Zur Krim-Krise

Russland als Reich des Bösen, Ukrainer im verzweifelten Verteidigungskampf, Putin gegen die Demokratie – die Medien sind im Fressrausch und haben in geradezu choreographierter Form zuerst eine Position bezogen und vermeiden nun jedwede Form von Diskussion. Ein Versuch.

Zunächst einmal: Das Vorgehen Russlands ist höchst zweifelhaft und wer Putin für einen lupenreinen Demokraten hält hat sicherlich nicht alle Latten am Zaun. Umgekehrt aber stellt sich schon auch die Frage, mit welchen Figuren die EU da in der Ukraine zusammenarbeiten möchte und worum es eigentlich geht. Letztendlich tauchte im Rahmen der Berichterstattung rund um die Vorgänge in der Ukraine ziemlich plötzlich eine „Russische Aggression“ auf, die mit einem vermeintlich fadenscheinigen Plebiszit einen Anstrich von Legitimität bekommen sollte. Nur – wer sind denn eigentlich wirklich die beteiligten Akteure? Und woher kommt diese russische Forderung nach Landgewinn auf der Krim?

Will man ein Volk oder ein Land verstehen, hilft es, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Was ist eigentlich die Ukraine?

 

Die Ukraine – ein (wirklich kurzer) Historischer Abriß

Slawistik und slawische Geschichte sind nicht ohne Grund ein völlig eigener Zweig der historischen Forschung und der Geschichtsschreibung. Die slawische Geschichte berührt die westeuropäisch – römisch zentrierte Geschichtsschreibung lange Zeit nur sehr peripher.

Das Gebiet, in dem heute im wesentlichen die Ukraine liegt, ist wenigstens seit der Bronzezeit besiedelt. Im Laufe der Jahrhunderte sind durch dieses Gebiet eine Vielzahl von Völkern gewandert, darunter auch gotische Völker (die sogenannten Krimgoten), aber an der Schwarzmeerküste haben sich seinerzeit, also im 5. Jahrhundert vor Christus, sogar Griechen angesiedelt.

Die im Gebiet der heutigen Ukraine ansässigen Völker, zum Beispiel die Alanen, wurden durch den Hunnensturm im vierten Jahrhundert nach Christus vertrieben. Nicht wenige gelangten so nach Westen oder Süden, bis auf den Balkan. Gleichwohl blieben einige dieser Völker quasi ″In der Gegend″

Die Krimgoten wurden zu Beginn des Mittelalters von den Chasaren erobert – ein Turkvolk, welches ein großes Reich in Zentralasien erobert hatten und ein wichtiger Verbündeter des byzantinischen Kaiserreiches war. Im 10. Jahrhundert wurde ihre Macht allerdings von den Kiewer Rusvölkern gebrochen – und schon sind wir in der ukrainischen Geschichte.

Im Mittelalter war nämlich auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, Teilen Russlands und Polens das Großreich der Rus entstanden. Die Rus sind ein Volk das möglicherweise – das ist nicht gesichert – von Wikingern abstammte, die das Gebiet im Zuge von Handelsfahrten aus den normannischen Gebieten zum Schwarzen Meer besiedelten. Sie nannten das Gebiet Gardarike, Reich der Städte, denn die ansässigen Slawen hatten hier viele erbaut. Daraus ging das Großreich der Kiewer Rus hervor, das spätestens ab dem 9. Jahrhundert nach Christus bezeugt ist. Das Reich erlebte im 10. Jahrhundert seine Blütezeit und zerbrach an einer Größe und den ständigen Bedrohungen durch beispielsweise die Alanen, bevor es durch die Mongolen im dreizehnten Jahrhundert endgültig zerschlagen wurde.

Das mongolische Großreich – das beinahe ganz Asien umfasste und weit in den Westen und Süden Europas und Vorderasiens vorgedrungen war, beherrschte das Gebiet um die Krim herum noch bis Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, auch wenn sich große Gebiete von dem Staat der ″Goldenen Horde″ bis dahin weitestgehend abgespalten hatten – zum Beispiel das Khanat der Krim oder auch das Khanat Kasan.

Das Khanat der Krim war ein ziemlich stabiler Staat der im 16. Jahrhundert die Oberhoheit des osmanischen Reiches anerkannte und somit weitestgehende Autarkie genoß – von hier aus begann auch die Verbreitung des Islam in die nördlichen und östlichen Gebiete. Insbesondere mit den nördlich der Krim lebenden Kosaken verband das Khanat eine wechselvolle Geschichte – die Kosaken, organisiert in einem Fürstentum, dem Hetmanat, lösten sich unter anderem mit Hilfe des Khanats der Krim von dem – weiter im Westen bestehenden und mächtigen polnisch-litauischen Königreich.

Im Gebiet der heutigen Ukraine spielte das Kosakentum inzwischen eine entscheidende Rolle. Weiter östlich hatte sich im 16. Jahrhundert das Zarentum Russland formiert, das seine außenpolitischen Bestrebungen aber vor allem nach Osten richtete um die von den Mongolen beherrschten Gebiete zu erobern. In Westeuropa war das Zarentum kaum bekannt und wenn dann eher durch Berichte aus polnisch-litauischen Händen, denn es war zu weit weg. Die lange Phase des gegenseitigen Desinteresses ermöglichte es den Russen, unter anderem dem berühmt-berüchtigten Iwan dem Schrecklichen, mehr oder weniger ganz Nordasien zu erobern.

Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert kamen die Russen allerdings mehr und mehr zunächst mit den Osmanen, später auch mit dem Königreich Polen-Litauen in Konflikt. Ab den 1630er Jahren stieg in der zum katholischen Polen gehörenden Ukraine der feudale und religiöse Druck auf die orthodoxe bäuerliche Bevölkerung, was zahlreiche Aufstände der ukrainischen Kosaken zur Folge hatte. Die königlichen polnischen Truppen erlitten in der Ukraine eine Reihe von Niederlagen, dennoch litt auch der Kosakenstaat unter den Kriegen, weil der sporadisch verbündete Krim-Khan ständig die Seiten wechselte, um im fortdauernden Kriegszustand reiche Beute machen zu können. Die Kosaken wandten sich schließlich an den russischen Zaren mit der Bitte um Beistand. Auf der Rada von Perejaslawl leistete der überwiegende Teil der ukrainischen Kosaken-Elite dem Zaren den Treueeid und bekannten sich als seine Untertanen, im Gegenzug erhielt das Hetmanat weitgehende Autonomie. Zwischen Russland und Polen begann 1654 ein neuer Krieg, an dessen Ende der östlich des Dneprs gelegene Teil der Ukraine zusammen mit Kiew bei Russland verblieben.

Jetzt dringen wir wirklich in die Neuzeit vor: 1796 wurden die südlichen und östlichen Gebiete der heutigen Ukraine, die Russland von den Osmanen erobert hatte, zu einem russischen Gouvernement zusammengefasst. Die bisher fast unbewohnten Steppengebiete im Südosten wurden urbar gemacht und größtenteils mit Russen, aber auch mit Deutschen bevölkert. (Beispielsweise fördere Katharina die Große gezielt die Ansiedlung von Ausländern in Russland.)

Die Kern-Ukraine wurde in dieser Zeit auch als „Kleinrussland“ bezeichnet. Die westlichen Gebiete kamen als „Galizien und Lodomerien“ zum Habsburgerreich. Beim Wiener Kongress verhandelten unter anderem die Großmächte über die territoriale Ordnung Europas. (Russland wurde damals von Zar Alexander I. regiert, das Habsburgerreich von Kaiser Franz I.). Russland sicherte sich durch die Anerkennung seiner territorialen Gewinne in Finnland und Bessarabien die stattgefundene Ausweitung nach Westen. Von dem, was Russland bei den drei Teilungen Polens (1772, 1793 und 1795) erlangt hatte, durfte es den größten Teil (das berühmte „Kongresspolen„) behalten.

Anfang des 20. Jahrhunderts formierten sich Kräfte, die eine ukrainische Unabhängigkeit von Russland einforderten – berufen wurde sich dabei vor allem auf die unterschiedlichen historischen Hintergründe der Kosaken und der Rus-Völker. Das Deutsche Reich unterstütze diese Bewegung, nicht aus Herzensgüte sondern um den Feind in Russland während des ersten Weltkrieges abzulenken. Nach der Oktoberrevolution von 1918 entstand aufgrund dieser Bewegung die unabhängige Ukrainische Volksrepublik, die zwar von Russland zunächst besetzt, kurz darauf von den Mittelmächten aber wieder befreit wurde.1918 entstand daraus sogar kurzfristig ein deutsch kontrollierter Klientelstaat, denn im Frieden von Brest-Litowsk musste die russische Führung die Gebiete der Ukraine, Litauen und Polen an das Deutsche Reich übergeben – ein Zustand, der nicht lange anhielt. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges zogen die deutschen Truppen wieder ab und den darauf folgenden Bürgerkrieg entschieden die Bolschewiken der Ukraine für sich. Die östliche Ukraine war damit Teil der Sowjetrepublik, ebenso die formal zuerst wieder unabhängige Krim. 1922 fiel Galizien, das bis dahin als Westukraine unabhängig gewesen war, ebenfalls an die Sowjetunion. Der äußerste Südwesten der Ukraine fiel allerdings schon 1919 an die neu gegründete Tschechoslowakei.

