Zur Landtags- und Bezirkswahl in Bayern 2013

Leider hat es ja nicht geklappt, die CSU vom Thron zu schütteln, im Gegenteil. Bislang pflege ich jenen, die (z.T. auch schadenfroh) fragen, was ich zu Wahl zu sagen habe, mitzuteilen, daß es eine gute und eine schlechte Nachricht gibt. Die Gute Nachricht: Die FdP ist draußen. Die schlechte Nachricht: Die CSU ist noch drinnen.

So ganz ernstgemeint ist das zwar nicht, aber trotzdem ist es schade, daß es den drei Oppositionsparteien nicht gelungen ist, die CSU mal in die selbige zu schicken – tatsächlich ist es angesichts der ganzen Skandale, welche die CSU in der letzten Zeit produziert hat, nahezu unverständlich, daß sie dennoch derart zugelegt hat. Ein Beispiel: Frau Merk hat im Fall Gustl Mollath mehrfach gelogen und sich dermaßen ungeschickt, geradezu rechthaberisch verhalten – ein Sozialdemokrat wäre längst gesteinigt worden – daß es gleich für 47,06% der Erststimmen in ihrem Wahlkreis gereicht hat. Man greift sich an den Kopf. Bei 56,76% Wahlbeteiligung sind das zwar nur 26,04% der Wahlberechtigten, aber warum wählt ein Viertel der Ulmer Bayern noch immer eine solche Person und wofür?

Blickt man über ganz Bayern hinweg, so ist es zwar erfreulich, daß die SPD in Maßen zugelegt hat, 464.078 Gesamtstimmen mehr (also 191.516 Erststimmen und 272.562 Zweitstimmen mehr) als 2008 erringen konnte, aber da die CSU sowohl aus der FdP, als auch aus anderen Parteien schöpfen konnte und insgesamt 1.028.312 Gesamtstimmen (485.684 Erst- und 542.628 Zweitstimmen) mehr erringen konnte als bei der vorherigen Wahl, ist das Ergebnis trotzdem enttäuschend.
Daß die FdP viel verloren hat ist deutlich, interessant finde ich das Ergebnis bei Grünen und Freien Wählern: Die Freien Wähler erringen 12.957 mehr Erststimmen als 2008 (Was aber wegen der gestiegenen Wahlbeteiligung noch immer -0,8% ausmacht) und verlieren bei den Zweitstimmen 36.609 gegenüber 2008, also 1,6%. An Gesamtstimmen macht das also einen Verlust von 23.652 Stimmen, das sind 1,2%.
Die Grünen hingegen erleben ein sehr interessantes Ergebnis: Sie gewinnen 38.075 Erststimmen (macht aber -0,3%!) und verlieren 18.534 Zweitstimmen (-1,3%) gegenüber 2008. Das macht einen Gesamtstimmenzuwachs von 19.541 Stimmen – was aber einen Prozentverlust von 0,8% ergibt. Das ist interessant, denn die Grünen erleiden Verluste obwohl sie Gewinne haben und das ist ein schöner Beleg dafür, was die Wahlbeteiligung ausmacht. Die stieg nämlich um 6% auf 63,9%, das sind 613.083 Wähler mehr als 2008, aber all diese Wähler landeten praktisch bei den großen Parteien, mehrheitlich bei der CSU.

In Oberbayern sind es bei der Landtagswahl 210.843 Gesamtstimmen mehr (also 65.928 Erststimmen und 144.915 Zweitstimmen mehr als 2008) für die SPD abgegeben worden und die Ebersberger Landtagskandidatin Doris Rauscher hat es gerade so in den Landtag geschafft (in welchem die SPD künftig 42 Sitze stellen wird).
Insgesamt war das SPD-Ergebnis für bayerische Verhältnisse ganz ordentlich – am besten in Mittelfranken mit 24,6% (Danach Oberfranken: 23,3%, Oberbayern: 22,1%, Oberpfalz und Unterfranken: je 19,5%, Schwaben: 17,2%) und am schlechtesten in Niederbayern mit 14,0%. In Niederbayern hat die SPD auch 0,1% verloren (und die Wahlbeteiligung war auch am schwächsten), ansonsten überall in Bayern zugelegt. Ob man daraus einen Trend ablesen kann sei mal dahingestellt, es hat sich aber auf jeden Fall etwas bewegt.

Blicken wir nach Hause
Ein Blick nach Ebersberg (Stimmkreis 113) verrät, daß die SPD hier recht ordentlich zulegen konnte. Doris Rauscher holte 19,9% der Erststimmen, das sind immerhin 3,1% mehr als 2008, die SPD selbst kommt in den Zweistimmen auf 24,0% und schafft damit 5,7% mehr als noch zuvor. Das lässt ein bißchen hoffen bezüglich der Bundestagswahl. Im Gegenzug holt die CSU allerdings auch 3,7% mehr an Erststimmen und sensationelle 9,7% mehr an Zweitstimmen. Thomas Huber zieht als Direktkandidat in den Landtag ein. Naja, die Ebersberger werden ja sehen, was sie davon haben.
Erfreulich ist allerdings, daß die Wahlbeteiligung von 65,8% auf 71,4% gestiegen ist.

