Syrien – was passiert hier eigentlich?

Die Nachrichtenlage verschärft sich. Inzwischen gilt es für die Presse als unstrittig, daß Chemiewaffen in Syrien eingesetzt worden sind, Nachrichten darüber gibt es aber eigentlich schon deutlich länger. Nur bislang hat es halt keinen interessiert. Das scheint nun anders, könnte am Sommerloch liegen. Und daran, daß bei uns bald Wahlen sind, da macht sich eine außenpolitische Krise in der Presse immer gut. Aber worum geht es da eigentlich? Wer kämpft da gegen wen? Ein Versuch einer kurzen Skizze.

Im Jahr 2011 kommt es im Rahmen des arabischen Frühlings auch in Syrien zu Demonstrationen gegen die dortige Regierung. Noch im Januar war sich Assad sicher, daß in Syrien keine Demonstrationswellen zu befürchten seien und behielt damit auch zunächst recht. Tatsächlich beginnt die Geschichte im März im Norden Syriens: Bei einer Demonstration von Kurden für mehr Bürgerrechte kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen, mehrere Leute werden verhaftet.

Moment! Kurden?
Ja. Das von Kurden bewohnte Gebiet umfasst Teile der Staaten Türkei, Armenien, Iran, Irak und Syrien. Als man nach dem zweiten Weltkrieg vom Westen aus den Nahen Osten aufteilte hatte man die Kurden einfach ignoriert und sie in diese Staaten aufgeteilt, die ihre Rechte teilweise nicht nur nicht anerkennen, sondern die sie mitunter massiv verfolgen und bedrohen. So hat Syrien zum Beispiel in den 80er Jahren Flüchtlinge aus der Türkei aufgenommen, ihnen die syrische Staatsbürgerschaft gewährt und sogar die PKK unterstützt, später deklarierte man dort die Kurden wieder um und entzog ihnen sämtliche staatsbürgerlichen Rechte, sogar die Pässe. Kurden wurden aus öffentlichen Ämtern vertrieben und mit Berufsverboten belegt. Unter Bashar al-Assad wurde die zunehmende Diskriminierung zwar eingestellt, allerdings auch keinerlei Rechte wiederhergestellt – deswegen demonstrieren dort Kurden. Kurden sind mehrheitlich Sunniten, das bitte mal im Hinterkopf behalten.

Im März 2011 kommt es zu weiteren Demonstrationen (diesmal von syrischen Oppositionellen), wobei auch einige Demonstranten getötet werden, was die Zahl der Demonstranten sprunghaft ansteigen lässt. Die syrische Regierung bemüht sich um Deeskalation, untersucht die Todesfälle und entlässt einige verantwortliche Offizielle, dennoch kommt es auch innerhalb der Regierung zu Verwerfungen und letztlich zum Rücktritt des Premierministers und des Kabinetts. Das neue Kabinett soll die angekündigten Reformen umsetzen.

Moment! Kabinett? Und der Präsident?
Ja, das ist nun ein bißchen komplizierter. Wie funktioniert eigentlich die syrische Exekutive?
Okay, fangen wir damit mal an. Syrien nennt sich offiziell die Demokratische Sozialistische Republik Syrien. Es handelt sich um
ein gemischt präsidial-parlamentarisches Regierungssystem, also es gibt zwar ein Parlament, aber die Macht liegt im Grunde beim Präsidenten, der alle sieben Jahre vom Volk bestätigt werden muß (was 2014 wieder der Fall wäre) und zugleich Generalsekretär der Einheitspartei, der Baath-Partei ist. Das Parlament hat 250 Sitze von denen 143 automatisch an die Baath-Partei fallen, allerdings darf es keine eigenen Gesetzesvorhaben einbringen, sondern lediglich die vom Präsidenten vorgelegten kritisieren. Der Präsident ernennt sein Kabinett.
Der Knackpunkt der syrischen Regierung, die über 30 Jahre hinweg von Hafiz al-Assad und nun von seinem Sohn Bashar beherrscht wird ist, daß der Ausnahmezustand gilt – und das seit 1963. Dieser fixiert die Allmacht des Präsidenten und beschneidet das Parlament. Unter Anderem diesen Ausnahmezustand wieder aufzuheben ist eines der Reformversprechen von 2011 gewesen. Begründet wurde und wird der Ausnahmezustand übrigens auch damit, daß sich Syrien seit 1948 im Kriegszustand mit Israel befindet. Ohne Waffenstillstand, ohne Vertrag. Auch das mal eben bitte im Hinterkopf behalten.

Im April 2011 kommt es nun zu mehreren Großdemonstrationen, die mit scharfer Gewalt bekämpft werden. Insbesondere im Anschluß an Freitagsgebete. Die syrische Opposition, die sich sonst nur semilegal in zugelassenen Splitterparteien organisieren konnte, benutzt nun die Religion – auch in Opposition zu der eher säkularen, weil postsozialistisch eingestellten Baath-Partei. In Dar’a sowie in einigen Vororten von Damaskus kommt es zu systematischen Verhaftungen durch das Militär, unterstützt von Panzern. Dabei gibt es auch Tote. Der Menschenrechtsrat der UN verurteilt das brutale Vorgehen, die USA setzen erstmals Sanktionen ein. Bis Ende April sind etwa 500 Demonstranten gestorben.

In der Folgezeit kommt es zu weiteren Demonstrationen, die in Syrien verbotene Muslimbruderschaft ruft ihre Anhänger ebenfalls zu Demonstrationen auf, die Verhaftungen und die Mißhandlungen gehen weiter. Es werden erste Gräber entdeckt, bei den folgenden Demonstrationen werden Tränengas und scharfe Waffen eingesetzt. Human Rights Watch veröffentlicht einen schockierenden Bericht im Juni über die Menschenrechtsverletzungen in Syrien, mittlerweile sind rund 1.100 Menschen getötet worden, laut UNICEF auch 30 Kinder. Tausende Menschen fliehen vor den Militäroperationen in die Türkei, innerhalb der Armee scheint es Widerstand gegen die Befehle zu geben, Einheiten laufen zu den Demonstranten über. In den Folgemonaten demonstrieren immer mehr Menschen gegen Assad, aber auch regierungstreue Demonstrationen werden abgehalten, dabei werden auch die französische und die amerikanische Botschaft angegriffen. In der Türkei beraten sich Flüchtlinge, wie der Staat nach dem Sturz al-Assads aussehen soll, aber die Verteilung der Ethnien erschwert die Verhandlungen. In Syrien kommt es zu ersten ethnisch motivierten Morden und Gegenreaktionen, unter anderem an den Alawiten.

Moment! Alawiten?
Ja. In Syrien leben mehrere Volks- und Religionsgruppen. Die Mehrzahl der Syrer sind ethnisch sunnitische Araber, etwa 10-15% sind Kurden, weitere 3-4% sind Armenier (einige armenisch-apostolisch, andere armenisch-katholisch), zudem leben dort etwa eine halbe Million Palästinenser, Assyrer (meist nestorianische Christen) und weitere Gruppen. Und die Alawiten?
Alawiten sind eine islamische Glaubensrichtung, die in Syrien lediglich 12% der Muslime ausmachen, allerdings sind sie bedingt durch ihre Kontrolle der Baath-Partei de facto eine herrschende Minderheit. Alawiten (nicht zu verwechseln mit Aleviten!) sind grob dem schiitischen Glaubensspektrum zuzuordnen, ähnlich wie die etwa 700.000 Drusen in Syrien. Sie erinnern sich? Die Mehrzahl der Syrer sind Sunniten, auch die kurdische Bevölkerung.
Die Macht der Alawiten in Syrien passt vielen Sunniten nicht, was dem Konflikt nun eine religiöse Dimension verleiht.