Im Zweiten Weltkrieg war die Ukraine eines der Länder, das die Hauptlast des deutschen Holocaustes zu tragen hatte. Die ukrainische Sowjetrepublik wurde von den deutschen Besatzern zum ″Reichskommissariat Ukraine″ erklärt, zwischen 1943 und 1944 allerdings von der Sowjetunion zurückerobert. Nach der Eroberung wurde aus der Ukraine wieder die ″Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik″, die Krim hingegen formierte sich zunächst wieder als ″Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Krim″ bis sie 1954 wieder an die Ukraine angegliedert wurde, allerdings unter autonomer Verwaltung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wurde die Halbinsel Krim als „Autonome Republik Krim“ technisch Teil der Ukraine, während die Stadt Sewastopol tatsächlich ukrainischer Verwaltung untersteht.

Tja, und da sind wir nun und haben den Salat.

 

Die Krim heute

Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion wurde die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik am 24. August 1991 in den bestehenden Grenzen zum unabhängigen ukrainischen Staat, dessen Teil damit auch die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Krim wurde. Der Oberste Sowjet erklärte am 5. Mai 1992 die Republik Krim für unabhängig, doch bereits die am Folgetag verkündete Verfassung der Republik Krim beschreibt sie als Teil der Ukraine.Am 21. September 1994 wurde die Republik Krim zur Autonomen Republik Krim.

Am 6. Mai 1992 verabschiedeten die Abgeordneten des Parlaments in Simferopol die Verfassung der Republik Krim. Nach Protesten des ukrainischen Parlaments wurde diese Verfassung der ukrainischen Rechtsordnung angepasst. Die Krim verfügte jetzt über ein eigenes Wappen und eine Flagge und strebte Beziehungen zur Ukraine wie zu einem Nachbarstaat an.

Seit dieser Zeit ist die Krim ein Zankapfel zwischen dem prorussischen Block, der eigene Präsidentschaftswahlen anstrebt und letztlich unabhängig oder zu Russland gehören möchte und der ukrainischen Zentralgewalt, welche die Krim nicht aufgeben will.

1995 kommt es zu teilweise recht heftigen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine, unter anderem auch wegen der Staatszugehörigkeit der Krim. Diese Konflikte wurden 1997 durch ein Freundschaftsabkommen entschärft, bei dem Russland seine Flottenbasis auf der Krim von der Ukraine pachtete.

Die Krim bestand bis vor wenigen Monaten als autonome Republik innerhalb der ukrainischen Republik. Mit dem Referendum vom 16. März 2014 betrachtet das prorussische Parlament der Republik Krim die Entscheidung des Volkes für bindend, sich aus der Ukraine herauszulösen und Teil der russischen Föderation zu werden.

Hierbei gibt es allerdings ein Problem, das auch wir in Deutschland kennen.

Verfassungsfragen

Die ukrainische Verfassung sieht eine Loslösung einer Bevölkerungsgruppe oder eine Staatsgebietes nur dann vor, wenn ein allgemeines Referendum in der ganzen Ukraine abgehalten wird oder wenn das ukrainische Parlament in Kiew einen entsprechenden Beschluss fasst. Eine Loslösung durch ein Referendum vor Ort ist nicht vorgesehen und damit verfassungsrechtlich ungültig. Hinzu kommt, dass die internationale Staatengemeinschaft prinzipiell das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Volksgruppen unter die jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorgaben stellt – deswegen haben die Kurden keinen Staat, deswegen bleibt Tibet bei China und deswegen würde die UN auch keine Loslösung Bayerns aus Deutschland, wie beispielsweise von der Bayernpartei gefordert, akzeptieren.

Gerade wir Deutschen haben eine Reihe von Gruppierungen erlebt oder erleben sie noch, die das deutsche Bundesstaatsgebilde wieder zu einem Staatenbund umformen wollen oder sogar komplett unabhängig sein möchten.

Völkerrechtlich ist es extrem umstritten, ob ein Sezessionsrecht für regionale Minderheiten anerkannt werden soll oder nicht. Eine Seite sieht vor allem das Selbstbestimmungsrecht der Menschen als vordringlichste Rechtsnorm, die andere Seite bedenkt jedoch vor allem die Interessen von Staaten, als Ganzes erhalten zu bleiben und somit ihrer Aufgabe als Organisationen der Völker auch nachkommen zu können.

Es gibt eine Reihe von Unabhängigkeitsbewegungen, die aber teilweise auch völlig normal im Rahmen einer Verfassung ablaufen können. So will beispielsweise Grönland bald von Dänemark unabhängig werden, Gruppen von Schotten, Nordiren, und Basken sich ebenfalls von ihren Staaten lösen. Manche dieser Sezessionsbewegungen schlagen in Gewalt um, andere nicht. Sezessionskriege gab es insbesondere zuletzt in Äthiopien und Eritrea sowie im Jemen. Bis heute ist beispielsweise die Lage der türkischen Republik Nordzypern ungeklärt, die UN bewacht einen neutralen Streifen zwischen diesem – nicht anerkannten – Staat und der Republik Zypern.

Russlands Besetzung der Krim während des Referendums lässt zudem Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Artikulation des freien Volkswillens aufkommen. Außerdem erschwert die völlig undurchschaubare Situation in der Ukraine selbst jede Form von Verhandlungen. Nicht nur die Krim, auch andere Regionen fordern ihre Unabhängigkeit von der Ukraine während sich die EU unter deutscher Führung und insbesondere im Hinblick auf die Statuten der UN innerhalb der Ukraine mit proukrainischen, nationalistischen und in weiten Teilen völlig antidemokratischen Gruppierungen einlassen, die aber letztlich genauso für die Erhaltung der Souveränität eines Staates Ukraine kämpfen, wie es die EU tun (muss).

Tatsächlich ist es auch aus Sicht der EU verdammt schwierig, die Unabhängigkeit von Teilen der Ostukraine zu legitimieren, weil sich dieses Vorgehen Gruppierungen wie der ETA oder der Sinn Féin Auftrieb geben könnte, was innerhalb West- und Mitteleuropas zu Verwerfungen führen könnte.

Die Umwandlung der Ukraine in einen Föderationsstaat, also zu einem Zusammenschluss unabhängiger Regionalstaaten, widerstrebt der EU und generell dem Westen auch auf Geopolitischer Ebene. Die Ausbreitung der EU nach Osten war, solange die Außenpolitik Russland als Partner einbezog, kein großes Problem. Die Ukraine hingegen ist zerrissen zwischen prowestlichen und prorussischen Gruppen und Denkweisen und Russland möchte seinerseits nicht sämtlichen Einfluss auf die Nachbarn verlieren. Eine ukrainische Föderation würde aber in sich geteilt in einen der EU zugeneigten und einen der Russischen Föderation zugeneigten Teil – und hat damit das Potenzial, sich zu einem Zankapfel zu entwickeln.

Aus russischer Sicht ist das Vorgehen des Westens inkonsistent und verlogen. Der Westen wollte die Ukraine zunächst einmal nicht haben und setzte sich wirtschaftlich zum Teil auch über die Ukraine und auch Polen hinweg (Siehe Pipeline-Bau). Zudem ignorierte ″der Westen″ die Situation in der Ukraine lange Zeit oder betreibt gezielt eine Antirussische Politik, notfalls auch mit Antidemokraten zusammen. Russland hat durchaus ein legitimes Interesse an Einfluss und Beziehungen in der Region, die es immer noch als seinen Vorhof versteht. Wie die Forderung der EU nach mehr Demokratie mit der Zusammenarbeit mit Figuren wie Julija Tymoschenko oder auch der Partei Swoboda zusammenpasst, erschließt sich aus russischer Sicht formal nicht; Praktisch wird dahinter schlichte Großmachtpolitik der EU und der Amerikaner verstanden.

