Der erste Schock des Wahlabends – und das glückliche Ende

Um 18 Uhr macht die Bibliothek zu – um 18:10 Uhr beginne ich Deutschlandradio zu hören. Und da traf es mich wie ein Schock: FdP bei 10%? Hoppla, was ist denn da passiert?

Ein Liveblog während ich erstmal was trinken gehe…

19:11 Uhr:
Die ersten Hochrechnungen sind ziemlich gruselig:

  • CDU 36,4%
  • SPD 32,6%
  • Grüne 13,4%
  • FDP 9,9%
  • Linke 3,3%
  • Piraten 1,8%
  • Sonstige 2,6%

Ersten Analysen zufolge ist das Ergebnis vor allem den Leihstimmen zu verdanken. Die CDU hat ziemlich heftig verloren (etwa 6%) und die FdP ein wenig gewonnen. Bin mal gespannt auf die realen Stimmen gewinne und -verluste.

19:15 Uhr
Hm…. die krachenden Verlierer sind definitiv die Piraten und die Linkspartei. SPD/Grüne und CDU/FdP sind annähernd gleichauf. Das wird ein spannender Abend…

19:20 Uhr:
Ein schönes hat das Ganze ja…. die Demoskopen sind mal so richtig auf die Nase gefallen. Reiner Brüderle auch. Schön fand ich die erste Aussage von Stefan Weil, der sich für den fairen Wahlkampf bedankte und hervorhob, daß die Wahlbeteiligung gestiegen ist. Mit knapp über 60% ist sie aber trotzdem erschreckend niedrig.
Peer Steinbrück hat sich recht einsichtig geäußert… vielleicht findet er endlich ein bißchen Rückenwind gegen die Kampagne, die da gegen ihn läuft. Vielleicht wird sich da ja doch noch was ändern.
Gabriel hat auch einen schönen Satz gesagt: Die FdP existiert eigentlich nicht mehr – nur noch über Leihstimmen. Naja, rein rechnerisch kann das wohl kaum stimmen….

19:45 Uhr:
Warum darf in der Berliner Runde eigentlich die CSU immer ihren Senf dazugeben? Warum nicht die Piraten?

20:10 Uhr:
Wird spannend: Das Rotgrüne Lager ist genauso stark wie das bürgerliche. Es wird um ein paar hundert Stimmen gehen. Ehrlich gesagt, ich finde das Lagedenken schrecklich, aber jetzt hat sich das irgendwie endgültig durchgesetzt…

20:24 Uhr:
taktische Wähler; Das gleiche wie bei der Bundestagswahl 2009: Im Grunde keine Zustimmung zur FdP sondern mehr eine Ablehnung von SPD und Grünen. Und das, wo die Grünen in so vielem der FdP ähnlich sind..

21:55 Uhr:
Aktuelle Hochrechnung:

  • CDU: 36,1%
  • SPD: 32,3%
  • Grüne: 13,7%
  • FdP: 10,1%
  • Linke: 3,2%
  • Piraten: 2,0%
  • Sonstige: 2,6%

Koalitionen? Hm…. Infratest Dimap geht derzeit von 142 Sitzen aus. Daher würde das bei dem Ergebnis heißen:

  • Schwarzgelb: 71 Sitze
  • Rotgrün: 71 Sitze
  • Schwarzrot: 106 Sitze

Damit bliebe nur eine große Koalition, die aber wahrscheinlich keiner will.

22:05 Uhr:
Niedersachsen ist spannend, weil es wohl letztendlich auf ein Wettrennen mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten hinausläuft. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über die Erststimmen in den 87 Wahlkreisen mehr Mandate direkt gewinnt, als ihr nach der Zahl der Zweitstimmen prozentual zustehen – und das passiert öfter. Im Bund ist dies Gegenstand der großen Kontroverse um unser Wahlrecht.
In Niedersachsen ist es nun aber so, daß die anderen Parteien dann Ausgleichsmandate erhalten, damit das Zweitstimmenergebnis sich im Parlament wiederspiegelt. Damit kommt es auf jede Stimme an.

22:15 Uhr:
„Hat das Ergebnis irgendwelche Auswirkungen auf Angela Merkel?“, fragen viele Medien. Vielleicht sollten wir erstmal ein Ergebnis haben, Freunde, es sind gerade mal die Hälfte der Stimmbezirke ausgezählt…
Nach den Hochrechnungen hat das Rotgrüne Lager knapp 8% gewonnen, das Schwarzgelbe („bürgerliche“) Lager hat gute 5% verloren. Das könnte man als Stimmungsumschwung interpretieren, aber das ist eine Landtagswahl – Bundestrends spielen natürlich eine Rolle, aber keine entscheidende. Jedenfalls wäre das zu hoffen.

22:23 Uhr:
Seltsam….. Herr Rösler hat eine sehr seltsame Satzbetonung im Gespräch mit den Tagesthemen… das klingt so ein bißchen wie damals bei der Knoff-Hoff Show und Joachim Bublath… was seinerseits Bully noch schön parodiert hatte…. irgendwie erinnert das Interview mehr an die Parodie…

22:30 Uhr:
Gucke grad das Heute-Journal, das für die Ergebnisse um 21:44 eine andere Hochrechnung bietet. Interessant ist der Unterschied schon:

  • CDU: 36,5% (ARD, 21:45 Uhr: 36,1%)
  • SPD: 32,7% (ARD, 21:45 Uhr: 32,3%)
  • Grüne: 13,6% (ARD, 21:45 Uhr:13,7%)
  • FdP: 9,6% (ARD, 21:45 Uhr:10,1%)
  • Linke: 3,1% (ARD, 21:45 Uhr: 3,2%)
  • Piraten: keine Angabe, ca 2% wird gesagt (ARD, 21:45 Uhr: 2,0%)
  • Sonstige: 4,5% (ARD, 21:45 Uhr: 2,6%)

Die Forschungsgruppe Wahlen geht derzeit von 140 Sitzen (ARD, 21:45 Uhr: 142) aus. Daher würde das bei dem Ergebnis heißen:

  • Schwarzgelb: 70 Sitze (56+14)
  • Rotgrün: 70 Sitze (50+20)
  • Schwarzrot: 106 Sitze

Damit bliebe auch hier nur eine große Koalition, die aber wahrscheinlich keiner will.