Was die Bezirkswahlen angeht, so hat es unsere Kandidatin Bianka Poschenrieder leider nicht ganz geschafft, in den oberbayerischen Bezirkstag einzuziehen. Aber ihr ist ein echter Achtungserfolg gelungen, als nahezu unbekannte Quereinsteigerin gestartet und dann mit 18.228 Stimmen auf Platz 14 der Liste gelandet. Da es der SPD nur gelungen ist, ihre 13 Sitze zu verteidigen (auch weil 1,7% der Stimmen genügten, um in den Bezirkstag einzuziehen, weswegen die Bayernpartei dort 3 Sitze erhält, FdP, ÖDP und Piraten je 2 Sitze und die Linkspartei einen Sitz), reicht das leider nicht – ihr fehlen genau 141 Stimmen für Platz 13 (Martin Eberl), aber sie hat beachtliche 2.253 Stimmen mehr als Platz 15 auf der SPD-Liste.

Insgesamt sieht es im Bezirk bei weitem nicht so rosig aus: Die CSU kommt auf 44,28% der Wählerinnen und Wähler, die SPD auf magere 18,94%, Die Grünen auf 11,35%, die Freien auf 9,48%. Schön finde ich, daß es den Piraten gelungen ist, sowohl Martina Wenta, als auch Dr. Gabriela Berg jeweils einen Sitz zu verschaffen.

Interessant ist es, wenn man die Zweit- und Erststimmenergebnisse von Bezirkstags- und Landtagswahl nur im Bezirk Oberbayern mal nebeneinander legt. Das mache ich, sobald die Zahlen vorliegen, derzeit ist das noch nicht der Fall. Aber das Ergebnis kann ich mal vorneweg nehmen: Es haben weniger Menschen bei den Bezirkswahlen ihre Stimme abgegeben, als bei der Landtagswahl. Das dürfte daran liegen, daß nicht allen klar ist, was die (in Bayern ziemlich einzigartigen) Bezirke eigentlich tun.

Fazit:
Nun, die Wahl müssen wir verloren geben – die Mehrheit hat gesprochen und sie findet, daß es in Bayern weiterhin Mauscheleien, Verwandtenbeschäftigung, Freiheitsberaubung, Lug und Trug geben darf. Die Botschaft der Wahl ist klar: Nimm mit, was geht und erbeute was Du kannst; Scher Dich nicht um Fairness oder Gerechtigkeit. Du wirst belohnt, wenn Du Dir das Land zu Beute machst und Dein Nachbar zählt nicht. Neoliberales Denken ist wohl wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Damit haben die Parteien links der sogenannten Mitte auch eine klare Aufgabe: Ändert das!


P.S.: Alle Zahlen kann man diesen Seiten entnehmen:

Fingerhakeln

Peer Steinbrück zeigt einen Stinkefinger und die Regierung freut sich. Nachdem sich Steinbrück zuletzt in der ARD in der Wahlarena als kompetent, klug und wählbar erwiesen hat und Angela Merkel dagegen üblich schwammig war, und zu allem übel auch noch die SPD bei der Umfrage der Infratest Dimap auf 28% „hochgeschnellt“ ist, mußte ja nochmal was kommen.

Nun also hat Peer Steinbrück in einem Fotointerview (das berühmte „Sagen Sie jetzt nichts“ des SZ-Magazins) auf eine Frage den Stinkefinger gezeigt. Die Frage lautete: „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“.

Quelle: Sueddeutsche.de / SZ-Magazin

Ehrlich gesagt – die Antwort von ihm finde ich witzig.

Das Fotointerview ist eine Sache, die Schauspielerei, Albernheit und ein gewisses Maß an Vordergründigkeit verlangt und ungefähr das hat er da auch gemacht. Niemand muß meine Meinung teilen, ich konnte nur drüber lachen. Daß die Republik das heute so ausgibig diskutiert (und sämtliche Spießbürger fast so sehr erschrocken sind als hätte er sich in Turnschuhen vereidigen lassen) zeigt aber sehr schön, wie die Medien hier wieder einmal arbeiten.

Wenn ein Politiker nicht zu 110% angepasst ist sondern tatsächlich mal ein bißchen von der Norm abweicht, wird er da gleich zerlegt, meistens von den Medien, die auch gerne beklagen, daß Politiker alle so einheitlich langweilig sind. Ich für meinen Teil möchte aber einen Politiker, der unbequem ist, an dem man sich reiben kann, den man gut oder furchtbar finden kann und da bin ich, glaube ich, nicht alleine. Immer wieder höre ich ein fast schon wehleidiges Sehnen nach Figuren wie Strauß, der aufrichtig gehasst werden konnte aber wenigstens auch zu dem stand was er sagte.