Im August kommt es neben den Belagerungen von Städten auch zu Schußwechseln mit Panzern und Geschützen. In Latakia soll es sogar zum gezielten Beschuß von Wohnvierteln kommen, die arabische Liga verurteilt die Gewalt. Es mehren sich die Toten, nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch durch Folterung durch die Sicherheitskräfte. Amnesty International veröffentlicht einen Bericht. Im September erfolgen Übergriffe der Armee auf Krankenhäuser, Ärzte werden geschlagen wenn sie Oppositionelle verbinden. In der Folge kritisieren alawitische Geistliche das Vorgehen der alawitisch dominierten Regierung, weitere Berichte über Folteropfer machen die Runde, Soldaten desertieren. Diese Soldaten bilden mit anderen Demonstranten (Rebellen?) die Freie Syrische Armee. Bis zum Juli 2013 wächst sie auf rund 80.000 Kämpfer an. Bis Oktober 2012 sterben bei weiteren Demonstrationen und Gefechten rund 1.900 Menschen, inzwischen sind über 3.000 getötet worden. Syrische Aktivisten im Ausland werden bedroht, zum Teil auch durch verschiedene Botschaftsmitarbeiter. Die EU und die Schweiz haben sich inzwischen zu einem Ölimportembargo aufgerafft.

Im November bittet der syrische Nationalrat (der in Istanbul tagt) die Internationale Staatengemeinschaft um Hilfe, mittlerweile wird die Stadt Homs mit Artillerie beschossen. Die arabische Liga versucht, mit Vertretern von Syriens Konfliktparteien ins Gespräch zu kommen. Letztendlich suspendiert die Arabische Liga Syrien von der Mitgliedschaft und diskutiert das weitere Vorgehen. Syrien hält sich nicht mehr an Absprachen, die Gewalt eskaliert immer weiter. Im Dezember sprechen Vertreter der UNO von mehr als 5.000 Opfern, darunter rund 300 Kinder. Russland und China blockieren aber weiterhin jedwede Resolution des UN-Sicherheitsrates. Immerhin schickt die UN Beobachter, die Transparenten in Syrien zufolge ″nichts sehen″.

Anfang 2013 ruft die Arabische Liga ihre Beobachter zurück; Die Liga ist sich uneins über das weitere Vorgehen, da regierungstreue Demonstranten in Syrien ebenso wie einige Mitgliedsstaaten der Liga keinen Eingriff in die nationale Souveränität Syriens tolerieren wollen. Insbesondere in Homs bleibt die Lage angespannt, die Regierungstruppen weigern sich dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond einen sicheren Korridor einzurichten, um Verletzte aus der Stadt zu bergen. Letztendlich erobern Regierungstruppen im März Teile von Homs zurück. Kofi Annan versucht, einen Friedensplan zu erstellen, die Waffenruhe wird aber nicht immer eingehalten. Das Ausland organisiert unter der Führung Frankreichs die Konferenz der ″Freunde des syrischen Volkes″, die allerdings nur mit der Opposition, besonders der FAS und dem syrischen Nationalrat verhandelt. Sowohl von der Regierung, als auch von den Oppositionellen trennen sich einzelne Politiker, um jeweils gegen die Strukturen und das Vorgehen zu protestieren. Dennoch beginnt die Unterstützung für die syrische Opposition zu wachsen, die Vereinigten arabischen Emirate und Saudi-Arabien sollen im April 2012 rund 100.000.000 Dollar an die Opposition überwiesen haben. Ein libanesischer Frachter mit hunderten Tonnen voller Waffen wurde rechtzeitig gestoppt.

Moment! Waffen und Gelder aus dem Ausland?
Ja, das gehört zu den wichtigsten und häufigsten Vorwürfen der Assad-Regierung, daß die Opposition im Land im Grunde von feindlichen Agenten aus dem Ausland vorgeschickt und finanziert wird. Tatsächlich berichtet im Oktober 2012 die Financial Times Deutschland darüber, daß die Konfliktparteien mit Waffen aus Russland, den USA, China, dem Iran, der Türkei und so weiter, zum Teil heimlich unterstützt werden. Russland, Iran und China unterstützen Assad – die Türkei angeblich heimlich die Opposition und die USA liefern Kommunikationsgerät; Man fürchtet sich da wohl vor einer Wiederholung des Fehlers in Afghanistan in den 80er Jahren. Naja, für irgendwas muß auch Obama gut sein.

Im Mai sind Parlamentswahlen – und prompt brechen die Oppositionellen die Waffenruhe mit Bombenanschlägen. Zu den Anschlägen bekennt sich eine syrische Splittergruppe der Al-Quaida. Als Antwort darauf beschießen Regierungstruppen in der Provinz Homs eine Siedlung namens al-Hula und töten mindestens 108 Menschen, darunter 49 Kinder. FSA wie auch die syrische Regierung erklären den UNO-Friedensplan für gescheitert und nehmen die Kampfhandlungen wieder auf um das Massaker – das sie sich jeweils gegenseitig vorwerfen – zu rächen. Die Gewaltspirale dreht sich wieder.

Mehrere westliche Staaten weisen syrische Diplomaten aus – Syrien beantwortet dies entsprechend und spricht nun von einem ″Krieg″ im eigenen Land. Es kommen erste Zweifel an der Schuld der Regierungstruppen beim Massaker von al-Hula auf; Waren es vielleicht doch die Rebellen selbst? Letztendlich glaubt das niemand, die Beweise sprechen eine andere Sprache, aber möglich wäre es. Amnesty International und Human Rights Watch veröffentlichen Berichte über Foltergefängnisse der syrischen Armee, die Gewalt wird immer härter und es werden immer hemmungsloser militärische Waffen eingesetzt, mitunter auch auf Siedlungen in denen Rebellen nur vermutet werden. Das Rote Kreuz stuft den Konflikt nun als Bürgerkrieg ein. Damit es dazu kam mußten rund 8.000 Menschen sterben.

Im Sommer 2012 weitet sich der Krieg insbesondere rund um die Stadt Aleppo aus, die Regierungstruppen setzen nun überlegene Luftwaffe ein, die Oppositionellen antworten mit Sprengstoffanschlägen. Zudem scheint die FAS nun auch über Luftabwehrraketen zu verfügen, es folgen weitere Massaker von Seiten der Regierungstruppen und Sprengstoffanschläge von Seiten der Rebellen. Am 16. September 2012 veröffentlicht der Spiegel eine Meldung, nach der die syrischen Regierungstruppen Trägersysteme für Giftgasgranaten testen sollen. Die Schlacht um Aleppo geht weiter.

Im Oktober 2012 wird die Situation dann noch brenzliger, als syrische Truppen über die türkische Grenze hinweg feuern und dabei eine fünfköpfige Familie umbringen. Daraufhin beschießt türkische Artillerie einen nahegelegenen syrischen Militärstützpunkt. Das türkische Parlament gibt der Regierung freie Hand für Folgeaktionen, türkische Bürger, die dagegen protestieren werden mit Tränengas bekämpft. Der Konflikt droht zum Flächenbrand zu werden. Zugleich wird berichtet, daß auch im Libanon syrische Bomben einschlagen.

Es tauchen Videos auf, die Kriegsverbrechen von rebellischen Soldaten an Regierungstreuen zeigen. Der Konflikt gewinnt so auch in den Augen der Weltöffentlichkeit an Schärfe. Im Januar 2013 greift dann Israel einen Konvoi der Hisbollah an, der von Syrien in den Libanon unterwegs ist, wobei auch iranische Soldaten, die den Konvoi wohl begleitet haben, ums Leben kommen. Syrien und der Iran drohen mit Vergeltung. Der Konflikt hat mittlerweile rund 70.000 Menschen das Leben gekostet, insbesondere die Schlacht um Aleppo kostete viele Leben. Es kommt zu weiteren Grenzzwischenfällen zwischen Syrien und Israel, die sich nach wie vor seit 65 Jahren im Kriegszustand befinden.