22:40 Uhr:
Endlich mal neue Zahlen…. 🙂

  • CDU: 36,0%
  • SPD: 32,7%
  • Grüne: 13,6%
  • FdP: 10,0%
  • Linke: 3,1%
  • Piraten: 2,1%
  • Sonstige: 2,5%

Quelle ist hier wieder die Infratest Dimap, Stand ist 22:19 Uhr.

22:39 Uhr:
Die Sitzverteilung nach diesen neueren Hochrechnungen ist auch interessant.

  • CDU: 53
  • SPD: 48
  • Grüne: 20
  • FdP: 14
  • insgesamt 135 Sitze

Das würde bedeuten 67:68 Sitze, Hauchdünner Vorsprung für Rot-Grün. Dummerweise gibt es auch eine alternative Sitzverteilung.

  • CDU: 54
  • SPD: 49
  • Grüne: 20
  • FdP: 15
  • insgesamt 138 Sitze

Da würde es 69:69 Sitze stehen. Also immer noch Kopf- an-Kopf. Mittlerweile ist es aber schon einigermaßen eindeutig, was die Erststimmenergebnisse angeht: Die Karte zeigt, daß nur noch ein Wahlkreis fehlt, nämlich Hameln/Rinteln.

22:52 Uhr:
Gemein! Das Tagesthemen-Livestream geht derzeit nicht… Verdammt!

22:57 Uhr:
Jetzt geht’s. Endlich.

23:00 Uhr:
Hm… die Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) hat neue Zahlen vor ein paar Minuten gebracht, die von der ARD muß ich nachgucken weil der Livestream grad nicht ging.

  • CDU: 36,2% (ARD, 22:47 Uhr: 36,0%)
  • SPD: 32,7% (ARD, 22:47 Uhr: 32,6%)
  • Grüne: 13,6% (ARD, 22:47 Uhr: 13,76%)
  • FdP: 9,9% (ARD, 22:47 Uhr: 9,9%)
  • Linke: 3,1% (ARD, 22:47 Uhr: 3,2%)
  • Piraten: keine Angabe (ARD, 22:47 Uhr: 2,1%)
  • Sonstige: 3,1%

Interessant ist, daß es jetzt nicht mehr für CDU/FdP reicht, wenn man der ARD glaubt, nach dem ZDF könnte es noch gehen. Egal wie, es würde nur eine Stimme Mehrheit sein – das erfordert Regierungskunst.

23:05 Uhr:
Langsam gehen mir die Leute auf den Keks. „Wie oft, Stefan Weil, haben Sie im Wahlkampf gedacht: ‚Peer Steinbrück, Hätten Sie doch mal den Mund gehalten‘ “ Was soll diese Steinbrückdrescherei andauernd? Könnten sich die Medien mal auf ihre Aufgabe besinnen?

23:16 Uhr:
Stefan Belz‘ Kommentar in den Tagesthemen ist ja wohl mal bescheuert: „Das Land steuert auf einen Lagerwahlkampf zu. Der heutige Tag war gut für die Demokratie.“
Sonst geht’s ihm aber schon noch gut, oder?

23:20 Uhr:
So, ich mag nicht mehr. Mittlerweile war es ein bißchen viel Whiskey (natürlich schottischer Single Malt) und jetzt kommt eh der Sportteil, also verabschiede auch ich mich vom Liveblog und freue mich mit Euch allen auf das amtliche Endergebnis – das bei aller Behauptung der Tagesthemen noch immer nicht wirklich klar ist. Immerhin, das vorläufige amtliche sieht es nun bei 69:68 Sitzen für Rot-Grün. Gute Nacht Euch allen und lasst Euch nicht unterkriegen. Kämpft weiter für die Gute Sache.
Für unser Land.

Von den Mitgliederzahlen…

Es gehört immer wieder zu den interessanten Meldungen, wenn sich Parteien oder Vereine über ihre Mitgliederzahlen freuen, weil man den politischen Sprech darin am einfachsten decodieren kann. Der politische Sprech macht aus steigenden Schulden ein „negatives Wachstum“ und aus Arbeitslosen „totes Humankapital“. Manchmal auch aus Handlungsunfähigkeit „Alternativlosigkeit“.

Die SPD erfreute sich vor einiger Zeit über die Meldung, daß sie wieder die Mitgliederstärkste Partei im Land ist. Das war im April noch ein bißchen anders, wenn auch nicht viel:

Mitgliederzahlen der politischen Parteien in Deutschland 2012
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Wie man sieht sind CDU und SPD annähernd gleich stark gewesen, das Verhältnis hat sich nur ein bißchen umgedreht. Dabei sollte die SPD-Spitze sich mehr Gedanken darüber machen, was die sinkende Mitgliederzahl eigentlich zu bedeuten hat, die in den letzten 34 Jahren insbesondere die beiden Volksparteien SPD und CDU getroffen hat:

Mitgliederentwicklung der SPD bis 2011
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Interessant ist bei der Kurve der SPD, daß der wirklich radikale Niedergang mit der Agenda-Politik Schröders zusammentrifft, aber ein ganz anderer Effekt ist, wie ich finde, daß der Niedergang schon vorher begonnen hat und der Trend lediglich durch die Wiedervereinigung kurzfristig und scheinbar aufgehalten wurde. Mittlerweile ist die SPD 483.226 Mitglieder stark – und hat damit 275 Mitglieder mehr als die CDU (482.951), was jetzt nicht gerade ein großer Vorspung ist.

Mitgliederentwicklung der CDU bis 2011
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Nun ist es natürlich auch so, daß die Parteien generell rückläufige Mitgliederentwicklungen haben. Das ist mit der vermeintlichen „Politikverdrossenheit“, die mehr und mehr eine Staatsverdrossenheit ist, durchaus zu erklären. Blickt man in die Bevölkerungsstatistik, so sieht man das noch viel mehr bestätigt: Waren 1981 noch 2,118% der Bevölkerung nur in diesen Parteien aktiv, waren es 1990 nur noch 2,007%.

