Berliner Erklärung

Eine Reihe von Genossen haben die Berliner Erklärung unterzeichnet.

Ich fordere alle Genossen mit Anstand auf, die Petition mitzuzeichnen.

(Dieser Link führt zur Petition)

Berliner Erklärung zur Beendigung des

Parteiordnungsverfahrens gegen Dr. Thilo Sarrazin

Von: Aziz Bozkurt aus Berlin

An:   Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) in Deutschland

Viele Menschen in Berlin, in der gesamten Bundesrepublik und auch im Ausland haben kein Verständnis für das Ergebnis und den Verfahrensablauf des Parteiordnungsverfahrens gegen Genossen Dr. Thilo Sarrazin. Nicht nachvollziehbar erscheint vor allem der Zickzackkurs der Partei. Wir entschuldigen uns bei den Menschen, die sich durch diese Haltung verletzt oder enttäuscht fühlen. Wir appellieren an die Genossinnen und Genossen unserer Partei, die sich mit dem Gedanken eines inneren Rückzuges oder gar Austritts tragen: Jetzt gerade nicht! Wir brauchen Euch! Die Partei braucht Euer politisches Rückgrat!
In gemeinsamer Verantwortung für unsere Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, stellen wir fest:

1. Wir sind und bleiben die Partei des sozialen Aufstiegs. Wir geben nicht große Teile der Bevölkerung verloren, sondern ringen um Konzepte für gerechte Teilhabe. Elitärer Dünkel, Ausgrenzung von Gruppen – mit oder ohne Migrationshintergrund –, menschenverachtendes Gerede oder gar rassistischer Habitus haben in unserer Mitte keinen Platz.

2. Wir verteidigen die Meinungsfreiheit aufrecht. Die SPD ist jedoch eine politische Wertevereinigung, die – wie bei jeder anderen Partei – durch ihr Grundwertekorsett einen äußersten Meinungsrahmen vorgibt. „Die gleiche Würde aller Menschen ist Ausgangspunkt und Ziel unserer Politik … und unabhängig von … wirtschaftlicher Nützlichkeit.“ Dieser äußerste Wirkungsrahmen ist nicht verhandelbar.

3. Die politische Verantwortung und der Gestaltungsanspruch der SPD enden nicht an irgendeinem Wahltag. Unsere Grundwerte sind nicht beliebig und stehen nicht zur Disposition Einzelner. Nachdem auf allen Parteiebenen Gremienbeschlüsse zum Parteiordnungsverfahren vorlagen war es politisch angezeigt, diese Gremien vor einer Verfahrensbeendigung ohne Sachentscheidung zu befassen.

Begründung: s.o.

Im Namen aller Unterzeichner.

Berlin, 25.04.2011 (aktiv bis 24.10.2011)

Von Irrationaler Freude – Vorwärts-Version

Nachdem ich zu meiner großen Freude eingeladen wurde, den Artikel beim Vorwärts noch einmal zu veröffentlichen erfuhr er eine leichte Überarbeitung. Lesen Sie selbst:

.

Am vergangenen Tage dieser Republik haben die Bürgerinnen und Bürger in drei Bundesländern gewählt – und CDU und FDP eine heftige Klatsche verpasst. besonders die FDP flog – zu recht – aus dem Rheinland-Pfälzischen Parlament und schaffte nur mit Mühe den Wiedereinzug in Baden-Württemberg. Das ist positiv. Die Ergebnisse der SPD sind es nicht.