Die syrische Opposition erstarkt am Beginn des Jahres, nimmt wichtige Punkte ein und beginnt mit dem Mörserbeschuß auf die Stadt Damaskus, woraufhin die UN ihre Leute dort abzieht. Die Studenten von Damaskus haben nicht so viel Glück: 20 von ihnen sterben als eine Mörsergranate in ein Universitätsgebäude einschlägt. Dennoch gelingt es der Armee, nach und nach die Stadt zurückzuerobern und zugleich die Rebellen in Aleppo schwer zu bedrängen. In der Stadt steht kaum mehr ein Stein auf dem anderen. Im April folgen erste Berichte der Amerikaner über den Einsatz von Saringas in Syrien.

Moment! Was ist Sarin?
Sarin ist ein wirklich unangenehmes Zeug. Eine deutsche Qualitätsarbeit. Die Weiland für ihre friedliche Forschung bekannte deutsche IG Farben hatte unter der Leitung von Dr. Gerhard Schrader den Kampfstoff 1938 entwickelt. Der Name geht auf die drei Erfinder des tödlichen Zeugs zurück: „Schrader“, „Ambros“, „Ritter“ und „von der Linde“. Sarin ist als C-Waffe so beliebt, weil es praktisch nur im Ganzkörperanzug abgewehrt werden kann – getroffene Menschen nehmen Sarin über Schleimhäute und Augen sowie über die Lunge auf. Dabei blockiert Sarin die Übertragungswege von Nerven (Daher Nervengas) was zunächst zu Reizwirkungen, binnen Sekunden aber zu einem qualvollen Tod führt. Schließmuskeln arbeiten nicht mehr, man erbricht sich und letztendlich versagen die Atemwege und das Herz hört auf zu schlagen. Aber spät genug, daß das Opfer noch etwas von der Wirkung hat; Es erstickt während es aus sämtlichen Körperöffnungen den Körperinhalt absondert. Sarin wurde vom Irak zum Beispiel gegen die Kurden im eigenen Land oder auch gegen iranische Soldaten benutzt.
Der reizende Dr. Schrader im Übrigen hat zuvor noch das Wundermittel Tabun entwickelt, ein Kampfstoff, der für Angstzustände, Lähmungserscheinungen und schließlich Ersticken sorgt. Auch hübsch langsam. Die Wehrmacht hatte rund 12.000 Tonnen von dem Zeug hergestellt, es aber doch nicht eingesetzt sondern dann lieber in der Ostsee versenkt. Das macht die Fische dort glücklich und entweicht seit einigen Jahren, weil die Behälter durchrosten. Muß ein deutsches Qualitätsprodukt sein.
Für seine tollen Erfindungen (er hat noch ein paar Giftstoffe entwickelt, diesmal aber mehr gegen Pflanzen und Tiere als gegen Menschen) wurde Dr. Schrader 1956 von der Gesellschaft Deutscher Chemiker die Adolf-von-Baeyer-Gedenkmünze verliehen.

Im Mai 2013 kommt es erneut zu Grenzzwischenfällen an der türkisch-syrischen Grenze. Sprengstoffanschläge und Racheaktionen wechseln sich ab. Parallel dazu greift Israel vermehrt Ziele in Syrien an, weil es befürchtet, daß Syrien die Hisbollah mit Waffen versorgt. Die UN benennt Zeugen für syrische Giftgasangriffe Mitte Mai, auch die Türkei lässt ähnliches verlauten. Die Regierung geht derweil wieder in die Offensive. Rebelleneinheiten überschreiten im Juni offiziell erstmals die Grenze zum Libanon um dort einen Stützpunkt der Hisbollah anzugreifen. Die syrische Regierung behauptet unterdessen, in einem eroberten Rebellenstützpunkt ihrerseits Saringas gefunden zu haben. Nun überschlagen sich die Ereignisse. Während international heftig verhandelt wird und ausgerechnet Österreich sich laut zu Wort meldet, die Amerikaner und Briten mit Jordanien zusammen ein Manöver in Jordanien abhalten und Russland diplomatisch auf die Bremse tritt, verlangen die Rebellen sofortige Unterstützung in Form von Waffen und kündigen an, andernfalls nicht für Friedensgespräche bereitzustehen. Unterdessen werden die Gefechte, speziell rund um Aleppo immer heftiger. Rebellen zünden in einem Dorf mehrere Häuser an und töten gezielt Schiiten, Sunnitische Geistliche rufen zum heiligen Krieg gegen die Schiiten und ihre Vertreter, insbesondere den Iran, die Hisbollah und Assad auf.

Die Reaktion besteht nun darin, daß der Iran Soldaten nach Syrien geschickt hat. Rund 4.000 waren der Plan, zumindest aber sind Soldaten der iranischen Garde in Damaskus. Offiziell, um die syrische Regierung vor einem Angriff der Amerikaner zu beschützen, nicht um gegen die Sunniten zu kämpfen. Russland zieht seine Soldaten aus der russischen Marinebasis in Tartus zurück. Dafür schließen die Türkei, der Irak und Jordanien vorsichtshalber die Grenzen für Flüchtlinge. An der türkischen Grenze kommt es zu Gefechten zwischen kurdischen und Rebellenkämpfern, Granaten töten auf der türkischen Seite der Grenze Zivilisten (darunter einen 15-Jährigen Jungen), das türkische Militär beschießt beide Seiten.

Es kommt zu Häufungen von Gefechten zwischen kurdischen Milizen und islamistischen Kämpfern, insbesondere der Al-Nursa-Front. Wenn es nicht so tieftraurig wäre, fiele einem an dieser Stelle Monty Pythons ‚Life of Brian‘ ein. Islamistische Kämpfer, die sich nach und nach entweder von der Opposition losgesagt haben oder aber selbige zu dominieren versuchen gehen nun auch rücksichtslos gegen Christen und andere religiöse Minderheiten im Land vor. Es kommt zu Massakern.

Am 21. August schließlich melden Rebellenstreitkräfte, sie seien mit Giftgas angegriffen worden. Das war vor ein paar Tagen. Und jetzt hat es auch die deutsche Presse mitbekommen.

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Soweit der kurze historische Abriß. Es kämpfen also:

  • Die syrische Regierung, an ihrer Seite die Schiiten der Hisbollah, unterstützt von Russland, China und dem Iran

gegen

welche so halb, also nicht wirklich, aber auch kämpfen gegen ihre Verbündeten

welche aber wiederum kämpfen gegen

Die Lage ist also mehr als verworren, auch weil niemand sich einzugreifen traut. Obama zögert durchaus zu Recht – greift Amerika in den Konflikt ein und tötet womöglich iranische Soldaten auf syrischem Boden wären sämtliche Versuche, mit dem Iran überhaupt wieder in Gespräche zu kommen, dahin. Dennoch muß etwas getan werden.

Seit nun mehr als zwei Jahren tobt in Syrien der Bürgerkrieg. Was als Versuch der Demokratisierung des Landes begann ist inzwischen ein ziemlich unüberschaubarer Konflikt zwischen der syrischen Regierung (unter anderem auch von der Hisbollah unterstützt), den oppositionellen Truppen (zu denen neben demokratisch gesinnten Gruppen auch so freundliche Zeitgenossen wie die Taliban oder die Muslimbrüder gehören) und den – in der Presse meist vernachlässigten weil politisch unbequemen – kurdischen Truppen geworden.

Das Ergebnis ist ein Krieg, dem der Westen seit zwei Jahren zuschaut, der neben interessanten Kulturstätten vor allem rund 100.000 Menschen umgebracht hat, viele davon Zivilisten, viele davon Kinder. Es hat keinen interessiert weil man „sich ja nicht einmischen darf“. Die arabische Liga tut nichts, Israel wetzt höchstens die Messer und der Westen sonnt sich in einem überheblichen Gefühl von Pazifismus. Nun bricht irgendwer mutmaßlich dort die Regeln und bringt nun Kinder statt mit westlichen Bomben mit Giftgas um und auf einmal ist es ein ″eklatanter Bruch″ des Kriegs- und Völkerrechts.

