Wir brauchen keine Verzwergungsdebatte!

Zu den Dingen, über die ich mich manchmal wirklich ärgere, gehört die neuerdings bei den Sozialdemokraten verstärkt zu beobachtende Neigung, sich präventiv zu ducken. Das war schon einige Male zu beobachten, beispielsweise wenn ein Hubertus Heil sich beinahe entschuldigte, dass er der Kanzlerin als Fraktionsführer der Opposition widersprach, weil selbige die positiven Wirtschaftsdaten für sich in Anspruch nahm, die aber maßgeblich der vorherigen Regierung mit der SPD zu verdanken waren. Wobei mal Heil zugestehen muss, dass er eigentlich recht schöne und angriffslustig formulierte Reden hält.

Derartiges Zeug erlebe ich immer mal wieder und nun war es vorgestern als Norbert Walter-Borjans, der damit um die Ecke kam. Natürlich ist die SPD gerade in einer bescheidenen Lage, keine Frage. Und vielleicht helfen ein paar Jahre Opposition uns auch – besonders wenn die Grünen dann regieren dürfen und sich – wie fast immer, wenn sie regieren – wieder entzaubern.

Dennoch sollte man sich nicht einfach vorschnell darauf festlegen, dass man selbst zu klein und zu schwach ist, um das Land regieren zu wollen. Wir sind nicht die FdP – wir sind eine wichtige und stolze Partei, die auch den Anspruch haben sollte, zu regieren.

Ich bin davon überzeugt, dass Scholz mit seiner Aussage recht hat, dass dieses Land einfach mal eine Erholungspause von der Union braucht. Aber es wird dauern, bis die Wähler das auch so sehen. Daher sollten wir uns zügig aufmachen, an unserem Profil zu arbeiten und wieder ein verlässlicher Partner an der Seite der Bürger, und zwar vor allem an der Seite der nicht so starken Bürger werden. Das muss auch jemand verkörpern – auch mal mehr als nur eine Bundestagswahl lang.

Nachtrag, 10.11.2019: Inzwischen rudert NoWaBo wieder zurück. Das eingestehen von Fehlern halte ich für eine große Stärke. Danke dafür!

Fundstück des Freitags: Mindestlohn

MindestlohnNicht, daß der Mindestlohn ein Allheilmittel ist – aber er bringt das Land ein Stückchen weiter. Nach wie vor gibt es Aufstocker, aber wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung wurde gemacht. Mehr Informationen gibt es hier (Klick).

Christen fordern Abschaffung des Religionsunterrichtes!

Ein in einer christlichen Gemeinschaft aktiver Lehrer hat in Baden-Württemberg für Furore gesorgt. Er hat eine Online-Petition gegen den „Aktionsplan für Bildung und Toleranz 2015“ der Grün-Roten Landesregierung gestartet, weil er glaubt, daß Schüler so „umerzogen“ werden sollen.

Nun ist Homophobie ein weit verbreitetes Thema und zugleich ist jedwede Form von Diskussion hier schlagartig mit geradezu hysterischen Scheinargumenten begraben. Anstatt daß also nun in den Foren und Zeitungen eher sachlich über die Frage, um die es mit dem Plan geht, diskutiert wird, werfen sich die Einen sofort in die Brust für Toleranz und übersehen so gerne mal die Form der Argumentation, die sie da benutzen, während die Anderen eine Chance sehen, endlich mal wieder ihrem Hass so richtig freien Lauf zu lassen. Die typischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Deutschen.

Nein, wird man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sich Antrag und vor allem die Kommentierung und die Diskussion  zur Petition mal näher ansieht. Anstatt daß hier über den tatsächlichen Inhalt des Antrages – die Einbringung des Wertes „Anders sein ist auch normal“ und des Wertes „Toleranz“ diskutiert wird, wehren sich die Befürworter gegen eine „Homosexualisierung des Schulunterrichtes“.

Ein schöner Kommentar zum Beispiel:

So etwas gehört nicht in die Schule. Sollen unsere Kinder schon zu Schwulen u Lesben erzogen werden?
Gut so!!!!
Weil das nichts mehr Diskriminierung zu tun hat, sondern nur noch reine Schwulenpropaganda ist!
Man sollte das Volk nicht homosexuell erziehen.
Weil unsere Kinder nicht schon in frühester Jugend mit absolut irrem, gesellschaftszersetzendem Gedankengut “ umerzogen “ und buchstäblich “ versaut „werden dürfen.

Da hat jemand eine Menge nicht begriffen, ist aber in genau der Argumentationsschiene, in der sich auch die Gesetzgeber in Russland bewegt haben, als sie das Gesetz gegen „Schwulenpropaganda“ einbrachten.

