Olympischer Skandal Nummer… äh?

Olympia, ein ziemlich teures Sportfest, hat endlich mal einen Skandal. Also den zweiten. Nein, den Dritten. Ach, man kann ja kaum noch mitrechnen. Ob Doping oder Spielbetrug, jetzt spielt auch noch ein soganannter Naziskandal mit, was dem Ganzen wenigstens noch einen schönen Paniktouch gibt.

Die bislang lustigste Meldung war die, daß sich einige Badmintonspielerinnen wohl verabredet hatten und so schlecht gespielt hatten wie nie – damit sie auf leichtere Zwsichengegnerinnen treffen. Höher – weiter – schneller; Irgendwann ist die Leistungsgrenze des menschlichen Körpers halt erreicht weswegen dann alle „Versager“ sind – zumindest in den Augen besonders widerwärtiger Zeitgenossen. Dann gab es da noch diese Boxen-Geschichte, auch so eine olympische Nummer. Ganz sauber lief vermutlich auch die Heidemann-Geschichte nicht ab, wer weiß, aber dafür gab’s dann auch gleich den Rassismusvorwurf zum Frühstück. Apropos Rassismus, da war doch noch dieser Schweizer Fußballer, der Koraner beleidigt haben soll. Oder die Dreispringerin, diesmal aus Griechenland. Dazwischen gab’s auch noch ein paar andere Stories, aber irgendwann langweilt es, oder?

Nach diesen … gähn … vier Geschichten also ist es nun eine deutsche Ruderin, die sich wegen ihren Umfeldes, oder besser: Wegen des Umfeldes ihres Freundes. Klingt nach Sippenhaft. Inzwischen hat sie dazu auch was gesagt, daher lasse ich es umkommentiert. Interessant ist der Vorgang – von der selbstgerechten Empörung so ziemlich aller Beteiligter bis hin zum Schaden für das eh schon ziemlich dezimierte deutsche Ansehen in der Welt – allemal. Was man an so einem findet, geht mich aber zum Glück nichts an.

Vom Stammtisch Internet…

In einer mediengesteuerten Welt, in der als tonangebend der gilt, der am lautesten schreit, ist die Meinungsbildung immer so eine Sache. Um Wahrgenommen zu werden müssen Schlagzeilen reißerisch aufgemacht sein und nach Möglichkeit eine Emotion beim Leser hervorrufen – und das ist in aller Regel Wut.

Es ist einfach, zu hassen. Sein Weltbild in Abgrenzung zu einem anderen zu definieren und „die anderen“ über Schubladen pauschal zu beurteilen. Es muß nichtmal stimmen, es genügt der Empörungszusammenhang. Der ist in den 80er und 90er Jahren geknüpft worden, als die Medien immer wieder eine „Das Boot ist voll“ und „Wir werden ausgeplündert“ – Rhetorik verbreiteten, die letztendlich in Brandanschlägen auf Asylbewerberheimen kulminierte, die von der Bevölkerung auch noch applaudierend begleitet wurden. Die Politik reagierte darauf, indem sie schlicht das Asylrecht abschaffte.

Dennoch gibt es Asylbewerber in Deutschland und es gibt auch nach wie vor Asylanten. Im deutschen Grundgesetz steht noch der schöne Satz: „Politisch verfolgte genießen Asylrecht.“ Das bedeutet: Das deutsche Volk beschützt in seiner Mitte all jene, die wegen ihrer Ansichten oder Religion oder Herkunft von repressiven Regimes verfolgt werden. Das deutsche Volk verteidigt die Rechte der Ausgestoßenen und Verfolgten dieses Planeten.

Ein Satz auf den man völlig zu Recht stolz sein kann. Solche Gedanken sind es, die mit der Beinahe-Verfassung das Land aus der Asche des schlimmsten Mörderregimes, das die Welt je gesehen hat, gehoben haben und es in die prosperierende Bundesrepublik verwandelt haben.
Nun hat Stefan Niggemeier dokumentiert, wohin die Feindrhetorik allerdings hinläuft – und man kriegt das kalte Gruseln. Die Nutzer bei Bild.de kommentieren vollkommen ahnungs- und verstandbefreit diesen Artikel der Bildzeitung. Schön in diesem Zusammenhang sind die Sprüche über mangelnde Sprachkenntnisse, die mit einem sehr zweifelhaften Vokabelschatz und einer, naja, Grammatik vom anderen Stern zum Ausdruck gebracht werden. Aber ein Kommentar wie dieser:

Usa Girl
die bekommen doch für ihre 20 blagen kindergeld, gehen klauen. dealen mit drogen und betrügen den staat nach strich und faden. den geht es besser, als die die ehrliche arbeit leisten. in deutschland werden doch solche nassauer auch noch gefördert. habe es als mitarbeiter im sozialamt selbst erlebt.

spricht Bände, nicht wahr? Es werden diffuse Ängste und auf Empörung zugeschnittene Schlagzeilen zu einer generellen Opfer-Mentalität zusammengemischt, derer sich insbesondere Rechte und Rechtsradikale gerne bedienen, wie man auch schön in Ungarn beobachten kann, wo Parteien wie Jobbik offen von einem Großungarn träumen, das es so in dieser Form nicht gegeben hat.

Die Mentalität, „Opfer“ irgendeiner fremden Gruppe zu sein ist bequem, weil sie die Welt erklären kann solange man sich nicht mit Realitäten konfrontiert. Und das ist ein weiteres Zeichen der Medienwelt: Komplizierte Antworten auf scheinbar einfache Fragen werden in der Regel abgewunken. „Bloß nicht kompliziert machen, Du willst mich ja nur verwirren.“ Die Bildzeitung bedient diese Mentalität sehr gut und lehrt die Leser zugleich, daß die Antworten stets überschaubar sein können: Die Griechen haben kein Geld weil sie faul sind und auf unsere kosten leben. Ganz simpel, ganz einfach. Komplexere Erklärungsmodelle verlieren ihre Geltung.

Die einzige Hoffnung, die einem da bleibt ist die, daß letztendlich eine große Mehrheit dieser Figuren, die sich da als Haßprediger aufspielen, kaum in der Lage sein dürfte, sich ohne Hilfe die Schuhe zuzubinden:

Liebe Nadine
Langsam muss mal Schluss sein, jetzt
holen wir noch wahrscheinlich hunderttausende Spanier nach Deutsch–
land, dann hört die Germanische Rasse langsam auf zu bestehen.

Wer auch immer diese „germansiche Rasse“ ist, sie besteht schon längst nicht mehr, weil der Rassebegriff auf den Homo Sapiens so einfach nicht anwendbar ist. Eine recht nette Zusammenfassung der Thematik und Problematik findet man übrigens auch hier. Der Kommentar ist aber insofern lustig weil er versucht, einen Empörungszusammenhang zwischen der Bankenkrise in Spanien und der Frage nach dem menschenwürdigen Umgang mit Asylsuchenden zu stellen versucht – was halt mal völliger Humbug ist.

Auch nett ist dieser Schwachkopf hier:

Bruno Blume
.… überhaupt kein Geld mehr für die leistungslosen Schmarotzer. .…. Dem Staat könnte es so gut gehen, wenn nicht fast die Hälfte des Staatshaushaltes für sowas draufgehen würde.

Ähm… nein? Die Asylbewerber machen im Haushalt des Bundes einen verschwindend geringen Anteil aus, schon einen größeren in den Kommunen, denen auch die Verwaltung obliegt. Aber ein Bewerber hat nicht automatisch Asyl – das kriegen nur die wenigsten. Ein Bewerber wird nur vom Staat untergebracht während über seinen Antrag entschieden wird, sonst gar nichts. Und was den wunderbaren Begriff des „Schmarotzers“ betrifft: Asylsuchende haben in Deutschland keine Arbeitserlaubnis. Ist auch gut, sonst würde man ihnen ja vorwerfen, daß sie „uns die Arbeitsplätze wegnehmen“.

Die Vermischung von Asyl- und Einwanderungpolitik, die völlige Ahnungslosigkeit was die Grundsätze von Recht und Gesetz sowie von Verfassung und Menschenrechten von einem Land fordern – ich bin manchmal ernsthaft platt, wie wenig sich die Menschen heutzutage in der „Informationsgesellschaft“ lebend informieren….

Brauchen wir eine radikale Bankenreform?

Als basisdemokratische Partei befragt die SPD von Zeit zu Zeit Mitglieder und Bürger nach ihrer Meinung. Nun gibt es ein neues Online-Voting der Bundes-SPD zur Frage:

Brauchen wir eine radikalere Bankenreform?

Abstimmen kann jeder Bürger auf dieser Seite:

http://www.spd.de/spd-webapp/servlet/segment/spd/aktuelles/News/74384/20120723_bankenzerschlagung_voting.html

Bin mal gespannt, was da rauskommt.

