Zahl der Suizide im Westen steigt an

Wie die Sueddeutsche berichtet steigt nach Vermutung einiger Forscher die Zahl der Suizide bedingt durch die Wirtschaftskrise an. Ein ziemlich böser Kommentar.

Ich verstehe jetzt das Problem nicht so recht.

Wenn ich die CD/SU und die FdP/AfD richtig verstanden habe, ist es das Ziel jedweden Regierungshandelns im Kapitalismus, die Zahl der Arbeitslosen zu senken. Wenn durch gesellschaftliche Strukturen (kein Arbeitsplatz = kein gesellschaftlicher Wert) und politisches Handeln (Arbeitslos = Schmarotzer, deren Kinder ebenfalls unwerte Existenzen) auf diese Art die Suizide ansteigen und damit die Zahl der unproduktiven Menschen senken, dann kann das doch nur im Sinne der kapitalgesellschaftlichen Wert- und Weltordnung sein. Vielleicht sollte man über staatlich subventionierte Angebote nach dem Stil von Dr. Kusch nachdenken um das Wachstumspotenzial zu verbessern. Würde sogar ein paar Arbeitsplätze schaffen, privatisiert man das könnte man sogar Aktionäre beglücken. Gut, man müsste vorher das Hamburger Verwaltungsgericht abschaffen, das ziemlich sozialistische Einstellungen zu haben scheint (Zitat: „die sozial unwertige Kommerzialisierung des Sterbens durch Beihilfe zum Suizid gegen Entgelt“).

Man könnte sogar – das wäre quasi Flexibilität schaffen – die Maschinen auch für die arbeitende Bevölkerung zur Verfügung stellen, die wegen Überlastung oder noch nicht ganz abgeschaffter Nebenbeschäftigungen (Beziehungen, Familie, Alkohol) ebenfalls das Angebot nutzen wollen. Im Ergebnis könnten Arbeitsplätze neu besetzt werden, die Zahl der nicht Beschäftigten sinkt weiter.
Einziger Nachteil: Die Leute fallen dann als Konsumenten weg. Daher müsste ein Restvermögen quasi als „Schonvermögen“ gerecht auf die produktive (=wertvolle) Bevölkerung aufgeteilt werden, damit es in Konsumgüter umgesetzt werden kann.

Wer den Beitrag für Ironie hält, hat den Herren Westerwelle, Schäuble oder Henkel sowie Frau Merkel noch nie genau zugehört.

Christen fordern Abschaffung des Religionsunterrichtes!

Ein in einer christlichen Gemeinschaft aktiver Lehrer hat in Baden-Württemberg für Furore gesorgt. Er hat eine Online-Petition gegen den „Aktionsplan für Bildung und Toleranz 2015“ der Grün-Roten Landesregierung gestartet, weil er glaubt, daß Schüler so „umerzogen“ werden sollen.

Nun ist Homophobie ein weit verbreitetes Thema und zugleich ist jedwede Form von Diskussion hier schlagartig mit geradezu hysterischen Scheinargumenten begraben. Anstatt daß also nun in den Foren und Zeitungen eher sachlich über die Frage, um die es mit dem Plan geht, diskutiert wird, werfen sich die Einen sofort in die Brust für Toleranz und übersehen so gerne mal die Form der Argumentation, die sie da benutzen, während die Anderen eine Chance sehen, endlich mal wieder ihrem Hass so richtig freien Lauf zu lassen. Die typischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Deutschen.

Nein, wird man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sich Antrag und vor allem die Kommentierung und die Diskussion  zur Petition mal näher ansieht. Anstatt daß hier über den tatsächlichen Inhalt des Antrages – die Einbringung des Wertes „Anders sein ist auch normal“ und des Wertes „Toleranz“ diskutiert wird, wehren sich die Befürworter gegen eine „Homosexualisierung des Schulunterrichtes“.