Der Westen sollte sich die Heuchelei sparen. Erstens hat er die Waffen für den Konflikt bislang geliefert (und ich bin sehr gespannt, wer da Giftgas liefern konnte. Da gibt‘s doch sicher auch was von Ratiopharm?), zweitens hat er sich nicht im Mindesten für tote Kinder interessiert solange genügend übrig blieben, um weiterhin Waffen zu kaufen.

Kriegsgebiete, auch Bürgerkriegsgebiete, müssen manchmal mit Zwang von der Weltgemeinschaft (!) demilitarisiert werden. Und das heißt nun leider auch, daß da mitunter mit der Feuerkelle dazwischengefahren werden muß. Das ist sicher nicht schön, aber anders kaum zu bewerkstelligen. Schon jetzt hassen sich die Konfliktparteien bis aufs Blut und tiefer, der Konflikt wird nur weitergetragen in die nächsten Generationen wenn man die Menschen sich ″halt die Köpfe einschlagen lässt, wenn sie wollen″, wie man heute unter so manchem Zeitungsartikel lesen konnte….

Pazifismus um des Pazifismus willen ist der Gipfel des arroganten Egoismus, wenn er einen daran hindert anderen, die Not leiden, zu helfen. Aber sich in Pazifismus zu hüllen, während man allen Beteiligten fröhlich Waffen verkauft, ist der Gipfel der Heuchelei. Und da hat der Westen im ganzen Nahen Osten eine lange Tradition.

Wir – als Westen – haben dem Treiben dort nun 100.000 Tote lang zugesehen. Wieviele Tote braucht es denn, damit sich die Staatengemeinschaft mal zum Handeln aufrafft?

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Anmerkung zum Schluß: Der hier von mir vorgenommene und wirklich kurze chronologische Abriß der Ereignisse ist keinesfalls vollständig, sondern lediglich ein Versuch, das wichtigste in Kürze zusammenzufassen und all den Gruppen und Grüppchen und Ethnien und politischen Glaubensrichtungen, die sich da in Syrien bekriegen irgendwie soweit Herr zu werden, daß überhaupt dem geneigten Leser eine gewisse Chance zur Übersicht gegeben wird. Bitte machen Sie mich darauf aufmerksam, wenn sich irgendwo ein Fehler oder Lapsus eingeschlichen hat.
Sicherlich wäre es mehr als nur einen Artikel wert, mal auf die Situation der Christen in Syrien (die bis zum Auftauchen der islamistischen Kämpfer praktisch keine Probleme mit ihren muslimischen Nachbarn hatten) einzugehen, oder auch mal näher die verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen, die da aufeinanderprallen, zu beleuchten.
So oder so ist der Konflikt längst über eine Systemfrage hinausgewachsen – die syrische Opposition wird es verdammt schwer haben, selbst wenn sie den Konflikt gewönne, das Land zusammenzuhalten. Umgekehrt dürfte die Zeit der alawitischen Vorherrschaft zuende sein – Syrien wird sich nicht mit Gewalt befrieden lassen.

Eine Lösung habe ich auch nicht in der Tasche – mir geht es darum, den Konflikt zu verstehen und zu erfassen, denn Konflikte dieser Art sind so komplex daß es keine pauschalen Antworten geben kann – auch wenn ich andeute daß ich eine UN-Friedensmission für eine solche halten würde. Tue ich nicht. Ich halte das nur für den besten aller schlechten Wege, den der Westen noch beschreiten kann, und zwar mit den Nachbarstaaten Syriens gemeinsam. Wenn die arabische Liga und die UNO hier an einem Strang ziehen lässt sich der immense Schaden für die Region vielleicht ein wenig glätten. Vielleicht ist es aber auch nicht mehr zu schaffen. Vielleicht haben wir zulange zugesehen.

Aber Bilder von toten Kindern realpolitische Denkprozesse entgegenzusetzen ist einfach eine verdammt schwierige Sache.

Musterbeispiel: Bayerische Justiz

Vor einigen Monaten kam es an einer Schule in München zu einem ziemlich ungeheurlichen Vorgang: 29 Schülerinnen und Schüler hatten Besuch von der Polizei, die eigentlich ein Seminar zur Gewaltprävention und Zivilcourage abhalten wollte – aber als vermeintlich 5 Euro fehlten, wurden sie einer ziemlich demütigenden Leibesvisitation unterzogen.

Ende November/Anfang Dezember kochte die Geschichte relativ rasch hoch und beschäftigte eine Menge Bürger. Warum hat die Polizei derart überzogen reagiert, warum manche Schüler gezwungen sich komplett nackt auszuziehen und gar den einen oder anderen Blick in eine Unterhose geworfen? Und selbst wenn ein 5 Euro – Schein aufgetaucht wäre, was dann? 1,5 Milliarden davon sind im Umlauf, wie hätte man den zuordnen sollen?

Polizeibeamte haben hier letztendlich eine sexuelle Nötigung Minderjähriger, zum Teil wohl nicht einmal Strafmündiger vorgenommen – eigentlich eine völlig unglaubliche Geschichte. Über Januar und Februar schlief die Geschichte dann ein, immerhin begann die Staatsanwaltschaft wegen Nötigung zu ermitteln und man hatte als Bürger den Eindruck, der Rechtsstaat ist erschrocken und beginnt ein ordentliches Verfahren.

Tja, und nun? Verfahren eingestellt. Und warum? Weil die Staatsanwaltschaft befunden hat, daß eine Leibesvisitation grundsätzlich zulässig sei und weil die Eltern der Kinder keine Anzeige wegen sexueller Nötigung erstattet haben. Ob man sie überhaupt über die Notwendigkeit davon unterrichtet hat?

Bayerns Polizei und Rechtssystem
Es ist schon seltsam in unserem Bayern. Wenn man der Staatsanwaltschaft zur Anzeige bringt, daß eine Bank sich an Steuerbetrug beteiligt, kann man schon mal in der Psychiartrie landen. Einmal unbescholten in eine Drogenermittlung geraten, ohne daß dabei Drogen gefunden werden? Tja, dann ein paar Mal im Jahr bitte einem Beamten Blick auf Vorhaut und Anus gestatten. In Ihrem Haus wohnte irgendwann mal jemand, der jetzt von der Polizei gesucht wird und nicht mehr da ist? Tja, kann Ihnen passieren, daß Sie und Ihre Familie dafür verprügelt werden. Bei einem Volksfest sind Sie Zeuge einer Schlägerei? Tja, unversehrt zur Poizei gehen kann mit ausgeschlagenem Schneidezahn enden, gerade wenn Sie ein 15-jähriger Hauptschüler sind. Ihnen steht ein Transporter im Weg und Sie sind ein behinderter Rentner? Na, das kann auf die Fresse geben – und Anzeige gleich mit. Sie streiten sich mit Ihrem Freund und rufen die Polizei zur Hilfe? Au weia, das kann schon mal mit einem zerschlagenen Gesicht enden. Sie sind blind, haben ein behindertes Kind und plötzlich die Polizei im Haus? Strecken gar den Arm vor, um nicht irgendwo dagegen zu laufen? Na, dann kann es auf die Fresse geben und Sie werden gleich noch ob Ihrer Bedrohlichkeit verurteilt. Nehmen wir das Beispiel Tenessee Eisenberg. Er drohte sich umzubringen, hatte ein Messer in der Hand. Die Regensburger Polizei streckt ihn mit 12 Kugeln, davon 7 in den Rücken (!) wegen „Notwehr“ nieder, der Berufsfachschüler stirbt. Bei einem Lokalderby in München schlägt die Polizei willkürlich auf die Fans ein – die Beamten sind nicht identifizierbar (sind ja vermummt), das Verfahren wird eingestellt. Sie werden als Übersetzerin in eine Polizeidienststelle gerufen? Na, dort laufen Sie sicher freiwillig mehrfach gegen die Wand. Kommen Sie auf den blöden Gedanken, einen Polizisten zu kritisieren? Puh, wenn Sie es da lebend rausschaffen, sind Sie gut dran. Weh wird das trotzdem tun. Sie erkundigen sich nach dem Namen von Polizisten, die bei einer Kontrolle ihren astmathischen Ehemann quälen? Tja, das setzt erstmal Schläge. Echtes Fehlverhalten kann auch unlustige Konsequenzen haben: Neben Schlägen und dergleichen werden Sie am Ende halbnackt und ohne Geld in der Münchner Innenstadt ausgesetzt. Ist aber auch besser so, Sie könnten auch in der Zelle sitzen und vielleicht weil Sie betrunken sind die Notrufglocke dauernd betätigen und damit den Wachhabenden nerven. Dafür gibt es in Bayern erstmal Pefferspray zwischen die Augen.