Hurrah, Hurrah, Olympia!

Ist es nicht schön? Kaum ist die Fußball-EM zuende und dasMedienprogramm hat sich wieder halbwegs normalisiert, schon kommt das nächste „Großereignis“ und belegt wieder in sämtlichen Gazetten und Öffentlichen-Rechtlichen Rundfunksendern den ersten Platz: Diesmal geht es um die Olympischen Spiele.

Bitte, ich bin kein Gegner von Sport, nicht einmal von als Sport getarnten Werbeveranstaltungen bei denen eine Pharmafirma gegen die andere laufen lässt. Im Grunde gönne ich diese Spiele auch gerne all jenen, die sich das antun möchten, solange ich es halbwegs schaffe, davon verschont zu bleiben. Da ich keinen Fernseher habe, mag mir das sogar einigermaßen gelingen.
Aber man liest dann doch faszinierendes: Damit die Sportler der ganzen Welt in Ruhe um die Wette laufen können, müssen 1,3 Milliarden Euro für die Sicherheit aufgewendet werden, 16.500 Soldaten und 9.500 Polizisten sichern die Spiele ab. Pannen hin oder her – das ist ein gigantischer Aufwand. Alleine das staatliche Sicherheitspersonal ist also zahlreicher als beispielsweise die Bevölkerung von Lindau am Bodensee mit knapp 24.800 Einwohnern. Nimmt man nun noch die zugesagten 7.000 privaten Sicherheitsleute dazu (auch wenn das fraglich sein dürfte), ist man alleine da bei 32.000 Mann – ohne die ganzen Leute bei Zoll und Grenzsicherheit.
Der Aufwand ist natürlich gerechtfertigt: Wenige Tage nachdem London 2005 den Zuschlag zur Ausrichtung der Spiele erhalten hatte, gab es die verheerende Anschlagserie in der Stadt. Und dann denke man nur an München 1972, als Jassir Arafat den Befehl gab während der Friedensspiele israelische Sportler zu ermorden. Später gab’s dann den Friedensnobelpreis.

Tatsächlich ist das auch so ein Wendepunkt gewesen. In Montreal 1976 waren statt der Polizei bereits um die 17.000 Soldaten im Einsatz, das zog Kreise. Die olympischen Spiele, eigentlich ein Friedenssymbol, sind derart militarisiert, daß es eigentlich immer mehr zu einer Messe für Sicherheitstechnik und Terrorabwehr mit angehängter Sportveranstaltung wird.

Schade. Denn das, was sie eigentlich ausmachen, den sportlichen Wettkampf, tragen sie angesichts der Anabolika-Athleten auch kaum noch nach außen. Warum sich also den Mist dann antun?

Pietät? Nee…. lieber Auflage.

Daß mittlerweile annähernd jede militärische Auseinandersetzung der deutschen Presse Anlaß bietet, „Klickstrecken“ und Bildersammlungen zu unvorstellbarer Not und Elend zusammenzustellen, ist ja nichts neues mehr. Interessant fand ich heute morgen allerdings den Umgang der Münchner Zeitungen mit Verkehrsunfällen:

Die TZ bietet einen „Rumms-Atlas“. Erfreut besonders die, die dann durch eine Scheibe „rummsen“.

„München, wo es blitzt und kracht“ Ja, genau…

Ob TZ oder AZ – so richtig will mich das nicht zum Kauf animieren. Nun geht es bei der Geschichte eigentlich um die Stellen in der Münchner Innenstadt, die besonders gefährlich sind. Eine wichtige Sache, die Journalisten auch berichten sollten. Aber so?
Nun ist es nicht so, als wären die Münchner Boulevardszeitungen geneigt, besonders geschickte Verknüpfungen ihrer Artikel zu liefern:

Von der Medienberichterstattung – und der Realität

Im journalistischen Alltag unserer Republik ist ein gewisser Hype um ein Faktum stets eine Begleiterscheinung, die man nicht vermeiden kann. Ich habe ja schon davon berichtet, wie seltsam die Berichterstattung rund um die Wahl in Schleswig-Holstein ist. Nun machen wir mal noch Nordrhein-Westfalen.