Woher kommen diese Leute? Nun, Wer den Kommentaren nicht glaubt, dem Hilft Open-Petition auf besonders nette Weise:

Petition - UnterstützerSieht man sich die Seiten an, über die die Unterstützer die Petition gefunden haben, so sticht neben der offiziellen Seite der Petition (Und natürlich Medienseiten wie Sueddeutsche und Focus)  vor allem die Haß-Site PI-News hervor, die kleinen Rechtsradikalenkonservativen mit der Angst vor der „Islamisierung“ Europas. Dann aber melden sich schnell die Christen zu Wort: kath.net zum Beispiel, eine katholische Nachrichtenseite, die schon mal jubiliert, daß auch Evangelische Kirchen zur Unterstützung der Petition aufrufen, vor allem das Ganze aber unter die – bewußt falsche – Überschrift stellt: „Homosexualität soll Pflichtstoff an den Schulen werden“. Ein katholisches Forum (blogforum deutscher Katholiken) spielt auch mit beim Unterstützer sammeln. Das evangelische Pendant ist nebenbei „Medrum.de„, die seit dem 9.1. auch kein anderes Thema mehr zu haben scheinen aber deren Leser dafür wenigstens gleich wieder mit der Sozialismuskeule kommen, wie ein gewisser Markus Lippert:

Die sozialistische Sexualkunde
[…] Einige Eltern in Westdeutschland haben es ja schon zu spüren bekommen was passiert, wenn man sein Grundrecht auf Werteerziehung der eigenen Kinder gegen schulischen Sexismus in Anspruch nehmen will. Sie sind im Gefängnis gelandet.
Das Klassenzimmer als Ort intimer Gedankenspiele und Projektionen? Sexualität reduziert auf das Ausleben von Trieben, abgekoppelt von Beziehungsfähigkeit und Verantwortung? Wenn das nicht Manipulation an Minderjährigen ist. […]“

Etwas schlechter zu lesen im Bild sind aber weitere – interessante – Unterstützerquellen: der Kopp-Verlag zum Beispiel, ein eher in der braunen Esoterik angesiedelter kleiner Verlag, der sein Geld hauptsächlich mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien macht, gelegentlich aber auch gerne auf die, sagen wir mal, antimuslimische Schiene ausweicht. Aus der Ecke kommen noch ein paar – „junge Freiheit“ oder auch die sehr seltsame Seite „Sciencefiles.org“, eine Mischung aus recht interessanten Gedanken, kruden Meinungsartikeln und blanker Anhnungsbefreiung, gut geschüttelt mit einer ordentlichen Portion Unbehagen gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Auch die „Freie Welt“ taucht hier auf, eine Zeitschrift der ISSB (Institut für strategische Studien), die irgendwo zwischen neoliberalem Gedankengut und rechtskonservativer Forderungen wie der Rückforderung ehemals deutscher Besitzungen in Polen laviert. Zuletzt taucht in der Unterstützerliste – und das finde ich wirklich interessant – das Forum „All-Russian.info“ auf, ein Forum das, laut Selbstbeschreibung ein „Russisches forum ueber Probleme, Russen in Deutschland, Unterhaltung und Spass satt“ ist. Und die russische Gesetzgebung bezüglich „Schwulenpropaganda“ offenbar auch gern in Baden-Württemberg hätte. Manchmal schmiedet die Wirklichkeit schon lustige Allianzen.

Und wo ist das jetzt mit dem Religionsunterricht?
Ach ja, genau. Die Überschrift ist natürlich provokant gewählt, denn tatsächlich fordert das erstaunlicherweise noch kein Vertreter der genannten Unterstützer der Petition in Baden-Württemberg. Aber eigentlich müssten sie das fordern.

Die wichtigste seriöse Argumentationslinie, auf der sich die meisten der christlich-moralisch Entrüsteten bewegen, ist geprägt von der Angst vor „Funktionalisierung, Instrumentalisierung, Ideologisierung und Indoktrination“. Ein wenig verschwurbelt haben sie schlicht Angst, daß ein anderer Familien- und Lebensentwurf als die Vater-Mutter-Kind – Welt als ebenso Normal „indoktriniert“ wird.

Nun bin ich selbst auch kein Freund von Moralkeulen und ganz besonders nicht von jedweder Form von Missionierung irgendeiner Ideologie – sei es eine Religion oder eine nicht auf ein höheres Wesen bezogene Weltanschauung. Meinungen sollen geäussert und diskutiert werden, nicht aber zur einzigen Wahrheit erhoben werden.
Genau das passiert aber gerne, wenn Homosexuelle zum Beispiel ein Adoptionsrecht wünschen oder sich einfach nur auf der Straße mal Küssen wollen – sofort stehen insbesondere christlich inspirierte Personen da und entrüsten sich über den Sittenverfall. Manchmal – und dann wird’s in sich urkomisch – mit einem Rückverweis auf die Geschichte in der Abteilung „Wir sind nicht mehr in der Antike“. Erklären mir gerne Leute, die wörtlich an die Inhalte eines Buches aus der Antike glauben. Naja.
Die zum Teil recht extreme Ablehnung von anderen sexuellen Identitäten führt aber dann dazu, daß ein Begriff wie „Schwuchtel“ gängiges Schimpfwort ist, ein Schwuler eben „kein Mann“ sei und so weiter. Eltern erzählen das ihren Kindern, natürlich geprägt von christlichen Toleranzverständnis und der Nächstenliebe, und die Kinder plappern das auch schön nach – und geraten eventuell in große Schwierigkeiten, wenn sie feststellen, daß ihre eigene Orientierung nicht in das christliche Idealbild des heterosexuellen, lediglich zu Reproduktionszwecken intim werdenden Ehegatten passen will.

Wenn nun aber die Angst davor besteht, daß ein Unterrichtsfach oder gar der ganze Unterricht eine bestimmte Weltanschauung propagiert, so ist das zwangsläufig die Forderung nach der Abschaffung des staatlich finanzierten Religionsunterrichtes an den Schulen. Denn da wird genau das gemacht und eine Vielfalt – etwa daß auch andere Religionen unterrichtet werden können – wird ja massiv bekämpft, auch wenn die Kirchen da längst begriffen haben, daß es ihnen an die Substanz gehen könnte und deswegen – als Amtskirchen – sich für einen islamischen Religionsunterricht aussprechen. Laienverbände sehen das naturgemäß etwas kritischer.