Es muß aber nicht immer nur Gewalt sein.
Sie ermuntern Bürger dazu, ihr Recht wahrzunehmen und mal eine Ministerin zum Sachstand einer Kontroverse zu befragen? Oha – da gibt’s dann gleich Besuch von der Polizei. Kann Ihnen auch passieren, wenn Sie ein Forum betreiben und dort ein User einen Lokalpolitiker schlipstrittmäßig behelligt.

Einzelfälle
Natürlich sind das mehr oder weniger Einzelfälle, auch wenn bestimmte Reviere schon immer einen gewissen Ruf hatten und nach wie vor haben. Aber es sind vor allem gefährliche Einzelfälle. Denn derartige Vorkommnisse erschweren die Arbeit der Polizei und bringen die Mehrzahl der Beamten, nämlich diejenigen, die ehrlich und aus einem guten Ideal heraus die Bevölkerung eigentlich schützen wollen, in Verruf. Die Polizei besonders in Bayern hat bundesweit einen sehr schlechten Ruf, gilt als gewalttätig und brutal. Da ist sie zwar nicht alleine, die Polizei in Berlin oder Sachsen ist ähnlich beleumdet und in Stuttgart würde ich auch nicht unbedingt einen Uniformierten ansprechen wollen.
Wenig hilfreich ist, daß die prügelnden Beamten sich fast immer aus der Affäre ziehen können (Standardverfahren ist immer eine Gegenanzeige wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ – der Widerstand kann auch darin bestehen, auf die Aufforderung den Ausweis vorzuzeigen „Moment“ zu sagen, weil man ihn erst suchen muß) und sich die Politik in Gestalt unseres Innenministers Herrmann selbstherrlich mit dem Begriff der „Superpolizei“ gar nicht erst einmischen will.

Herr Minister – Ihre Berufsbezeichnung kommt aus dem Lateinischen, von ministrare. Das bedeutet dienen. Sie sind vom Beruf her ein Volksdiener – also benehmen Sie sich endlich entsprechend!

Das Problem, das eigentlich Problem ist nämlich, daß gegen die Beamten die sich schwer falsch verhalten nicht vorgegangen wird – und daher bei der Bevölkerung der Eindruck entsteht, die könnten machen, was sie wollen. Ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Das lässt den Bürger befürchten, daß wir alles, nur keinen Rechtsstaat mehr haben – und das ist der Anfang vom Ende.
Tatsächlich ist die Politik sich auch nicht zu blöd, die Polizei zu politischen Manövern zu mißbrauchen, es werden Zivilbeamte unter Demonstranten gemischt um einen Zwischenfall zu provozieren und eine öffentliche Legitimation dafür zu bekommen, mit Gewalt gegen politische Gegner vorzugehen. Es passiert auch in Deutschland, daß Polizisten von der Politik verheizt werden, nur um politische Gegner aus dem Weg zu räumen.

Das alles hat mit rechtsstaatlicher Ordnung und demokratischer Willensbildung nichts mehr zu tun. Man sollte aber die Tatsache, daß es in Bayern offensichtlich nicht strafbar ist, wenn man als Polizist die Genitalien von Kindern anschauen will, als deutliches Alarmsignal verstehen.

Wie vermeidet man eigentlich… Müller?

Man sollte ja grundsätzlich der Firma Molkerei Alois Müller GmbH & Co. KG („Müllermilch“) keine Produkte abkaufen. Nicht nur, weil Müller gentechnisch verändertes Futter für die Milchkühe nachgewiesen wurde (Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 2010 darf man sogar „Gen-Milch“ sagen, obwohl das faktisch falsch ist), sondern vor allem weil Müller mit Hilfe von Steuergeldern Arbeitsplätze vernichtet hat.

Echt? Es gibt da so einen im Netz seit Jahren kursierenden Text, der Theo Müller eine Menge unterstellt, auch eine – wohl eher auszuschließende – Nähe zur NPD. Müller ist in der CSU (logisch) und hat sein natürliches Habitat im allgegenwärtigen bayerischen Spezltum gefunden. Allerdings ist es richtig, daß Müller mit Hilfe von EU-Subventionen (und damit mit Ihrem Steuergeld!) Arbeitsplätze vernichtet hat. Zudem hat er die Kleinaktionäre von Sachsenmilch beim Kauf gleich mal über den Tisch gezogen. Das war alles völlig legal, es mangelte da halt nur an Anstand.

Apropos Anstand: Kaum einer wird sich daran erinnern, wie sich Müller im Kampf um den Milchpreis engagiert hatte: Die organisierten Bauern, die im Rahmen der Milcherzeugergemeinschaften für einen besseren Milchpreis stritten wurden von Müller einfach nicht mehr bedient; Müller schickte sogar einen Brief an die Bauern mit einer Austrittserklärrung aus den MEG und erklärte ihnen, daß Müller künftig die Milch von in den MEG organisierten Bauern nur für 11 cent/Liter weniger abnehmen würde. Erinnert an frühes unternehmerisches Handeln bei der Bekämpfung der Idee von Gewerkschaften. Demonstrationen von Seiten der Bauern waren natürlich auch unerwünscht.

Am Standort Leppersdorf (der mit der Subventionsgeschichte) sitzt die „Sachsenmilch“, auch ein Teil von Müller. Dort wollte Müller eine Müllverbrennungsanlage zur Stromerzeugung für den Eigenbedarf bauen, was die Bewohner aber gar nicht lustig fanden und per Bürgerentscheid abgelehnt haben. Müller als christsozialer Unternehmer sah den demokratisch bekundeten Bürgerwillen und verschob daraufhin die geplante Anlage um fünf oder sechs Meter und schon war es ein „anderer Standort“, der nicht vom Bürgerentscheid berührt war. Unternehmerisches Handeln passt eben nicht immer zur Demokratie. Also gab es einen neuen Anlauf zum Bürgerentscheid, diesmal beendete die Firma allerdings die Planungen für das Kraftwerk, wahrscheinlich weil klar war, wie das ausgehen würde. Dank ausgiebiger Freundschaften der Firma zur Landesdirektion Sachsen ist inzwischen trotzdem ein Kraftwerk genehmigt, allerdings immerhin ein Gaskraftwerk.

Auch im Umgang mit Körperverletzung ist Theo Müller nicht gerade zimperlich, freute er sich doch darüber, daß man Greenpeace-Demonstranten bei Minusgraden vor seinem Werk naßgespritzt hat und ging selbst auch schon einmal auf Demonstranten und Reporter los. Natürlich zahlte er dann ein bißchen Geld an karitative Einrichtungen (nicht etwa an die Opfer), damit das Verfahren eingestellt wird. Daß der Mann seine Steuern nicht bei uns zahlen möchte und deswegen in die Schweiz geflüchtet ist, muß man nun nicht extra erwähnen, oder?

