Vom Dativ

Ein jeder weiß heute, daß „der Dativ dem Genitiv sein Tod“ ist; Dative sind also sprachliche Vereinfachungen die weniger Mühe bei der Aussprache machen, als es die Formulierung des Genitivs erfordert. Aber was sind Dative eigentlich und was für Arten von Dativen gibt es? Im Rahmen meiner Büffelei für das Staatsexamen bin ich der Geschichte nachgegangen und habe es hier mal zusammengetragen.

E gibt zwei Lager in der Beschreibungsgeschichte des Dativs: Das eine sieht den Dativ in einer klaren Funktion, in einer einheitlichen Form, das andere unterscheidet verschiedene Dativsorten bzw. Dativkonzeptionen zum Einen auf der syntaktischen, zum Anderen auf der semantischen Ebene.

Semantisch? Ja, in der inhaltsbezogenen Grammatik wird der Dativ quasi als Darlegung des Wesens behandelt, die Grundbedeutung der Kasusform wird untersucht. Glinz beispielsweise unterschied 1952 noch nicht zwischen sogenannten freien Dativen und Dativobjekten. Selbst Brinkmann unterschied den Dativ nur dahingehend, daß er Dative der teilnehmenden Personen und der sinngebenden Personen erkannte, eine recht vage Unterscheidung. Ein Dativ der teilnehmenden Person ist ein freier Dativ, der nicht zum Verständnis des Satzes gebraucht wird, also zum Beispiel: „Er trägt ihr den Koffer.“ Der Dativ „ihr“ ist nicht unbedingt nötig, sondern schmückt den Satz aus bzw. verpasst ihm einen größeren Sinngehalt. Ein Dativ der sinngebenden Person ist, laut Brinkmann, ein Dativ, der eine Person beschreibt, welcher sich das Geschehen zuwendet. Also wenn ich „jemandem zulache“, dann ist das Geschehen von mir zur anderen Person gegangen.

 

Man könnte Dative strukturalistisch untersuchen, also den Kasus als Teil eines Systems aller Kasus. Dabei gibt es allerdings das Problem, daß man freie Dative nicht einsortieren kann, weil sie systematisch nicht beschreibbar sind. Zwar versuchte Fillmore mit der Tiefenkasustheorie dem zu begegnen, scheiterte aber letztendlich.

Freie Dative
Jetzt habe ich diesen Begriff schon mehrfach benutzt, vielleicht sollte ich ihn nochmal etwas eingehender erklären. Freie Dative sind sowohl semantisch, als auch syntaktisch verbunabhängig, das heißt, sie werden nicht vom Verb regiert. Man kann sie meistens einfach weglassen und trotzdem bleibt der Satz grammatikalisch korrekt, es geht nur eine Information verloren. Es gibt mehrere Typen, die man unterscheiden kann:

  • Der Dativus Ethicus: Drückt eine gefühlsmäßige Anteilnahme aus. „Fall mir bloß nicht auf!“ Heute wird er seltener gebraucht, vielleicht noch bei Ermahnungen, aber im großen und ganzen gilt er als veraltet. Dieser Dativ ist nicht erststellenfähig, man kann ihn also nicht nach vorne stellen.
  • Der Dativus Commodi: Er bezeichnet den Begünstigten einer Handlung. „Peter fährt ihr das Auto in die Garage.“ Dieser Dativ ist erststellenfähig: „Ihr fährt Peter das Auto in die Garage“. Auch dieser Dativ ist prinzipiell weglassbar.
  • Der Dativus Incommodi: Er ist das genaue Gegenteil, bezeichnet also den Geschädigten einer Handlung. Ob man die beiden ernsthaft unterscheiden muß ist eine semantische Frage, keine syntaktische. „Es sind ihm alle Teller heruntergefallen.“, wäre so ein Satz.
  • Der Dativ Iudicantis: Dieser Dativ bezeichnet den Sprecher einer Aussage und verschafft ihr so Gültigkeit. „Das Essen war ihm zu heiß“
  • Der Pertinenzdativ: Er ist ein possessiver Dativ, der in aller Regel bedingt ist. Daher ist er nicht weglassbar weil sonst die Schlüsselinformation des Satzes fehlt. Allerdings ist er erststellenfähig, also betont. „Mir brummt der Schädel“

Das Gegenstück zum freien Dativ ist das Dativobjekt, also der konstitutive Dativ. Er ist erststellenfähig, nominal und pronominal, manchmal weglassbar und kann nicht durch ein Gefüge mit „für“ ersetzt werden. Gemein ist es, freie Dative und Dativobjekte zu unterscheiden, das ist manchmal gar nicht so einfach.

Beispiel: „Ich schreibe ihm einen Brief.“

Das kann jetzt ein Dativobjekt sein: Ich schreibe ihm einen Brief, also an ihn. Dann ist es relevant, weil es den exakten Bezug herstellt.

Das kann aber auch ein Dativus Commodi sein: Ich schreibe ihm einen Brief, also für ihn. Jetzt ist es nicht mehr relevant, ein freier Dativ.

Ich brauche also zur Unterscheidung manchmal den semantischen Zusammenhang, um die syntaktische Funktion festzustellen.