schätzen wir das Recht eines jeden Menschen, so zu leben, wie er selber es wünscht – gleich wie verschieden er von seinen Brüdern ist.

Das ist nicht viel, was uns verbindet.

Wir werden Euer Angebot bedenken. Wenn wir zustimmen, so nur, um das Reservat zu sichern, das Ihr versprochen habt. Dort vielleicht können wir unsere kurzen Tage auf unsere Weise verbringen.

Wenn der letzte rote Mann von dieser Erde gewichen ist und sein Gedächtnis nur noch der Schatten einer Wolke über der Prärie, wird immer noch der Geist meiner Väter in diesen Ufern und diesen Wäldern lebendig sein. Denn sie liebten diese Erde, wie das Neugeborene den Herzschlag seiner Mutter. Wenn wir Euch unser Land verkaufen, liebt es, so wie wir es liebten, kümmert Euch, so wie wir uns kümmerten, behaltet die Erinnerungen an das Land so wie es ist, wenn Ihr es nehmt. Und mit all Eurer Stärke, Eurem Geist, Eurem Herzen, erhaltet es für Eure Kinder und liebt es – so wie Gott uns alle liebt.

Denn Eines wissen wir: unser Gott ist derselbe Gott. Diese Erde ist ihm heilig. Selbst der weiße Mann kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir doch – Brüder. Wir werden sehen.“

Ja, seine Worte sind wie Sterne – blumig und trotzdem ist die Botschaft richtig. Wie eingangs erwähnt dürfte die Rede alles andere als historisch sein. Chief Seattle konnte weder von den Büffeln erzählen (die gab es nie in der Gegend, im übrigen auch noch keine Eisenbahn!), noch kann er wirklich gewußt haben, was eigentlich ein Ziegenmelkervogel ist, weil diese Art in Amerika überhaupt nicht existiert. Das sind zwei Beispiele für letztendliche Fehler in der Rede, die nachweisen daß sie so nicht – und schon gar nicht vor dem amerikanischen Kongreß! – gehalten wurde. (Anmerkung: Der letzte Link, nebenbei, hat die Rede doch auf Deutsch. Ich hätte mir das Tippen also sparen können…) Dafür gibt es auch noch einen anderen Nachweis: Seattle sprach kein Englisch, er hielt seine Rede vermutlich in Chinook.

Aber ihre zentrale Botschaft, daß wir Kinder der Erde sind und mit ihr sterben wenn wir so weitermachen, die ist nicht falsch. Hannes Wader vertonte die Rede 1985 sogar einmal:

Friedensnobelpreis für die EU? Na dann…

Wie es das Känguru sagen würde: „Der Comedypreis aus Stockholm ist dieses Jahr wohl an die EU gegangen.“ Das ist so ein bißchen wie mit dem Axel-Springer-Preis für Journalismus, in sich ein Witz. Tatsächlich fragt man sich schon was genau das Komitee damit sagen will.

Als 2009 Barack Obama kurz nach seiner Wahl ausgezeichnet wurde war die Empörung besonders bei Konservativen groß: Ausgerechnet ein „sozialistischer Neger“ soll einen Preis bekommen, der doch eigentlich Helmut Kohl zustünde. Tatsächlich hatte das Komitee mit dieser leicht überraschenden Entscheidung wohl vor allem Dankbarkeit dafür ausgedrückt, daß die acht Jahre Bush endlich vorbei waren. Denn die offizielle Begründung dafür, „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“, konnte zu diesem Zeitpunkt kaum zutreffen. Das klingt eher nach der Belohnung für ein Lebenswerk, so war es eine frühe Wahlkampfspende.