Auch das führt zu einer immer geringeren Akzeptanz von Staat und Parteiendemokratie in diesem Land – und das wird von Seiten der Politik und der sie beherrschenden Lobbyvertretung auch tatsächlich als Wohltat empfunden. Weil die geringe Beteiligung am demokratischen Willensbildungsprozeß sie letztendlich machen lässt, was sie wollen.

Im Ergebnis haben wir eine gewollte Armut, an der kaum ein Bürger glaubt, noch etwas ändern zu können. Die Politik müsste aber diese Problematik effektiv bekämpfen – weil sie die einzige Waffe der Bürger ist. Da sie es nicht tut sondern sich gefühlt in der Hand der Wirtschaft befindet, wenden sich die Bürger ab – und damit auch vom System. Das wird – eher früher als später – wirklich üble Folgen haben. Die Proteste in Spanien und Griechenland waren schlimm; Stuttgart 21, eigentlich nur ein Aufhänger, hat aber gezeigt, daß so etwas bei uns auch passieren kann. Ein Staat, der von seinen Bürgern nicht mehr unterstützt und geachtet wird wandelt sich entweder in eine Diktatur oder geht unter. Beides kann nicht im Sinne parlamentarischer Parteien sein.

Gerade die SPD sollte sich vielleicht nun zwischen den Jahren im Hinblick auf die Bundestagswahlen eines klar machen: Selbst wenn der Regierungswechsel klappt, einen Vertrauenvorsprung haben die Sozialdemokraten nicht mehr im Volk. Sie müssten einiges wiedergutmachen. Würden sie sich das aber zu Herzen nehmen, dann gäbe es vielleicht eine Chance den Menschen auch das System selbst wieder ein bißchen Vertrauen erweckender zu gestalten. Es ist eine monumentale Aufgabe, die sich hier stellt, und eine, die unser Staatsgefüge retten müsste. Eine Aufgabe, die den meisten Parteien herzlich egal ist. Eine Aufgabe für die SPD.

Von der Desinformation

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zieht eine negative Bilanz zum Dosenpfand – und erklärt Rot-Grün dafür und für das Gesetz verantwortlich. Was sie irgendwie vergißt zu erwähnen: Das Gesetz ist gar nicht von Rot-Grün.

Bilanz nach zehn Jahren: Prestigeobjekt Dosenpfand“ verkündet die FAZ und schreibt darunter: „Fast genau zehn Jahre später fällt die Bilanz des Prestigeobjektes der rot-grünen Bundesregierung ernüchternd aus“. Das ist, so auch der Tenor in den meisten Kommentaren zum Artikel, ja das Grundübel des Dosenpfandes: Ein linker Zeitgeist habe die armen Getränkehersteller gezwungen, die Getränkepreise zu erhöhen für ein „Zwangspfand“, das natürlich nur den Bürger ausnimmt und nichts bringt.

Tatsächlich hatte das „Dosenpfand“, wie das „Einwegpfand“ in der Presse genannt wird, das Ziel, die zunehmende Vermüllung der Landschaft einzudämmen und dem entgegenzuwirken und diese Intention ist zunächst mal gar nicht schlecht. Man muß nur nach Südeuropa fahren – oder nach Frankreich, was das betrifft – um sich anzuschauen wie es auch aussehen könnte. Rebelliert gegen das Gesetz hatten gar nicht so sehr die Getränkehersteller sondern vor allem die Supermärkte und Discounter, die es sich nicht nehmen ließen, mit Hinweisschildern zu den „Annahmestellen für das Zwangspfand“ auch in den eigenen Geschäften massiv Stimmung gegen das Gesetz zu machen.

Bei so manchem eher einfachen Geist verfing die Masche auch – beim Großteil der Bevölkerung nicht. Scheinbar zählt zu diesen einfachen Geistern auch ein gewisser Johannes Pennekamp, der als freier Mitarbeiter bei der Zeit und als Weitwinkel-Reporter seit dem 1.4.2012 auch für die FAZ schreibt. Denn ein gewisses Minimum an Recherche, und sei es auch nur nach dem Wikipedia-Prinzip, hätte ihm verraten können, daß er da ein Merkelgesetz angreift.

Diese Kurzsichtigkeit verwundert bei einem offensichtlich intelligenten Mann wie Pennekamp dann doch – es sei denn, das sorgfältig choreographierte Orchester des konservativen Medienwahlkampfes beginnt nun zu spielen. Auftakt war sicherlich die Steinbrück-Geschichte, dann kam dazu die lancierte Story rund um die „antisemitische SPD„, das Dosenpfand… ich bin gespannt, was da noch alles kommt. Die nächsten Wochen empfiehlt es sich sicherlich, den Brechreiz zu unterdrücken und Bunte, Bild und Focus zuzuschauen, wie sie das aufziehen. Dabei wird man viel über unsere Medienwelt lernen können.

Also nochmal
Es ist doch relativ einfach: Im Jahre 1991 beschloß der damalige Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) eine neue Verpackungsverordnung für Deutschland. Seine Nachfolgerin, „Kohls MädchenAngela Merkel (CDU) novellierte die Gesetzesvorlage 1998. Da es 1998 einen Regierungswechsel gab, trat das Gesetz eben unter Rot-Grün 2003 in Kraft (weil die Voraussetzung dafür, nämlich die Tatsache, daß die Menge der Mehrweg-Getränkeverpackungen unter einen Anteil von 72% gefallen war, erfüllt wurde) und mußte 2006 noch einmal angepasst werden, damit es der EU-Rechtsnorm entsprach.

Es ist ein CDU-Gesetz, und dafür auch ein ziemlich gutes.

Die Akzeptanz wäre sicherlich höher gewesen wenn man zum Einen nicht diesen ganzen Ausnahmeblödsinn eingeführt hätte (Mit Kohlensäure = Pfand; Ohne Kohlensäure = kein Pfand was die tollen Getränke mit „verbesserter Rezeptur“ zur Folge hatte: Limos ohne Kohlensäure, bah!), und wenn zum Anderen die Discounter und Supermärkte sich nicht auf diese Kampagne eingelassen hätten.