Es ist nicht einfach, hier eine klare Linie zu finden und zu vertreten. Sinnvoll wäre es, das Referendum unter UN-Aufsicht zu wiederholen (Wobei das angesichts der russischen Bevölkerungsmehrheit auf der Krim, ca. 60% der Krimbewohner sind Russen und nur knapp 24% sind Ukrainer, wahrscheinlich wieder so ausgeht) und dann eine diplomatische und verfassungskonforme Lösung zu suchen. Auf jeden Fall hätte der Westen Russland als Partner einbinden und ordentlich behandeln müssen, statt sofort Stimmung zu machen und sich politisch wie propagandistisch wieder auf ″Den Feind im Osten″ einzuschießen. Nachdem unsere Diplomatie insbesondere in östliche Richtung jetzt vier Jahre lang zwischen brachliegen und katastrophal schwankte gibt es aber vielleicht noch eine Chance, das Ansehen der EU und Deutschlands hier zu retten. Wenn Frau Merkel es zulässt.

Endlich… die Wahlen sind rum!

So oder so ähnlich dürften es so manche Bayern derzeit betrachten – dabei haben sie die Europawahlen noch vor sich. Bundestagswahlen, Landtagswahlen und jetzt Kommunalwahlen – und die Wahlbeteiligung war geradezu katastrophal niedrig.

Kommunalwahlen sind – wird immer behauptet – Persönlichkeitswahlen. Vermutlich sagt man das in Bayern deswegen, weil die CSU immer mal wieder einen Posten nicht besetzen darf. Allzu oft kommt das aber nicht vor, ich habe eine Menge Wähler erlebt, die trotz völliger Unkenntnis über die Kandidaten der CSU trotzdem dort das Kreuz machen. Aber auch die werden immer weniger.

Nur noch 55% waren überhaupt hingegangen, egal wer die Wahl gewann er (oder sie) kann sich nicht darauf stützen, daß eine Mehrheit der Bürger hinter ihm (oder ihr) steht. Dabei sind gerade Kommunalwahlen tatsächlich eine ziemlich direkte Form der Wahl – es gibt weitaus weniger Hinterzimmergeschäfte und Mauscheleien unter den Parteien, weil dafür gar nicht die Personellen Mittel zur Verfügung stehen – und die Sachzwänge ein ganz anderes Vorgehen verlangen.

Der Stichwahl in München blieben gleich mal zwei Drittel fern – 61,5% der Wahlberechtigten war die Wahl einfach völlig egal. Und ja, ich sage es war ihnen egal – aus Protest nicht Wählen zu gehen ist erstens dumm und zweitens schlicht faul.

Wer das System ablehnt ist herzlich eingeladen, es zu verändern. Mit einem klugen Vorschlag kann man versuchen, Mehrheiten zu finden. In Schongau ist aus einer Spaßkandidierung eine Stichwahl geworden – ausgerechnet im ehemaligen Wahlkreis von Franz-Josef Strauß fiel der CSU-Bewerber gleich komplett durch und die Wähler sollten zwischen dem SPD-Kandidaten und dem Alternativen Tobias Kalbitzer entscheiden, der mit der Wahlalternative „Karl-Heinz Rumgedisse“ alles andere als Blödsinn im Sinn hatte. Zwar hat er es nicht geschafft, aber im Vergleich zu dem was die Parteien anboten war er eine echte Alternative – jemand, der vor allem ehrlich und interessiert wirkte. Und mal ganz offen – der auch Spaß versteht.

Sein Credo – eher zu moderieren und auf Konsens zu setzen, kam offenbar gut an. Dennoch blieb auch in Schongau die Wahlbeteiligung eher schwach – bei der Stichwahl gingen gerade mal 58,2% zur Wahl – von den 9.078 Wahlberechtigten haben lediglich 5.170 ihre Stimme abgegeben.

Wer nicht wählt unterstützt die Extremen

Nicht wählen zu gehen ist für manche Zeitgenossen ein Ausdruck von Protest gegen das System, manchmal hat das sogar religiöse Gründe. Das ist entweder undurchdacht oder vorgeschoben. Ich glaube, es hat eigentlich viel mit Faulheit zu tun – mit Denkfaulheit – und mit Saturiertheit.
Den Menschen ist es völlig egal, ob die Amerikaner sie abhören – solange es keine Kommunisten tun. Europa droht endgültig irgendwelchen Großkonzernen und Kriegstreibern in die Hände zu fallen – die Leute interessieren sich aber eher dafür, wer Deutschland beim Eurovision Song Contest vertritt. Warum auch nicht? Es gibt zu Essen und es ist genügend Unterhaltung da – wer braucht eine Republik, wenn es Brot und Spiele gibt?

Wer behauptet, er wähle nicht weil die Parteien und Politiker alle korrupt sind oder alle lügen, dem muß ich leider sagen: Falsch. Sind sie nicht. Wäre ja schön, wenn es so einfach wäre, aber so einfach ist es eben nicht. Politik ist kompliziert und definitiv komplizierter, als es die Headline-Welt uns glauben machen will. Arbeiten Sie sich mal rein in diese Welt und Sie werden sehen, daß die Sachverhalte komplex sind und regieren – oder Opposition spielen – richtig Arbeit ist. Und dann finden Sie eine Position und vertreten die auch – Sie werden feststellen, daß Sie sich ganz schnell seltsam anhören, weil es manchmal eben mit Aufwand verbunden ist, einen komplexen Sachverhalt zu erklären. Mit Menschen, Wählern, die nur in den Zeitabständen einer 5-Minuten-Terrine denken wollen, ist das aber schwierig.

In München standen 11 Alternativen zu den drei größeren Parteien auf der Liste – und da war nichts dabei? Dann gehe hin und mach es selbst. Demokratie ist kein Geschenk, es ist eine Chance, mitzugestalten. Jeder kann mitmachen – und jeder sollte es. Nicht nur in Parteien, auch in den Vereinen und im Umfeld. Was ist denn so schwer daran, mal den Hintern hochzukriegen?

Nichtwähler haben sich hinterher nicht zu beschweren – und vor allem nicht erstaunt zu sein, wenn dann „plötzlich“ irgendwelche Extremen nach vorne kommen. Ganz krass sieht man das jetzt in Frankreich, wo die Rechtsradikalen der Front Nationale massive Zuwächse verbuchen können. Das wäre nicht der Fall, wenn mehr Leute hingegangen wären – aber selbst im Wahlfreudigen Frankreich blieben mehr als 40% zu Hause.

Nicht nur Wähler bleiben daheim

Zu den interessanten und skurrilen Vorgängen gehören auch zwei Orte in Bayern: Weiding (Landkreis Schwandorf) und Schwaigen (Landkreis Garmisch-Patenkirchen). In Weiding wollte niemand Bürgermeister werden, daher haben die Wähler den Stimmzettel selbst beschriften dürfen und unter den benannten, die auch bereit waren, wurde dann eine Stichwahl abgehalten. In Schwaigen gab es nur einen Bürgermeisterkandidaten – der aber nicht gewählt wurde. Stattdessen hat man dort jetzt jemand anderen gewählt.

Diese Geschichten sind deswegen interessant, weil sie auch zeigen, daß es immer wieder mal Orte gibt, wo sich auch keiner wählen lassen will. Und schön langsam muß man sich die Systemfrage stellen – wenn keiner mehr teilnimmt, was dann?

Seltsame Zufälle (1)

Erinnern Sie sich noch daran, wie es zwei CSU-Größen namens Erwin Huber und Günther Beckstein gelungen war, die Nachfolge von Edmund Stoiber anzutreten? Das war ein interessanter Vorgang.

Die einzige echte Konkurrenz für die beiden bestand in Horst Seehofer. Und just ein paar Tage vor dem Parteitag im September, die über die Nachfolge in Bayern beschließen sollte, tauchte in der (Springer-)Presse eine Reihe von Berichten über eine Dame namens Anette Fröhlich auf – die ein uneheliches Kind von Horst Seehofer hatte. Seehofer kommentierte das so: „Das Eigenartige ist: Die Kampagne begann mit meiner Bewerbung um den CSU-Vorsitz und sie war beendet nach den Vorstandswahlen auf dem CSU-Parteitag.“ Ach wirklich.

Kein Einzelfall und auch nichts ungewöhnliches. Peer Steinbrück ist das passiert – eine sehr sorgfältig choreographierte Kampagne schrieb ihn erst zum Kandidaten und dann, sehr gekonnt, in den Keller. Willy Brandt ist das auch passiert; Neben seinem Privatleben, das ungleich mehr Thema in der Presse war als das Privatleben – sofern vorhanden – seiner Vorgänger, er mußte auch vermeintlich zurücktreten, weil er sich von einer fremden Macht hat bespitzeln lassen. Angela Merkel ist das nicht passiert. Naja, liegt wahrscheinlich an der „linken“ Presse.

Merkwürdiges gibt es aber auch jetzt immer wieder.