Gibt es das eigentlich? Den Friedensnobelpreis für eine Organisation statt eine Person?
Natürlich. 1904 zum Beispiel wurde das „Institut de Droit international“ gewürdigt, 1910 das „Bureau International Permanent de la Paix“, dann, während der Pause von 1914 bis 1918 wurde 1916 das Internationales Komitee vom Roten Kreuz ebenfallsmit dem Preis bedacht. Es folgten 1938 das „Office international Nansen pour les réfugiés“, also das Nansen-Büro für Flüchtlinge in der Schweiz, 1939-1945 wurde wieder kein Preis verliehen mit Ausnahme 1944 noch einmal das Internationales Komitee vom Roten Kreuz, was während eines Weltkrieges damit schon fast Tradition wurde, es folgten 1947 die Quäker mit dem britischen Quaker Peace and Social Witness und dem amerikanischen American Friends Service Committee. 1955 wurde das UN-Flüchtlingskommissariat, das United Nations High Commissioner for Refugees ausgezeichnet, 1963 zur Abwechslung mal wieder das Rote Kreuz und auch die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften, 1965 das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und 1969 die Internationale Arbeitsorganisation (IAO).
1977 folgte dann endlich Amnesty International, 1981 dann zum zweiten Mal das United Nations High Commissioner for Refugees, also das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. 1985 die Ärzte gegen nukleare Kriege (International Physicians for the Prevention of Nuclear War), 1988 bekam ihn dann die erste militärische Vereinigung, die Friedenstruppen der Vereinten Nationen. 1995 folgten die erste Gruppe Naturwissenschaftler, die sich mit der Frage nach dem „ob“ beschäftigten, die Pugwash Conferences on Science and World Affairs, 1997 folgte die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen. 1999 wurde das Komitee auch endlich auf die Ärzte ohne Grenzen aufmerksam. 2001 erhielten Kofi Annan und die UNO gemeinsam den Preis, 2005 dann die IAEO, also die Internationale Atomenergie-Organisation. 2007 im Zeichen des Klimawandels erhielten ihn Al Gore und der Weltklimarat, sas Intergovernmental Panel on Climate Change. Und nun, 2012, eben die EU. Eine Sonderstellung hat sie damit aber: Zusammen mit der UNO ist es das zweite Mal, daß ein Staatenbund ausgezeichnet wurde.

Es ist also nicht ungewöhnlich und man darf sich fragen, ob nun jeder EU-Bürger einen Teil des Preisgeldes erhält. Bei etwa 500.000.000 EU-Bürgern sind das immerhin 0,2 Cent. Oder wie das sonst verteilt wird. Vielleicht fließt es ja in die Agrarsubventionen für die Lufthansa, die sie dafür kassiert, wenn die Gumnmisemmeln im Flieger Europäischen Luftraum verlassen. Oder in eine Verordnung über das Tragen von Schutzbrillen für Maulwürfe.

Ist die EU denn das wert?
Treue Leser meines Blogs wissen natürlich, daß ich die EU für eine der grundsätzlich großartigsten Erfindungen halte, die uns hier in Europa passieren konnte, allen Unkenrufen in Richtung Bürokratie zum Trotz. Der Preis zielt mit seiner Begründung in die gleiche Richtung wie es Jean-Claude Juncker, dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe und Premierminister von Luxemburg, tat: “Wer an der Idee Europas zweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen.”
Nur: Die EU führte in ihrer Geschichte mehrfach Krieg und daß Frieden innerhalb Europas herrscht hat auch was damit zu tun, daß man Nationen, die sich im Krieg befinden nicht aufnehmen möchte. Der Einsatz im ehemaligen Jugoslawien war eine ebenso politische, wie humanitäre Notwendigkeit, so verabscheuungswürdig das auch im ersten Moment klingen mag. Aber meiner Ansicht nach wäre es ein viel größeres Verbrechen gewesen nichts zu tun und einfach zuzusehen, wie sich vor unserer Haustüre einige Völker gegenseitig auszurotten versuchen. Tatsache ist nebenbei, daß der „ehrenbürger Europas“, Helmut Kohl, den 10-Tage-Krieg in Slowenien (1991), den Kroatienkrieg (1991–1995) und den Bosnienkrieg (1992–1995) schlichtweg ignoriert hat und sich darum nur dann scherte, als er es innenpolitisch zur Abschaffung des deutschen Asylrechts benutzen konnte. Eine der widerlichsten und schlimmsten Sünden, die unser Land nach dem Krieg begangen hat. Dafür, daß die EU zuerst zehn Jahre zusah und dann mit militärischer Intervention unter Führung der NATO eingriff ist ein Friedensnbobelpreis… naja, fraglich.
Ein anderer Krieg ist der Afghanistan-Konflikt, der zwar offiziell weder Krieg heißt noch von der EU geführt wird, wohl aber von einigen Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland. Bislang sind dabei mindestens 12.500 Zivilisten und alleine auf der Seite der Koalitionstruppen 14.449 Soldaten ums Leben gekommen. Alleine aus der EU sind 32.518 Soldaten in Afghanistan stationiert, eine Tatsache die immer wieder als Völkerrechtswidrig verstanden wird. Gut, Obama führte da ebenfalls Krieg und tut es noch und erhielt den Friedensnobelpreis trotzdem. Ehrlich gesagt, angesichts der Geschichte kommt gerade mir als Münchner die Verleihung an Jassir Arafat noch viel seltsamer vor. Ist der Friedensnobelpreis überhaupt etwas wert?