Muppets in Maßanzügen sind jedenfalls nicht das, was ich unter meinen Vertretern verstehe. Ich kann damit leben, daß Steinbrück die Wahlsieger in Italien als „Clowns“ tituliert – insbesondere weil der Eine das berufsmäßig ist und der Andere darstellerisch ja auch. und die Italiener stimmten ihm ja da teilweise auch zu. Wenn Steinbrück dem einen oder anderen „Mitglied der Gesellschaft“ gelegentlich den Stinkefinger zeigt, fühle ich mich für meinen Teil jedenfalls tatsächlich vertreten.

Dabei ist die Geste gar nicht aggressiv, wie das zum Beispiel Lorenz Maroldt vom Tagesspiegel meint: „Die Augen verkniffen, offen der Mund: ein Hooligan, kurz davor, dem Gegner mit der hohen Stirn das Nasenbein zu zertrümmern – so springt er alle an, vom Titelbild des ‚SZ-Magazins‘.“ Keine Ahnung, warum sich Herr Maroldt da so eingeschüchtert fühlt, wahrscheinlich fühlt er sich betroffen. Könnte am Umgang der Medien mit ihm, also Steinbrück, liegen. Ist aber nur so ’ne Vermutung. Ich finde die Geste provokant – und eben lustig.

Ganz ehrlich – wie wäre denn die Fotoserie mit Merkel gelaufen? Das hat der Twitter-User Hauke Walden treffend beantwortet:

Merkel_FotointerviewAls Antwort auf die Raute der Kanzlerin (neuerdings ja als einzige Botschaft der CDU in Berlin zu bewundern) ist es jedenfalls eine schöne Geste – und hinsichtlich einer eventuellen großen Koalition lässt sie auch Interporetationsspielraum. Wer wird da wohl wen… naja.

Was wollen sie sagen

Nachtrag, 17:00 uhr: Ich bin wohl doch nciht so alleine. Gysi hat das schon 1994 gemacht, die Hörer des Deutschlandfunks finden die Aktion irgendwie zwischen „okay“ und „super“ und wenigstens ein paar Leute machen sich die Mühe und suchen nach dem Anlaß des Bildes. Aber eines muß ich noch loswerden: Den wirklich witzigen tumbrl-Blog dazu.

Fundstück der Wahl: Peer Steinbrück stellt sich den Wählern

Ich hätte Ihnen wirklich gern auch die Wahlarena mit Angela Merkel gezeigt. Leider hat die ARD die nicht hochgeladen, sondern nur die zweite. Alleine dieses Gegenüber an Sendungen wäre selbsterklärend und hilfreich bei der Wahlentscheidung… Hm, könnte der Grund dafür sein, daß die ARD die Merkelsendung nicht online stellt….

Das SPD-Deutschlandfest

Mann, das war eine Party! Am Freitag bin ich dem Aufruf der Partei gefolgt und freute mich so richtig drauf: Drei Tage Berlin, eine der geilsten Städte der Welt, und dann noch zum größten Volksfest nach der Wiesen: Das mußte einfach was werden!

Und es wurde was. Die Presse, sichtlich in Verzweiflung über die Besucherzahlen (es waren insgesamt rund 500.000 da!), redete madig, was man vielleicht noch madig machen konnte: Der Kandidat sprach schlecht (stimmt nicht, siehe hier, bzw. Video unten), die Jusos finden den Namen nationalistisch (naja, das diente wohl zum Anstoß an eine Debatte aber trotzdem frage ich mich tatsächlich, was der Schwachkopf Kühnert sich da gedacht hat…), die Welt findet endlich etwas wichtiges: Steinbrück trinkt einen kleinen Schluck Bier, weil ihn „Werner“-Zeichner Brösel drauf einlädt. Naja, Brösel hat ein wirklich geniales Wahlplakat für die SPD gezeichnet und gehört zum großen Unterstützerkreis von Intelektuellen und Künstlern für eine rot-grüne Koalition. Ich habe es bei mir an der Tür hängen – am Dienstag ist es auf dem Blog hier zu bewundern. Vorsichtshalber log man auch gleich im Boulevard und erzählte von Peers Kavallerie (Stimmt auch nicht, können Sie in der Rede nachhören).

Mag ja sein, daß die beliebte Anti-Steinbrück-Kampagne nach wie vor Leser zieht, aber inzwischen beginnt so manches ein bißchen zu kippen. Den Menschen ist glaube ich, inzwischen klar daß es mit Angela Merkel nicht so weitergehen kann. Wir brauchen einen oder eine Kanzler/in, der oder die vernünftig und überlegt, aber auch mit Mut handelt. Und das fehlt völlig. Bei Frau Merkel zählt nicht das handeln, sondern nur der Handel. Und das schwächt unser Land und unser Europa.