Ein schöner Kommentar zum Beispiel:

So etwas gehört nicht in die Schule. Sollen unsere Kinder schon zu Schwulen u Lesben erzogen werden?
Gut so!!!!
Weil das nichts mehr Diskriminierung zu tun hat, sondern nur noch reine Schwulenpropaganda ist!
Man sollte das Volk nicht homosexuell erziehen.
Weil unsere Kinder nicht schon in frühester Jugend mit absolut irrem, gesellschaftszersetzendem Gedankengut “ umerzogen “ und buchstäblich “ versaut „werden dürfen.

Da hat jemand eine Menge nicht begriffen, ist aber in genau der Argumentationsschiene, in der sich auch die Gesetzgeber in Russland bewegt haben, als sie das Gesetz gegen „Schwulenpropaganda“ einbrachten.

Woher kommen diese Leute? Nun, Wer den Kommentaren nicht glaubt, dem Hilft Open-Petition auf besonders nette Weise:

Petition - UnterstützerSieht man sich die Seiten an, über die die Unterstützer die Petition gefunden haben, so sticht neben der offiziellen Seite der Petition (Und natürlich Medienseiten wie Sueddeutsche und Focus)  vor allem die Haß-Site PI-News hervor, die kleinen Rechtsradikalenkonservativen mit der Angst vor der „Islamisierung“ Europas. Dann aber melden sich schnell die Christen zu Wort: kath.net zum Beispiel, eine katholische Nachrichtenseite, die schon mal jubiliert, daß auch Evangelische Kirchen zur Unterstützung der Petition aufrufen, vor allem das Ganze aber unter die – bewußt falsche – Überschrift stellt: „Homosexualität soll Pflichtstoff an den Schulen werden“. Ein katholisches Forum (blogforum deutscher Katholiken) spielt auch mit beim Unterstützer sammeln. Das evangelische Pendant ist nebenbei „Medrum.de„, die seit dem 9.1. auch kein anderes Thema mehr zu haben scheinen aber deren Leser dafür wenigstens gleich wieder mit der Sozialismuskeule kommen, wie ein gewisser Markus Lippert:

Die sozialistische Sexualkunde
[…] Einige Eltern in Westdeutschland haben es ja schon zu spüren bekommen was passiert, wenn man sein Grundrecht auf Werteerziehung der eigenen Kinder gegen schulischen Sexismus in Anspruch nehmen will. Sie sind im Gefängnis gelandet.
Das Klassenzimmer als Ort intimer Gedankenspiele und Projektionen? Sexualität reduziert auf das Ausleben von Trieben, abgekoppelt von Beziehungsfähigkeit und Verantwortung? Wenn das nicht Manipulation an Minderjährigen ist. […]“

Etwas schlechter zu lesen im Bild sind aber weitere – interessante – Unterstützerquellen: der Kopp-Verlag zum Beispiel, ein eher in der braunen Esoterik angesiedelter kleiner Verlag, der sein Geld hauptsächlich mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien macht, gelegentlich aber auch gerne auf die, sagen wir mal, antimuslimische Schiene ausweicht. Aus der Ecke kommen noch ein paar – „junge Freiheit“ oder auch die sehr seltsame Seite „Sciencefiles.org“, eine Mischung aus recht interessanten Gedanken, kruden Meinungsartikeln und blanker Anhnungsbefreiung, gut geschüttelt mit einer ordentlichen Portion Unbehagen gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Auch die „Freie Welt“ taucht hier auf, eine Zeitschrift der ISSB (Institut für strategische Studien), die irgendwo zwischen neoliberalem Gedankengut und rechtskonservativer Forderungen wie der Rückforderung ehemals deutscher Besitzungen in Polen laviert. Zuletzt taucht in der Unterstützerliste – und das finde ich wirklich interessant – das Forum „All-Russian.info“ auf, ein Forum das, laut Selbstbeschreibung ein „Russisches forum ueber Probleme, Russen in Deutschland, Unterhaltung und Spass satt“ ist. Und die russische Gesetzgebung bezüglich „Schwulenpropaganda“ offenbar auch gern in Baden-Württemberg hätte. Manchmal schmiedet die Wirklichkeit schon lustige Allianzen.