Frau Merkel verspricht, die Maut werde nicht kommen und bricht das Versprechen der CSU zuliebe – es steht nun im Koalitionsvertrag. Die SPD winkt selbstsicher ab und behauptet, sie werde nicht kommen. Bin ich mal gespannt.

Der letzte Widerstand gegen die Maut kommt von der größten und mächtigsten Lobbyorganisation des Landes – vom ADAC. Und was soll man sagen – kaum ist der ADAC praktisch das letzte Widerstandsnest, schon finden sich Berichte über das Verhalten des ADAC-Vorstandes sowie der regionalen Vorstände (Ein bißchen wie beim Limburger Bischof) in der Presse wieder.

Aber man muß keine Zusammenhänge sehen, wenn man nicht will.

Ein kurzer Nachkommentar…

Am Dienstag schrieb ich ja über die Frage nach der praktisch kritiklosen Hinnahme von vermeintlichen Studienergebnissen, heute lese ich einen – allerdings schon zwei Tage alten Artikel im Cicero über die Macht der Medien.

Der überaus lesenswerte Beitrag von Professor Kepplinger beschäftigt sich mit der Causa Wulff und der Frage, ob und wenn ja wie die Medien den Präsidenten aus dem Amt geschrieben haben. Insbesondere wird der Vorgang bei Wulff mit einem ähnlichen bei Johannes Rau (Die Flugaffäre) verglichen. Das ist insofern folgerichtig, als daß Wulff – der 2000 den Rücktritt von Rau wegen der Vorbildfunktion des Präsidenten gefordert hatte – sich nun auf den gleichen Anwalt, einen Herrn Lehr von der Bonner Anwaltskanzlei Redeker Sellmann Dahs, verließ, wie seinerzeit Rau.

Trotzdem führte der Artikel sofort zu einem in koservativer Empörung gehaltenen Kommentar über die linken Medien, welchen ich hier sehr kurz beantworten möchte. Denn die Mär von den „linken“, bzw. SPD-affinen Medien wird gerne und oft wiederholt, ist angesichts der Übermacht der konservativen Verlagshäuser Springer und Bertelsmann sowie der den Konservativen zu ewigem Dank verpflichteten Privatfernsehwirtschaft (auch hier ist Bertelsmann neben der ProSiebenSat1 federführend, schließlich verdanken sie ihre Existenz der Union) leicht widerlegbar.

Es ist vollkommen richtig, daß Schröder zum Zeitpunkt seines Wechsels nicht sonderlich für den neuen Job als Gasableser bei Putin gescholten wurde – das hat sich in den Folgejahren allerdings ziemlich geändert. Der Beitrag von Prof. Kepplinger ließe sich ebenso auf die Causa Steinbrück lesen, der ebenfalls zuerst zum Kandidaten hochgeschrieben und dann ziemlich gründlich demontiert worden ist. Zuletzt hätte er das Grundgesetz zitieren können und man hätte ihm Mißbrauch der Justiz unterstellt…

Die Medien sehen sich – nicht zufällig – schon länger als die eigentlichen Machthaber im Land, denn das Projekt BILD – viel gescholten und doch unerreicht – hat gezeigt, daß Meinungsmache Macht bedeutet. Kein Kanzler kann gegen Springer regieren, keine Partei gegen die Medien eine Wahl gewinnen. Da es neutrale Medien nicht geben kann wäre Vielfalt demokratisch wünschenswert, allerdings gibt es diese Vielfalt, insbesondere in den Meinungsspektren der Medien praktisch nicht mehr. Und wer sich die Personalien der Chefredakteure und Inhaber ansieht, vor allem nachguckt wer so von wo nach wo geht und was mitnimmt, der weiß auch genau, warum.

Kritischer Journalismus? Wo denn?

„Experte biste heute schnell: Einmal in der Eisdiele am Zitronensorbet genascht und schon biste Experte für Polarforschung“, sagte dereinst Urban Priol über den ausufernden „Wir zitieren einen Experten, der unsere Meinung vertritt“ – Journalismus. Aber gibt es eigentlich noch einen anderen?

Über Florian Freistetters vorzüglichen „Astrodicticum Simplex“ – Blog bin ich auf einen Text gestoßen, der mich recht nachdenklich gemacht hat. Unter dem Titel „Der Dschungelcamp-Effekt. Oder warum Journalisten Angst vorm Bloggen haben“ schreibt Karsten Lohmeyer darüber, daß das Bloggen den großen Nachteil hat, daß der bloggende Journalist weder eine Redaktion, noch einen Verlag im Rücken hat und daher sich – wie die vermeintlichen „Stars“ im Dschungelcamp – entblößt, seine Fehler und mitunter auch seine Unkenntnis bezüglich der deutschen Rechtschreibung öffentlich macht.

Tatsächlich ist es doch aber so, daß in vielen Redaktionen längst die Textchefs und Schlußredaktionen eingespart sind – und das sieht man den Texten zum Teil auch an. Noch schlimmer sind da die Online-Redaktionen, die teilweise Texte veröffentlichen, die sich ziemlich deutlich noch im Beta-Stadium befinden, nur damit sie möglichst als erste im Netz stehen.

Diesen Druck haben Blogs nicht – die Blogger können sich also Zeit nehmen und ausgerechnet ein Medium, das im Internet entstanden ist, welches zur Beschleunigung im Journalismus geführt hat, entschleunigt nun wieder ein bißchen. Das ist wiederum nicht immer der Fall – aber diesen Zwang zum Live-Ticker, eine der unsäglichsten Krankheiten des Online-Journalismus – haben Blogs eben nicht.

Freistetter nun kommentiert den Text von Lohmeyer aus einer ebenso professionellen Perspektive – nämlich dem Zwang zur Genauigkeit und Korrektheit des Wissenschaftlers. Aber er fügt noch etwas interessantes hinzu – was mich wieder auf meine Einleitung zurückführt:

„In den Augen der Öffentlichkeit sind die Forscher oft immer noch die “allwissenden” und “unfehlbaren” bebrillten Genies in Laborkitteln; sie sind Zerrbilder aus Hollywoodfilmen oder Science-Fiction-Büchern und das schadet dem Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit.“

Dahinter steckt leider noch viel mehr: Letztendlich ist das Problem diese gefühlte „Allwissenheit“, die leider viele jemandem unterstellen, der von irgendwem als „Experte“ bezeichnet wird – das hat mitunter recht religiöse Konnotationen, einem Priester widerspricht man eben nicht. Journalisten benutzen diesen Effekt um Meinungsmache zu betreiben und stützen sich bei ihren „Geschichten“ gerne auf Gutachten, Statistiken oder Meinungsexposés, ohne sie inhaltlich und methodisch zu hinterfragen.

Viele Blogger tun das aber. Sie lesen kritischer, weil sie eben nicht 15 Randspalten am Tag zu füllen haben sondern gezielt etwas heraussuchen, was sie beschäftigt und sich damit wirklich auseinandersetzen. Natürlich äußern sie dann auch eine Meinung – das steht ja auch jedem frei – aber ich habe den Eindruck, daß man in vielen Blogs eine sachlich fundiertere, inhaltlich differenziertere Meinung lesen kann, als in den meisten etablierten Medien.

Es gibt natürlich auch andere Blogs – unendlich viele, um genau zu sein. Aber je mehr es eher eine Meinungs-, denn eine Ahnungsseite ist, desto weniger Leser hat die Seite meistens. Viele geben einem Blog nur eine Chance, ist diese vertan, war es das.

Zudem muß man unterscheiden, ob man ein politisches Meinungsblog vor sich hat (Wie ja auch meines eines ist), in dem eher eine Ansicht oder ein Kommentar geführt wird, oder ein Blog, das sachlich berichten will, oder eben eines, das sich wissenschaftlich einer Thematik widmet.

Ich bemerke bei meinem Blog selbst, daß ich gelegentlich einen Gedanken oder eine Empörung formuliere, ohne das fundiert oder hintergründig zu tun – mitunter gerate ich dann auch sauber ins Schwimmen. Im Ergebnis kriege ich dann aber in den Kommentaren auch verbal eins auf die Nuss und das zwingt mich dann, mich doch mit der Thematik tiefer auseinanderzusetzen und einen zweiten (oder dritten) Artikel nachzureichen und die Sache etwas durchdachter darzustellen. Manchmal frage ich mich, ob ich das auch dann täte, wenn ich eben nicht die Delle im Hutständer abbekommen hätte – würde ich dann tiefer gehen, wenn ich nicht quasi „müsste“?