Sehen Sie sich die Rede an. Einige Highllights:

  • Der Mindestlohn kommt mit der SPD. Er ist nämlich ökonomisch und sozial vernünftig!
  • Ich will ein Land, in dem es nicht darauf ankommt, wo Du herkommst – Sondern wo Du hinwillst!
  • Das WIR entscheidet über die Zukunft dieses Landes!
  • Ich will nicht ein Land, das von seiner Substanz lebt – wie das im Augenblick der Fall ist.
  • Die SPD die dazu da, Lebensentwürfe möglich zu machen!

Sehen Sie sich die Rede an. Es lohnt sich!

Tacheles (1): Reden wir mal über das Ehegattensplitting

Ein großer Streit in der Gesellschaft, der gerade in Frankreich an die Grenze zur Gewaltbereitschaft geht, ist die Frage der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der heterosexuell orientierten Ehe sowie in Deutschland besonders die Frage nach dem Ehegattensplitting.

Erstaunlicherweise redet aber niemand – kein Politiker irgendeiner Partei, noch irgendein Vertreter der sich eifrig in die Diskussion stürzenden Lobbygruppen – über die Idee und die Hintergründe, warum wir sowas eigentlich haben. Ich möchte einmal zwei Antworten geben.

Die Gesellschaftliche Antwort
Ein Volk, eine Gesellschaft, egal wie sie sich definiert, ist seit den Urzeiten der Menschheit in Ihrem Bestehen davon abhängig, daß genügend Nachwuchs da ist. In den frühesten Zeiten, als die Kindersterblichkeit noch sehr hoch war, war es eine grundsätzliche Antwort der Menschen auf die Gefahren der Natur, viele Kinder zu zeugen.

Eine wohlplatzierte Seuche wie beispielsweise der schwarze Tod im Mittelalter konnte ganze Landstriche ausrotten. Die Gefahren waren aber auch ohne Seuche vielfältig: Wilde Tiere und feindliche Nachbarn, Hungersnöte und Naturkatastrophen bedrohten den Fortbestand der Menschen. Bei einer derartigen Gefahrenlage fragt man sich natürlich sofort, ob es dann eigentlich klug ist, seine Kinder einer derartigen Welt auszusetzen.
Nun ist der Mensch von drei grundsätzlichen Trieben gesteuert: Selbsterhaltung, Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung. Alle gesellschaftlichen Regeln – auch praktisch jedes Verhalten, das wir im Tier- oder Pflanzenreich beobachten können, lässt sich auf diese grundsätzlichen Triebe herunterreduzieren. DIe Vermehrung als Weitergabe des eigenen Genmaterials ist auch ein Teil der Selbsterhaltung, etwas von einem selbst wird weiterleben, um es mal philosophisch auszudrücken.
Eine unkontrollierte Vermehrung ist aber bei ungesicherter Ressourcenlage eine ziemlich schlechte Idee – zumindest auf das Individuum heruntergerechnet. Man betrachte die Wanderheuschrecke: Viele Tiere fressen zwar zunächst alles, aber irgendwann gehen ihnen die Rohstoffe aus und sie müssen elendig verhungern. Der ständige Wechsel in der Anzahl bestimmter Tierarten und der daraufhin erfolgenden Vermehrung der Räuber – gefolgt vom selteren Auftreten der Tiere und damit auch einer Reduzierung der Zahl der Raubtiere – ist ein natürliches auf und ab, das die Evolution als bestes Ergebnis präsentieren kann, um eine Art Überleben zu lassen. Das funktioniert auch, solange der Mensch nicht eingreift.
Der Nachteil dieser Geschichte ist, daß das sehr grausam gegenüber dem Individuum ist: Zwar bleibt die Art als Ganzes erhalten, aber für das Einzelindividuum ist, gerade wenn es schwach ist, der Hungerwinter grausam und ungerecht.

Dem setzt der Mensch eine gewisse Kontrolle bei der Vermehrung entgegen. Durch die Vorstellung einer begrenzten Paarung (zum Beispiel ein Mann, eine Frau; Häufiger ein Mann und mehrere Frauen) wird die Zahl der potentiellen Kinder auch begrenzt. Eine solche Regel läuft aber dem Sexualtrieb des Menschen zuwider, also braucht er eine ihm übergeordnete, überlegene Macht, die ihn zwingt, bestimmte Verhaltensmuster anzunehmen.
Natürlich können auch Tiere auf diese Idee kommen und als Paar bis zum Ende ihres Lebens zusammenbleiben. Das ist aber höchst selten (weswegen der Schwan ja so viele Menschen inspiriert), aber der Mensch als Selbstbewußtes Individuum benötigt nun einmal jemanden, der ihm notfalls ein paar Regeln aufzwingt.