Und wo ist das jetzt mit dem Religionsunterricht?
Ach ja, genau. Die Überschrift ist natürlich provokant gewählt, denn tatsächlich fordert das erstaunlicherweise noch kein Vertreter der genannten Unterstützer der Petition in Baden-Württemberg. Aber eigentlich müssten sie das fordern.

Die wichtigste seriöse Argumentationslinie, auf der sich die meisten der christlich-moralisch Entrüsteten bewegen, ist geprägt von der Angst vor „Funktionalisierung, Instrumentalisierung, Ideologisierung und Indoktrination“. Ein wenig verschwurbelt haben sie schlicht Angst, daß ein anderer Familien- und Lebensentwurf als die Vater-Mutter-Kind – Welt als ebenso Normal „indoktriniert“ wird.

Nun bin ich selbst auch kein Freund von Moralkeulen und ganz besonders nicht von jedweder Form von Missionierung irgendeiner Ideologie – sei es eine Religion oder eine nicht auf ein höheres Wesen bezogene Weltanschauung. Meinungen sollen geäussert und diskutiert werden, nicht aber zur einzigen Wahrheit erhoben werden.
Genau das passiert aber gerne, wenn Homosexuelle zum Beispiel ein Adoptionsrecht wünschen oder sich einfach nur auf der Straße mal Küssen wollen – sofort stehen insbesondere christlich inspirierte Personen da und entrüsten sich über den Sittenverfall. Manchmal – und dann wird’s in sich urkomisch – mit einem Rückverweis auf die Geschichte in der Abteilung „Wir sind nicht mehr in der Antike“. Erklären mir gerne Leute, die wörtlich an die Inhalte eines Buches aus der Antike glauben. Naja.
Die zum Teil recht extreme Ablehnung von anderen sexuellen Identitäten führt aber dann dazu, daß ein Begriff wie „Schwuchtel“ gängiges Schimpfwort ist, ein Schwuler eben „kein Mann“ sei und so weiter. Eltern erzählen das ihren Kindern, natürlich geprägt von christlichen Toleranzverständnis und der Nächstenliebe, und die Kinder plappern das auch schön nach – und geraten eventuell in große Schwierigkeiten, wenn sie feststellen, daß ihre eigene Orientierung nicht in das christliche Idealbild des heterosexuellen, lediglich zu Reproduktionszwecken intim werdenden Ehegatten passen will.

Wenn nun aber die Angst davor besteht, daß ein Unterrichtsfach oder gar der ganze Unterricht eine bestimmte Weltanschauung propagiert, so ist das zwangsläufig die Forderung nach der Abschaffung des staatlich finanzierten Religionsunterrichtes an den Schulen. Denn da wird genau das gemacht und eine Vielfalt – etwa daß auch andere Religionen unterrichtet werden können – wird ja massiv bekämpft, auch wenn die Kirchen da längst begriffen haben, daß es ihnen an die Substanz gehen könnte und deswegen – als Amtskirchen – sich für einen islamischen Religionsunterricht aussprechen. Laienverbände sehen das naturgemäß etwas kritischer.

Wollen die Kirchen und die christlichen Bedenkenträger also wirklich den Religionsunterricht abschaffen? Naja, also da wäre ich dabei.

Meinung
Naja, ich sehe den Bildungsplan nicht so kritisch, das stimmt. Die Finale Version hat allerdings meines Erachtens nach eher noch eine Menge Geschwurbel als Inhalt zu bieten und ist so noch nicht umsetzbar.