Der Artikel hat sachlich recht
In einem Punkt muß ich aber ganz deutlich eine Lanze brechen für Herrn Pennekamp: Von den Fakten aus betrachtet hat der Artikel voll und ganz recht: Der Anteil an Mehrweg ist sogar zurückgegangen. Man kann darüber streiten ob das gut ist, auf jeden Fall hat ein Umdenken in der Gesellschaft stattgefunden: Man schmeißt die Dose nicht mehr einfach in die Wildnis, auf die Straße oder ins Gleis, man bringt sie zurück.

Und das ist schließlich der Beweis, daß das Gesetz Erfolg hatte; und zwar da wo es den auch haben mußte.

Kleiner Hinweis zum Friedensnobelpreis….

Morgen wird er ja verliehen und ich hoffe doch schwer, daß ihn nicht Helmut Kohl bekommt. Das wäre das letzte, was im Wahlkampf noch fehlt daß Steinbrück Helmut Schmidt und Merkel Helmut Kohl durch die Wahlkabinen schiebt und die CDU rufen kann: „Unser Kanzler ist Friedensnobelpreis!“

Tatsächlich haben nur zwei deutsche Kanzler den Friedensnobelpreis jemals erhalten:

Das war zum Einen Gustav Stresemann 1926 und 1971 Willy Brandt für seine Ostpolitik. Stresemann war ein Liberaler, Brandt Sozialdemokrat im besten Sinne. Ansonsten gabs den nur für deutsche Pazifisten: Carl von Ossietzky 1935 und zuvor 1927 ging er an Ludwig Quidde.

Also doch Peer…

So richtig überraschend ist es nicht: Peer Steinbrück soll nach dem Willen der SPD-Spitze der Kanzlerkandidat der Partei 2013 werden. Gefragt hatte keiner – eine Urabstimmung wie bei den Grünen ist diesbezüglich nicht vorgesehen, was aber nicht weiter verwundert, wenn man sich das Drama dort ansieht. Allerdings wird Steinbrück natürlich auf einem Parteitag noch gewählt werden müssen. Bleibt die Frage: Kann er es?

Ich mag Peer Steinbrück irgendwie. Ich war 2007 in Berlin und er war auch nochmal in Markt Schwaben (im Januar 2008) bei den Schwabener Sonntagsbegegnungen, wo ich ihm jeweils begegnet bin, und ich war durchaus recht beeindruckt von seiner Art und seinem recht umfassenden Wissen. Steinbrück ist zwar ein weiterer SPD-Konservativer, der damit auch für eine SPD steht, die sich der Spaltung der Gesellschaft durch ihre Politik nicht wirklich bewußt geworden ist, aber die Parteilinke hat tatsächlich niemanden im Angebot derzeit, der sich Angela Merkel entgegenstemmen könnte.

Das Phänomen Merkel, deren Beliebtheit der Kabarettist Urban Priol nur damit erklären kann, daß „man sie mit Politik nicht in Verbindung bringt„, ist ohnehin ein seltsames: Innerparteilich ist sie unumstritten weil sie nach und nach sämtliche potentiellen Konkurrenten ausgeschaltet hat, in der Bevölkerung gilt sie als beliebt, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung ihre Politik ablehnt.

Die SPD hat seit der Bundestagswahl 2009 ein wenig wieder aufgeholt, beim aktuellen Deutschlandtrend liegt sie bei etwa 30%, sieht man sich allerdings den derzeitigen Umfragestand an (28.9.2012), so schwankt die SPD zwischen 26 und 30%, die CDU hingegen zwischen 34% und 38%.

Umfragensammlung von Wahlrecht.de

Umfragensammlung von Wahlrecht.de vom 28. September 2012. Die Quelle ist http://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm.

Ich bin sehr gespannt, ob sich daran in den nächsten Tagen etwas ändern wird. Im Direkten Vergleich jedenfalls schneidet bislang keiner der Troika entsprechend besser ab als Merkel, wie selbst der Donaukurier bemerkt. Das könnte sich allerdings mit der Fokussierung auf Steinbrück ändern.

Unabhängig von den Machtoptionen ist es allerdings für eine Bundesregierung dringend notwendig, in Sachen Krise aktiv zu werden und nicht vor lauter Nicht-Entscheidungen interessante Vorgänge hinter den Kulissen ablaufen zu lassen. Die derzeitige Bundesregierung wird vor allem durch Uneinigkeit (Betreuungsgeld zum Beispiel), Unfähigkeit (Die Krise holt endlich Deutschland ein) und fragwürdige Selbstbedienungspolitik (Mövenpick oder Niebels Dreckiges Dutzend) auffällig, Regierungsarbeit ist das keine. Kein Wunder, daß die Kanzlerin lieber „Europa moderiert“.

Ob Peer Steinbrück angesichts einer zum Teil recht fragwürdigen Verbandelung mit Lobbyisten wirklich in der Lage ist, sich als eine Alternative zu Merkel zuverkaufen wird man sehen müssen. Zumindest die deutsche Presse wird sich, nach gefühlt drei Steinbrück-Artikeln pro Tag, sicherlich dafür zur Verfügung stellen.

Nachtrag:
Steinbrück war es, der mich auf einen interessanten Punkt 2008 gebracht hatte und der gerade wieder aktuell geworden ist: Die Chinesen sind ein sehr geduldiges Volk. Nach und nach kauften die Chinesen amerikansiche Staatsanleihen auf, im Dezember 2011 schuldeten die Amerikaner China 1,16 Billionen Dollar. Das sind 1.116.000.000.000$! Das ist deswegen spannend weil damit die letzte verbliebene kommunistische Supermacht der Welt die größte kapitalistische Supermacht der Welt beinahe kontrollieren kann. Parallel kauft China derzeit in unbescheidenen Mengen nicht nur Rohstoffquellen in Afrika, sondern auch eine ganze Menge mehr. Und nun fährt Merkel nach China und bittet die Chinesen um Hilfe bei der Euro-Rettung, was diese auch versprechen. Allerdings gehen damit auch Forderungen einher und nun wird es pikant: Was genau würde eigentlich passieren, wenn die USA und die EU mehr oder weniger von den CHinesen finanziell abhängig sind?