Journalisten müssen das nicht – sie sind den Chefredakteueren verpflichtet, und diese wiederum der Gesellschaft, welche die Zeitung vertreibt und leider gibt die viel zu oft eine Linie vor, wie die Meinung auszusehen hat – egal, was in den Kommentaren steht. Da darf dann auch eine Studie nicht oder nur ausschnittsweise zitiert werden, um eine differenzierte Darstellung zugunsten einer Meinungsmache totzuschweigen. Würden mehr Journalisten bloggen käme vielleicht eine differenziertere Medienlandschaft zusammen, die mehr Hintergründe ausleuchtet und vielen „Experten“ kritischer gegenübersteht und das kann einer Demokratie nur gut tun.

Proteste in der Türkei, Stille bei uns

Die Sueddeutsche Zeitung verlinkt heute einen Beitrag, der sich um die Proteste gegen ein neues Gesetz in der Türkei wenden; Hierbei soll nach Angaben des Videos die Netzneutralität in Frage gestellt werden – angeblich zur besseren Überwachung der Privatsphäre der Nutzer.

Was in der Türkei zu Protesten führt wird in der Europäischen Union ganz nach deutschem Maßstab achselzuckend hingenommen. Vielleicht, weil es nicht die Regierung ist, die davon profitiert. Aber der Reihe nach.

Die Europäische Union bereitet ein Gesetz vor, nach dem Anbieter von ihnen bestimmte Datenpakete schneller als andere über das Internet transportieren dürfen. Am 27. Februar wird darüber abgestimmt.

Dahinter steckt nun nicht ein großer, böser Staat sondern die Telekommunikationsfirmen, die dann Datenpakete schneller oder weniger schnell transportieren dürfen. In den USA hat das schon einmal geklappt, allerdings könnte dort die FCC noch einmal einschreiten. Das hat gleich mehrere Dinge zur Folge:

  1. Die Netzneutralität schwindet, da künftig natürlich die eigenen Angebote der Provider und die Angebote derer, die einen Provider schmieren dafür bezahlen, schneller transportiert werden. Das bedeutet, daß junge Start-Up Unternehmen zum beispiel ausgebremst werden weil die sich das nicht leisten können. Profiteuere sind die Branchenriesen – egal in welcher Branche. Ein Beispiel: Sie möchten völlig legal ein Video im Internet ansehen. Dazu haben sie nicht beim Branchenriesen Amazon ein Konto, sondern haben einen Vertrag mit einer kleinen legalen Online-Videothek. Die kann sich es aber nicht leisten, Ihren Provider zu schmiebezahlen, schon funktioniert es nicht mehr, weil die Bandbreite nicht mehr gegeben ist – es sei denn, Sie als Kunde leisten sich einen entsprechend teueren Anschluß.
  2. Wie ist das denn mit Nachrichten? Die ohnehin schon recht überschaubare Vielfalt unserer Medien wird einen entsprechenden Dämpfer erhalten, wenn nur noch Premium-Kunden einen vernünftigen Video-Stream sehen können oder der Aufbau einer Nachrichtenseite dank der unüberschaubaren Werbemenge in die Minuten geht und jeder Nutzer entnervt das Handtuch schmeißt. Im Ergebnis sind dann weniger Newsseiten entsprechend verfügbar – die konservativen Meinungsmacher rund um Bertelsmann und Springer werden sich schon die Hände reiben. Denn sie wissen, daß viele Bürger sich sagen „Taz zahl ich nicht, kann ich nicht“.
  3. Informationsseiten wie Wikipedia zum Beispiel könnten ebenfalls im Zugang erschwert werden, wenn das, was dort steht, den richtigen Leuten nicht gefällt – beispielsweise Skandale aufgelistet werden. Netzneutralität sieht anders aus.

Man kann sich aber wehren – es gibt eine Kampagne die auch darauf abzielt, daß man den eigenen Abgeordneten entsprechend informiert über die Stimmung im Land. Sie hat klare Forderungen:

  • Wir wollen kein Zwei-Klassen-Internet, alle Datenpakte sollten gleich behandelt werden. Artikel 19 muss gestrichen werden.
  • Private Unternehmen dürfen im Netz nicht zum Richter und Vollstrecker werden. Netzsperren zur nicht näher definierten „schweren“ Verbrechensbekämpfung sind nicht der richtige Weg. Artikel 23.5.a muss fallen.
  • Europa ist Friedensnobelpreisträger – die Glaubwürdigkeit der EU als Menschenrechtsakteur sollte nicht durch die Einführung einer Zensurinfrastruktur verspielt werden, die wir in anderen Teilen der Welt kritisieren.
  • Um Schaden oder Zusatzkosten vom offenen Internet abzuwenden, muss die Definition von „spezialisierten Diensten“ alle Dienste des offenen Internets klar ausschließen (Artikel 2.15)
  • Wo in der Verordnung von den „Freiheiten“ der Nutzer gesprochen wird muss von den „Rechten“ die Rede sein (Artikel 23)

und empfiehlt, den Abgeordneten anzurufen oder ihm eine EMail zu schreiben. Für Deutschland sitzen 99 Abgeordnete im Europäischen Parlament, für Bayern alleine sind es immerhin 8 Stück. Schreiben Sie sie doch gleich mal direkt an, gar nicht als Einheitsmail sondern individuell. Leider sind alle bayerischen Abgeordneten CSU’ler (Darunter der gruselige Herr Posselt), mithin also nicht sonderlich am Bürgerwillen interessiert, aber dennoch können einige (hundert) Emails vielleicht etwas bewirken. Im Zweifel gibt es ja immer noch den Präsidenten des Parlamentes, Martin Schulz.

Die folgenden Argumente zitiere ich von der Kampagnenseite Savetheinternet.org/de

Argumente

kein Zwei-Klassen-Internet

Um Schaden oder Zusatzkosten vom offenen Internet abzuwenden, muss die Definition von Specialised Service alle Dienste des offenen Internets ausschließen.

Internetprovider versuchen seit Jahren Specialised Services – wie HD-Video oder Online-Telefonie – getrennt vom Internet bei garantierten Geschwindigkeiten für Nutzung in der Industrie zu vermarkten. Solange diese Dienste getrennt von Internet angeboten werden und nicht die Internet Qualität stören sehen wir darin auch kein Problem.

Derzeit beinhaltet der Vorschlag aber keine genaue Definition von „Specialised Services“, daher kann dieser Begriff auch ziemlich breit interpretiert werden. Es droht daher, dass ein Zwei-Klassen-Internet geschaffen wird, wo manche Dienste priorisiert, während andere wiederum gebremst werden. So könnte die Freiheit der Kommunikation und die Möglichkeiten und Vorteile des Internets beschränkt werden. (Artikel 2.15)

Beispiel: Viele Mobilfunkanbieter bieten derzeit unbeschränkten Zugang zu Facebook an, während alle anderen Dienste einem beschränkten Datenvolumen unterliegen. Die derzeitige Definition von „Specialised Services“ erlaubt Angebote, die den Markt für mögliche Konkurrenzdienste beschränken und daher die freie Wahl der Dienste, aber auch die Innovation im Internet bremsen wird.

Was wir brauchen ist eine klare Definition, damit solche „Dienste“ nicht anboten werden können, die auch im Internet existieren und selbst dann nur auf Netzwerken, die komplett vom Internet getrennt sind. Die Vereinigung aller europäischen Telekommunikationsregulierungsbehörden (BEREC) empfiehlt, dass „Specialised Services“ getrennt vom „Best Effort Internet“ nur innerhalb des Netzwerkes des Internetanbieters angeboten dürfen werden sollen. Der Vorschlag der Kommission ist nicht nur bei weitem schwammiger in der Definition, sondern erweitert den Text um Begriffe wie „substantially“, „general“ und „widely“, die nicht definiert sind und weitere juristische Unsicherheiten bergen. Damit das Zwei-Klassen-Internet auch auf Anbieter Seite verhindert wird muss Artikel 19 restlos gestrichen werden.

Internetzensur

Private Unternehmen dürfen im Netz nicht zum Richter und Vollstrecker werden. Netzsperren zur Verbrechensbekämpfung sind nicht der richtige Weg.

Die Verordnung ermöglicht es Internetprovidern Inhalte im Netz zu zensieren um „um einer Rechtsvorschrift oder einem Gerichtsbeschluss nachzukommen oder um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern„. Damit sind Netzsperren auch ohne konkretes Gesetz oder Richterliche Anordnung möglich, es gibt also gar keine Rechtsstaatlichen Kontrollen mehr. Was ein „schweres Verbrechen“ sein soll wird mit dem Gesetz gar nicht definiert, es ist also zu befürchten, dass auch Urheberrechtsverletzungen darunter fallen. Zuletzt deutet auch die Wortwahl „abzuwehren oder zu verhindern“ auf das präventive Sperren von Seiten noch bevor überhaupt ein „Verbrechen“ passiert ist. (Artikel 23.5).