Die Intention, wieder mehr auf Kultur- und Geisteswissenschaftliches zu setzen finde ich prinzipiell richtig, auch wenn ich nur hoffen kann, daß dadurch nicht die naturwissenschaftlichen Elemente zu kurz kommen – schön, wenn man Goethe rezitieren kann, aber der moderne Mensch sollte trotzdem ein wenig Ahnung haben und zum Beispiel wissen warum Dinge herunterfallen oder wie ein Waschmittel funktioniert.
Ich wüsste gern, woher der BNE-Ausschuss und Frau Lösch die Zahlen zur Häufigkeit von homosexuellen Neigungen hernehmen. Ich bin in das Thema nicht eingearbeitet und kann mich daher nur auf leicht zugängliche Bezugsquellen stützen, wie zum Beispiel die Wikipedia, die aber deutlich aufzeigt, daß es im Grunde keine belastbaren Zahlen – weder hohe noch niedrige – gibt. Das schließt keinesfalls aus, daß man Kindern beibringen muß, daß es nichts unnormales ist, wenn sich ein Mensch zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Nur wäre es schön, wenn man schon mit Zahlen argumentiert, wenn diese auch belastbar wären.

Ein weiterer Punkt, der mich irritiert ist gleich der erste. Hier heißt es: „Sexuelle Orientierung und Akzeptanz sexueller Vielfalt müssen verpflichtend in Form von Lerninhalten / -modulen im Bildungsplan als Querschnittsthema in den unterschiedlichen Fächern und Klassenstufen sowie verpflichtend in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte verankert werden.
Daß in verschiedenen Fächern eine Geisteshaltung verankert werden soll hat schon so ein bißchen ein „G’schmäckle“, oder? Ich habe nichts dagegen, wenn eine Textaufgabe statt „Herrn und Frau Meier“ einfach „Familie Meier“ zum Aufhänger hat, aber ansonsten hat sexuelle Orientierung im Matheunterricht ehrlich gesagt nichts verloren. Vielleicht in der Oberstufe im Bereich Statistik, okay. Aber ansonsten mag ich diese – bei genauem Lesen auch sehr durchsichtige Form der präzisen Orchestrierung einer Ansicht insbesondere in Schulbüchern gar nicht. Das geht auch einfach wertneutral.

Eine zweite Frage stellt sich hier bei der Formulierung „Klassenstufen„. Zugegeben – Sexualkunde kommt etwas spät in der Schule und – zumindest bei mir war das noch so – schrecklich verklemmt im Biounterricht der sechsten Klasse mal dran, Aufklärung über Verhütung dann irgendwann in der Mittelstufe. Da war es bei einigen längst zu spät, diese Lücke schließen aber verantwortungsvolle Eltern und Jugendzeitschriften wie die Bravo. (Gibt’s die noch?)
Nun geht es dem Bildungsplan, so ich das denn richtig verstanden habe, nicht um Sexualkunde (Auch wenn das bei den Gegnern immer als Kernpunkt verstanden wird; ich frage mich ohnehin, wie man eine „sexuelle Orientierung“ lehren will…), sondern um eine ethische Erziehung zur Toleranz und Akzeptanz. Das finde ich richtig. Aber ehrlich gesagt wüsste ich gern, wie sich die Kommission beispielsweise die Toleranzerziehung bei Grundschülern vorstellt. Nicht, daß das nicht möglich wäre, aber was soll das vage Geschwurbel?

Etwas irritiert mich die häufige Formulierung, daß immer „Fachleute aus dem Bereich der Kulturellen Bildung und der Medien“ hinzugezogen werden sollen. Erstere kann ich ja noch verstehen, aber welchen Zweck erfüllen „Fachleute der Medien“ und wer sind die? Natürlich geht aus dem Text hervor, daß damit eigentlich Kooperationen mit Kulturschaffenden auch aus dem Film- und Fernsehbereich gemeint sind, und die Idee, daß Schüler mal ein Praktikum beim Fernsehen machen können (müssen?) finde ich auch klasse. Aber unter Medienfachleuten verstehe ich ehrlich gesagt Publicity-Figuren, die zum Beispiel Politikern sagen, daß es beim Volk 0,3 Prozentpunkte mehr Sympathien bringt, ein Fußballspiel unter Medienbegleitung anzuschauen, als ein Krankenhaus bauen zu lassen.