Fazit: Kaufe nicht bei Müller

Nur wie vermeidet man es, der Firma sein Geld zu überlassen, wenn auf der Verpackung gar nicht „Müller“ draufsteht? Ein schönes Beispiel sind die Produkte der (bis 2000 staatlichen) Molkerei Weihenstephan. Auf deren Unternehmensseite findet sich nicht der kleinste Hinweis darauf, daß die Firma in Wahrheit der Unternehmensgruppe Theo Müller gehört.

Auch bei der Sachsenmilch („Pink macht glücklich“, *kicher*) in Leppersdorf steht nicht, daß es Müllermilch ist. Vielleicht liegt es am Datenschutz laut Impressum: „Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, den Belangen des Datenschutzes so umfassend wie möglich Rechnung zu tragen.“, steht da. Sogar die Beteiligung von Müller wird geschützt. Immerhin, auf der Unternehmenswebsite mit dotcom dahinter findet sich unter Stellenangebote ein Querverweis auf die Muellergroup.

Da kann man sich Informieren, was man nicht einkaufen sollte. Ich zähle auf:

1. Milchprodukte:

2. Andere:

Es gibt weitere Unternehmensteile, zum Einen die internationalen wie in Großbritannien (Müller UK und Müller Wiseman Dairis), Italien (Müller Italien), Holland (Almhof), Tschechien (Mlékárna Pragolaktos) oder Polen (Lisner), zum Anderen natürlich die Bestandteile, die für den Be- und Vertrieb der Müllerprodukte nötig sind wie OptiPack (Verpackungen), Culina (Logistik), Fahrzeugtechnik Aretsried (Wartung) und Müllerservice (Management). Gerade letztere wird man als Endkunde aber praktisch gar nicht antreffen, erstere bei Reisen – und bei uns auch im Supermarkt! – vielleicht schon.

Das war nun eher einfach. Der komplizierte Teil ist es, die Eigenmarken der Supermärkte zu identifizieren, die in Wahrheit Müller, bzw. TMA-Molkerei-Produkte sind. Das steht – oh Wunder – nicht auf der Unternehmensseite von Müller. Hier ist man auf Hilfe wie die Seite Wer-zu-Wem angewiesen, die versucht, eine vollständige Liste aufzuführen. Ich beziehe mich daher bei den folgenden Angaben auf diese Seite und hoffe, daß die das einigermaßen aktuell halten.

Aldi:
Milch Milsani (Aldi Nord) (Sachsenmilch)
Desserts Ursi (Aldi Nord) (Sachsenmilch)
Joghurt milfina (Aldi Nord) (Sachsenmilch)
Cremadiso Joghurt (Aldi Nord) (Sachsenmilch)
Desira Milchreis (Aldi Süd) (Sachsenmilch)
Ofterdinger Fleischsalat (Aldi Nord) (Homann Feinkost)
Wonnemeyer Fleischsalat (Aldi Süd) (Homann Feinkost)
Delikato Tomaten Ketchup (Aldi Nord) (Homann Feinkost)
Zigeunersalat (Aldi Nord) (Homann Feinkost)

Lidl:
Pianola Joghurt (Sachsenmilch)
KingFrais Grießdessert (Sachsenmilch)
Milbona Buttermilch (Sachsenmilch)
Lisner Feine Sahne-Heringsfilets (Nadler)
Vitakrone Thunfischsalat (Homann)

Edeka:
Heringsfilets Gut & Günstig (Nadler)

Kaufland:
K-Classic Sahne Milchreis (Sachsenmilch)

Rewe:
Salatdressing Sylter Art (Rewe) (Homann)
Ja! Fleischsalat (Homann)

Die hier genannten sind allerdings sicher nur ein kleiner Ausschnitt; Nadler und Homann habe ich zum Beispiel auch bei Tengelmann schon gesehen, deren Eigenmarken „Star Marke“ und „Attraktiv und Preiswert“ haben auch Firmen hinter sich, die man mit Hilfe von Büchern gut entschlüsseln kann – vielleicht komme ich mal dazu, auch die endlich zu lesen. Bei Lidl kann man sich grob daran orientieren, grundsätzlich keine Waren der Marke „Milbona“, bei Aldi keine der Marke „Milsani“ zu kaufen. Weiterhelfen kann bei anderen Produkten die Veterinärkontrollnummer, die mit denen der Stammhäuser Sachsenmilch (SN 016) und Alois Müller (BY 718) übereinstimmen. Immerhin, diese Marken konnte ich (mit Hilfe der EWG Prüfziffernliste)  identifizieren bislang:

  • Almsana
  • Biac
  • Duo’R
  • Der Käsermeister
  • elite
  • Grazil
  • Mibell
  • Naturis
  • Norasan
  • Pianola
  • TIP.

Was ich in dieser Woche sicherlich noch machen werde ist, eine ungefähre Aufstellung zusammenzusuchen, welcher Supermarkt da eigentlich wem gehört; Das ist auch ein bißchen kompliziert.

Aber wir wollen ja nicht abschweifen; Ziel des Artikels war es ja, den Menschen, die versuchen ein bißchen verantworetungsbewußt einzukaufen und Unternehmergeistern wie Theo Müller aus dem Weg zu gehen, einen kleinen Leitfaden zusammenzustellen.

Freiheit beim Einkaufen? Mitnichten.

Natürlich haben wir auf den ersten Blick einen freien Markt; Wenn Sie bestimmte Produkte kaufen wollen weil sie Ihnen schmecken ist das Ihr gutes Recht. Wenn Sie allerdings manche Firmen wegen ihrer Methoden aussparen wollen, haben Sie schon bedeutend schlechtere Karten, weil die Firmen nicht gezwungen sind, draufzuschreiben was wirklich drin ist.

Wer versucht, verantwortungsbewußt und vielleicht auch nachdenklich einzukaufen wird von dem beinahe unentwirrbaren Geflecht auf dem Markt daran gehindert – nicht nur was die Eigenmarken angeht, sondern auch bei „richtigen“ Marken – denn wem gerade welche Firma gehört ist zwar öffentlich nachvollziehbar, aber so komplex und variabel, daß praktisch keine Chance besteht. Das ist keine Freiheit, sondern das Gegenteil.

Daran müsste die Politik eigentlich dringend etwas ändern. Die Freiheit braucht nämlich eine Vorbedingung: Infomation. Wahlfreiheit kann ich als Konsument nur haben, wenn ich auch informiert werde wo was drin ist. So wie Demokratie auch nicht ohne Bildung und unabhängige Information auskommt.

Ich würde die Leserschaft dieses Artikels darum bitten, mir weitere Beispiele für „Müller drin – nicht drauf“ zu schicken – am besten an Lastknightnik (at) googlemail.com. Vielleicht schaffen wir ja mal eine vollständige Liste. Helfen können einem Seiten wie der food monitor, allerdings muß man da bezahlen um an alle Infos ‚ranzukommen.

Fundstück der Woche (40. KW): Tag der deutschen Einheit

Zum heutigen Tag der deutschen Einheit eine Wiederholung: Eine gewisse Hilfe bei der Erkenntnis wie das mit der Angleichung der Verhältnisse von Ost und West so geklappt hat. Unterschied: Im Osten haben sie die Demonstranten gewähren lassen. Hier hat die Polizei natürlich „Die Freiheit“ anders vorzugehen.

Oh – und weil ich mir’s doch nicht verkneifen kann: Einen schönen Gruß an alle Grünenwähler in Baden-Württemberg!

Von der kritischen Betrachtung neuer Medien

Im journalistischen Alltag dieser Republik gibt es ein Phänomen, dessen Zweck und Daseinsbestimmung darin besteht, moderne Medien mit Gewalt in Verbindung zu bringen. So sollen Computerspiele Jugendliche gewalttätig machen und zu irrsinnigen Taten anstiften. Das ist etwas ganz neues, bestimmt.