Vielleicht.

Der Preis geht an die EU dafür, daß es seit ihrer Gründung wenigstens innerhalb der EU keine militärischen Kriege mehr gegeben hat. Das Einzige, was ich daran wirklich gut finde, hat ein Twitteruser schön ausgedrückt: „Die EU hat den Nobelpreis gewonnen, weil sie die Europäer 60 Jahre lange davon abgehalten hat, gegeneinander zu kämpfen. Etwas, das der Nahe Osten auch versuchen sollte.“

Freizeit? Nö.

Florian Freistetter hat in seinem Blog auf die Tatsache verwiesen, daß es in der Wissenschaft und in wissenschaftlichen Berufen immer mehr üblich ist, exorbitante Arbeitszeiten zu leisten und die eigene Freizeit immer weiter einzuschränken. Das beklagt er – zu Recht – als einen im Grunde unhaltbaren Zustand. Dabei ist das im privatwirtschaftlichen Bereich schon länger normal.

Immer mehr meiner ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen sind inzwischen in ihren Berufen unterwegs – manche noch in der letzten Ausbildungsphase, genannt Referendariat, manche schon seit einigen Jahren im Beruf selbst. Nicht viele davon haben den Sprung in eine wissenschaftliche Karriere gewagt oder geschafft, alleine schon wegen der zum Teil geradezu unterirdisch schlechten Bezahlung und der letztendlich prekären Verhältnisse. Hinzu kommt, daß Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen Ländern mit am wenigsten für unbefristete Stellen ausgibt – wir liegen da nun wirklich am untersten Rand.

Viele erzählen mir, daß Überstunden ganz normal sind und auch vom Arbeitgenber in aller Regel gefordert werden. Normalerweise müssen sie irgendwann abgebummelt werden weil der Arbeitgeber kein Interesse daran hat, sie zusätzlich zu bezahlen – nicht selten wird damit dann zum Beispiel der Jahresurlaub verlängert opder so. Dagegen gibt es auch gar nichts zu sagen. Andere Fälle gibt es aber auch: Eine Bekannte von mir hat ganz klassisch eine Banklehre gemacht und arbeitet seither in einem größeren Geldinstitut; mittlerweile im Bereich Investment und dort irgendwo in der Kundenbetreuung. Die Arbeitszeit beträgt regulär 42 Stunden in der Woche, das sind erst rinmal die normalen 8,5 Stunden von Montag bis Donnerstag und acht Stunden am Freitag. Nun aber geht es los: Viele Kunden sind nicht aus Deutschland, daher ist die Betreuung wenn nicht per Mail dann nur telefonisch in den Abendstunden zu amchen. Bis sie die zehn Stunden voll hat bekommt sie die Überstunden angerechnet, danach nicht mehr.