Perspektivenfrage
Leider ist der im Grunde durchaus richtige Ansatz, Toleranz, Akzeptanz und Miteinander wieder mehr in den Fokus zu rücken in der Angst, Kinder sollen „zu Homosexuellen erzogen“ werden, untergegangen. (Ganz zu schweigen davon, daß der Bildungsplan sich auch um das Thema Nachhaltigkeit, Globalisierung und Medienerziehung dreht und die Toleranzgeschichte nur eine unter vielen ist). Leider ist es gesellschaftliche Realität, daß ein Miteinander überhaupt erst wieder gelehrt und gelernt werden muß – seit den „geistig-moralischen“ (Kohl) und der „geistig-politischen“ (Westerwelle) Wende ist das „Ich“ wichtiger als das „Wir“ und die Ellenbogengesellschaft bekommt durch Marktorientierung Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche – selbst in der Schule. Im Ergebnis haben wir eine Gesellschaft, die aus Konkurrenten und Gegnern besteht, das ist der liberale Teil der Geisteshaltung, und die Konservativen (Allerdings nicht nur die) liefern uns dann die Waffen, um einander zu beharken.
Der Bildungsplan ist ein sehr Grüner: Durchaus gute Ideen, aber die Umsetzung der Ideale wird höchstens angerissen, die tatsächliche Arbeit nicht gemacht. Nicht einmal die Lufthoheit in der Diskussion hat man sich geholt und sie stattdessen verqueren Ideologen überlassen, denen man dann schlimmstenfalls eigene verquere Ideologen entgegenstellt. So kann das doch nichts werden, Freunde.
Es ist dringend nötig, daß sich die Landesregierung in Baden-Württemberg daran macht, den Menschen aufzuzeigen was sie wie verändern will – sobald es konkretes gibt wird sich ein großer Teil der Panikmache von christlicher und von rechter Seite auflösen.

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Links:

  • Karnele.de
  • Zeit.de (köstlicher Kommentar: „Ich würde auch nicht wollen, dass meinen Kindern in der Schule Homosexualität beigepult wird. Dann könnten sie auch zur katholischen Kirche gehen.“)
  • KleinerDrei zur Hatespeech, eine gelungene Analyse der Kommentare unter der Petition

Moderner Sport

Einer der Bostoner Attentäter ist tot, ein weiterer befindet sich noch auf der Flucht – so schreiben es die Medien. Die etwas seriöseren sind immerhin so mutig, ein „mutmaßlich“ vor den „Attentäter“ zu schreiben. Im Internet verfolgen zehntausende Menschen live die Jagd – ein Sportereignis, bei dem das leben von Menschen auf dem Spiel steht.

Nur um das klarzustellen – ich habe nichts übrig für Terrorismus. Dennoch muß ich mich fragen wohin sich unsere Gesellschaft da entwickelt, wenn wir im Internet live den Polizeifunk mitverfolgen können und die Informationen in Form von Bildern, Twitterkommentaren und Webcams schneller ins globale Netz geraten, als sie verarbeitet werden können.

So ist dabei zum Beispiel ein Mann verhaftet worden und alles überschlug sich mit Kommentaren von „Jetzt haben sie ihn“ bis hin zu „sie hätten ihn gleich abknallen sollen“. Natürlich sind die Bilder des Verdächtigen unverpixelt durchs Netz gegangen. Einige Zeit später drang – nur mühsam weil die Actionreichen Bilder spannender sind – die Meldung durch, daß der Verhaftete unschuldig und wieder auf freiem Fuß ist.