Wollen die Kirchen und die christlichen Bedenkenträger also wirklich den Religionsunterricht abschaffen? Naja, also da wäre ich dabei.

Meinung
Naja, ich sehe den Bildungsplan nicht so kritisch, das stimmt. Die Finale Version hat allerdings meines Erachtens nach eher noch eine Menge Geschwurbel als Inhalt zu bieten und ist so noch nicht umsetzbar.

Die Intention, wieder mehr auf Kultur- und Geisteswissenschaftliches zu setzen finde ich prinzipiell richtig, auch wenn ich nur hoffen kann, daß dadurch nicht die naturwissenschaftlichen Elemente zu kurz kommen – schön, wenn man Goethe rezitieren kann, aber der moderne Mensch sollte trotzdem ein wenig Ahnung haben und zum Beispiel wissen warum Dinge herunterfallen oder wie ein Waschmittel funktioniert.
Ich wüsste gern, woher der BNE-Ausschuss und Frau Lösch die Zahlen zur Häufigkeit von homosexuellen Neigungen hernehmen. Ich bin in das Thema nicht eingearbeitet und kann mich daher nur auf leicht zugängliche Bezugsquellen stützen, wie zum Beispiel die Wikipedia, die aber deutlich aufzeigt, daß es im Grunde keine belastbaren Zahlen – weder hohe noch niedrige – gibt. Das schließt keinesfalls aus, daß man Kindern beibringen muß, daß es nichts unnormales ist, wenn sich ein Mensch zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Nur wäre es schön, wenn man schon mit Zahlen argumentiert, wenn diese auch belastbar wären.

Ein weiterer Punkt, der mich irritiert ist gleich der erste. Hier heißt es: „Sexuelle Orientierung und Akzeptanz sexueller Vielfalt müssen verpflichtend in Form von Lerninhalten / -modulen im Bildungsplan als Querschnittsthema in den unterschiedlichen Fächern und Klassenstufen sowie verpflichtend in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte verankert werden.
Daß in verschiedenen Fächern eine Geisteshaltung verankert werden soll hat schon so ein bißchen ein „G’schmäckle“, oder? Ich habe nichts dagegen, wenn eine Textaufgabe statt „Herrn und Frau Meier“ einfach „Familie Meier“ zum Aufhänger hat, aber ansonsten hat sexuelle Orientierung im Matheunterricht ehrlich gesagt nichts verloren. Vielleicht in der Oberstufe im Bereich Statistik, okay. Aber ansonsten mag ich diese – bei genauem Lesen auch sehr durchsichtige Form der präzisen Orchestrierung einer Ansicht insbesondere in Schulbüchern gar nicht. Das geht auch einfach wertneutral.

Eine zweite Frage stellt sich hier bei der Formulierung „Klassenstufen„. Zugegeben – Sexualkunde kommt etwas spät in der Schule und – zumindest bei mir war das noch so – schrecklich verklemmt im Biounterricht der sechsten Klasse mal dran, Aufklärung über Verhütung dann irgendwann in der Mittelstufe. Da war es bei einigen längst zu spät, diese Lücke schließen aber verantwortungsvolle Eltern und Jugendzeitschriften wie die Bravo. (Gibt’s die noch?)
Nun geht es dem Bildungsplan, so ich das denn richtig verstanden habe, nicht um Sexualkunde (Auch wenn das bei den Gegnern immer als Kernpunkt verstanden wird; ich frage mich ohnehin, wie man eine „sexuelle Orientierung“ lehren will…), sondern um eine ethische Erziehung zur Toleranz und Akzeptanz. Das finde ich richtig. Aber ehrlich gesagt wüsste ich gern, wie sich die Kommission beispielsweise die Toleranzerziehung bei Grundschülern vorstellt. Nicht, daß das nicht möglich wäre, aber was soll das vage Geschwurbel?

Etwas irritiert mich die häufige Formulierung, daß immer „Fachleute aus dem Bereich der Kulturellen Bildung und der Medien“ hinzugezogen werden sollen. Erstere kann ich ja noch verstehen, aber welchen Zweck erfüllen „Fachleute der Medien“ und wer sind die? Natürlich geht aus dem Text hervor, daß damit eigentlich Kooperationen mit Kulturschaffenden auch aus dem Film- und Fernsehbereich gemeint sind, und die Idee, daß Schüler mal ein Praktikum beim Fernsehen machen können (müssen?) finde ich auch klasse. Aber unter Medienfachleuten verstehe ich ehrlich gesagt Publicity-Figuren, die zum Beispiel Politikern sagen, daß es beim Volk 0,3 Prozentpunkte mehr Sympathien bringt, ein Fußballspiel unter Medienbegleitung anzuschauen, als ein Krankenhaus bauen zu lassen.