In der freien Wirtschaft wie auch in der Wissenschaft gelten nämlich in Deutschland eigentlich bestimmte Regeln. In § 3 S. 2 ArbZG (Arbeitszeitgesetz) wird festgelegt, daß ein Arbeitnehmer im, Regelfall maximal 10 Stunden am Tag arbeiten darf; Ausnahmen hiervon sind Notfälle (Wäre schon blöd wenn der Feuerwehrmann mit nem freundlichen Gruß aus dem brennenden Gebäude in den Feierabend geht) und leitende Angestellte, für die andere Zeiten gelten. Tatsächlich sammeln sich in Deutschland irrwitzige Summen an Überstunden an, der bis 2009 mit dem Tiefststand rückläufige Trend geht derzeit wieder steil nach oben:

Überstunden der Arbeitnehmer in Deutschland bis 2011
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

2011 hatten die Deutschen also eine Gesamtmenge von 1.393.300.000 Überstunden zusammengesammelt. Ja, das sind knapp 1,4 Milliarden. Fleißig sind sie, diese Deutschen… Bezahlt werden diese Überstunden wenig; Laut Financial Times Deutschland erhalten 55% der deutschen Arbeitnehmer keinen finanziellen Ausgleich, 30% werden mit zusätzlichem Urlaub abgegolten. Der Rest?

Es gibt immer mehr Arbeitsverträge, die eine Mehrarbeit ohne Ausgleich ausdrücklich mit einschließen. Und selbst wenn es nicht im Arbeitsvertrag steht: Die eben erwähnte Dame in der Bank hat da noch einen ganz anderen Druckpunkt dahinter. Jedes Jahr werden die Gewinne der einzelnen Abteilungen gemessen und die Leistungssteigerung gegenüber der erwarteten Steigerung gesetzt. Leistet eine Abteilung nicht genug, so sind Entlassungen die Folge, damit die Bilanz der entsprechenden Abteilung stimmt. Wer sich also nicht freiwillig mißbrauchen lässt, den erwischt die nächste Kündigung. Begründet werden muß das ja nur aus betriebswirtschaftlicher Maxime, wehren kann sich der Angestellte kaum.

Ein weiteres Phänomen sind die modernen Geräte: Jedes Mobiltelefon kann heutzutage eine durchschnittliche Office-Anwendung, kaum einer hat zuhause keinen Computer oder Laptop. Damit kann der Arbeitnehmer nun „Arbeit mit nach Hause nehmen“, was weder aufgezeichnet, noch vergütet wird. Die Familie kann in solchen Umständen kaum noch stattfinden, gesund ist das Ganze ohnehin nicht mehr. Das ist nicht in allen Berufen möglich, aber überall dort wo Büroarbeit zu tun ist kann mit Hilfe von Heimarbeit Büroarbeit auch außerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Grenzen stattfinden.

Überstunden in der Wissenschaft sind deswegen ein interessantes Phänomen, weil der Wissenschaftler primär mit dem Kopf arbeitet und dieser durch längere Zeiten auch nicht produktiver ist. Im Gegenteil: Die nachts um halb elf noch immer im Büro sitzen leisten mutmaßlich gar nichts für Firma, Forschung und Karriere sondern sitzen nur im Büro. Der Fetisch, daß längere Arbeitszeiten gut sind (sollen sogar Arbeitsplätze schaffen! Was für ein Witz..!) und man deswegen durch Mehrarbeit seine Bereitschaft, statt Privatleben sich lieber dem Geschwätz eines Hans-Werner Sinn unterzuordnen, darstellen muß, sollte endlich einmal beendet werden.

Kleiner Hinweis zum Friedensnobelpreis….

Morgen wird er ja verliehen und ich hoffe doch schwer, daß ihn nicht Helmut Kohl bekommt. Das wäre das letzte, was im Wahlkampf noch fehlt daß Steinbrück Helmut Schmidt und Merkel Helmut Kohl durch die Wahlkabinen schiebt und die CDU rufen kann: „Unser Kanzler ist Friedensnobelpreis!“

Tatsächlich haben nur zwei deutsche Kanzler den Friedensnobelpreis jemals erhalten:

Das war zum Einen Gustav Stresemann 1926 und 1971 Willy Brandt für seine Ostpolitik. Stresemann war ein Liberaler, Brandt Sozialdemokrat im besten Sinne. Ansonsten gabs den nur für deutsche Pazifisten: Carl von Ossietzky 1935 und zuvor 1927 ging er an Ludwig Quidde.