Endlich… die Wahlen sind rum!

So oder so ähnlich dürften es so manche Bayern derzeit betrachten – dabei haben sie die Europawahlen noch vor sich. Bundestagswahlen, Landtagswahlen und jetzt Kommunalwahlen – und die Wahlbeteiligung war geradezu katastrophal niedrig.

Kommunalwahlen sind – wird immer behauptet – Persönlichkeitswahlen. Vermutlich sagt man das in Bayern deswegen, weil die CSU immer mal wieder einen Posten nicht besetzen darf. Allzu oft kommt das aber nicht vor, ich habe eine Menge Wähler erlebt, die trotz völliger Unkenntnis über die Kandidaten der CSU trotzdem dort das Kreuz machen. Aber auch die werden immer weniger.

Nur noch 55% waren überhaupt hingegangen, egal wer die Wahl gewann er (oder sie) kann sich nicht darauf stützen, daß eine Mehrheit der Bürger hinter ihm (oder ihr) steht. Dabei sind gerade Kommunalwahlen tatsächlich eine ziemlich direkte Form der Wahl – es gibt weitaus weniger Hinterzimmergeschäfte und Mauscheleien unter den Parteien, weil dafür gar nicht die Personellen Mittel zur Verfügung stehen – und die Sachzwänge ein ganz anderes Vorgehen verlangen.

Der Stichwahl in München blieben gleich mal zwei Drittel fern – 61,5% der Wahlberechtigten war die Wahl einfach völlig egal. Und ja, ich sage es war ihnen egal – aus Protest nicht Wählen zu gehen ist erstens dumm und zweitens schlicht faul.

Wer das System ablehnt ist herzlich eingeladen, es zu verändern. Mit einem klugen Vorschlag kann man versuchen, Mehrheiten zu finden. In Schongau ist aus einer Spaßkandidierung eine Stichwahl geworden – ausgerechnet im ehemaligen Wahlkreis von Franz-Josef Strauß fiel der CSU-Bewerber gleich komplett durch und die Wähler sollten zwischen dem SPD-Kandidaten und dem Alternativen Tobias Kalbitzer entscheiden, der mit der Wahlalternative „Karl-Heinz Rumgedisse“ alles andere als Blödsinn im Sinn hatte. Zwar hat er es nicht geschafft, aber im Vergleich zu dem was die Parteien anboten war er eine echte Alternative – jemand, der vor allem ehrlich und interessiert wirkte. Und mal ganz offen – der auch Spaß versteht.

Sein Credo – eher zu moderieren und auf Konsens zu setzen, kam offenbar gut an. Dennoch blieb auch in Schongau die Wahlbeteiligung eher schwach – bei der Stichwahl gingen gerade mal 58,2% zur Wahl – von den 9.078 Wahlberechtigten haben lediglich 5.170 ihre Stimme abgegeben.

Wer nicht wählt unterstützt die Extremen

Nicht wählen zu gehen ist für manche Zeitgenossen ein Ausdruck von Protest gegen das System, manchmal hat das sogar religiöse Gründe. Das ist entweder undurchdacht oder vorgeschoben. Ich glaube, es hat eigentlich viel mit Faulheit zu tun – mit Denkfaulheit – und mit Saturiertheit.
Den Menschen ist es völlig egal, ob die Amerikaner sie abhören – solange es keine Kommunisten tun. Europa droht endgültig irgendwelchen Großkonzernen und Kriegstreibern in die Hände zu fallen – die Leute interessieren sich aber eher dafür, wer Deutschland beim Eurovision Song Contest vertritt. Warum auch nicht? Es gibt zu Essen und es ist genügend Unterhaltung da – wer braucht eine Republik, wenn es Brot und Spiele gibt?

Wer behauptet, er wähle nicht weil die Parteien und Politiker alle korrupt sind oder alle lügen, dem muß ich leider sagen: Falsch. Sind sie nicht. Wäre ja schön, wenn es so einfach wäre, aber so einfach ist es eben nicht. Politik ist kompliziert und definitiv komplizierter, als es die Headline-Welt uns glauben machen will. Arbeiten Sie sich mal rein in diese Welt und Sie werden sehen, daß die Sachverhalte komplex sind und regieren – oder Opposition spielen – richtig Arbeit ist. Und dann finden Sie eine Position und vertreten die auch – Sie werden feststellen, daß Sie sich ganz schnell seltsam anhören, weil es manchmal eben mit Aufwand verbunden ist, einen komplexen Sachverhalt zu erklären. Mit Menschen, Wählern, die nur in den Zeitabständen einer 5-Minuten-Terrine denken wollen, ist das aber schwierig.

In München standen 11 Alternativen zu den drei größeren Parteien auf der Liste – und da war nichts dabei? Dann gehe hin und mach es selbst. Demokratie ist kein Geschenk, es ist eine Chance, mitzugestalten. Jeder kann mitmachen – und jeder sollte es. Nicht nur in Parteien, auch in den Vereinen und im Umfeld. Was ist denn so schwer daran, mal den Hintern hochzukriegen?

Nichtwähler haben sich hinterher nicht zu beschweren – und vor allem nicht erstaunt zu sein, wenn dann „plötzlich“ irgendwelche Extremen nach vorne kommen. Ganz krass sieht man das jetzt in Frankreich, wo die Rechtsradikalen der Front Nationale massive Zuwächse verbuchen können. Das wäre nicht der Fall, wenn mehr Leute hingegangen wären – aber selbst im Wahlfreudigen Frankreich blieben mehr als 40% zu Hause.