Ein Vorgang, dem sich eine Regierung bewußt sein sollte. Mal sehen, ob es die Regierung Merkel noch merkt. Steinbrück weiß das bereits.

Von der Medienberichterstattung – und der Realität

Im journalistischen Alltag unserer Republik ist ein gewisser Hype um ein Faktum stets eine Begleiterscheinung, die man nicht vermeiden kann. Ich habe ja schon davon berichtet, wie seltsam die Berichterstattung rund um die Wahl in Schleswig-Holstein ist. Nun machen wir mal noch Nordrhein-Westfalen.

In Schleswig-Holstein wurde die FDP mit der Botschaft, das annähernd beste Ergebnis ihrer Geschichte dort abgeliefert zu haben, begrüßt. Das war gelogen und ist in der Medienberichterstattung seinerzeit auch völlig untergegangen. Die FDP hatte in Wahrheit die Hälfte ihrter Wähler verloren, lediglich die Tatsache, daß kaum noch einer zur Wahl gegangen war hatte dafür gesorgt, daß die Partei über die 5%-Hürde gerutscht ist; Ein weiteres Indiz dafür, daß hohe Wahlbeteiligungen am ehesten radikale Parteien aus den Parlamenten halten.

Alle Zahlen zu Schleswig-Holstein können Sie hier finden.

Nordrhein-Westfalen
Interessanter ist nun der Vorgang in NRW. Die SPD hat dort einen sehr personenzentrierten, aber auch teilweise recht peinlichen Wahlkampf erfolgreich geführt.

Hier ist es ein wenig anders.
Die SPD hat real 309.627 Erststimmen und 374.342 Zweitstimmen hinzugewonnen. Bei einer leicht gestiegenen Wahlbeteiligung (nur noch 59,6% gingen überhaupt hin!) führte das zu einer Anteilssteigerung um 3,8% auf 42,3% bei den Erststimmen und um 4,6% auf 39,1 bei den Zweitstimmen.
Die CDU verliert 437.775 Erst- und 631.067 Zweitstimmen. Das sind Verluste von 5,8% bzw. 8,3% und diese trugen maßgeblich zum Sturz von Röttgen bei, der Angela Merkel vermutlich gar nicht so ungelegen kam.
Die FDP schließlich gewannt bei dieser Wahl real Stimmen hinzu: 8.798 Erststimmen und 147.742 Zweitstimmen (!). Der Anteil liegt damit bei den Zweitstimmen bei 8,6%. Ob das der Lindner-Effekt war oder ein Bonus durch abgewanderte, frustrierte CDU-Wähler, sei mal dahingestellt.

Blickt man in die Wahlergebnisse seit dem zweiten Weltkrieg, so liegt das Ergebnis der FDP im oberen Mittelfeld.

Diese Datei und die Informationen unter dem roten Trennstrich werden aus dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons eingebunden.

Diese Dateiwird aus dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons eingebunden.

Im Gegensatz zur Berichterstattung rund um Schleswig-Holstein (siehe unten nochmal) ist also hier tatsächlich eine Steigerung des FDP-Ergebnisses festzustellen.

Das beste realitive Ergebnis haben übrigens die Piraten zu verzeichnen: 547.122 Erststimmen und 487.911 Zweitstimmen haben sie dazugewonnen. Das entspricht einem Anteil von +7% bzw. +6,2%. Verloren haben hingegen vor allem die Linkspartei und nicht so kräftig die Grünen.

All das lässt sich natürlich anhand der Prozente ausdrücken, aber die realen Stimmenzuwächse und -verluste sind es doch, die eigentlich interessant sind. Zudem fehlt auch hier in der Medienberichterstattung komplett der Hinweis darauf, daß die Mehrheit von Rot-Grün zwar durch 50,4% der Wähler, aber nur durch 29,66% aller Wahlberechtigten erreicht wurde. Wenn nicht einmal 30% aller Wahlberechtigten eine Regierung wählen – kann man dann eigentlich wirklich von Demokratie (Mehrheit beherrscht Minderheit) sprechen?

Ich habe oftmals den Eindruck, daß die Parteien im Anschluß an die Wahlanalyse hauptsächlich die Frage stellen, wie man den eigenen Anteil in der Wählerschaft erhöhen kann; egal wieviel kleiner diese Wählerschaft wird. Nur ist es halt nicht mehr sonderlich demokratisch, wenn halt nur noch 20.000 Wähler hingehen und 13 Millionen daheim bleiben. Zumindest solange nicht, solange die Politik die Nichtwähler aus dem Wahlergebnis einfach herausrechnet. Würde man die Zahl der Sitze einfach der Wahlbeteiligung anpassen – bei 60% Wahlbeteiligung gibt’s einfach auch nur noch 60% der Sitze zu verteilen – wären die Mehrheitsverhältnisse gleich, aber die sinkende Wahlbeteiligung würde auffälliger werden und die Politik zum handeln zwingen.

 

Zum Vergleich eine kleine Wiederholung aus meinem oben zitierten Schleswig-Holstein-Artikel:

In Schleswig-Holstein schafft die FDP den Einzug ins Landesparlament, sogar mit dem zweitbesten Ergebnis ihrer Geschichte. Das ist wohl auch nicht verwunderlich, wie Wolfram Müller schreibt, aber man sollte das Ergebnis auch nicht so hoch hängen. Kubicki bläst schon wirklich lange gegen die FDP-Bundesspitze und wird in Medien immer gern als “FDP-Rebell” (Ob bei Spiegel Online, Welt oder Bild) beschrieben, was dem Wähler natürlich gefällt. Ich glaube, daß die Menschen in S.-H. da eher Kucicki als FDP gewählt haben. Auch wenn die Medien wieder kräftig anschieben (Sogar der Deutschlandfunk!) würde ich mal vorsichtig abwarten, ob die Wahl in NRW davon ernsthaft beeinflußt wird.
Mehr Sorgen macht mir – neben dem schwachen Wahlergebnis für SPD und Linkspartei – die mieserable Wahlbeteiligung. Nur 60,1% gingen überhaupt noch zur Wahl. Die SPD konnte immerhin 1.300 Erststimmen mehr als 2009 verbuchen, die CDU verlor praktisch 100.000 Erst- und noch einmal soviele Zweitstimmen. Hier hat die SPD knapp 4.000 Stimmen mehr zu verzeichnen. Die geringe Wahlbeteiligung dürfte Hauptverursacher sein, daß die FDP trotz eines Verlustes von 101.600 Zweitstimmen (!) ihr “Zweitbestes Ergebnis der Geschichte” verzeichnen darf. In Wahrheit hat sie die Hälfte ihrer Wähler verloren.
Blickt man in die realen Zahlen (Alle der Veröffentlichung des Statistikamtes Nord zu entnehmen) so stellt man anhand des Zweitstimmenergebnisses fest, daß die einzigen Parteien, die Stimmen hinzugewonnen haben, die SPD (+3.860) und die Piraten (+79.903) sind. Alle anderen haben Stimmenverluste zu verzeichnen. Das spricht Bände über unser Wahlsystem – und Bände über unsere Politiker, die sich am Wahlabend so ziemlich alle auf die Schultern klopften. Über die Journaille, die das ebenfalls geflissentlich übersieht, sollte man lieber kein Wort verlieren.

Das Interview – eine Analyse

Das also war das große Interview. Ich bin nicht über alle Maßen begeistert und glaube kaum, daß andere das so sehen würden. Aber, zunächst, für alle, die es verpasst haben, hier der Videomitschnitt der laut ARD/ZDF betont vollkommen ungeschnitten ist. Ein Transkribtion findet man auf dem Piratenpad.

Wulff betont hier, Fehler gemacht zu haben und vor allem räumt er ein, dem Amt des Bundespräsidenten „sicher nicht gedient“ zu haben – von beschädigen spricht er jedoch nicht. Das ist alleine für sich schon einmal eine Erkenntnis.  Er ist sich sicher, nicht gegen Gesetze verstoßen zu haben – weder als Bundespräsident noch vorher – und findet die Bezeichnung als Bundespräsident auf Bewährung sogar „abwegig“. Es ginge „um Transparenz“ und es sei eine „Bewährungsprobe“. Merke: Nicht auf Bewährung, aber auf Bewährungsprobe.

Auffällig wird das Interview gleich bei der ersten echten Frage von Deppendorf (ca. ab 1:45):  Christian Wulff entschuldigt sich nochmals ausdrücklich für seinen Anruf beim Chefredakteuer der BILD-Zeitung (nicht für den bei Döpfner, aber so kleinlich wollen wir ja mal nicht sein). Er erklärt, daß das nicht seinem Amtsverständnis entspräche und letztendlich deutet er an, eine Augenblicksentscheidung getroffen zu haben ohne darüber nachzudenken.
Das kann man so stehen lassen. Allerdings ist das interessaant, weil sich damit einmal mehr zeigt, daß das offensichtlich kein ungewöhnlicher Vorgang war sondern etwas, was er ohne groß nachzudenken tun kann. Das heißt für mich soviel wie „das ist nicht in Ordnung, aber letztendlich normal.“
Nun ist gerade die BILD natürlich auf den engen Kontakt zu den Regierenden (nicht daß Wulff einer wäre als Präsident!) angewiesen aber offenbar findet da eine viel engere Verzahnung von Spitzenpolitik und Medienlandschaft („unabhängig, überparteilich“ um mal einen Witz zu reißen) statt als der geneigte Bürger so richtig transparent nachvollziehen kann. Man fragt sich schon was da eigentlich sonst noch so läuft….

Wulff bittet ab der 3. Minute um menschliches Verständnis – er habe „Schutzfunktionen“ für Freunde und Familie. (Bei Kohl hieß das „Ehrenwort“) Es stimmt, daß er einen Tag vor seiner Auslandsreise „zum Emir“ sofort die Umstände des Privatkredites veröffentlich hatte als Journalisten und Typen von der BILD anfingen, in seinem Dorf herumzuschnüffeln.

Insgesamt hat das Interview vor allem den Eindruck vermittelt, ein Opfer einer Medienkampagne äußert sich in der Öffentlichkeit. Sicherlich ist eine Medienkampagne inszeniert worden und ziemlich sicher wird Wulff nun eine Menge Dreck nachgeworfen – aber letzten Endes hat er seine Rolle auch selbst ausgesucht. Er ist der von Merkel zum Präsidenten beförderte, letzte CDU-Konkurrent aus dem Andenpakt, der nun, kurz nach Franz-Josef Jung auch einen sensationellen Absturz erlebt.

Ich bleibe bei meiner Ansicht: Für diese Regierung, die sich wenn überhaupt, dann nur Milimeter über der Korruption hält, ist Christian Wulff sowohl moralisch, als auch ethisch und berufener Maßen der ideale Bundespräsident. Für das Volk nicht – aber das wählt ihn ja auch nicht.

Das Gespenst der Demokratie…

… und es geht um in Europa. Bislang war es allen klar, daß auf Demokratie nur eine Sorte von Menschen allergisch reagieren: Diktatoren. Meistens die bösen, die vom Kommunismus, die auch so ein Gespenst besitzen. Jetzt sind es „die Märkte“. Was sagt das über „die Märkte“ aus?

Erst einmal: Keine Angst. Es sind gar nicht „die Märkte“, Sie können auch morgen noch Brot kaufen, auch wenn die Griechen plötzlich ungefragt das Volk befragen. Es sind die Finanzmärkte, um die es geht. Aber sie schaffen es spielerisch, durch ein bißchen Kursturbulenz Mittwoch und Donnerstag nahezu alle Europäischen Regierungen in Panik zu versetzen.

Was sagt das eigentlich aus? Also vor allem: Was sagt das uns?

1. „Die Märkte“, also die Finanzmärkte sind mit Demokratie offenbar ein bißchen überfordert. Das war so auch nicht abgemacht daß die Märkte den Griechen ein Angebot machen und dann die griechische Regierung einfach mal bei den Betroffenen nachfragt. Haben Sie schonmal erlebt, daß der überschuldete Chef Ihrer Firma eine Mitarbeiterbefragung durchführt bevor er entlässt? Nö, ne? Aber die EU ist gar nicht der Chef des griechischen Volkes.