Unverständlich der frenetische Jubel der Genossen in Bund wie den Ländern ob der Wahlergebnisse. Um es mal ganz ohne Scheuklappen zu sagen: Die SPD hat eine historische Niederlage eingefahren. Noch knapp 23% der Wähler (15,29% der Wahlberechtigten) in Baden-Württemberg und 35% der Wähler (22,06% der Wahlberechtigten) in Rheinland-Pfalz gaben den Sozialdemokraten ihre Stimme. Vermutlich ist das der Grund, warum Jörg Schönenborn so verhalten erfreut guckte.
Alle Parteien die verloren hatten erklärten ihre Niederlage mit dem Atomthema, das den Grünen halt so genützt hätte, aber so ganz stimmt das nicht. Die Werte der SPD werden nicht mehr mit der SPD identifiziert. Deswegen nützt die Schwäche der vermeintlich „bürgerlichen“ Parteien nicht der SPD.
Auch wenn Konservative die „Sozialdemokratisierung“ der CDU beklagen so sollten Sozialdemokraten sich vielleicht mal über die Christdemokratisierung der SPD Gedanken machen. Es ist nicht unbedingt so daß die Wähler der SPD davonlaufen – vielmehr läuft die SPD thematisch den Wählern weg.
Es mag durchaus sein, daß das Thema Kernkraft alles weitere überstrahlt hat – blickt man aber in die Wählerwanderungen der einzelnen Wahlen so kann man den Trend erkennen, daß sich SPD-Wähler zu Nichtwählern entwickeln, wenn sie nicht an andere Parteien, vor allem an die Linke abwandern. Das ist ein langfristiges Phänomen daß diesmal genauso zugeschlagen hat wie die Male zuvor, nur hat es diesmal anscheinend keiner gemerkt.

Adieu Volkspartei?
Was ist eigentlich eine Volkspartei?Alle naselang wird ja das Ende der Volksparteien beschworen so als sei eine Volkspartei eine Partei die irgendwie 40%+X der Stimmen erhält. Das ist Unsinn, und zwar bedauerlicher Unsinn. Eine Volkspartei ist eine Partei, die programmatisch aus jeder Schicht, jeder Klasse und jedem Lager gewählt werden kann. Eine Partei, die Inhalte anbietet die sowohl den Arbeitslosen als auch den Manager ansprechen.
Anders als eher monoprogrammatische Parteien wie besonders die FdP oder die Grünen haben und hatten die beiden Volksparteien Inhalte und auch Fachpolitiker in (fast) jeder Richtung zu bieten. Und das muß auch weiterhin ein Markenzeichen der SPD bleiben, sonst wird sie sich noch weiter aufsplitten.

Die Grünen als Konkurrenz- und Volkspartei?
Die Grünen sind im Augenblick natürlich trendy, aber das wird sich vermutlich schnell wieder auszaubern. Es ist unwahrscheinlich, daß die Grünen Stuttgart 21 kippen können und bislang ist hinter dem Ruf „Abschalten!“ noch nicht hinaus klar gemacht worden, was man denn mit den alten Atomkraftwerken eigentlich tun will. Die Dinger strahlen nämlich noch ein paar hundert oder tausend Jahre. Alleine das geregelte Herunterfahren wird ca. 2 Jahre in Anspruch nehmen, die „Entsorgung“ der Brennstäbe ist ebenso wie die „Entsorgung“ der Gebäude noch gar nicht geklärt. Und das wird richtig teuer weil die Betreibergesellschaften mit Sicherheit „irgendwie pleite gehen“ und ihren Abfall natürlich dem Staat, also uns um den Hals hängen.
Somit werden die Grünen ihren Wählern erklären müssen warum vieles von dem versprochenen dann doch nicht geht – und warum daran „keiner gedacht hat“. Eine Aufgabe, der sich auch die anderen Parteien noch stellen müssen, dies aber nicht als Kernelement haben.
Das allerdings könnte eine Chance für die SPD werden, ein vermeintlich ″grünes″ Thema zu besetzen und auch im Umweltbereich wieder ernst genommen zu werden. Denn auf diese Fragen haben bislang keine Parteien vernünftige Antworten geliefert – auch die Grünen nicht. Es könnte somit durchaus sein, daß sich der ″monothematische Wahlsieg″ der Grünen langfristig als Bumerang erweist.