In Schleswig-Holstein wurde die FDP mit der Botschaft, das annähernd beste Ergebnis ihrer Geschichte dort abgeliefert zu haben, begrüßt. Das war gelogen und ist in der Medienberichterstattung seinerzeit auch völlig untergegangen. Die FDP hatte in Wahrheit die Hälfte ihrter Wähler verloren, lediglich die Tatsache, daß kaum noch einer zur Wahl gegangen war hatte dafür gesorgt, daß die Partei über die 5%-Hürde gerutscht ist; Ein weiteres Indiz dafür, daß hohe Wahlbeteiligungen am ehesten radikale Parteien aus den Parlamenten halten.

Alle Zahlen zu Schleswig-Holstein können Sie hier finden.

Nordrhein-Westfalen
Interessanter ist nun der Vorgang in NRW. Die SPD hat dort einen sehr personenzentrierten, aber auch teilweise recht peinlichen Wahlkampf erfolgreich geführt.

Hier ist es ein wenig anders.
Die SPD hat real 309.627 Erststimmen und 374.342 Zweitstimmen hinzugewonnen. Bei einer leicht gestiegenen Wahlbeteiligung (nur noch 59,6% gingen überhaupt hin!) führte das zu einer Anteilssteigerung um 3,8% auf 42,3% bei den Erststimmen und um 4,6% auf 39,1 bei den Zweitstimmen.
Die CDU verliert 437.775 Erst- und 631.067 Zweitstimmen. Das sind Verluste von 5,8% bzw. 8,3% und diese trugen maßgeblich zum Sturz von Röttgen bei, der Angela Merkel vermutlich gar nicht so ungelegen kam.
Die FDP schließlich gewannt bei dieser Wahl real Stimmen hinzu: 8.798 Erststimmen und 147.742 Zweitstimmen (!). Der Anteil liegt damit bei den Zweitstimmen bei 8,6%. Ob das der Lindner-Effekt war oder ein Bonus durch abgewanderte, frustrierte CDU-Wähler, sei mal dahingestellt.

Blickt man in die Wahlergebnisse seit dem zweiten Weltkrieg, so liegt das Ergebnis der FDP im oberen Mittelfeld.

Diese Datei und die Informationen unter dem roten Trennstrich werden aus dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons eingebunden.

Diese Dateiwird aus dem zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons eingebunden.

Im Gegensatz zur Berichterstattung rund um Schleswig-Holstein (siehe unten nochmal) ist also hier tatsächlich eine Steigerung des FDP-Ergebnisses festzustellen.

Das beste realitive Ergebnis haben übrigens die Piraten zu verzeichnen: 547.122 Erststimmen und 487.911 Zweitstimmen haben sie dazugewonnen. Das entspricht einem Anteil von +7% bzw. +6,2%. Verloren haben hingegen vor allem die Linkspartei und nicht so kräftig die Grünen.

All das lässt sich natürlich anhand der Prozente ausdrücken, aber die realen Stimmenzuwächse und -verluste sind es doch, die eigentlich interessant sind. Zudem fehlt auch hier in der Medienberichterstattung komplett der Hinweis darauf, daß die Mehrheit von Rot-Grün zwar durch 50,4% der Wähler, aber nur durch 29,66% aller Wahlberechtigten erreicht wurde. Wenn nicht einmal 30% aller Wahlberechtigten eine Regierung wählen – kann man dann eigentlich wirklich von Demokratie (Mehrheit beherrscht Minderheit) sprechen?

Ich habe oftmals den Eindruck, daß die Parteien im Anschluß an die Wahlanalyse hauptsächlich die Frage stellen, wie man den eigenen Anteil in der Wählerschaft erhöhen kann; egal wieviel kleiner diese Wählerschaft wird. Nur ist es halt nicht mehr sonderlich demokratisch, wenn halt nur noch 20.000 Wähler hingehen und 13 Millionen daheim bleiben. Zumindest solange nicht, solange die Politik die Nichtwähler aus dem Wahlergebnis einfach herausrechnet. Würde man die Zahl der Sitze einfach der Wahlbeteiligung anpassen – bei 60% Wahlbeteiligung gibt’s einfach auch nur noch 60% der Sitze zu verteilen – wären die Mehrheitsverhältnisse gleich, aber die sinkende Wahlbeteiligung würde auffälliger werden und die Politik zum handeln zwingen.