Nachdem die klassischen Medien in dieser schönen neuen Welt keine ernstzunehmende Rolle mehr spielen versuchen sie verzweifelt ihre Bedeutung zu erhalten, indem sie noch hysterischer reagieren und das Ganze auch noch stilistisch in Richtung Krimi aufbereiten: Ein Actionkracher zum Nachlesen auf Sueddeutsche.de….

Vor dem heimischen Computer und tausende Kilometer entfernt vom Geschehen sitzen jetzt tatsächlich Leute mit einer Tüte Popcorn und verfolgen, wie Menschen ums Leben kommen – mutmaßliche Attentäter wie Polizisten. Das ganze Spektakel ist ein bißchen wie der Umkehrschluß zum erreichten Ziel der Terroristen: Da dank hunderter Kameras in jedem Handy die Bilder und Videos vom Anschlag zum Teil schneller im Netz waren als Rettungskräfte vor Ort wirkt der Anschlag bedeutend intensiver und der verbreitete Terror kann noch effektiver seine Wirkung entfalten, wie auch manche Medien kritisch anmerkten und deswegen auf derartige Bilder verzichten. Andere wiederum versuchen eher scheinheilig mit dem Wahrheitsargument die Tatsache zu verschleiern, daß es letztendlich um Auflage geht.
Gleichsam ein Heilmittel dagegen nun das Spektakel um die Jagd nach den Attentätern – Gut gegen Böse, live und ohne zu hinterfragen werden die wildesten Spekulationen und Gerüchte mit einer Art Unterhaltungsprogramm vermengt – die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmt.

So richtig in Worte fassen kann ich das nicht, aber irgendwie ist das alles ziemlich gruselig….

Wofür man sich als Deutscher schämen sollte

Der heutige Kommentar von Heribert Prantl brachte mir wieder einmal die Tatsache in Erinnerung, daß wir seit der Kohlregierung ein unglaublich schlechtes Asyl- und Flüchtlingsrecht haben, das jedweder Beschreibung einem zivilisierten Staat Hohn spottet.

Vor einiger Zeit machte eine Journalistin des rbb eine Reportage namens „Vier Wochen Asyl – ein Selbstversuch mit Rückkehrrecht“ bei dem sie vier Wochen lang als Asylbewerberin lebte und dabei lernte, wie diese Menschen eigentlich zu leben gezwungen werden in einem der reichsten Länder der Erde. Falls Sie die verpasst haben, gönnen Sie sich die halbe Stunde, die Doku ist wirklich gut.

Tatsächlich ist es so, daß in den 1990er Jahren die „bürgerliche“ Rechte den Medienzirkus mit einer „Das Boot ist voll“-Rhetorik beherrschte. Von einer „Asylantenschwemme“ war die Rede, die den Staat irgendwie aussaugen würde. Tatsächlich gab es in dieser Zeit eine größere Zahl von Flüchtlingen, was vor allem dem Zusammenbruch Jugoslawiens geschuldet war der in mehrere Kriege mündete, die der „Ehrenbürger Europas“ Helmut Kohl geflissentlich ignorierte, Völkermord hin oder her. Die Stimmung kumulierte letztendlich in den Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen, bei dem eine Gruppe Neonazis unter johlendem Beifall der ansässigen Bevölkerung ein Asylbewerberheim niederbrannten und die Polizei sich nicht traute, einzugreifen.

Diesen großen Erfolg des Boulevards möchte sich selbiger natürlich nicht wegnehmen lassen weswegen immer wieder in kleinen Beiträgen Stimmung gemacht wird was dann auch prompt funktioniert. Damals allerdings hatten sich CDU/CSU und FdP etwas ganz besonderes einfallen lassen – und die SPD hat sich ebenfalls mit dieser Schande befleckt, weil sie dem auch noch im Bundesrat zustimmte: Die Abschaffung des deutschen Asylrechts.