Perspektivenfrage
Leider ist der im Grunde durchaus richtige Ansatz, Toleranz, Akzeptanz und Miteinander wieder mehr in den Fokus zu rücken in der Angst, Kinder sollen „zu Homosexuellen erzogen“ werden, untergegangen. (Ganz zu schweigen davon, daß der Bildungsplan sich auch um das Thema Nachhaltigkeit, Globalisierung und Medienerziehung dreht und die Toleranzgeschichte nur eine unter vielen ist). Leider ist es gesellschaftliche Realität, daß ein Miteinander überhaupt erst wieder gelehrt und gelernt werden muß – seit den „geistig-moralischen“ (Kohl) und der „geistig-politischen“ (Westerwelle) Wende ist das „Ich“ wichtiger als das „Wir“ und die Ellenbogengesellschaft bekommt durch Marktorientierung Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche – selbst in der Schule. Im Ergebnis haben wir eine Gesellschaft, die aus Konkurrenten und Gegnern besteht, das ist der liberale Teil der Geisteshaltung, und die Konservativen (Allerdings nicht nur die) liefern uns dann die Waffen, um einander zu beharken.
Der Bildungsplan ist ein sehr Grüner: Durchaus gute Ideen, aber die Umsetzung der Ideale wird höchstens angerissen, die tatsächliche Arbeit nicht gemacht. Nicht einmal die Lufthoheit in der Diskussion hat man sich geholt und sie stattdessen verqueren Ideologen überlassen, denen man dann schlimmstenfalls eigene verquere Ideologen entgegenstellt. So kann das doch nichts werden, Freunde.
Es ist dringend nötig, daß sich die Landesregierung in Baden-Württemberg daran macht, den Menschen aufzuzeigen was sie wie verändern will – sobald es konkretes gibt wird sich ein großer Teil der Panikmache von christlicher und von rechter Seite auflösen.

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Links:

  • Karnele.de
  • Zeit.de (köstlicher Kommentar: „Ich würde auch nicht wollen, dass meinen Kindern in der Schule Homosexualität beigepult wird. Dann könnten sie auch zur katholischen Kirche gehen.“)
  • KleinerDrei zur Hatespeech, eine gelungene Analyse der Kommentare unter der Petition

Von einer Medienkampagne

Kampagnen in den Medien sind ja ein Phänomen, das wir schon seit längerer Zeit beobachten dürfen. Nicht zuletzt die Nachdenkseiten schreiben immer mal wieder auf, wie die Medien gemeinsam an einem Strang ziehen, um ein gewünschtes Ergebnis zu fabrizieren. Eine paar Gedanken mit vielen Abschweifungen.

Das klappt nicht immer, aber doch meistens. Schön geklappt hatte die Strategie, die SPD klein zu halten bei der Bundestagswahl – erst hat man Steinbrück zum Kandidaten hochgeschrieben und wirklich alles getan, daß die SPD ihn aufstellt (und offen gestanden ist unser Spitzenpersonal im Umgang mit den Medien irgendwie… hm, sagen wir: ungeschickt), um ihn danach fröhlich in den Keller zu schreiben. Geradezu choreographiert agierten die Medien um sicherzustellen, daß eine ihnen freundlich gesonnene Regierung an der Macht blieb.

Weniger geklappt hat das in letzter Zeit in zwei Fällen: Dem unbedingten Überleben der FdP und im Falle von Guttenberg. Die FdP ist trotz der Rettungsversuche der Springermafia„journalisten“ an der 5%-Hürde gescheitert und Karl-Theodor zu Guttenberg mußte trotz Kampagne seinen nichtvorhandenen Hut nehmen und zurücktreten. Macht aber nichts, zu Guttenberg hat schon ein neues Tätigkeitsfeld gefunden. Ich weiß noch, wie der Kabarettist Urban Priol völlig entsetzt reagierte, daß ausgerechnet die Zeit dem gechassten Minister eine Plattform anbot. Das hängt damit zusammen, daß zu Guttenberg Mitglied der Atlantik-Brücke ist, eine Lobbyorganisation von Politikern, Wirtschaftsvertretern, Medienvertretern und anderen, und der Mitherausgeber der Zeit, Helmut Schmidt, dies ebenfalls ist. Ich empfehle mal die Liste der Mitglieder der Atlantik-Brücke zu lesen, dann versteht man so manche Zusammenhänge. Aber ich schweife schon wieder ab.

Keine Wahl
Egal wie die Abstimmung der SPD-Basis ausgeht: Verlieren wird die SPD so oder so. Stimmen die Mitglieder für eine große Koalition, so wird es heißen, daß die Sozen nur nach Posten streben und es ihnen nur um Macht gehe. Stimmt die Basis gegen die große Koalition, so sind die Sozialdemokraten Vaterlandslose Gesellen, die sich vor der Verantwortung drücken.

Um vorher schön Stimmung zu machen wurde der Druck aufgebaut, daß die SPD-Führung nicht zu halten sei, wenn die Abstimmung nicht in ihrem Sinne verlaufen würde. Zuerst gelesen habe ich das bei der Sueddeutschen Zeitung, aber ich weiß nicht ob sie auch Urheber des Gedankens ist. „[…] heißt es aus Parteikreisen“ kann ja alles Mögliche bedeuten.

Seither wird kräftig Stimmung gemacht. Sei es, weil Gabriel die Ministerposten vorher nicht verraten möchte, sei es, daß die Mitgliederbefragung den Fernsehbürger verärgern soll oder sei es, daß man die Legitimität der Befragung an sich anzweifelt – hauptsache Stimmung. Dazu passt auch das berühmte Gespäch zwischen Gabriel und der ZDF-Journalistin Slomka:

Schön fasst das Handelsblatt zusammen, welchen Effekt die langen Verhandlungen haben und offenbar auch haben sollen: Hauptsache, die kommen endlich mal zu Potte. Das erinnert so ein bißchen an die erste Wahl von George W. Bush in den USA: Die Leute waren am Ende schlicht froh, daß sie einen Präsidenten hatten. Das ewige Gezeter um die Frage nach der Legitimität der Wahl ging den Menschen eher auf die Nerven.