Witzig…

… hab mich grad getestet. Das kam dabei raus:

Interessant ist, daß man schnell zu 41% extremistisch ist – aber wer den Test genauer anguckt (oder nochmal macht und konträre Anworten gibt) der stellt schnell fest: Extremistisch wird man, wenn man die „stimme GAR nicht zu“ (Statt stimme nicht zu) und die „stimme VOLL zu“ (Statt stimme bedingt zu) Variante wählt. Hurrah.

Dennoch – neben dem Wahl-o-mat wieder ein deutlicher Beweis für mich: Ich bin Sozialdemokrat.

Ein offener Brief an Gerhard Schröder

Lieber Gerd,

In den vergangenen Tagen dieser Republik hast Du Dich ja zurückgemeldet und via Bildzeitung, zu der Du ja immer ein entspannteres Verhältnis hattest, Deine Regierungsarbeit gelobt und Dich von selbigem Blatt zum Reformkanzler küren lassen.

Das ist soweit erst einmal der wohl übliche und notwendige „Der Altkanzler senft dazu“ – Auftritt, der von den Medien gefordert wird und von Altkanzlern gern bedient wird (Schmidt), sofern jemand mit ihnen sprechen will (Kohl). Das lässt für die Zukunft mit einer Altkanzlerin Merkel in den Medien ungutes ahnen, aber lassen wir das.

Nun bin ich selbst Mitglied Deiner Partei und das exakt seit dem Zeitpunkt als klar war, daß Du nicht mehr unser Kanzler bist. SPD-Mitglied zu sein hat viel mit den Grundwerten der Sozialdemokratie zu tun und wenig mit dem realen Regierungsgeschäft, das war schon zu Willy Brandts Zeiten, habe ich mir sagen lassen, nicht allzu anders. Kann ich mir vorstellen. Natürlich hatte man damals eher ein Ideal das anzustreben und zu personifizieren sich der Regierungschef auch bemühte, etwas was in die technisierte Zeit heute nicht zu passen scheint.

Deine Regierungszeit habe ich sehr interessiert verfolgt, ich bin in dieser Zeit erwachsen geworden und im Grunde bin ich seit dem Wahlkampf 1998 ein politisch interessierter Mensch. Meine politische Erfahrung beginnt also praktisch mit Deiner Amtszeit und daher bist Du für mich in gewisser Hinsicht mein erster Kanzler.

Deine Kanzlerschaft fällt in eine Spätphase, die Spätphase der europäischen Sozialdemokratie, aber darauf möchte ich weiter unten noch einmal eingehen. Dein Eigenlob in der Bildzeitung beschäftigte sich ja zentral mit den Agendareformen und der erfolgreichen Wirtschaftspolitik, die Du als Richtungskompetenz angestoßen hast. Tatsächlich dürfte eine Menge positives heute aus den Anstrengungen damals resultieren, aber auch eine Menge dessen, was wir heute als Gegenteil erfahren.

Sozialpolitisch war diese Regierung nämlich eine Katastrophe. Die Proteste gegen die Hartz – Reformen kamen ja nicht von ungefähr sondern schwer aus der Mitte der Gesellschaft die völlig überrascht war von der Vorstellung, ausgerechnet eine SPD würde sich in dieser Weise dem ökonomischen Gedanken unterordnen. Damit hatte keiner gerechnet. Und bevor jetzt ein Gedanke auf Deine Wiederwahl kommt: Das war eine Kombination aus Glück (ausgerechnet Stoiber als Gegenkandidat), Gelegenheit (Flutkatastrophe und Zusammenhalt-Stimmung) und Alternativlosigkeit (Was denn sonst wenn nicht Rot-Grün?). Kein Beifall für Deine Reformen (Sonst wäre das Ergebnis auch anders ausgefallen)

Die oben erwähnte Spätphase der Sozialdemokratie hatte aber auch damit was zu tun. Anfang der 90er Jahre schlug das politische Wetter um. Nach Jahrzehnten voller Thatchers, Kohls, Bushs und Breschnews wurde Amerika von einem recht weltoffenen Clinton, Großbritannien von einem jungen Blair und am Ende sogar Deutschland wieder von einem Sozialdemokratischen Kanzler regiert. Die Sowjetunion war zusammengebrochen und die rede vom Frieden auf Erden schien, viel Ausblenden vorausgesetzt, eine gar nicht so unendlich utopische Idee zu sein. Statt auf Rüstung konnte die Welt doch nun ihr Geld darauf setzen, sich selbst zu heilen.