Nach dem zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck der Verbrechen der Nationalsozialisten haben die Gründerväter der Bundesrepublik in die Formulierung der Grundrechte den Artikel 16a aufgenommen: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Die Bestimmungen der Grundrechte (Art. 1–19) und der sog. grundrechtsgleichen Rechte (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104) sind allerdings, bis auf Artikel 1 und 20, veränderlich, sofern nicht ein Gericht feststellt, daß das Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 1) durch ein Gesetz verändert wird und genau das hatten Kanzler Kohl und seine Handlanger in den anderen Parteien ausgenutzt, um das Asylrecht de facto abzuschaffen und es zu einem bürokratischen Monster aufzublähen, das letztendlich abschreckt und abschrecken soll.

Im Ursprung hatten die Väter der Verfassung nämlich vorgesehen, daß das Deutsche Volk als künftig friedlicher Teil der Völkergemeinschaft der Erde seine Kraft auch dazu benutzt, all jenen, denen Unrecht geschieht, Schutz angedeihen zu lassen, wenn man es darum bittet. Wer in seiner Heimat verfolgt wurde aufgrund seiner Hautfarbe, Religion und Weltanschauung, der sollte nach Deutschland fliehen können und von Deutschland beschützt werden, bis sich die Situation in seiner Heimat verbessert hat. Wir alle, wir Deutschen, wir sollten helfen, Unrecht zu verhindern oder es wenigstens abmildern indem wir jenen wenigstens ein Dach über dem Kopf anbieten.

Darauf kann man stolz sein, denn das ist ein klares Signal an die Welt gewesen, daß wir es künftig anders machen als früher.

Bis halt Helmut Kohl kam.

Die Politik stand dem in den 90ern plötzlich aufflammenden Rassismus ziemlich hilflos gegenüber und wußte nicht, wie sie das wirksam bekämpfen könnte und entschloß sich daher zur feigsten Art der Lösung: Dem Brand einfach die Grundlage zu entziehen. Anstatt ihn zu bekämpfen und sofort mit Aufklärungsmaßnahmen letztendlich das neorechte Denken zu zersetzen und halbwegs anständige Menschen aus denen zu machen, tauschte man lieber Opfer gegen Täter und zuckte mit den Schultern: Wenn Asylanten angegriffen werden sind sie schon selber schuld, hätten ja nicht kommen brauchen. Das nannte sich Asylkompromiß.

Die damaligen Parteivorsitzenden, Helmut Kohl (CDU), Otto Graf Lambsdorff (FDP), Björn Engholm (SPD) und Theo Waigel (CSU) tragen hierbei eine ebenso große Schuld an der Zerschlagung des Ausländerrechtes, wie die Ministerpräsidenten dieser Zeit und die Generalsekretäre. Es wäre wirklich an der Zeit, hier endlich einmal Veränderungen durchzusetzen und es stünde ganz besonders der SPD gut an, sich hier wieder auf die Grundbegriffe der Menschenwürde zu besinnen – und dem widerwärtigen Boulevard zu trotzen.

Schönes und Unschönes auf dem Heimweg

Als ich heute von der Arbeit nach hause kam begegneten mir gleich dreierlei Dinge, die irgendwie nachdenklich stimmen. Eine Begegnung zwischen zwei Menschen, ein Bettler und eine bettelnde Rentnerin.

Im Münchner Studentenviertel zwischen Maxvorstadt und Schwabing begegnen einem zwischen Frühling und herbst stets eine Gruppe von Gestalten, die um eine kleine Spende bitten. Sie sind meist südländischer Herkunft, gehen samt und sonders mit einer Krücke umher und – ganz wichtig – sie haben die Straßen offenbar deutlich nach Bezirken unter sich aufgeteilt.

Das wäre soweit ja ein ganz normales Verhalten in einer Großstadt allerding sind diese Jungs offensichtlich ziemlich gut organisiert – sobald ich mal einen freien Abend habe finde ich mal heraus woher die eigentlich kommen und vor allem wo die wohnen. Ich habe nicht das geringste dagegen, daß sie Hilfe benötigen und würde ihnen auch gerne helfen. Allerdings glaube ich in dem Zusammenhang nicht an echte Armut, sondern eher an eine straff durchorganisierte Geschichte bei der vielleicht ein Dritter mitverdient.