Beispiel: In Großbritannien haben Internetprovider Maßnahmen gesetzt, die Benutzern ermöglicht auf freiwilliger Basis ihre Nutzung des Internets einzuschränken. Im Jahr 2012 wurden damit auch Seiten wie die der französischen Menschenrechtsorganisation La Quadrature du Net blockiert.

Was wir brauchen ist eine Abänderung, die diesen gefährlichen Paragraphen, der die Kommunikation im Internet massiv verändern könnte und unserer Meinung nach eine Verletzung des Artikels 52 der Charta der Grundrechte der EU darstellt, ein für alle Mal entfernt.

Rechte der Nutzer

Wo in der Verordnung von den “Freiheiten” der Nutzer gesprochen wird muss von den “Rechten” die Rede sein.

Der Kommissionsvorschlag würde den Nutzern die „Freiheit“ geben diskriminierende Dienste zu nutzen. Diese „Freiheit“ hat nicht nur für die Internetnutzer negative Konsequenzen, sondern auch für das innovative Ökosystem im Internet. Nutzer brauchen keine Rechte aus einer Vielzahl an verwirrenden Angeboten zu wählen, sondern sie brauchen einklagbare Rechte auch den Service zu bekommen, für den sie bezahlen. (Artikel 23).

Beispiel: Schätzungen zufolge zahlen britische Kunden derzeit ca. 5 Milliarden Pfund zu viel, aufgrund der „Freiheit“ zwischen vielen verschiedenen, verwirrenden Optionen zu wählen.

Was wir brauchen ist eine Änderung des Textes, damit Internetprovider diskriminierende Dienste nicht anbieten dürfen.

Zum Schluß nochmal der „Elektrische Reporter“

Fundstück der Woche (3. KW): Gehirnwäsche

Ich finde den Beitrag hochinteressant. Sehen Sie sich die Arbeit des norwegischen Komikers und Journalisten Harald Eia ruhig an, das ist eine halbe Stunde, die sich lohnt.

Eia kommt zu interessanten Schlüssen, die man nicht zwingend glauben muß – einiges sollte man da hinterfragen – aber das ändert nichts an der hohen Qualität der Arbeit.

Christen fordern Abschaffung des Religionsunterrichtes!

Ein in einer christlichen Gemeinschaft aktiver Lehrer hat in Baden-Württemberg für Furore gesorgt. Er hat eine Online-Petition gegen den „Aktionsplan für Bildung und Toleranz 2015“ der Grün-Roten Landesregierung gestartet, weil er glaubt, daß Schüler so „umerzogen“ werden sollen.

Nun ist Homophobie ein weit verbreitetes Thema und zugleich ist jedwede Form von Diskussion hier schlagartig mit geradezu hysterischen Scheinargumenten begraben. Anstatt daß also nun in den Foren und Zeitungen eher sachlich über die Frage, um die es mit dem Plan geht, diskutiert wird, werfen sich die Einen sofort in die Brust für Toleranz und übersehen so gerne mal die Form der Argumentation, die sie da benutzen, während die Anderen eine Chance sehen, endlich mal wieder ihrem Hass so richtig freien Lauf zu lassen. Die typischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Deutschen.

Nein, wird man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sich Antrag und vor allem die Kommentierung und die Diskussion  zur Petition mal näher ansieht. Anstatt daß hier über den tatsächlichen Inhalt des Antrages – die Einbringung des Wertes „Anders sein ist auch normal“ und des Wertes „Toleranz“ diskutiert wird, wehren sich die Befürworter gegen eine „Homosexualisierung des Schulunterrichtes“.

Ein schöner Kommentar zum Beispiel:

So etwas gehört nicht in die Schule. Sollen unsere Kinder schon zu Schwulen u Lesben erzogen werden?
Gut so!!!!
Weil das nichts mehr Diskriminierung zu tun hat, sondern nur noch reine Schwulenpropaganda ist!
Man sollte das Volk nicht homosexuell erziehen.
Weil unsere Kinder nicht schon in frühester Jugend mit absolut irrem, gesellschaftszersetzendem Gedankengut “ umerzogen “ und buchstäblich “ versaut „werden dürfen.

Da hat jemand eine Menge nicht begriffen, ist aber in genau der Argumentationsschiene, in der sich auch die Gesetzgeber in Russland bewegt haben, als sie das Gesetz gegen „Schwulenpropaganda“ einbrachten.

Woher kommen diese Leute? Nun, Wer den Kommentaren nicht glaubt, dem Hilft Open-Petition auf besonders nette Weise:

Petition - UnterstützerSieht man sich die Seiten an, über die die Unterstützer die Petition gefunden haben, so sticht neben der offiziellen Seite der Petition (Und natürlich Medienseiten wie Sueddeutsche und Focus)  vor allem die Haß-Site PI-News hervor, die kleinen Rechtsradikalenkonservativen mit der Angst vor der „Islamisierung“ Europas. Dann aber melden sich schnell die Christen zu Wort: kath.net zum Beispiel, eine katholische Nachrichtenseite, die schon mal jubiliert, daß auch Evangelische Kirchen zur Unterstützung der Petition aufrufen, vor allem das Ganze aber unter die – bewußt falsche – Überschrift stellt: „Homosexualität soll Pflichtstoff an den Schulen werden“. Ein katholisches Forum (blogforum deutscher Katholiken) spielt auch mit beim Unterstützer sammeln. Das evangelische Pendant ist nebenbei „Medrum.de„, die seit dem 9.1. auch kein anderes Thema mehr zu haben scheinen aber deren Leser dafür wenigstens gleich wieder mit der Sozialismuskeule kommen, wie ein gewisser Markus Lippert:

Die sozialistische Sexualkunde
[…] Einige Eltern in Westdeutschland haben es ja schon zu spüren bekommen was passiert, wenn man sein Grundrecht auf Werteerziehung der eigenen Kinder gegen schulischen Sexismus in Anspruch nehmen will. Sie sind im Gefängnis gelandet.
Das Klassenzimmer als Ort intimer Gedankenspiele und Projektionen? Sexualität reduziert auf das Ausleben von Trieben, abgekoppelt von Beziehungsfähigkeit und Verantwortung? Wenn das nicht Manipulation an Minderjährigen ist. […]“

Etwas schlechter zu lesen im Bild sind aber weitere – interessante – Unterstützerquellen: der Kopp-Verlag zum Beispiel, ein eher in der braunen Esoterik angesiedelter kleiner Verlag, der sein Geld hauptsächlich mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien macht, gelegentlich aber auch gerne auf die, sagen wir mal, antimuslimische Schiene ausweicht. Aus der Ecke kommen noch ein paar – „junge Freiheit“ oder auch die sehr seltsame Seite „Sciencefiles.org“, eine Mischung aus recht interessanten Gedanken, kruden Meinungsartikeln und blanker Anhnungsbefreiung, gut geschüttelt mit einer ordentlichen Portion Unbehagen gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Auch die „Freie Welt“ taucht hier auf, eine Zeitschrift der ISSB (Institut für strategische Studien), die irgendwo zwischen neoliberalem Gedankengut und rechtskonservativer Forderungen wie der Rückforderung ehemals deutscher Besitzungen in Polen laviert. Zuletzt taucht in der Unterstützerliste – und das finde ich wirklich interessant – das Forum „All-Russian.info“ auf, ein Forum das, laut Selbstbeschreibung ein „Russisches forum ueber Probleme, Russen in Deutschland, Unterhaltung und Spass satt“ ist. Und die russische Gesetzgebung bezüglich „Schwulenpropaganda“ offenbar auch gern in Baden-Württemberg hätte. Manchmal schmiedet die Wirklichkeit schon lustige Allianzen.

Und wo ist das jetzt mit dem Religionsunterricht?
Ach ja, genau. Die Überschrift ist natürlich provokant gewählt, denn tatsächlich fordert das erstaunlicherweise noch kein Vertreter der genannten Unterstützer der Petition in Baden-Württemberg. Aber eigentlich müssten sie das fordern.

Die wichtigste seriöse Argumentationslinie, auf der sich die meisten der christlich-moralisch Entrüsteten bewegen, ist geprägt von der Angst vor „Funktionalisierung, Instrumentalisierung, Ideologisierung und Indoktrination“. Ein wenig verschwurbelt haben sie schlicht Angst, daß ein anderer Familien- und Lebensentwurf als die Vater-Mutter-Kind – Welt als ebenso Normal „indoktriniert“ wird.