 

Zum Vergleich eine kleine Wiederholung aus meinem oben zitierten Schleswig-Holstein-Artikel:

In Schleswig-Holstein schafft die FDP den Einzug ins Landesparlament, sogar mit dem zweitbesten Ergebnis ihrer Geschichte. Das ist wohl auch nicht verwunderlich, wie Wolfram Müller schreibt, aber man sollte das Ergebnis auch nicht so hoch hängen. Kubicki bläst schon wirklich lange gegen die FDP-Bundesspitze und wird in Medien immer gern als “FDP-Rebell” (Ob bei Spiegel Online, Welt oder Bild) beschrieben, was dem Wähler natürlich gefällt. Ich glaube, daß die Menschen in S.-H. da eher Kucicki als FDP gewählt haben. Auch wenn die Medien wieder kräftig anschieben (Sogar der Deutschlandfunk!) würde ich mal vorsichtig abwarten, ob die Wahl in NRW davon ernsthaft beeinflußt wird.
Mehr Sorgen macht mir – neben dem schwachen Wahlergebnis für SPD und Linkspartei – die mieserable Wahlbeteiligung. Nur 60,1% gingen überhaupt noch zur Wahl. Die SPD konnte immerhin 1.300 Erststimmen mehr als 2009 verbuchen, die CDU verlor praktisch 100.000 Erst- und noch einmal soviele Zweitstimmen. Hier hat die SPD knapp 4.000 Stimmen mehr zu verzeichnen. Die geringe Wahlbeteiligung dürfte Hauptverursacher sein, daß die FDP trotz eines Verlustes von 101.600 Zweitstimmen (!) ihr “Zweitbestes Ergebnis der Geschichte” verzeichnen darf. In Wahrheit hat sie die Hälfte ihrer Wähler verloren.
Blickt man in die realen Zahlen (Alle der Veröffentlichung des Statistikamtes Nord zu entnehmen) so stellt man anhand des Zweitstimmenergebnisses fest, daß die einzigen Parteien, die Stimmen hinzugewonnen haben, die SPD (+3.860) und die Piraten (+79.903) sind. Alle anderen haben Stimmenverluste zu verzeichnen. Das spricht Bände über unser Wahlsystem – und Bände über unsere Politiker, die sich am Wahlabend so ziemlich alle auf die Schultern klopften. Über die Journaille, die das ebenfalls geflissentlich übersieht, sollte man lieber kein Wort verlieren.

Also doch…. das Wahlrecht ist ungültig.

Die Linkspartei hat es kaum überrascht, SPD und Grüne sowie der „Verein für mehr Demokratie e.V“ jubeln: Wie mich grad die Eilmeldung der Sueddeutschen in Kenntnis setzt, hat das Bundesverfassungsgericht das von Schwarz-Gelb in panischer Eile gegossene Wahlgesetz wieder kassiert. Nun wird es spannend, weil eigentlich ist nächstes jahr im September Bundestagswahl….

Worum geht es eigentlich? 2008 hat das Bundesverfassungsgericht das bisherige Wahlrecht kassiert wegen der sogenannten „negativen Stimmgewichtung“. Das funktioniert so: Wegen der Mischung aus Personen- und Verhältniswahlrecht kann es passieren, daß eine Partei mehr Sitze erhält, als ihr von den Stimmen her zustünden. Wenn eine Partei mehr direkt gewählte Abgeordnete erhält als Listenabgeordnete durch Zweitstimmen, gibt es Überhangmandate. Dank der Aufsplittung in Landeslisten ist das nun sogar wahrscheinlicher. Denn nun kann auch folgendes passieren:

Eine Partei erhält genauso viele Stimmen wie eine andere, aber mit unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Ländern. Gewinnt nun diese Partei, sagen wir, 100 Sitze im Bundestag, so werden diese zuerst mit den Direktmandaten besetzt, anschließend auf den jeweiligen landeslisten aufgefüllt. Sagen wir, der Partei ist es gelungen, in jedem der 16 Bundesländer 5 Direktmandate zu erringen (was 80 Sitze ausmacht), die übrigen Sitze werden entsprechend der Anteile an Zweitstimmen nun durch die Landeslisten aufgefüllt. Jetzt kommt aber der Clou: Wenn die Partei weniger Zweitstimmen erhalten hätte, so daß, sagen wir im Bundesland Bayern nur 4 Sitze auf der Landesliste zusammengekommen wären, aber die Gesamtzahl der Stimmen nicht einen (oder mehrere Sitze) gekostet hätte, wären es immer noch 100 Sitze und die Partei bekäme einen zusätzlichen Sitz auf einer anderen Landesliste. Sind aber 5 Direktmandate in Bayern auch durch, so entsteht hier ein Überhangmandat, weil direkt gewählte Abgeordnete immer in den Bundestag einziehen dürfen. Das bedeutet, daß weniger Zweitstimmen in Bayern einen zusätzlichen Sitz einbringen würden – und das nennt man „negatives Stimmgewicht“.
(Schön erklärt am Beispiel der SPD Bremen hat Martin Fehndrich das in Spektrum der Wissenschaft)