Es gibt hier im Viertel einen oder zwei Obdachlose die gelegentlich nach Geld fragen – oder sich auch mal einen Kaffee spendieren lassen. Die kennt man und das sind ziemlich liebe Kerle, einer von ihnen ist ein hochgebildeter Mann der mir mal erklärt hat, seine selbstgewählte (und eigentlich in Deutschland nicht zwingend notwendige) Lebensweise sei seine Art, das System zu ignorieren. Er ignoriert das System und das System ignoriert ihn meistens auch. Naja, warum denn nicht, das ist ein freies Land. Bei den Studentenprotesten vor ein paar Jahren konnte man ihn stets antreffen – ob das allerdings etwas mit einer politischen Haltung zu tun hatte oder doch eher mit der Volksküche bleibt mal dahingestellt.

So ganz einfach ist dieses Leben sicher auch nicht – vergangenen Winter erfror ein Obdachloser nahe der U-Bahnstation Universität.

Das zweite, was mir begegnete war eine Rentnerin. Sie stellte sich als Luise vor und bat um zwei Euro, weil ihre Rente ihr nicht reiche, um in München Wohnung und Leben zu finanzieren. Im Winter könne sie nicht heizen und im Sommer selten duschen, weil die Nebenkosten zusätzlich zur Miete einfach zuviel sind. Kinder hat sie keine, leben tut sie, nach eigener Aussage, in einem kleinen Ein-Zimmer-Appartment nahe der Münchner Freiheit.

Ich habe nun keine Möglichkeit, jedenfalls keine, die ich derzeit realisieren möchte, um diese Aussagen zu überprüfen aber die zwei Euro bekam sie dennoch. Warum? Naja, ich beobachte seit einigen Jahren daß nicht nur sichtlich besonders arme Schlucker in den Müllkörben und -tonnen der Bahnhöfe nach Pfandflaschen graben sondern zunehmend Senioren, die mitunter auch nicht gerade einen armen Eindruck machen. Ein bißchen einen Schrecken versetzte es mir, als ich mir vor ein paar Wochen bewußt wurde, daß ich am Ostbahnhof einen Senioren (ich würde sagen so um die 70) im tadellosen Anzug dabei beobachtete, wie er Cola- und Bierflaschen aus einem Papierkorb fischte. Quer hatte vor einigen Monaten einmal über eine Seniorin berichtet, die in ihrer eigenen Wohnung fror weil die Rente die Heizkosten der ungedämmten Wohnung nicht mehr deckt. Parallel (Mitte Februar) sind mal wieder Rekordgewinne verkündet worden (beispielsweise bei Daimler). Schöne, neue Welt.

Allerdings gibt es auch etwas positives. Münchens Politessen haben allgemein einen recht schlechten Ruf, sie gelten als harsch, unfreundlich und vor allem als rechthaberisch. Es kann einem durchaus passieren, daß man das Knöllchen kassiert, während man schon wieder im Wagen sitzt und fünf Minuten über der Zeit ist.

Nun hatte ein junger Mann bei mir um die Ecke sein Fahrrad so blöd hingestellt, daß sowohl der begehrte Münchner Parkplatz, als auch der Bürgersteig unbenutzbar waren, da dort auch noch ein Baugerüst stand. Madame Politesse, eine sehr junge und wirklich bemerkenswert schöne Frau, wartete auch gleich beim Fahrrad wohl in der Hoffnung, den Delinquenten zu erwischen. Schrieb sogar, mein Eindruck, am Strafzettel.
Wieviel schöner dann die Szene, als er wieder herauskam. Sie unterhielten sich kurz, dann schob sie ihm ihren Block und den Stift zu. Sie tauschten Telefonnummern, keine Strafzettel. Mein München, irgendwie…