Selbst die Konservativen springen mittlerweile Gabriel bei, zuletzt auch in der Sueddeutschen, ansonsten sind sie brav und still. Amüsant ist es, daß die Konservativen im Moment so stillhalten – zumindest bis man den Koalitionsvertrag gelesen hat und bemerkt, daß eigentlich die CDU die lachende Gewinnerin der Verhandlungen ist.

Verfassungsrechtlich unbedenklich
Was Frau Slomka und auch einige andere Kritiker am Mitgliederentscheid zu konstruieren suchen ist ja die Beeinflussung der Abgeordneten wider ihr Gewissen. Das ist aber – ich habe es gestern schon geschrieben – eher im Koalitionsvertrag drin. Das Mitgliedervotum beauftragt auch nicht die Abgeordneten, Frau Merkel als Kanzlerin zu wählen oder es zu lassen sondern lediglich, ob die Partei das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen trägt oder eben nicht. Unterstützt die Partei die Koalition nicht, so kann die SPD-Parteiführung eben keine Regierung mit der Union bilden, dennoch können die Abgeordneten, wenn sie das für richtig halten, Frau Merkel wählen. Vielleicht für eine Minderheitenregierung?

Normalerweise entscheiden schlicht die Parteioberen und die Delegierten, was mit dem Wahlergebnis zu machen ist, welches das Wahlvolk bei der Bundestagswahl abgegeben hat. Nun hat eine breitere Gruppe halt eben die Chance, mitzureden. In aller Regel läuft eine Wahl doch so ab:

  1. Die Wählerinnen und Wähler der Bundesrepublik Deutschland wählen ein Parlament
  2. Da im Parlament normalerweise keine Partei 50% der Sitze hat, muß eine Koalition gebildet werden. Schon diese entspricht nur bedingt dem Wählerwillen, eine Koalition stellt aber im Idealfall einen Kompromiß aus dem Willen der Mehrheit der Wähler dar.
  3. Nach Verhandlungen der jeweiligen Parteispitzen wird ein Koalitionsvertrag beschlossen.
  4. Der Koalitionsvertrag wird von den Parteitagen abgesegnet (oder abgelehnt), mithin also von den „Parteiparlamenten“. Die Delegierten der Parteitage werden von der Basis gewählt, die direkten Vertreter der Parteibasis stimmen also über den Vertrag ab.

Der einzige Unterschied ist eben nun, daß es kein Parteitag, sondern ein direktes Abstimmen ist. Eben mehr Demokratie, mehr direkte Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht stützt das nebenbei auch, der Eilantrag, der da gestellt wurde, wurde abgelehnt. Daß der Union das nicht schmeckt ist klar – Demokratie ist halt lästig. Aber sie ist auch den Medien lästig und suspekt – steht bei einer Partei ein einzelner Kandidat zur Verfügung (kann auch eine Kandidatin sein), so ist das eine „Wahl“, sind es zwei für den gleichen Posten, so schreibt man von einer „Kampfabstimmung“, welche sofort nach Zwietracht klingt und so etwas mag der Deutsche Wähler ja nicht. Wenn Parteien um den richtigen Kurs ringen, diskutieren und mitunter auch recht lebhaft streiten; letztlich Mehrheiten suchen um dann darauf basierend einen Kurs festzulegen, so fallen sie in der Wählergunst sofort deutlich ab. Hm, schon wieder abgeschwiffen…

Ein bißchen Mehr an Demokratie könnte uns nicht schaden, seit einigen Jahren beobachte ich zunehmend beunruhigt, daß die demokratischen Institutionen und Entscheidungspunkte durch eher an feudale Zeiten erinnernde Clubs und Treffen von Entscheidungsträgern ersetzt werden und das Parlament eher zu einer Versammlung von Nicknegern herabgestuft wird. Das mag im Sinne von Angela Merkel sein, aber es liegt sicher nicht im Interesse von uns Bürgern. Da können die Medien, die abhängigen und die vermeintlich nicht so abhängigen (wie carta e.V. zum Beispiel, wie in diesem Beispiel im Grunde sehr lesenswert…) noch so sehr dagegen blasen: Ich werd mich von Euch sicher nicht manipulieren lassen.

Warum ich mit "Nein" gestimmt habe

Gestern habe ich beim Mitgliedervotum der SPD meine Stimme abgegeben. Ich habe eine Weile mit mir gerungen, sowohl den Brief, der beigelegt war und unverhohlen darum bat mit „Ja“ zu stimmen, als auch contra-Argumente gelesen und mich danach mit dem Koalitionsvertrag selbst auseinandergesetzt.

Das 185 Seiten umfassende Dokument ist eine ziemlich seltsame Angelegenheit: Es steht viel schönes drin aber nur dann, wenn man oberflächlich liest. Ein Beispiel:

Die deutsche Wirtschaft braucht eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung

Hm, klar. Aber warum nur die Wirtschaft? Im Bereich Energieversorgung (S. 49-61) findet sich zum Thema Kosten auf Seite 53 folgender Schwurbel:

Kosten der Energiewende
Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Gesamtkosten sind in den letzten Jahren aber schnell und stark gestiegen. Private und gewerbliche Stromkunden müssen erhebliche Lasten tragen. Die EEG-Umlage hat mittlerweile eine Höhe erreicht, die für private Haushalte und weite Teile der Wirtschaft, insbesondere auch mittelständische Unternehmen, zum Problem wird, wenn es nicht gelingt, die Kostendynamik zu entschärfen.
Mit der grundlegenden Reform, auf die wir uns verständigt haben, wollen wir Ausmaß und Geschwindigkeit des Kostenanstiegs spürbar bremsen, indem wir die Vergütungssysteme vereinfachen und die Kosten auf einem vertretbaren Niveau stabilisieren. Dazu brauchen wir neben einem berechenbaren und im Gesetz festgelegten Ausbaukorridor insbesondere mehr Kosteneffizienz durch Abbau von Überförderungen und Degression von Einspeisevergütungen, eine stärker marktwirtschaftlich orientierte Förderung, eine Konzentration der besonderen Ausgleichsregelung auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb und eine ausgewogene Regelung für die Eigenproduktion von Strom.