Das neue Urteil nun fordert den Bundestag auf, binnen eigentlich eines halben Jahres, besser noch etwas fixer, ein neues Wahlrecht auf die Beine zu stellen. Etwas fixer deswegen, weil es ein wenig kompliziert sein dürfte für die Parteien, ohne eine gültiges Verfahren ihre Kandidatenlisten und dergleichen aufzustellen – das geschieht mittlerweile mit gut einem Jahr Vorlauf. Ein Wahlkampf muß ja vorbereitet sein und wer eigentlich wo kandidiert muß auch legitim und demokratisch bestimmt werden.

Die Opposition freut sich, denn die Regierung braucht ihre Stimmen für die Änderung – das Wahlgesetz zu ändern erfordert in beiden Häusern eine 2/3-Mehrheit. Und da wird es nun spannend, was soll denn gemacht werden?

Ideen und Umsetzung
Bei etwa 600 Sitzen gibt es folgendes Problem: Wenn eine Partei 1/3 oder weniger Zweitstimmen kassiert ( also ca. 200 Sitze), aber mehr als 2/3 der Direktmandate (also 400 Sitze), was soll man da dann machen?

  1. Man wirft direkt gewählte Abgeordnete nach dem Losverfahren raus, weil die Zweitstimmen bei 600 Sitzen nur 200 erlauben. Voila, das Zweitstimmenverhältnis passt.
  2. Man lässt die gewählten Vertreter ins Parlament und lebtmit der Verschiebung der Prozente. So geht das im Augenblick, und das hat das BVG bereits kassiert…
  3. Man schafft Ausgleichsmandate und erhöht die Zahl der Sitze bis das Zweitstimmenverhältnis stimmt. Je mehr kleine Parteien ins Parlament kommen, desto wahrscheinlicher ist die Erhöhung der Mandate. Das Ergebnis sind die berühmten „Klappstuhlparlamentarier“, wie es sie mal in der Linksfraktion gegeben hat. Nebenbei vergrößert sich so das Parlament von derzeit knapp 600 auf eine ziemlich unüberschaubare (und zu bezahlende) Menge von Abgeordneten.
  4. Die letzte Idee wäre, man trennt Direktmandate und Listenplätze. Erststimme = 300 Direktkandidaten, Zweitstimme gleich 300 Listenplätze. Mehr als 600 Abgeordnete würde es so nicht geben. Aber: Das bevorzugt Parteien mit vielen Direktkandidaten (bei der letzten Wahl hätte es CDU/CSU und SPD in Relation zum Wahlergebnis bevorzugt, da sie grundsätzlich viel mehr Direktkandidaten durchbringen als die kleineren Parteien). Jede Partei, die weniger als 50% der Mandate über Direktmandate errungen hat verliert. Interessant ist das Problem Bayern, da die CSU nicht bundesweit, die CDU nicht in Bayern kandidiert und sich von daher bei der Verrechnung der Zweitstimmen plötzlich nicht mehr nützen, sondern gegenseitig schaden würden.
    Allerdings machen da die kleineren Parteien nicht mit: Die Linke hatte 16 Direktkandidaten von 76 Abgeordneten. Die Grünen haben nur einen einzigen Direktkandidaten durchgebracht, die FDP keinen einzigen. Diese Parteien hätten bei halbierten Listenplätzen effektiv nur noch die Hälfte der Abgeordneten.

Das Trennen von Listen- und Direktmandaten hat allerdings auch den Nachteil, daß sich das Zweitstimmenergebnis, also das der Verhältniswahl, nicht mehr vollständig im Parlament widerspiegelt, was gerade die Verfassungrichter noch einmal betont verlangt haben. in der gesamten Bundesrepublik gibt es 299 Wahlkreise für den Bundestag, die Kreise 213-257 (Also 45 Stück) liegen in Bayern. Nun würden also 45 bayerische Abgeordnete gestellt werden, schon stellt sich die Frage: sind das nun 22 direkte und 23 Listenkanditaten oder wie? Nächste Frage: Wenn die CSU hier alle Direktkandidaten holt (was realistisch ist), SPD und Grüne aber im Verhältnis drei Listenabgeordnete stellen – schont oder nützt die CSU dann der gemeinschaftlichen Fraktion mit der CDU? Ist die dann überhaupt zu halten?