2. Wenn es für die EU ein Problem ist, wenn ein Staat sich in Demokratie übt möchte ich im Zusammenhang mit Libyen und der Türkei gerne nochmal ein paar Fragen stellen dürfen. Wäre Gadhaffi noch am Leben käme er sich vermutlich nicht nur verfolgt, sondern auch verarscht vor. Von daher hat er schon fast Glück gehabt.

Ich selber war erleichtert als Merkel den Schuldenschnitt durchgedrückt hatte. Ehrlich gesagt, das war das erste Mal, daß ich ernsthaft den Eindruck hatte, wir haben eine Regierung der es nicht nur ums Zäpfchendasein für die Mächtigen geht. Das war eine ziemlich harte und sicher nicht einfache Verhandlung. Sie war im Ergebnis eine Minimalentscheidung und eigentlich auch eine sich aus der Logik erzwingende Selbstverständlichkeit, aber welcher Banker ist schon mit sowas unwichtigen wie der Realität vertraut? Wir reden hier von der Finanzwirtschaft!
Die widerwärtige Reaktion aus Europa zeigt aber doch das von Erwin Pelzig zurecht angeprangerte System, daß die Kanzlerin eine marktkonforme Demokratie im Kopf hat. Und das stellt Fragen, oder?

Tatsache ist: „Der Markt“, also der komplett liberale Markt, ist das Gegenteil von Zivilisation. Das Prinzip der Zivilisation ist ja das nominelle Herauslösen aus der Evolution um Letztendlich mehr Lebewesen Leben zu ermöglichen: Zivilisiert ist, an einem Zebrastreifen anzuhalten nud nicht einfach über alte Menschen drüberzubrettern, nur weil man der Stärkere ist. Die Errungenschaft der Zivilisation ist die Kanalisierung von Gewalt zugunsten eines Sozialverhaltens. Der Starke hilft dem Schwachen, er beutet ihn nicht aus.
Da sind wir noch nicht, keine Frage. Wer sieht daß unsere Zivilisation, also die Freiheit und der Wohlstand der Ersten Welt letztendlich von der Abhängigkeit und dem Leid in der Dritten abhängt – und das tut er, ohne Zweifel! – der weiß, so weit sind wir noch nicht.
Die Entwicklung der Demokratie, die zum Teil harrsche Verteidigung desselben („Ein Amerikaner würde über einen Ozean segeln um die Demokratie zu verteidigen aber nicht über die Straße gehen um zu wählen“) zeigt aber, daß letztendlich eine Mitbestimmung – eine kanalisierte vielleicht aber eine Mitbestimmung – der Weg zur Wahrheit ist.
Der Markt hingegen ist kein demokratisches Prinzip, er ist das Gegenteil. Der ungezügelte Liberalismus ist letztendlich nichts anderes als das Prinzip des Starken, der den Schwachen frisst. Auf das reale Leben heruntergebrochen lässt ein Banker sie von seinen Gehilfen Zusammenschlagen um Ihren Partner zu erobern und zu besitzen. Die Gehilfen hoffen, sie kriegen was ab. So funktionieren Räuberbanden und der Unterschied zwischen dem Neandertaler und dem Homo Sapiens Sapiens wird auf einmal sehr wenig Sapiens.

Denken Sie mal an den Beginn dieses Unsinns zurück: Die erste Finanzkrise. Da ging es noch um Immobilien. Also die Durchreisenden haben den Räubern im Wald ihre Wegstrecke verkauft und dafür das Versprechen erhalten nicht überfallen zu werden. Die Wegelagerer wußten, daß Reisdenden nicht viel dabei haben und ncht bewaffnet sind und haben daher beschlossen, nicht zu überfallen.
Aber, und das ist nun entscheidend, sie haben die Strecke der Reisenden weiterverkauft. Und die neuen Käufer haben überlegt und beschlossen, daß es für sie vielleicht auch nicht langt und das auch weiterverkauft… so lange, bis eine Gruppe beschlossen hat die Reisenden doch zu überfallen und prompt leer ausging. Für die Reisenden war das blöd – sie waren nun blank und wohnungslos – aber für die Räuber die bei anderen in der Pflicht standen war das katastrophal.

Das Absurde an der Mär ist nun: Die Räuber baten den Sheriff um Hilfe. Und der hat nicht etwa den Reisenden geholfen sondern versucht, den Räubern einen Ausgleich zu verschaffen indem er für die Reise künftig eine Gebühr erhob. Die versprach zwar keine unmittelbare Sicherheit vor den Räubern aber den künftigen Reisenden wurde versichert, daß die Räuber nun erstmal bekommen hatten was sie wollten und die Reisenden daher eine gewisse Sicherheit hatten. Nur – das galt nicht für die anderen Wegelagerer, die bislang nur weiterverkauft hatten. Dreimal dürfen Sie raten wie das weiterging.

Der Homo Stupidus, mit dem wir es hier zu tun haben, muß aber uninformiert bleiben, wenn er trotz dieser Zuständer weiterhin den Sheriff wählen soll. Und das ist das Problem, das Merkel und co mit der Idee, das griechische Volk zu befragen haben. Würde man die Griechen nämlich fair behandeln und injformieren, waären sie längst noch viel wütender, als sie es eh schon sind. Also reagiert Merkel „schmallippig“.

Wir brauchen eine Reale, auf Bildung basierende Demokratie. Und das so ziemlich jetzt gleich.

Man müsste sich freuen, aber…

Der Vorstoß der CDU zum Thema Mindestlohn hat kollektiv überrascht. Sowohl Ursula von der Leyen als auch Angela Merkel sprechen plötzlich wie die „verrrückten Linken“ (Sprich: Alle anderen, abgesehen von der FdP vielleicht) von vorhandenen und kommenden Problemen wie Altersarmut, Menschenwürde und Grundversorgung. Dieser Erkenntnissprung wäre ein Grund zu Freude wenn nicht…

… wenn nicht doch wieder Union draufstünde. So begeistert die Zeit (wie andere) auch berichtet und sowohl SPD wie auch Gewerkschaften sich vorsichtig positiv äußern, so wenig Analyse scheint für diesen Vorstoß gegeben. Wie das Deutschlandradio hier und hier berichtet äußert sich der allseits so beliebte Christian Lindner wunderschön mit den Worten: „Wir verstehen das nicht und müssen es auch nicht verstehen“. Auch der Hundt der Nation ist natürlich sauer, aber auch er warnt gleich vor Arbeitsplatzverlusten und so weiter.