Um es mal präzise zu sagen: Die CDU/CSU hat hier ein planwirtschaftliches Modell („im Gesetz festgelegter Ausbaukorridor“, früher hieß das Fünfjahresplan) vorgelegt. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll nämlich per Gesetz festgeschrieben und gesteuert werden während zugleich Förderung von Erneuerbaren Energien „marktwirtschaftlich orientiert“ sein soll. Dafür sollen die Netzentgelte „fair verteilt“ werden und die Bürger am Ausbau der Netze beteiligt werden – insbesondere an den Kosten.

Beim Thema Atomenergie fehlt zwar nicht die Standortsuche (ohne konkrete Angaben allerdings), dafür ist die Sache mit dem Rückbau sehr schwammig formluiert:

Wir erwarten, dass die Kosten für den Atommüll und den Rückbau der kerntechnischen Anlagen von den Verursachern getragen werden.Über die Realisierung der rechtlichen Verpflichtungen der Energieversorgungsunternehmungen wird die Bundesregierung mit diesen Gespräche führen.
Aha. Man will „Gespräche führen“ über die Realisierung der rechtlichen Verpflichtungen. Ähm, hallo? Die Energieversorger haben vom Steuerzahler die AKW mehr oder weniger geschenkt bekommen, haben den Strom subventioniert verkauft und dürfen sich jetzt auf Hintertürchen freuen, damit die Entsorgung auch vom Steuerzahler subventioniert wird? Ich glaube nicht.
Des Weiteren fehlt mir in ganz anderen Bereichen eine Menge: Mindestlohn? Naja, eine Art Mindestlohn light, soll aber erst 2017 kommen. Und wenn Tarifverträge drunter liegen bleiben die Löhne sogar schlechter. Na super!
Ganz fürchterlich finde ich die Tatsache, daß die Vorratsdatenspeicherung erhalten bleibt. Das Thema Bürger ausspähen und NSA findet dafür praktisch gar nicht statt. Zwar will die kommende Koalition „Um Vertrauen wieder herzustellen, […] ein rechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln.„, aber so richtig konkret wird das nicht. Daß unsere Geheimdienste vielleicht verdammt nochmal die Pflicht haben und vor so etwas zu beschützen wird da mal lieber nicht erwähnt. Und welches „Vertrauen“ soll da wiederhergestellt werden?
Ein NPD-Verbot wird nicht einmal erwähnt, dafür aber an deren Plattform „Vertriebenen-Gedenktag“ festgehalten. Finde ich nicht gut.
Noch so ein Punkt: Seit einigen Jahren ist ein Ausbau des BAFöG eigentlich unbedingt notwendig; Daß in den vier Jahren Schwarz-Gelber Stillstand mit Reichenförderung nichts passiert ist verwundert natürlich nicht. Aber auch dieser Koalitionsvertrag kümmert sich nicht im Mindesten um das Thema, statt dessen taucht (auf Seite 29) dieses merkwürdige „Deutschlandstipendium“ der CDU wieder auf.
Die PKW-Maut wird kommen – so will es der Koalitionsvertrag. Zwar plappert Florian Pronold noch vollmundig davon, daß das eh nicht gehen werde, aber ich wette heute schon, daß sie kommt – und zwar für alle. Parallel scheint man sich aber über die Luftverkehrssteuer Gedanken zu machen, das heißt dann so:
„Bei der Einführung von fiskal- oder ordnungspolitischen Maßnahmen im Luftverkehr werden wir auf ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis achten.“

Hm…. heißt das, in dem Bereich wird weiter subventioniert und Steuern abgebaut? Die Schwarz-Gelbe Bundesregierung ist auf die unglaubliche Blödheit gekommen, ausgerechnet Kurzstreckenflüge zu subventionieren – zu Lasten der umweltfreundlichen Bahn. Soll das heißen, das bleibt so? Wird gar verstärkt? Und warum ist bei diesem Thema ständig von „internationaler Wettbewerbsfähigkeit“ die Rede?

Und so geht das weiter. Die Mogelpackung der „Rente mit 63“ führe ich nun gar nicht aus, das hat Wolfgang Lieb schon besser gemacht, als ich es könnte. Die Zustimmung scheint trotz der Medienkampagne zu wackeln – der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow will jedenfalls ebenfalls nicht zustimmen.

Ich möchte außerdem eines betonen: Die Kampagne der Medien zu dem Thema ist durchschaubar und sollte die Wahlentscheidung der Mitglieder nicht beeinflussen! Mehr dazu morgen.