Die Änderung des Wahlrechts wird – und das ist gewiß – wenn sie endlich verfassungskonform ist auch eine Menge Änderung in den politischen Verhältnissen im Land bedeuten. Aber das will ja nun kein Politiker, oder?

Von den Werten des "christdemokratischen" Menschen

Im politischen Alltag unserer Republik gibt es eine Vielzahl von Ereignissen, die manchmal am Verstand der Bevölkerung, besonders aber am Verstand der Politik zweifeln lassen. Liest man auf der Seite der Cristlich-Demokratischen Union oder auch bei den Christsozialisten nach, so findet man dort interessante Behauptungen.

Bei der CDU heißt es unter Selbstverständnis: „Grundlage unserer Politik ist das christliche Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. Unsere Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit sind daraus abgeleitet. Die CDU ist für jeden offen, der die Würde und Freiheit aller Menschen und die daraus abgeleiteten Grundüberzeugungen unserer Politik bejaht.“ Weiter heißt es: „Die CDU Deutschlands steht für die freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie, für die Soziale und Ökologische Marktwirtschaft, die Einbindung Deutschlands in die westliche Werte- und Verteidigungsgemeinschaft, für die Einheit der Nation und die Einigung Europas.“

Bei der CSU klingt das so:
„Die CSU ist die moderne wertorientierte Volkspartei in Bayern.
Die CSU gestaltet Politik aus christlicher und sozialer Verantwortung.
Die CSU ist die Partei der Freiheit.
Die CSU ist eine konservative Partei.
Die CSU gestaltet Politik zur Bewahrung der Schöpfung.
Die CSU ist eine bayerische Partei und gestaltet Politik für Bayern.
Die CSU trägt Verantwortung für unsere Zukunft in Deutschland und Europa.“

Diese Allgemeinplätze stehen unter der Schönen überschrift „Klare Werte„. Im Grundsatzprogramm im Bereich „die Wurzeln der CSU“ steht der schöne Satz: „Die christlich-soziale Volkspartei CSU ist überzeugungstreu im Grundsätzlichen und handlungsfähig in der praktischen Politik.“

Zusammengefasst also möchten uns beide Parteien sagen daß sie konservative, dem christlichen Abendland verpflichtete Parteien sind (interessant ist schon hier, daß das „christlich-jüdische Abendland“ gar nicht mehr als Kampfparole auftaucht…) die sich vor allem für die Einheit Deutschlands interessieren. Die CSU trägt sogar Verantwortung für die Zukunft also rufen Sie mal da an wenn Sie aus Ihrem Job rationalisiert werden.

Ware Werte
Was bleibt denn davon übrig, wenn man sich diesen Wertekanon ansieht und das Regierungshandeln der CDU – egal ob unter Kohl oder unter Merkel – daneben hält? Um es kurz zu machen: Nicht viel.

Bleiben wir mal bei der CDU. Die Grundlage ist das christliche Verständnis vom Menschen und die Verantwortung vor Gott. Der Mensch ist allerdings völlig egal was das reale Handeln der CDU betrifft, kaum lässt sich das schöner zeigen als an dem Schnappschuß, den ich zufällig dieses Wochenende in Pasing machen konnte, und der die Unterordnung christlicher Werte unter die ökonomischen nett darstellt:

Lust - die Sünde ist der Kaufanreiz

Schön, gell? Natürlich ist es nun nichts gerade ungewöhnliches, daß mit Hilfe einer Sünde ein Kaufanreiz geschaffen wird, aber rein von der Symbolik her fand ich die Verbindung von „Lust“ (Immerhin eine Todsünde im christlichen Verständnis) mit dem Kommerz hier besonders treffsicher platziert.