Mangels Staatlichkeit kamen unsere Vorfahren daher auf die glorreiche Idee, die Religion als Erzwinger von gesellschaftlichen Regeln zu benutzen. Die Religion schrieb vor wann man wen töten durfte und wann nicht, sie setzte Speisegesetze in Kraft die in Wahrheit eher der Gesundheit der Menschen dienten als irgendeinem Gott (Was genau macht Gott so froh darüber, wenn die Leute Freitags Fisch essen – und warum stört er sich nicht daran, daß man dann eben Schweine ertränkt hat, weil sie dadurch theologisch Fisch wurden und man sie essen durfte?).
Und die Religion schrieb – und möchte es gern weiter – eben auch vor, wer mit wem schlafen darf.

Natürlich steckt dahinter nicht eine Weltverschwörung weiser alter Graubärte und Graubärtinnen, sondern das Ganze hat auch praktische Aspekte (Überlegen Sie mal, wie groß die Macht einer Institution ist, die den Menschen vorschreiben darf, was sie wann essen und mit wem sich wer paaren darf – natürlich ist das Interesse der Kirchen zentral die Macht über Menschen), dennoch ist das Ergebnis dieser Entwicklung eine relativ kontrollierte Zahl an Geburten, die sich einigermaßen der vorhandenen Nahrungsmenge anpasst. In Gegenden, in denen das Nahrungsangebot reichhaltiger ist war die Monogamie ziemlich selten, man schließt heute, daß etwa 80% der menschlichen Stammesgesellschaften polygam lebten (siehe hierzu: David P. Barash und Judith E. Lipton: The Myth of Monogamy. Fidelity and infidelity in animals and people, 2002, S. 147). Auch zeigen Untersuchungen, daß die Zahl der Männer in der frühen menschlichen Geschichte erst mit der Erfindung des Ackerbaus zunahm – vorher gab es deutlich mehr Frauen als Männer. Mit dem Ackerbau stand aber auch mehr Nahrung zur Verfügung, die Zahl der Männer nahm zu und die Entwicklung hin zur Monogamie nahm ihren Lauf.

Als Überbau benutzte die Religion die „göttlichen“ Regeln, daß zum Einen Vater und Mutter zu ehren seien und zum Anderen den Aufruf „Seid fruchtbar und vermehret Euch!“. Daraus wird heute von religiös geprägten Menschen oftmals die „Natürlichkeit“ von heterosexueller, monogamer Ehe abgeleitet. Ein Trugschluß.

Dennoch hat auch der moderne Staat ein gewisses Interesse an der Ehe (und darum geht es in dem Artikel eigentlich, schon vergessen? 😉 ). Er möchte, daß sich das Volk vermehrt oder wenigstens seinen Bestand erhält. Eine Reihe von Mechanismen sind nämlich auf diesem Prinzip aufgesetzt. Der Generationenvertrag zum Beispiel. Er kann nur dann funktionieren, wenn es genügend Kinder und damit künftige Beitragszahler gibt. Auch ist die staatliche Ordnung davon abhängig, daß genügend Leute da sind damit sie sich verwalten und versorgen können – je höher der Grad an Spezialisierung derer, die einer Tätigkeit nachgehen, desto größer ist die notwendige Zahl derer, die ihren verschiedenen Professionen nachgehen. Man kann kein Land, keine Gesellschaft am Leben erhalten, wenn 90% der Menschen darin Bäume fällen und 10% Tische daraus bauen. Menschen brauchen Nahrung, Unterhaltung und so weiter – der Staat und damit die Gesellschaft braucht also zum Erhalt der eigenen Existenz Nachwuchs.

Eine heterosexuelle Ehe enthält zumindest das potentielle Versprechen auf Nachwuchs. Die Gesellschaft kann ja schlecht in Form der Staatsmacht zwei Menschen dazu zwingen, sich zu vermehren. Also wird die Ehe mit Hilfe des Ehegattensplittings steuerlich gefördert und aufgrund der inneren Logik dieses Gedankengangs eben bisher nur die heterosexuelle Ehe.
Das ist allerdings ein bißchen sehr veraltet: eine kinderlose Ehe erfüllt ihren Teil des Generationenvertrages nicht und trägt auch nicht zum Staat (im SInne der Notwendigkeit von Nachwuchs) bei – warum wird sie also gefördert? Und warum wird eine Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, die aber Kinder haben (ob aus einer früheren Partnerschaft oder durch Adoption) nicht gefördert, obwohl genau diese den Vertrag und den staatlichen (und damit gesellschaftlichen) Willen erfüllen?
Auch bei auseinandergebrochenen Partnerschaften ist die staatliche Förderung überschaubar, zwar vorhanden und besser also noch vor ein paar Jahrzehnten, aber verbesserungsfähig. Alleinerziehende haben es nicht leicht.

Tatsächlich wäre es auf der Basis des Nachwuchsinteresses des Staates also an der Zeit, das Ehegattensplitting neu aufzurollen. Ich für meinen Teil würde junge Ehepaar bis, sagen wir, zum dreißigsten Lebensjahr mit dem Splitting belohnen (Damit der Berufseinstieg und letztendlich die Sicherung der Lebensumstände erleichtert wird) und es ihnen weiter gönnen, wenn sie Kinder haben. Entscheiden sie sich gegen Kinder ist das kein Problem – nur die steuerliche Familienförderung fällt dann halt eben flach. Die gleichen Regeln sollen für alle Arten von eingetragenen Lebensgemeinschaften gelten, gerne auch für diese – rechtlich eh sehr schwammigen – „eheähnlichen Verhältnisse“, aus denen der Staat gewisse Verpflichtungen ableitet, aber keine Vergünstigungen anbietet.