Demokratie? Nicht mit Merkel!
Frau Merkel ist ja diese lästige Parlamentiererei in der BRD überaus suspekt, von der Volkskammer her ist sie ja ganz anderes gewohnt. Nun soll diese Große Koalition mit 80% der Mandate nun wirklich über bequeme (und verfassungsändernde!) Mehrheiten verfügen, da liest man auf Seite 184 diese Sätze:

Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.
Ähm… nein? Habt Ihr sie denn noch alle? Wie war das mit der freien Gewissensentscheidung des Abgeordneten? Dem unbedingten Bekenntnis zur Demokratie? Sätze wie diese sind typisch für Merkel-Regierungen, und in Wahrheit ziemlich beklemmend. Ich für meinen Teil kann und werde als überzeugter Demokrat diesem Quatsch nicht zustimmen.
Nein zur Großen Koalition.

Christian Ude auf Deutschlandfunk

In der Sendung Tacheles spricht Christian Ude, Spitzenkandidat der SPD in Bayern, zu den wichtigen Themen wie Mieten und Mietsteigerung, Kita-Plätzen oder die Luftqualität in Städten.

mp3 Download hier. Nachlesen können Sie das Gespräch hier.

 

Ottmar Schreiner ist gestorben

Wie ich eben erfahren habe ist Ottmar Schreiner, einer der wichtigsten Elemente Sozialdemokratischen Gewissens, einem Krebsleiden erlegen.

Lieber Ottmar,

Du hast bald 15 Jahre gegen die Schröder’sche SPD gekämpft. Dafür danke ich Dir. Die SPD hat wichtige Elemente Ihrer Grundhaltung verloren und noch immer nicht wiedergefunden. Du hast im Gegensatz zu denen, die sich nicht mutig der Realität stellen wollten und stattdessen die Partei der Arbeitnehmer geflohen sind, den Mut gehabt, und dem Parteivorstand getrotzt. Du hast gezeigt, daß die SPD nicht einfach dem Globalisierungswahn verfallen ist.

Teile von ihr schon.

Du hast Dich dem mutig entgegen gestellt. Manchmal wortreich, mitunter ein bißchen frech – aber DAS ist SPD. Frech sein, wenn die Herrschenden nicht hören wollen.

Danke.

Politischer Aschermittwoch

Der politische Aschermittwoch in Vilshofen war wieder einmal ein echtes Erlebnis! Im Gegensatz zu dem Eindruck, den die eher schwache Presseberichterstattung gebracht hat, war das „Aufeinanderdreschen“ der Politiker zumindest in Vilshofen eher eine Randerscheinung. Zwar haben sich die Zeitungen wie Sueddeutsche oder Merkur ebenso wie die Tagesschau (sogar in Deppendorfs Woche) redlich bemüht, das Ganze wieder einmal auf so eine Schimpfveranstaltung zu reduzieren, aber so einfach ist es nicht.

Ude und Steinbrück haben klipp und klar gesagt, was sie vorhaben im Falle eines Wahlsieges – und darauf wird (und soll) man sie auch festnageln. Lediglich Florian Probold anfangs heizte ein wenig die Stimmung auf indem er (naja, einen) gelungenen Spruch brachte. Ansonsten war es eine Wahlkampfveranstaltung, bei der die SPD ihre Positionen deutlich gemacht hat (Wahrscheinlich deswegen keine Berichte darüber? Oder bin ich schon wieder paranoid..?).

Um 5.30 Uhr morgens (!) fuhr unser Bus in Zorneding ab, mit einer großen Schleife um Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Ebersberg, Erding und Freising einzusammeln und – mit ein wenig Stau unterwegs – waren wir um kurz nach 9 im niederbayerischen Vilshofen. Dort erwartete uns wie letztes jahr ein riesiges Bierzelt und im Ganzen waren zwischen 4.500 und 5.000 „Sozis“ sowie Freunde und Verbündete da. Das Bier – Wolferstetter Bier – war gut wie immer und nach einem Weißbier und einem Paar Weißwürste mit Breze ging es dann los….

Fangen wir mal mit der hervorragenden Rede von Christian Ude an:

Darauf folgte die Rede von Peer Steinbrück, die auch nicht von schlechten Eltern war. Steinbrück beeindruckte zumindest mich mit seiner Selbstironie.

Der Vollständigkeit halber hier noch die Rede von Florian Pronold, in der er unter anderem Aufzeigt, daß die CSU kaum die von allen Medien vermeldeten 6.000-7.000 Anhänger in die Dreiländerhalle hätte quetschen können:

Vom Baum der Erkenntnis….

…. genascht haben scheinbar die Forscher der Bundesagentur für Arbeit bzw. der für Arbeitslose. Denn tatsächlich haben die herausgefunden… Achtung, jetzt kommt’s! … daß Minijobs sozialversicherungspflichtige Jobs verdrängen. Ja, wirklich! Das haben sie herausbekommen. Wahnsinn!

Man fragt sich, ob die auch mal eine Studie dazu machen könnten, ob es Nachts dunkel wird – und ob die Erde und ihr Drehmoment etwas damit zu tun haben könnten. Aber wir wollen’s mal nicht zu kompliziert machen.

Mal ernsthaft: Daß sich gerade im Gastro- und Hotelgewerbe Vollzeitjobs durch die Minijob-Kultur wie Schneeflocken in der Hölle verhalten ist nun wirklich eine Binsenweisheit. Minijobber sind billig, leicht austauschbar, haben keine Rechte und können problemlos länger dabehalten werden, weil kein Mensch sich für diese Unterklasse interessiert und wenn sie aufmucken schmeißt man sie einfach wieder raus – die liegen buchstäblich auf der Straße.