Tatsächlich haben CDU/CSU in Verbindung mit einer völlig aus dem Ruder gelaufenen FDP das Rennen aus dem Christlichen hinein ins Ökonomische angetreten. Das mag den einen oder anderen eingeschworenen Gegner dieser Parteien nun nicht weiter verwundern, aber was der SPD völlig zu Recht als Verrat an den eigenen Prinzipien ausgelegt wird, nämlich die Unterordnung der eigenen Wertewelt unter eine ökonomische Denkweise, scheint die Christdemokraten kaum zu berühren: Ihre Umfragewerte liegen stabil zwischen 32% und 36%.
Das ist interessant, denn eigentlich ist das Christentum eine recht sozialrevolutionäre Bewegung, die mit dem Begriff „Nächstenliebe“ die Gnade und das Mitleid in Gesellschaftsordnung und Wertebild der Menschen eingebracht hat. Reichtum ist im Christentum eigentlich verpönt – wer reich war, mußte um seinen Platz im Himmelreich bangen. Der Schutz der Armen ist Programm, und das schon ziemlich lange: „Wer dem Geringen Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer; aber wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott. (Spr 14,31)“
Sogar Mundraub, der Diebstahl von Essen aus Hunger, wird schon im Alten Testament legitimiert: „Wenn du in deines Nächsten Weinberg gehst, so magst du Trauben essen nach deinem Willen, bis du satt hast; aber du sollst nichts in dein Gefäß tun. Wenn du in die Saat deines Nächsten gehst, so magst du mit der Hand Ähren abrupfen; aber mit der Sichel sollst du nicht darin hin und her fahren.“ (5 Mose, Kap. 23, V.25-26)

Das möchte ich sehen, daß ein CDU-Politiker mit einem Lächeln drüber hinwegsieht, wenn ihm ein Obdachloser Trauben aus dem Weinberg klaut, selbst Heiner Geißler, der immerhin einen Weinberg in der Weinlage namens „Gleisweiler Hölle“ besitzt, würde das vermutlich nicht lustig finden.

Das Christentum hat sich schon im Mittelalter dahingehend gewandelt, daß die Amtskirche die Machtpositionen und die Machtsituation des Adels und natürlich von sich selbst als gottgegebener Situation darstellte. Den Menschen wurde eine Art Handel vorgeschlagen: Ihre Armut war eine göttliche Strafe für die Erbsünde, dafür stünde ihnen das Himmelreich offen – zumindest wenn sie für die Reichen beten; Die Reichen konnten ihre Seele mit dem Almosen an die Armen erretten. Und schon muß sich nichts ändern.
Diese Denkweise ist von der Amtskirche direkt ins politische Christentum gewandelt, es scheint sich nicht mehr als Volksverteidiger, sondern als Verteidiger eines Status Quo zu verstehen. Einen Jakobus würden CDU-Politiker vermutlich gleich direkt verneinen oder gar für linke Kampfrhetorik halten: „Wohlan nun, ihr Reichen, weint und heult über das Elend, das über euch kommt! Euer Reichtum ist verfault und eure Kleider sind zum Mottenfraß geworden; euer Gold und Silber ist verrostet, und ihr Rost wird gegen euch Zeugnis ablegen und euer Fleisch fressen wie Feuer. Ihr habt Schätze gesammelt in den letzten Tagen! Siehe, der Lohn der Arbeiter, die euch die Felder abgemäht haben, der aber von euch zurückbehalten worden ist, er schreit, und das Rufen der Schnitter ist dem Herrn der Heerscharen zu Ohren gekommen! Ihr habt euch dem Genuss hingegeben und üppig gelebt auf Erden, ihr habt eure Herzen gemästet wie an einem Schlachttag! Ihr habt den Gerechten verurteilt, ihn getötet; er hat euch nicht widerstanden.“ (Jak 5, 1-6)

Was bleibt ist die Erkenntnis, daß man unter der Herrschaft einer „christlichen“ Partei am Besten bei der Bibel bleibt. Zum Beispiel beim Propheten Amos, der nicht Teil der katholischen, sondern der jüdischen Bibel ist: „Darum, weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn, so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von Quadersteinen gebaut habt, und den Wein nicht trinken, den ihr in den feinen Weinbergen gepflanzt habt. Denn ich kenne eure Freveltaten, die so viel sind, und eure Sünden, die so groß sind, wie ihr die Gerechten bedrängt und Bestechungsgeld nehmt und die Armen im Tor unterdrückt.“ (Amos 5, 11-12) Den Satz danach („Deshalb handelt jeder klug, der in solch einer bösen Zeit schweigt und sich euch nicht ans Messer liefert.“) will ich aber nicht gelten lassen….

Fundstück der Woche (29. KW): Wie man die Demokratie in 57 Sekunden aushebelt

Ist manchmal unglaublich, wie ich schon in meinem Artikel erwähnt habe. Hier nochmal der Video-Mitschnitt:

Kein Ruhmesblatt für die Parlamentarier – egal welche Fraktion.