Nicht nur Wähler bleiben daheim

Zu den interessanten und skurrilen Vorgängen gehören auch zwei Orte in Bayern: Weiding (Landkreis Schwandorf) und Schwaigen (Landkreis Garmisch-Patenkirchen). In Weiding wollte niemand Bürgermeister werden, daher haben die Wähler den Stimmzettel selbst beschriften dürfen und unter den benannten, die auch bereit waren, wurde dann eine Stichwahl abgehalten. In Schwaigen gab es nur einen Bürgermeisterkandidaten – der aber nicht gewählt wurde. Stattdessen hat man dort jetzt jemand anderen gewählt.

Diese Geschichten sind deswegen interessant, weil sie auch zeigen, daß es immer wieder mal Orte gibt, wo sich auch keiner wählen lassen will. Und schön langsam muß man sich die Systemfrage stellen – wenn keiner mehr teilnimmt, was dann?

Von den Mitgliederzahlen…

Es gehört immer wieder zu den interessanten Meldungen, wenn sich Parteien oder Vereine über ihre Mitgliederzahlen freuen, weil man den politischen Sprech darin am einfachsten decodieren kann. Der politische Sprech macht aus steigenden Schulden ein „negatives Wachstum“ und aus Arbeitslosen „totes Humankapital“. Manchmal auch aus Handlungsunfähigkeit „Alternativlosigkeit“.

Die SPD erfreute sich vor einiger Zeit über die Meldung, daß sie wieder die Mitgliederstärkste Partei im Land ist. Das war im April noch ein bißchen anders, wenn auch nicht viel:

Mitgliederzahlen der politischen Parteien in Deutschland 2012
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Wie man sieht sind CDU und SPD annähernd gleich stark gewesen, das Verhältnis hat sich nur ein bißchen umgedreht. Dabei sollte die SPD-Spitze sich mehr Gedanken darüber machen, was die sinkende Mitgliederzahl eigentlich zu bedeuten hat, die in den letzten 34 Jahren insbesondere die beiden Volksparteien SPD und CDU getroffen hat:

Mitgliederentwicklung der SPD bis 2011
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Interessant ist bei der Kurve der SPD, daß der wirklich radikale Niedergang mit der Agenda-Politik Schröders zusammentrifft, aber ein ganz anderer Effekt ist, wie ich finde, daß der Niedergang schon vorher begonnen hat und der Trend lediglich durch die Wiedervereinigung kurzfristig und scheinbar aufgehalten wurde. Mittlerweile ist die SPD 483.226 Mitglieder stark – und hat damit 275 Mitglieder mehr als die CDU (482.951), was jetzt nicht gerade ein großer Vorspung ist.

Mitgliederentwicklung der CDU bis 2011
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Nun ist es natürlich auch so, daß die Parteien generell rückläufige Mitgliederentwicklungen haben. Das ist mit der vermeintlichen „Politikverdrossenheit“, die mehr und mehr eine Staatsverdrossenheit ist, durchaus zu erklären. Blickt man in die Bevölkerungsstatistik, so sieht man das noch viel mehr bestätigt: Waren 1981 noch 2,118% der Bevölkerung nur in diesen Parteien aktiv, waren es 1990 nur noch 2,007%.

Auch das führt zu einer immer geringeren Akzeptanz von Staat und Parteiendemokratie in diesem Land – und das wird von Seiten der Politik und der sie beherrschenden Lobbyvertretung auch tatsächlich als Wohltat empfunden. Weil die geringe Beteiligung am demokratischen Willensbildungsprozeß sie letztendlich machen lässt, was sie wollen.

Im Ergebnis haben wir eine gewollte Armut, an der kaum ein Bürger glaubt, noch etwas ändern zu können. Die Politik müsste aber diese Problematik effektiv bekämpfen – weil sie die einzige Waffe der Bürger ist. Da sie es nicht tut sondern sich gefühlt in der Hand der Wirtschaft befindet, wenden sich die Bürger ab – und damit auch vom System. Das wird – eher früher als später – wirklich üble Folgen haben. Die Proteste in Spanien und Griechenland waren schlimm; Stuttgart 21, eigentlich nur ein Aufhänger, hat aber gezeigt, daß so etwas bei uns auch passieren kann. Ein Staat, der von seinen Bürgern nicht mehr unterstützt und geachtet wird wandelt sich entweder in eine Diktatur oder geht unter. Beides kann nicht im Sinne parlamentarischer Parteien sein.

Gerade die SPD sollte sich vielleicht nun zwischen den Jahren im Hinblick auf die Bundestagswahlen eines klar machen: Selbst wenn der Regierungswechsel klappt, einen Vertrauenvorsprung haben die Sozialdemokraten nicht mehr im Volk. Sie müssten einiges wiedergutmachen. Würden sie sich das aber zu Herzen nehmen, dann gäbe es vielleicht eine Chance den Menschen auch das System selbst wieder ein bißchen Vertrauen erweckender zu gestalten. Es ist eine monumentale Aufgabe, die sich hier stellt, und eine, die unser Staatsgefüge retten müsste. Eine Aufgabe, die den meisten Parteien herzlich egal ist. Eine Aufgabe für die SPD.