Die ökonomische Antwort
Man kann das mit der Ehe auch auf der Basis des Eigeninteresses sehen. Was für ein Interesse könnte der Staat denn haben, auch kinderlose Ehepaare steuerlich zu fördern? Nun ja, ein ganz einfaches, ein ökonomisches.

Wenn bei Ehepaaren ein Teil zu einem Pflegefall wird, dann ist zunächst einmal der Ehepartner in der Pflicht. Das gilt auch bei Trennungen für den finanzstärkeren Teil – eine Ehe ist in gewisser Hinsicht tatsächlich noch immer eine Bindung auf Lebenszeit. Was aber wenn kein Partner zur Verfügung steht und die Finanzmittel des Pflegepatienten nicht ausreichen? Dann muß der Staat einspringen, zumindest mit einer gewissen Grundversorgung. Um das irgendwie zu vermeiden hat er sogar die „eheähnlichen Verhältnisse“ eingeführt, um langjährige Beziehungen in ähnliche Pflichten zu zwingen.

Schon aus Eigennutz hat der Staat also ein Interesse an einer Ehe – es macht für ihn ökonomisch Sinn. Auch im Falle der Kinder gilt das: Gibt es keine Eltern, so ist der Staat gefragt. Das ist natürlich teuer, Eltern mit steuerlichen Sonderrechten kommen den Staat da einfach billiger – die versorgen nämlich das Kind und zahlen trotzdem Steuern.
Ökonomisch betrachtet macht also eine Verwehrung der Ehe für homosexuelle Paare überhaupt keinen Sinn mehr – das dürfte auch der Grund sein, warum die FdP eher dafür ist und die CSU strikt dagegen.

Es gibt auch eine Reihe Ordnungspolitischer Gründe, warum der Staat ein Interesse an der Ehe hat. Tatsächlich wachsen Kinder, die in Familien heranreifen, im Schnitt besser auf als in Heimen. Das funktioniert nicht immer ideal und auch nicht immer gut, dennoch ist eine starke Familie im Hintergrund diversen Studien zufolge eine gute Voraussetzung für eine einigermaßen gesellschaftsverträgliche Entwicklung. Regeln lernt man eben am besten in kleinen Gruppen (Ein Argument, das in diesem Zusammenhang Konservativen auch immer einfällt. Seltsamer Weise nicht mehr, wenn es um Klassengrößen und damit um die Frage, mehr Lehrer zu bezahlen, geht.)

Auch die ökonomische Antwort hat historische Gründe. Wer sprang denn im Mittelalter ein, wenn Kinder keine Eltern hatten? Oftmals leider niemand, aber wenn dann die Institution, die sich per Lehre einer gewissen Mildtätigkeit verschrieben hatte: Die Kirche. Allerdings kosten Suppenküchen für Arme und  Kinder, welche von Klöstern aufgenommen werden, Geld, schmälern also den Reichtum der Institution. Auch wenn diese Kinder manchmal zum Kirchennachwuchs wurden, erfordern sie dennoch eine Menge und stören außerdem den klösterlichen Lebensablauf.

Also reden wir mal Tacheles
Kein Politiker und kein Vertreter von Kirchen oder von anderen Organisationen redet über die schlichten ökonomischen oder gesellschaftlichen Gründe für die staatliche Förderung der Ehe. Egal ob pro oder contra, ständig wird das Thema mit emotionalem und ideologischen Sermon überschüttet, sei es aus der Gleichstellungsecke („Es ist einfach ungerecht!“) oder aus der Ecke der Konservativen („Besonderer Schutz der Familie!“), die sich auch nicht entblödet, hin und wieder das dumme, weil nachweislich falsche Wort „widernatürlich“ in dem Zusammenhang zu gebrauchen.

Der Staat hat als Ordnungsinstanz für die Gesellschaft ein Interesse daran, Ehen und Nachwuchs zu fördern. Wenn sein Interesse aber besteht – warum kann man das dann nicht einfach sagen? Warum lässt man Kirchenvertreter oder Neuchristen munter die Haßtrommel rühren (Ganz witzig die Seite „Schwert-Bischof.com“, eine „freie, katholische Kirche“), warum lässt man christliche Parteien den Sermon vom „besonderen Schutz der Familie“ absondern, obwohl sie damit eigentlich gar nicht wie Staatmänner reden? Warum dürfen auch die sich in Haßtiraden ergehen, statt einfach mal sachlich zu diskutieren? Schaffen übrigens die Freunde der Toleranz auch nicht. Zeige ich Ihnen:

Ja, spinnen die Grünen?