Aber einer, der da mal analysiert? Nö.

Was genau fordert denn der Antrag der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft von der Union?

Ich zitiere: „Wir wollen eine durch die Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn.“ Das bedeutet, daß sich die Tarifpartner auf eine Lohnuntergrenze einigen sollen und zwar in den Branchen, in denen es derzeit keine Tarifverträge gibt. Und warum gibt es keine? Na weils in der Regel in diesen Branchen an Tarifpartnern mangelt.

Auch wenn es inzwischen sogar für Zeitarbeiter gelungen ist, einen Mindestlohn einzuführen (der tatsächlich lächerlich niedrig ist), so gibt es nach wie vor gerade im „Niedriglohnsektor“ eine gigantische Menge an Aufstockern. Diese Aufstocker sind letztendlich kaschierte Arbeitslose, denn sie werden nicht in der Statistik geführt (woführ sich die Regierung ja immer wieder schön bejubelt), stehen aber trotz eines Arbeitsplatzes um die Stütze vom Staat an. Dazu gibts dann aus den neoliberalen Kreisen der Bevölkerung immer noch zynische Kommentare der Kategorie „Die sollen sich halt eine besser bezahlte Arbeit suchen, der Markt regelt das“ Nett, gell?

Der Antrag nun fordert konkret, daß überall dort, wo die Beschäftigten in Betrieben arbeiten, die sich nicht an die Tarifpartner gebunden fühlen, eine Gesetzgebung greifen muß. Nach wie vor wollen sie die Tarifautonomie unangetastet lassen, sondern nur dort handeln „wo die Tarifautonomie nicht mehr greift“.

Was ist positiv an diesem Vorstoß?

Eine Reihe von Dingen fallen positiv auf und das muß auch ehrlich benannt werden:

  • die CDU erkennt damit endlich an, daß sich die Spielregeln des Martktes eben verzerrt haben weil Dumpinglöhne möglich sind
  • Die CDU begreift, daß der niedriglohnsektor schweineteuer ist und noch teurer wird sobald diese Menschen alt sind
  • Die Festlegung auf eine Lohnuntergrenze ist die Erkenntnis der CDU, daß die Arbeitgeber und zwar einseitig seit den 90er Jahren aus den Tarifverträgen herausgehüpft sind. Nicht alle, aber eine große Mehrheit.

Und was ist negativ?

Mehreres. So zeitgemäß der Vorstoß ist, so absurd sind einige Elemente auch:

  • Die Höhe am Mindestlohn für Zeitarbeiter zu orientieren ist eine interessante Idee, auch wenn die Höhe tatsächlich sehr gering ist. Aber zeitgleich wird gefordert daß Zeitarbeiter letztlich den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit erhalten sollen. Sprich: Die Erkenntnis, daß Zeitarbeiter schlecht bezahlt sind wird mit der Forderung, andere auch so zu bezahlen verknüpft…
  • Die grundsätzliche Hinwendung an die Tarifpartner ist eine typische CDU-Sache, der gesetzliche Mindestlohn wird aber nach wie vor abgelehnt. Die Gewerkschaften fordern 8,50€ was im europäischen Vergleich eher moderat ist und der wirklich wichtige Unterschied ist die Tatsache, daß ein gesetzlicher Mindestlohn gefordert wird. Es ist nämlich durchaus so, daß zum Einen nicht alle Gewerkschaften wirklich im Sinne ihrer Mitglieder streiten und zum Anderen sind die Gewerkschaften eben nicht überall vertreten. Solange der Gesetzgeber nicht eingreift wird sich aber nichts wirklich ändern.

Wie ist das zu bewerten?

Das gehört zu den interessantesten Elementen. Zunächst einmal muß man sich darüber im Klaren sein, daß der Vorschlag nicht neu ist, er stammt eigentlich aus dem Mai 2011. Auch muß man sich klarmachen, daß die allseits beliebte Behauptung, daß sich durch Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten lassen, einfach nicht stimmt.

Dennoch lässt die Hinwendung der Kanzlerin zu dem Thema erahnen, wie es um die Regierung bestellt ist:

  1. Merkel bereitet wohl die nächste Große Koalition vor. Ihr ist klar, daß Schwarz-Gelb nur dann 2013 überleben kann, wenn sie bis dahin den Kriegsfall ausrufen kann.
  2. Der generelle Linksruck der CDU (Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Frauenquotendebatte) ist interessant und zeigt, daß die Partei ziemlich Angst hat, die gesellschaftlichen Realitäten gänzlich aus den Augen zu verlieren. Würde man die CDU als politischen Arm der Kirche verstehen so wäre das Verkennen der Wirklichkeit ja noch nachvollziehbar, aber eigentlich wirkt die CDU durch den Aktionismus nur noch hilfloser.
  3. Merkel verärgerte zuerst die CSU (Steuersenkungsdebatte) und nun die FdP. Das ist seltsam – zumal sie in letzter Zeit auch beginnt, gerade bei europäischen Fragen mit der Opposition zu regieren. Dagegen spricht nichts, aber man muß sich schon fragen wohin die Kanzlerin ihre CDU da führt. Ist das eigentlich noch ein vernünftiges, parlamentarisches System, wenn die Regierung zerstritten ist und eine Regierungspartei dann mit der Opposition regiert?

Übrigens: Der BDA reagierte besonders lecker: „Die Produktivität der Köchin, des Wachmanns oder der Pflegerin lasse schlicht keine höheren Entgelte zu, argumentiert der BDA. Wenn denen das nicht zum Leben reiche, müsse eben die Gemeinschaft der Steuerzahler einspringen und den Lohn aufstocken.“ Da fällt es schwer, den Begriff mit dem A am Anfang und mit dem Loch am Ende nicht zu verwenden.