Nun bin ich selbst auch kein Freund von Moralkeulen und ganz besonders nicht von jedweder Form von Missionierung irgendeiner Ideologie – sei es eine Religion oder eine nicht auf ein höheres Wesen bezogene Weltanschauung. Meinungen sollen geäussert und diskutiert werden, nicht aber zur einzigen Wahrheit erhoben werden.
Genau das passiert aber gerne, wenn Homosexuelle zum Beispiel ein Adoptionsrecht wünschen oder sich einfach nur auf der Straße mal Küssen wollen – sofort stehen insbesondere christlich inspirierte Personen da und entrüsten sich über den Sittenverfall. Manchmal – und dann wird’s in sich urkomisch – mit einem Rückverweis auf die Geschichte in der Abteilung „Wir sind nicht mehr in der Antike“. Erklären mir gerne Leute, die wörtlich an die Inhalte eines Buches aus der Antike glauben. Naja.
Die zum Teil recht extreme Ablehnung von anderen sexuellen Identitäten führt aber dann dazu, daß ein Begriff wie „Schwuchtel“ gängiges Schimpfwort ist, ein Schwuler eben „kein Mann“ sei und so weiter. Eltern erzählen das ihren Kindern, natürlich geprägt von christlichen Toleranzverständnis und der Nächstenliebe, und die Kinder plappern das auch schön nach – und geraten eventuell in große Schwierigkeiten, wenn sie feststellen, daß ihre eigene Orientierung nicht in das christliche Idealbild des heterosexuellen, lediglich zu Reproduktionszwecken intim werdenden Ehegatten passen will.

Wenn nun aber die Angst davor besteht, daß ein Unterrichtsfach oder gar der ganze Unterricht eine bestimmte Weltanschauung propagiert, so ist das zwangsläufig die Forderung nach der Abschaffung des staatlich finanzierten Religionsunterrichtes an den Schulen. Denn da wird genau das gemacht und eine Vielfalt – etwa daß auch andere Religionen unterrichtet werden können – wird ja massiv bekämpft, auch wenn die Kirchen da längst begriffen haben, daß es ihnen an die Substanz gehen könnte und deswegen – als Amtskirchen – sich für einen islamischen Religionsunterricht aussprechen. Laienverbände sehen das naturgemäß etwas kritischer.

Wollen die Kirchen und die christlichen Bedenkenträger also wirklich den Religionsunterricht abschaffen? Naja, also da wäre ich dabei.

Meinung
Naja, ich sehe den Bildungsplan nicht so kritisch, das stimmt. Die Finale Version hat allerdings meines Erachtens nach eher noch eine Menge Geschwurbel als Inhalt zu bieten und ist so noch nicht umsetzbar.

Die Intention, wieder mehr auf Kultur- und Geisteswissenschaftliches zu setzen finde ich prinzipiell richtig, auch wenn ich nur hoffen kann, daß dadurch nicht die naturwissenschaftlichen Elemente zu kurz kommen – schön, wenn man Goethe rezitieren kann, aber der moderne Mensch sollte trotzdem ein wenig Ahnung haben und zum Beispiel wissen warum Dinge herunterfallen oder wie ein Waschmittel funktioniert.
Ich wüsste gern, woher der BNE-Ausschuss und Frau Lösch die Zahlen zur Häufigkeit von homosexuellen Neigungen hernehmen. Ich bin in das Thema nicht eingearbeitet und kann mich daher nur auf leicht zugängliche Bezugsquellen stützen, wie zum Beispiel die Wikipedia, die aber deutlich aufzeigt, daß es im Grunde keine belastbaren Zahlen – weder hohe noch niedrige – gibt. Das schließt keinesfalls aus, daß man Kindern beibringen muß, daß es nichts unnormales ist, wenn sich ein Mensch zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Nur wäre es schön, wenn man schon mit Zahlen argumentiert, wenn diese auch belastbar wären.

Ein weiterer Punkt, der mich irritiert ist gleich der erste. Hier heißt es: „Sexuelle Orientierung und Akzeptanz sexueller Vielfalt müssen verpflichtend in Form von Lerninhalten / -modulen im Bildungsplan als Querschnittsthema in den unterschiedlichen Fächern und Klassenstufen sowie verpflichtend in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte verankert werden.
Daß in verschiedenen Fächern eine Geisteshaltung verankert werden soll hat schon so ein bißchen ein „G’schmäckle“, oder? Ich habe nichts dagegen, wenn eine Textaufgabe statt „Herrn und Frau Meier“ einfach „Familie Meier“ zum Aufhänger hat, aber ansonsten hat sexuelle Orientierung im Matheunterricht ehrlich gesagt nichts verloren. Vielleicht in der Oberstufe im Bereich Statistik, okay. Aber ansonsten mag ich diese – bei genauem Lesen auch sehr durchsichtige Form der präzisen Orchestrierung einer Ansicht insbesondere in Schulbüchern gar nicht. Das geht auch einfach wertneutral.

Eine zweite Frage stellt sich hier bei der Formulierung „Klassenstufen„. Zugegeben – Sexualkunde kommt etwas spät in der Schule und – zumindest bei mir war das noch so – schrecklich verklemmt im Biounterricht der sechsten Klasse mal dran, Aufklärung über Verhütung dann irgendwann in der Mittelstufe. Da war es bei einigen längst zu spät, diese Lücke schließen aber verantwortungsvolle Eltern und Jugendzeitschriften wie die Bravo. (Gibt’s die noch?)
Nun geht es dem Bildungsplan, so ich das denn richtig verstanden habe, nicht um Sexualkunde (Auch wenn das bei den Gegnern immer als Kernpunkt verstanden wird; ich frage mich ohnehin, wie man eine „sexuelle Orientierung“ lehren will…), sondern um eine ethische Erziehung zur Toleranz und Akzeptanz. Das finde ich richtig. Aber ehrlich gesagt wüsste ich gern, wie sich die Kommission beispielsweise die Toleranzerziehung bei Grundschülern vorstellt. Nicht, daß das nicht möglich wäre, aber was soll das vage Geschwurbel?

Etwas irritiert mich die häufige Formulierung, daß immer „Fachleute aus dem Bereich der Kulturellen Bildung und der Medien“ hinzugezogen werden sollen. Erstere kann ich ja noch verstehen, aber welchen Zweck erfüllen „Fachleute der Medien“ und wer sind die? Natürlich geht aus dem Text hervor, daß damit eigentlich Kooperationen mit Kulturschaffenden auch aus dem Film- und Fernsehbereich gemeint sind, und die Idee, daß Schüler mal ein Praktikum beim Fernsehen machen können (müssen?) finde ich auch klasse. Aber unter Medienfachleuten verstehe ich ehrlich gesagt Publicity-Figuren, die zum Beispiel Politikern sagen, daß es beim Volk 0,3 Prozentpunkte mehr Sympathien bringt, ein Fußballspiel unter Medienbegleitung anzuschauen, als ein Krankenhaus bauen zu lassen.

Perspektivenfrage
Leider ist der im Grunde durchaus richtige Ansatz, Toleranz, Akzeptanz und Miteinander wieder mehr in den Fokus zu rücken in der Angst, Kinder sollen „zu Homosexuellen erzogen“ werden, untergegangen. (Ganz zu schweigen davon, daß der Bildungsplan sich auch um das Thema Nachhaltigkeit, Globalisierung und Medienerziehung dreht und die Toleranzgeschichte nur eine unter vielen ist). Leider ist es gesellschaftliche Realität, daß ein Miteinander überhaupt erst wieder gelehrt und gelernt werden muß – seit den „geistig-moralischen“ (Kohl) und der „geistig-politischen“ (Westerwelle) Wende ist das „Ich“ wichtiger als das „Wir“ und die Ellenbogengesellschaft bekommt durch Marktorientierung Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche – selbst in der Schule. Im Ergebnis haben wir eine Gesellschaft, die aus Konkurrenten und Gegnern besteht, das ist der liberale Teil der Geisteshaltung, und die Konservativen (Allerdings nicht nur die) liefern uns dann die Waffen, um einander zu beharken.
Der Bildungsplan ist ein sehr Grüner: Durchaus gute Ideen, aber die Umsetzung der Ideale wird höchstens angerissen, die tatsächliche Arbeit nicht gemacht. Nicht einmal die Lufthoheit in der Diskussion hat man sich geholt und sie stattdessen verqueren Ideologen überlassen, denen man dann schlimmstenfalls eigene verquere Ideologen entgegenstellt. So kann das doch nichts werden, Freunde.
Es ist dringend nötig, daß sich die Landesregierung in Baden-Württemberg daran macht, den Menschen aufzuzeigen was sie wie verändern will – sobald es konkretes gibt wird sich ein großer Teil der Panikmache von christlicher und von rechter Seite auflösen.