Heute Abend hat mir mein Bruder erzählt, daß bei ihm an der Uni (er studiert BWL an der FH in Kempten) ein Professor mit ihm und anderen Studenten mal eine kleine Berechnung der Steuerpläne der Grünen durchgeführt hat und was das jeden einzelnen von ihnen kosten würde.

Mal ganz davon abgesehen daß ich das rühren der Wahltrommel für oder gegen eine bestimmte Partei in einer Bildungsstätte mit eher gerunzelter Stirn sehe, aber dem betreffenden Professor gerne zugute halten möchte, daß er eine BWL-FH als Parteischule der FdP begreift, fand ich die Aussage interessant: Die Grünen wollen also eine Spitzensteuer von 49% auf ein Bruttojahresgehalt von 60.000 Euro einführen. Wow! Das wußte ich nicht…

Weiß ich immer noch nicht. steht nämlich gar nicht bei den Grünen im beschlossenen Wahlprogramm. Aber in der Bildzeitung. Naja, dröseln wir das erst einmal auf.

Die Foren quillen über von der Unwählbarkeit einer Partei, die so tief in den Geldbeutel auch der mittleren bis fast schon kleinen Leute zu greifen droht – das Wahlprogramm selber hat wie immer keiner gelesen und verlässt sich auf die Journaille, die ihnen das sicherlich sachlich und ungekürzt aufbereitet.
Ich bin sicherlich kein Fan der Grünen, die sich, wann immer es um Fleischtröge der Macht geht, schnell als FdP mit einem Faible für Mülltrennung erweisen, aber soviel Ehre muß man ihnen geben: Die derzeit kursierenden Zahlen sind ziemlich zusammengeschustert.

Die Grünen fordern im Wahlprogramm einen Einkommenssteuersatz von 45% auf Einkommen ab 60.000 Euro (Für einen Single, das sind 5.000 Euro/Monat. Empörte Schlecker – Kassiererinnen werden schon verhindern, daß die Grünen ihnen die Villen in Tessin wegnehmen….) und von 49% ab 80.000 Euro Jahreseinkommen. Und hier steckt schon der nächste Fehler in der Berichterstattung.

Denn da geht es nicht um das Jahresbruttoeinkommen, sondern um das zu versteuernde Einkommen. Der Unterschied zwischen Brutto- und zu versteuerndem Einkommen ist fundamental und mitunter gewaltig, gerade bei derart hohen Einkommensverhältnissen.

Das zu versteuernde Einkommen ist das, was vom Bruttolohn übrigbleibt nachdem abgezogen wurden: Werbungskosten, Kirchensteuer,Freibetrag, Kinderfreibeträge und sonstige Ausgaben (hier ein Rechenschema). Es geht also nicht um das Jahresbruttoeinkommen, das mit 60.000 Euro nebenbei schon gar nicht so schlecht ist. Blicken wir mal hier in die durchschnittlichen Einkommen der Deutschen:

Durchschnittlicher Jahresarbeitslohn in Deutschland bis 2010 und Prognose bis 2016Statista
Natürlich sind das Durchschnittswerte und von daher so aussagekräftig wie die statistische Tatsache, daß der Mensch nur 1,99 Beine besitzt. Tatsächlich sollte man sich die Einkommensverteilung der Bevölkerung mal ansehen.

Einkommensschere
Können Sie sich noch um das Hickhack des „nicht die Meinung der Regierung“ (FdP) widerspiegelnden Armutberichtes erinnern? Was manche schön empörte, aber den meisten wieder einmal egal war? Genau dieser Bericht nämlich hätte unter anderem das erzählt, was die Grünen hier angehen wollen. Das Armutsrisiko in Deutschland liegt bei 15,1%, also 15,1% der Bevölkerung sind von Armut bedroht. Als arm gilt, wer in Deutschland weniger als 925 Euro im Monat zur Verfügung hat. Bevor jetzt da gleich wieder alle aufschreien von wegen, daß das in Nigeria zum Beispiel viel Geld wäre: Ja, natürlich. Aber dort die Preis- und Leistungsstruktur auch eine ganz andere. Es gibt Menschen in Deutschland, die können es sich nicht leisten krank zu werden, weil sie die Medikamente nicht bezahlen können, auch wenn es „nur“ Zuzahlungen sind. Und das sind nicht wenige. Es gibt schon Gründe, warum ich versuche niemals zum Arzt zu gehen…