Nur – ich glaube das nicht. In der Geschichte hat es immer wieder den gleichen Vorgang gegeben: Ein neues Medium entsteht und wird erfolgreich – und schon deutete der Konservative es als Bedrohung für alles „was gut und richtig ist“ – womit er meint, für alles was er kennt. Glauben Sie nicht?

Das finstere Theater, der böswillige Fußball

Im Jahr 2002 kramte der spätere PDS und WASG – Politiker Helge Meves für diesen Artikel einen Text von Philipp Stubbe heraus, und zwar „the anatomy of abuses in England„, also die „Anatomie der Mißstände in England“. Darin wehrt sich der Puritaner Stubbe massiv gegen die aus seiner Sicht geradezu obszönen Formen der Unterhaltung wie beispielsweise das Theater nach William Shakespeare.

Auch anderes kam nicht gut weg. Die Anatomy of Abuses beschreibt zum Beispiel Fußball so: „Ein teuflicher Zeitvertreib (…) der Neid, Groll und Bosheit wachsen lässt, und manchmal gar zu Streit, Mord, Totschlag und großem Blutverlust führt.“. Auch Tanz ist nicht gerade gesund: „Manche haben ihre Beine beim Hüpfen, Springen, Drehen und Kopfschlagen gebrochen (…) Männer und Frauen gemeinsam (…) bei öffentlichen Versammlungen mit grosser Beteiligung, mit so viehischem Geifern, Küssen und schlechtem Betragen (…) jeder Hüpfer oder Sprung im Tanz führt sie der Hölle näher.“

Infolge dieses Denkens wurde 1612 eine spezielle Order erlassen, die ein „Verbot der Gigues am Ende der Stücke aus dem Grunde, dass die unzüchtigen Gigues, Lieder und Tänze (…) es zum Sammelpunkt von Beutelschneidern und anderen übelgesinnten Personen machten und zu Verletzungen des Friedens führten.“

Für das Theater, bei dem es ja bekanntlich auch nur um Unkultur geht, fand Stubbe noch deutlichere Worte:
Bei ihren geheimen Treffen betreiben sie dann Sodomie und Schlimmeres. Und dies ist die Frucht von Schauspielen und Interludien, zum größten Teil. (…) wenn Du lernen willst zu morden, zu schinden, zu töten, zu klauen, zu stehlen, zu rauben, zu vagabundieren; wenn Du lernen willst, dich gegen Fürsten zu erheben, (…) dann brauchst du in keine andere Schule zu gehen, denn all diese guten Beispiele kannst Du in Interludien und Schauspielen vor deinen Augen ausgemalt sehen.“

Man kann deutlich erkennen, was uns das Theater antut: Es macht uns alle zu Mördern, zu Gotteslästerern und zu Widerstandskämpfern gegen die Obrigkeit. Und sowas wird im Deutschunterricht behandelt!

Die brutale Literatur

Apropos Deutschunterricht: Ganz übel ist ja die Unterhaltungsliteratur. Oder, um es christlich zu formulieren, die Schmutz- und Schundliteratur. Damit gemeint ist die besonders im 19. und 20. Jahrhundert aufkommende Welle von Abenteuer- und Unterhaltungsromanen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts sogar zu erotischer Literatur führten. Nicht, daß es dergleichen nicht vorher auch schon gegeben hätte – Goethes „Werther“ zum Beispiel mußte deutlich entschärft werden bevor er auf den Markt kommen durfte, er war an einigen Stellen dann doch zu direkt und deutlich. Nicht nur das – der „Werther-Effekt“ beschreibt ein Phänomen, das Jugendliche durch Literatur angestiftet worden sind, sich umzubringen. Das lesen Jugendliche in der Schule, wissen Sie!

Literatur hat sogar weitergehende, gefährliche Einflüsse, wie das unten stehende Beispiel sehr schön zeigt:

 

 

 

Ein junger Mensch von 17-18 Jahren geht aus meinem Dorfe vor etwa zehn Jahren ins ‚Niederland‘ in Arbeit. Zurückgekehrt macht er seine Kameraden mit einem Buche bekannt, das Aufschluß gibt über die lüsternen Dinge. (…) Einer von diesen jungen Leuten, ein körperlich wie geistig nicht völlig normaler Mensch, arbeitet später als Handwerksgeselle in der Großstadt, sucht hier die Gelegenheit zu dem, wovon er durch das Buch Kenntnis hat – und versinkt im Sumpf des Lasters. Er kommt zurück, teilt den Genossen seine Erlebnisse mit, und da es ihm hier an solchem Umgange fehlt, lockt er kleine Kinder zu sich heran und vergeht sich mit ihnen, wie sich später herausstellt in der schwersten Weise. (…)

Wie Sie sehen, machen Bücher über ‚lüsterne Dinge‘ Menschen zu Kinderschändern. Welch Fluch das Buch also für die Gesellschaft ist.

Das mordende Kino

Damit aber nicht genug! Denn die Menschen begannen Anfang des 20. Jahrhunderts den „Bildern das Laufen beizubringen“ – der Film wurde erfunden und praktisch im gleichen Atemzug dann auch der Pornofilm. Aber schon die unterhaltende Branche war schlimm. Oftmals zitiert wurde ein Aufsatz von Robert Gaupp (Über die Gefahr des Kinos in: Süddeutsche Monatshefte 9 (1911/ 12), S. 363-366; Nachdruck in Jörg Schweinitz (Hrsg.): Prolog vor dem Film 1992 ) und daraus hat Meves diesem Abschnitt zitiert gehabt: „(…) Die widerliche Spekulation auf die Freude der Menschen am Krassen und Schauerlichen, am Sentimentalen, am sexuell Aufregenden macht sich breit. Von historischen und politischen Ereignissen früherer Zeit bekommen wir namentlich grauenerregende Dinge zu sehen: die Schrecken der Bartholomäusnacht, die Folter der Inquisition, die Grausamkeiten der russischen Justiz. (…) Zerrbilder von Elend und Not, Armut und Krankheit erzeugen quälende Gedanken über die Ungerechtigkeit der Welt, rauben die Achtung vor dem Gesetz und staatlicher Autorität (…) Für noch gefährlicher halte ich die grauenhaften Darstellungen aus dem Verbrecherleben … auch der Selbstmord wird mit allem nur denkbarem Grauen im Kino vor Augen geführt. Die Zeitungen melden uns erschreckende Vorkommnisse, bei denen jugendliche Personen das im Kino gesehene Verbrechen in der Wirklichkeit nachahmen wollen.“

Auch hier folgt wieder der Fall – das Kino macht die jungen Menschen zu Selbstmördern, zu Verrückten, zu gefährlichen Menschen und vor allem zu richtig ungehorsamen Wesen!

Das Selbstmörderische Fernsehen

Derartiges findet sich erst recht beim Fernsehen wieder, der nächsten Stufe der „Vergewaltung der Gesellschaft“. Auch das Fernsehen macht uns krank, bringt uns zu Gewalttaten und anhand des Beispiels der Sendung „Der Tod eines Schülers“ (eine Arbeit dazu findet sich hier auf Seite 6) wird der Nachahmungseffekt exemplarisch deutlich gemacht. Damals stieg die Suizidrate nach einer sechsteiligen Sendung recht brutal in die Höhe, ähnlich wie das durch den Werther geschah. Blieb dort allerdings nicht sondern sank wieder, wenn auch nicht ebenso rasch.

Das verstandraubende Rollenspiel

Aber die Macher unseres Untergangs sind ja noch nicht fertig – sie erfanden Rollenspiele! in den 60er Jahren erfanden zwei Männer namens Gary Gygax und Dave Arneson das Pen&Paper Rollenspiel, das in den 70er und 80er Jahren einen Boom erlebte. Rollenspiele, eine frühe Form der interaktiven Geschichte, quasi ein neues Medium des Interaktiven Erzählens beschäftigten viele junge Menschen und fanden sofort wieder Gegner, diesmal wieder aus der christlich-konservativen Ecke. Woher auch sonst?