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Links:

  • Karnele.de
  • Zeit.de (köstlicher Kommentar: „Ich würde auch nicht wollen, dass meinen Kindern in der Schule Homosexualität beigepult wird. Dann könnten sie auch zur katholischen Kirche gehen.“)
  • KleinerDrei zur Hatespeech, eine gelungene Analyse der Kommentare unter der Petition

Eine Frage der Perspektive…

Manchmal ist die Frage nach der Perspektive sehr interessant. Unsere eigene Wahrnehmung wird oftmals durch unsere Perspektive, nun einmal selbst im Zentrum unserer Existenz zu sein, begrenzt.

So nimmt man Nachrichten „aus den USA“ gerne als irgendeine Meldung aus der Ferne wahr und sieht in „den Amerikanrern“ eine weitestgehend homogene Gruppe – selbstverständlich mit individuellen Eigenschaften aber das ist ja letztlich auch bei „den Rosenheimern“ so.
Diese Form der reduzierten Wahrnehmung ist oftmals unüberbrückbar, jeder Stammtisch und so ziemlich jedes Geschwafel (nebenbei politisch links wie rechts!) lebt davon, Gruppen zusammenzufassen und die Größe von Regionen und deren individuelle Prägung zu übersehen – vielleicht weil es ansonsten für so manchen Verstand zu kompliziert wird.

Wenn ich meinen Schülern erkläre, daß es die Ausprägung von Dialekten wie im Deutschen (von Oberbayerisch bis Plattdeutsch) auch in anderen Sprachen gibt (Wenn auch z.T. deutlich weniger ausgeprägt), daß es sehr interessant sein kann mal einem Gespräch zwischen einem Engländer aus Eastbourne (Sussex) und einem Mancunian (aus Greater Manchester) zuzuhören (am besten zwei Landwirten) oder auch mal einem Pariser, der sich mit einem Einwohner von Saint-Marcellin zu unterhalten versucht, ernte ich regelmäßig Staunen. Und da habe ich noch gar nicht solche Phänomene wie die Langues d’oc erwähnt…

Aufgefallen war mir das bei einem Artikel der Süddeutschen Zeitung, der – wieder einmal – dem Erproben einer potentiell hysterischen Olympia-Berichterstattung gewidmet ist, schließlich wird diese als Sportereignis getarnte Werbeveranstaltung immer weniger geguckt, womit sich die Zahl derer, die während der Werbespots aufs Klo gehen, verringert was wiederum die Einnahmen schmälert.
Um also etwas zu haben, was den Zuschauer lockt, muß eine Gefahr, am Besten eine Terrorgefahr her und die wird im Rahmen der Winterspiele von Sotschi brav herbeigeschrieben. Ich bin sehr gespannt, wie hysterisch das in ca. vier Wochen werden wird.
Allerdings fallen bei dem Artikel zwei Formulierungen auf, ich darf zitieren:

„In Stawropol, das in direkter Nachbarschaft zu den unruhigen Kaukasus-Republiken liegt, wurde der Nachrichtenagentur AFP zufolge der Ausnahmezustand verhängt. […] Stawropol liegt nur wenige Hundert Kilometer von Sotschi entfernt.“

und

Die Sorge vor Gewalttaten war zuletzt durch zwei Selbstmordanschläge im 600 Kilometer entfernten Wolgograd gestiegen.“

[Quelle]

Ganz ehrlich, ich möchte die Spekulationen, die im Artikel erwähnt werden, gar nicht zwingend zurückweisen, aber auf etwas hinweisen:
Angenommen, in München gäbe es olympische Spiele. Angenommen weiter, vier Wochen vorher würde zum Beispiel in Italien, sagen wir in Rom, fünf Leichen und zwei Sprengsätze gefunden werden.
Würde die SZ dann schreiben: „Rom liegt nur wenige Hundert Kilometer von München entfernt.“, um da einen Zusammenhang anzudeuten? Oder würde sich die SZ eher über die Ahnungsbefreiung einer amerikanischen Zeitung lustig machen, die selbiges schreibt?

Wäre das etwas anderes, wenn in München Sommerspiele wären und ein paar Wochen vorher, sagen wir mal, Anfang Mai, würden in Berlin Autos brennen – würden wir Deutschen uns fragen, warum ausländische Zeitungen so seltsame Verbindungen zwischen den unsäglichen Maikrawallen und einem davon isoliert ablaufenden Promoting für Sportartikelhersteller einen Monat später herstellen?

Wie gesagt – ich weise gar nichts aus dem Artikel zurück. Möchte aber einfach mal auf die Frage der Perspektive hinweisen…

 

Frohes Neues!

Tja, über die Weihnachts“ferien“ hinweg ist dann doch einiges liegengeblieben. Immerhin – mein Umzug ist vollendet, aber trotzdem komme ich zu so vielem, was noch brennt, derzeit nicht, daher ist auch das Blog länger liegengeblieben, als ich so dachte. Und seit mich mein Büro wieder hat, scheint da noch einiges mehr liegenzubleiben…

Immerhin, es gibt ein paar Pläne, die ich für das erste Quartal fest vorhabe, mal sehen, ob das auch klappt.

  1. Ich möchte die Filmrezensionen wieder aufnehmen und diesmal auch wirklich durchhalten. Nachdem es nun monatlich einen Filmabend geben wird, machen wir vielleicht daraus was.
  2. Lange versprochen und wirklich nachgefragt ist eine Vervollständigung meiner Komplettlösung zu „Dead Island“ – inklusive aller neuen Spielinhalte. Nachdem es dazu im Netz nach wie vor nur ein Wiki gibt wäre es eigentlich nur fair, endlich mal damit weiterzumachen.
  3. Meine Artikel zu Willy Brandt, die ich kurz vor der Pause versprochen hatte, sollten auch endlich mal erscheinen…. Oberstes ToDo hier.
  4. Bei meinen Lieblingsspielen fehlen noch ein paar Artikel – und ein paar weitere müssen dazukommen. Aber das eilt, finde ich, nicht. Eigentlich ist das hier ja ein politisches Blog oder war mal so geplant. Andererseits… der eigentliche Beginn waren seinerzeit Medien….
  5. Ich möchte sowohl den beinahe *kicher* täglichen Kommentar zum Zeitgeschehen, als auch die gelegentlichen eher tiefergehenden Artikel weiterführen und darüber hinaus wieder mehr im Bereich der Glosse ausprobieren – wenn ich meinem Hang zu Zynismus und zur Polemik nicht gelegentlich nachgebe wird es irgendwann übermächtig..

So beginnt also 2014:Nun also ist das neue Jahr angebrochen, quasi geöffnet und man sollte es auch einigermaßen schnell verbrauchen, sonst wird es schlecht. Dabei hat das Jahr schon einen recht angenehmen Beginn: Pofalla verstrickt die alte Regierung quasi posthum nochmal in einen netten Pöstchenskandal, was der Postillon auch gleich dazu nutzt um der Journaille mal kräftig in den Hintern zu treten.
Frau Merkel bricht sich beim Skilanglauf das Becken und die Regierung vermeldet, daß sie „voll handlungsfähig“ sei. Hat es dazu wirklich erst einen Unfall gebraucht? Oder warum war das vorher acht Jahre lang nicht drin? Immerhin – Frau Merkel hat ihre vorherige Regierung ebenfalls für „voll handlungsfähig“ erklärt – nach deren Abwahl.
Oh – und die CDU spricht, jedenfalls am Niederrhein, davon, daß ein CDU-Politiker seine Wähler betrogen habe. Anscheinend wachsen dort wegen des milden Winters Bäume der Erkenntnis. Bleibt zu hoffen, daß die auch bald in München wachsen, dann fliegt die CSU vielleicht geschlossen nach Kolumbien.
Apropos Kolumbien: Bei Aldi wird neuerdings auch Kokain verkauft. Vermutlich zu Discount-Preisen. Ob „Plus.de“ nachzieht und die „Kleinen Preise“ auch schnupfen? Vielleicht Rewe: „Qualität oben. Preise unten.“ Oder Tengelmann: „Immer eine gute Idee.“ Vielleicht ziehen auch die Baumärkte nach: „Mach Dein Ding!“ Die Polizei warnt allerdings, daß „140 Kilo auf einen Schlag zu viel für den Berliner Markt“ seien – die müssen es ja wissen.
Oh – und eine schöne Meldung noch am Rande der Woche: Französische Arbeiter nehmen zwei ihrer Bosse in Geiselhaft, weil Streik alleine bei drohender Werkschließung eben doch kein probates Mittel ist. Man könnte jetzt über die Moral der Geschichte streiten, aber irgendwie verstehe ich das gut, wenn sich Menschen, denen man die Würde nehmen will, gleichartig wehren wollen…

Tja, ich bin mal gespannt auf das Jahr. Möge es besser werden als 2013.