Der springende Punkt ist doch: Die Regierung Schröder wollte das auch genau so haben. Ich darf kurz erinnern, Gehard Schröder selbst brüstete sich 2005 beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit den Worten: „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ Genau. Die Frage ist halt, was man als gut oder besser versteht…. von der Arbeitgeberwarte, die ja jahrzentelang jammerten, daß Arbeit in Deutschland so teuer sei, war die Einführung einer Niedriglohn-Unterschicht, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben kann, und der man das auch noch verkaufen konnte, indem man den Minijob als „Zusatzverdienst“möglichkeit behandelte, ideal. Dann wunderten sich einige, daß es Leute mit zwei Minijobs gab… einmal bei Schlecker anschaffen und dann abends noch kellnern. Aber brav schluckte der Michel das. Also wurden mit Hilfe der Minijobs, der Leih- und befristeten Arbeit „Flexibilität“ geschaffen – die Zeitarbeitsmafia übernahm das Ruder.

Das Zauberwort Flexibilität, auf Deutsch: Beweglichkeit, heißt eigentlich nichts anderes, als daß das Menschsein hinter der Produktivität zurückzustecken hat. Und das ist der dümmste Fehler, den je ein „Sozialdemokrat“ gemacht hat….

Schande

Im politischen Alltag unserer Republik gab es ein Ereignis, das so beschämend für die Sozialdemokratie und die SPD ist, daß einem einfach die Worte fehlen sollten; Dennoch möchte ich einen offenen Brief an Frau Nahles schreiben, die sich in meinen Augen nun endgültig unmöglich gemacht hat.

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Frau Nahles,

mit großem Bedauern habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, daß Sie meiner Partei und meiner Grundüberzeugung offensichtlich mit einer gewissen Beklemmung entgegentreten. Grundwerte, die sich auf die rechtliche Gleichheit aller Menschen und der Gleichwertigkeit menschlichen Lebens berufen.

Die SPD ist eine Partei, die in ihrer stolzen Geschichte bereits von Menschen verfolgt worden ist, die so denken, wie das der von Ihnen in der Partei willkommen geheißene Thilo Sarrazin tut – und Sie sollten sich darüber im klaren sein daß eine Gruppe, die einen Sozialdarwinisten in ihrer Mitte duldet eigentlich vom Verfassungsschutz zu beobachten ist.

Ich muß Sie (als eine Vertreterin des SPD-Vorstandes!) offensichtlich an das Hamburger Programm erinnern: Wir, die SPD, kämpfen politisch für „eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft“ sowie die „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen“. Weitere Zitate gefällig?

Die gleiche Würde aller Menschen ist Ausgangspunkt und Ziel unserer Politik. Menschen tragen verschiedene Möglichkeiten in sich. Sie sind weder zum Guten, noch zum Bösen festgelegt. Sie sind vernunftbegabt und lernfähig. Daher ist Demokratie möglich. Sie sind fehlbar, können irren und in Unmenschlichkeit zurückfallen. Darum ist Demokratie nötig.
Jeder Mensch trägt Verantwortung für sein Leben. Niemand kann oder soll sie ihm abnehmen. Menschen dürfen nie zum Mittel für irgendwelche Zwecke erniedrigt werden, weder vom Staat noch von der Wirtschaft.
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Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ächten Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie haben Deutschland in seine schlimmste Katastrophe geführt. Wir werden deshalb immer dafür kämpfen, dass unser Land nie wieder in Barbarei abgleitet.
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Wir sind für den Dialog zwischen den Kulturen. Er dient dem inneren und äußeren Frieden, aber auch der Integration. Wenn friedliche Globalisierung gelingen soll, brauchen wir eine Kultur der Anerkennung, die der Ausgrenzung von Minderheiten und ebenso der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. Wir wollen kulturelle Vielfalt statt fundamentalistischer Verengungen und der Politisierung von religiösen und kulturellen Unterschieden, aber auch statt globaler Monokultur. Erst eine lebendige Kultur der Anerkennung ermöglicht eine Gesellschaft, in der wir als Menschen ohne Angst verschieden sein können.

(Alle Zitate entstammen dem Hamburger Programm)

Eugeniker wie Sarrazin, die zwischen wertem und unwertem Leben unterscheiden, gehören da nicht dazu. Sie gehören diskutiert, widerlegt und wenn sie erkenntnisresistent sind aus unserer Mitte entfernt. Sie sind Verräter am sozialdemokratischen Erbe und an sozialdemokratischer Grundüberzeugung.

Welchen Kompromiß Sie da geschlossen haben, womit Sie gekauft wurden, Frau Nahles, ist nicht ersichtlich. So manch schmerzhaften Kompromiß hat diese Partei schon aushalten müssen aber bei Fragen der grundsätzlichen Menschlichkeit war die SPD vielleicht wehrlos, aber nicht ehrlos.

Bei Ihnen verhält es sich genau anders herum.

Alleine der Vorgang in der Causa Sarrazin wird viele Mitglieder der SPD zum Austritt bewegen und das zu Recht. Ich selbst erwäge das, aber ich bleibe meinen Grundüberzeugungen treu und werde dafür kämpfen daß die SPD wieder eine SPD wird – und Menschen wie Sie in dieser Partei nichts mehr zu sagen haben.

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Grußlos und enttäuscht,

Lastknight Nik

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Artikel zum Thema finden sich bei Zeit.de, bei den Nachdenkseiten sowie der Sueddeutschen und der FAZ.