1980 brachte sich der gerade einmal 18 Jahre alte Schüler James Dallas Egbert III um – und war selbst ein Rollenspieler. Diesen Fall als Ausgang nehmend – und dabei auch möglichst die Fakten ignorierend – machte eine recht lautstarke Bewegung auf sich aufmerksam, die das Rollenspiel als Teufelei wider die natürlich Ordnung verstand und die junge Menschen dazu bringe, Menschen für Objekte zu halten und zu töten, sie in den Selbstmord treibe und überhaupt, da treffen sich die jungen Leute und tun – ja, was miteinander?

Gut, sie spielen, so wie andere Leute sich treffen und Karten spielen. Aber das ist nicht gut, dagegen muß man vorgehen. Zweifelhafte und sicherlich interessante Höhepunkte dieser Bewegung sind der Roman „Mazes and Monsters“ von Rosa Jaffe und der darauf basierende Film „Labyrinth der Monster“ – einem der ersten Filme von Tom Hanks.

Sie haben sicherlich bemerkt, daß die christlichen Bewegungen hier zu „Schundliteratur und Gewalttätigkeitsfilm“ gegriffen haben, um ihre Kampagne voranzutreiben. Aber Zwecke heiligen ja bekanntlich Mittel. Die Bewegung „Bothered About Dungeons And Dragons“ definierte ihre Existenz sehr deutlich: „Dungeons & Dragons ist ein Fantasy-Rollenspiel, das Dämonologie, Hexerei, Voodoozauber, Mord, Vergewaltigung, Gotteslästerung, Geisteskrankheit, Suizid, Attentate, sexuelle Perversion, Homosexualität, Prostitution, satanische Rituale, Glücksspiel, Barbarei, Kannibalismus, Sadismus, Schändung, Geister- und Totenbeschwörung, Hellseherei und andere Lehren nutzt.“

Ähnlichkeiten mit vorangegangenen Beispielen sind sicherlich kein Zufall.

BADD löste sich 1990 auf, nachdem der Science-Fiction Autor Michael A. Stackpole seinen „Pulling Report“ veröffentlichte und darin die fragwürdigen und manipulierenden Methoden der BADD nachwies. Das bedeutet aber nicht, daß die Idee einer solchen Bewegung gestorben wäre.

Das Mörder machende Killerspiel

Nun sind wir in der heutigen Zeit – eine Zeit die nicht nur vom Computerspiel als Unterhaltungsmedium entschieden beeinflusst wird sondern deren digitale Community-Erschaffung auch eine neue Gesellschaft bildet, deren genaue Entwicklung wir in Wahrheit weder absehen noch begreifen können. Die Cyber-Demokratie kommt, so orakelten manche noch vor kurzem, andere sehen in dem daraus sich ableitenden Unterhaltungsangebot, das ja ein nicht unerheblicher finanzieller Motor dieser Entwicklung ist, die Vorboten unseres Untergangs.

Der Begriff Killerspiel, eine inflationär gebrauchte Bezeichnung für Ego-Shooter, impliziert eigentlich nicht ein Spiel, in dem „gekillt“ wird sondern versucht den Link zu einem Killer, also einem Mörder herzustellen. Dieselben Leute, die wutentbrannt aufschreien wenn jemand Tucholsky zitiert und „Soldaten sind Mörder“ schreibt, schreiben nun im Grunde „Spieler sind Mörder“. Jeder Mensch, der Computerspiele spielt ist also ein Mörder, oder, um mit Dieter Hildebrand zu sprechen, ein „potentieller Mörder“.

So werden Computerspiele mit allem in Verbindung gebracht, was irgendwie schlecht ist in der Welt: Terrorismus oder Amokläufe, Selbstmorde, Beziehungszerfall oder unregelmäßiges Niesen. Kein Anlaß ist zu nichtig, auch wenn sich die kritischen oder wenigstens nachdenklichen Stimmen durchaus mehren.

Foll finsteres Fazit

Ja, da ist ein Rechtschreibfehler aber ich brauchte hier eine Alliteration. So etwas ist auch ein Spiel, eines mit Sprache eben, und es macht niemanden zum Mörder. Unterhaltung ist längst nicht nur ein Teil unserer Gesellschaft und zumindest im Westen sicherlich einer der wichtigsten Wirtschaftszweige – wenn man den Profisport dazurechnet denke ich mal, daß im Unterhaltungsbereich am meisten Geld umgesetzt wird. Ich habe zu dieser Behauptung keine Zahlen finden können und wäre dankbar um Hinweise.

Unterhaltung hatte schon immer mit Gewalt zu tun – jeder Krimi hat seine Leiche, jedes Drama seinen Mord. Offensichtlich ist es ein für den Menschen durchaus wichtiges Detail der Unterhaltung, daß Gefahr und Tod dabei sind – wir fiebern mit Helden mit die in Lebensgefahr geraten und freuen uns wenn sie es schaffen beziehungsweise leiden ein bißchen wenn sie es nicht schaffen.

Das ist seit Jahrhunderten so – mittelalterliche Romane sprechen Bände davon und erst antike Geschichten bis hinunter zu homerischen Zeiten? Da wird gemordet und überlebt was das Zeug hält, es zerbrechen Ehen und Beziehungen, da wird erschlagen und gewütet, geliebt und gestraft so weit das Auge reicht.

All das war schon immer Unterhaltung und ist es auch heute. Die neuen Medien steigern lediglich die Unmittelbarkeit des Erlebens oder geben dem Konsumenten die Möglichkeit, Protagonist zu sein, sich auszuleben. Das wird an nicht wenigen Stellen zu unbequemen Erkenntnissen führen, auch mitunter über sich selbst. Eine mögliche Endstufe ist sicherlich das „Holodeck„, das in der Fernsehserie „Star Trek: The Next Generation“ sehr ausgiebig behandelt wurde und innerhalb der Serie auch als Idee diskutiert werden konnte.

Ich gehe felsenfest davon aus, daß nahezu jedes neue Medium seine Kritiker finden wird. In der Regel stets Leute, die es nur vom Hörensagen kennen, begleitet von (eben meist konservativen) Politikern die mit einer gewissen Panikmache und dem damit verbundenen Versprechen „etwas zu tun“ Punkte zu sammeln erhoffen. Meistens hat das nichts mit Überzeugung zu tun sondern es geht in der Regel nur darum, Menschen die keine Ahnung haben vorsichtshalber für sich zu gewinnen, bevor sie aufgeklärt werden können.

Im Grunde ist das schade, auch wenn ein gesundes Mißtrauen gegenüber allem Neuen nicht unbedingt dumm oder verkehrt ist. Ich vermute mal, daß dies am treffendsten der als Philosoph leider kaum beachtete Douglas Adams zusammengefasst hat:

Ich habe ein paar Regeln aufgestellt, die unsere Reaktion auf technische Neuerungen beschreiben:

1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.

2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen.

3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Die beiden Grafiken entstammen einem Scan des „Wächters von Jugendschriften“ vom 15.10.1910. Danke an dieser Stelle an Johanna Altheintz

Weil es durchaus Interesse wecken könnte, woher ich so alles bezogen habe, sei hier eine weiterführende Linklist gegeben. Ich bin nicht mit jedem Link einer Meinung, aber um das Thema zu vertiefen ist dies erst einmal geeignet:

Dissertationen:

Medium und Initiation. Béla Balázs: Märchen, Ästhetik, Kino Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz vorgelegt von Hanno Loewy aus Frankfurt am Main

Medienrevolutionen und Redereflexe. Die Etablierung neuer Medien im Spiegel ihrer Diskurse. Dissertation
am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Gesamthochschule Siegen vorgelegt im Jahr 2000 von Tilman Welther
Eine hochinteressante Arbeit!

Gesammeltes:


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