Das Jahrzehnt der Sozialdemokratie im Westen, so will ich es mal nennen, war begleitet von Boom des Internets und der Kommunikationsbranche, die Welt wuchs zeitgleich in einer Geschwindigkeit und einem Ausmaß zusammen, das die Bevölkerung auch überforderte und bis heute überfordert. Die Regierungen aber eben leider auch.

Statt die sozialen Verhältnisse zu ordnen und dafür zu sorgen daß eine gute Mischung aus Gerechtigkeit und Fordern das Leben bestimmt fielen praktisch alle Regierungen auf den New Deal herein und eröffneten die gesetzlichen Möglichkeiten für die gigantischen Aktien- und Derivatmärkte, die letztlich wenigstens eine Weltwirtschaftskrise auslösten. Praktisch keiner Regierung kam es spanisch vor, daß die wirtschaftsliberalen Oppositionen ihre Rolle auf die Forderung nach noch liberalerer Ausweitung dieser Rahmenbedingungen beschränkte. Die Konsequenzen sind ja allgemein bekannt.

Die europäische Sozialdemokratie hat in den Achtziger Jahren eines erreicht: Sie und ihre Werte wurden als „gut“, richtig und gerecht empfunden und als gesellschaftliches Ideal verstanden. Im Grunde wurde die Bevölkerung sozialdemokratisch, das merkt man den in diesem Denken in die Bundesrepublik sozialisierten Ex-Ossis wie Frau Merkel ja sehr schön an. Heute wird das als „Gutmenschentum“, als „dumme Ideologie“ oder gar als „gefährlicher Unsinn“ abgetan. Was ist passiert?

Die Sozialdemokratie hat in der Regierungsverantwortung versagt. Das ist passiert. Und Dir, mein lieber Gerd, ist da eine Teilschuld zuzuweisen. Europaweit hat die Sozialdemokratie den größten Wirtschaftsboom der Geschichte begleitet und überall hat sie völlig vergessen, die Menschen daran teilhaben zu lassen. Stattdessen wurden Kriege geführt und das Geld blieb bei denen die es hatten und diejenigen die wenig hatten mußten auch noch einen Teil dazu beitragen.

Gerechtigkeit sieht anders aus. Die Leute gingen gegen die Hartz-Gesetze auf die Straße aber das war nur der Aufhänger, nicht der Anlaß. Die Menschen waren verzweifelt und ahnten schon, wohin das führen würde. Das Ergebnis ist ein europaweiter Anstieg rechtslastiger Ideologien, ob in der Bürgerdebatte oder in wirtschaftlichen Fragen. 1999 hatte der Comedian Dieter Hallervorden in seinem „Spottlight“ geunkt: „Nach Goethes Farbenlehre ergeben Rot und Grün braun.“

Klingt heute in mancherlei Hinsicht prophetisch.

Ich weiß, daß Du kritisch beäugst daß die SPD und besonders Dein vormaliger Kanzleramtsminister Frank-Walter in weiten Teilen versuchen, zurückzurudern und trotz der Tatsache, daß sie damals zu den Akteuren der Agendazeit gehörten, ein eher linkeres Profil zu gewinnen suchen.

Ich denke, sie versuchen natürlich sich damit gegen die wirtschaftsliberalen Grünen und gegen die Linke zu behaupten, aber auch die SPD wieder mit ihren Werten zu versöhnen.

Werte, die gute Menschen zueinander führen und verbinden sollten.

In diesem Sinne beäuge Dich selbst und Deine Zeit mal ein bisschen kritischer. Man wird nicht unglaubwürdig wenn man sich hinterfragt, höchstens für dumme Leute.

Hochachtungsvoll,

Dein Nik