Das Gesamtvermögen der Deutschen beträgt etwa 9 Billionen Euro – etwa sechs Billionen davon gehören den obersten 10%. Das ist der Grund für die von der SPD geforderte Vermögenssteuer. Allerdings betrifft das nur den Besitz – und der ist vom Einkommen zu unterscheiden. Nur hier ist die Verteilung ähnlich: 2012 bekamen 1,324 Millionen Menschen einen staatlichen Zuschuß zu ihrem Lohn – das bedeutet, die Menschen mußte trotz einer vollen Arbeitsstelle beim Staat betteln, sich erniedrigen. 20,6% der Beschäftigten arbeiteten 2012 zu einem Niedriglohn, also weniger als 10,36€ pro Stunde.
Nur um das mal klarzustellen: Bei einem Bruttolohn von 11€/Stunde bringt ein 40-Stunden Wöchner etwa 1760 Euro im Monat nach Hause, das sind 21.120 Euro im Jahr. Das ist nicht mehr „arm“ in Deutschland, aber recht wenig. Davon sind aber noch Steuern und Sozialabgaben abzuziehen, es ist eben der Bruttolohn. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung lebt aber so. Denen scheinen die Grünen da aber nichts wegnehmen zu wollen.
Sehen wir uns das mal bei der Bundeszentrale für politische Bildung an. Die hat eine recht schöne Übersicht für das Jahr 2007 zusammengestellt.

Das reichste Zehntel der Bevölkerung hat ein durchschnittliches Bruttojahreseinkommen von fast 89.000 Euro – das nächste Zehntel im Schnitt noch etwas mehr als 44.000 Euro. Zwar haben sich seit 2007 die Zahlen verschoben (insbesondere weil die Daten des statistischen Bundesamtes hier auf 2001 basieren), aber die grundsätzlichen Verhältnisse haben sich nicht geändert.
Nun wird an dieser Stelle immer, wirklich immer angeführt, daß ja die reichsten 10% auch 53% des staatlichen Steueraufkommens der Einkommensteuer berappen – die Parole „Wir zahlen Euren Staat“ kommt da immer wieder auf den Tisch. Hm. Nein. Denn: Der Staat erhebt ja auch indirekte, sprich: Komsumsteuern (Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer usw.). Und da ist das reichste Zehntel eher wenig dabei. Unterm Strich kommt dabei heraus, daß das oberste Zehntel 14% weniger Steuern bezahlt, als der Durchschnittsdeutsche. Nur etwa 11% der deutschen Haushalte haben überhaupt ein Durchschnittseinkommen von mehr als 5000 Euro brutto zur Verfügung – und an die geht es nach der Grünen Vorstellung von Steuerpolitik.

Eine kleine Geschichte der Spitzensteuer
Im politischen Diskurs wird eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes faktisch falsch immer als eine Erhöhung von Steuern für alle Bürger vermittelt – und Medien verbreiten das unkommentiert weiter. Nochmal: Ein Spitzensteuersatz betrifft Leute, die wirklich gut verdienen – nicht alle.

Am Beginn der Bundesrepublik, also unter Adenauer, Erhard und Kiesinger, betrug der Spitzensteuersatz 53%, der Eingangssteuersatz lag bei 20 bzw. 19%. Der damalige Grundfreibetrag lag bis 1978 noch bei 1.680 DM (also knapp 860 Euro). Fällig war die Spitzensteuer damals ab einem Jahreseinkommen von 110.040 DM (etwa 56.000 Euro).

Von 1975 (unter Willy Brandt) bis 1989 (also unter Helmut Kohl) lag der Spitzensteuersatz bei 56% (!), der fällige Betrag stieg von 130.020 DM (66.478€) auf 130.032 DM (66.484€), blieb also praktisch unverändert. In dieser Zeit stieg der Eingangssteuersatz auf 22%, aber der Grundfreibetrag auf 4.752 DM (2.430€).

1990 ist eine Zäsur in der Ära Kohl – die zweite Hälfte seiner Amtszeit ist quasi das, „was hinten rauskommt“. Zwischen 1990 und 1995 sinkt der Eingangssteuersatz auf 19%, der Grundfreibetrag steigt auf 5.616 DM (2.871€). Der Spitzensteuersatz sinkt auf 53%, die Progressionsgrenze sinkt auf 120.042 DM (61.376 €), aber der Soli kommt noch dazu. Von 1996-1998 steigt der Eingangssteuersatz dann auf recht heftige 25,9%, allerdings wird auch der Grundfreibetrag auf 12.095 DM (6.184 €) mehr als verdoppelt, die Spitzensteuer bleibt unverändert bei 53% und auch die Progressionszone ändert sich nicht.

Unter Rot/Grün kommt es dann zu einer radikalen Steuersenkung: Bis 2001 sinkt der Spitzensteuersatz kontinuierlich auf 48,5% (und das Ende der Progressionszone auf 107.568 DM bzw. 54.998 €), der Eingangssteuersatz sinkt auf 19,9% und der Grundfreibetrag steigt auf 7.206€. Nebenbei – um das zu finanzieren wurden andere Abgaben erhöht und neue Konsumsteuern wie die Ökosteuer eingeführt. Etwas, was wie oben beschrieben, eher kleine als große Leute betrifft.

Zwischen 2001 und 2005 sinkt nun der Spitzensteuersatz auf 42% (Bemessungsgrenze 52.152 €) und der Eingangssteuersatz auf 15% (bei einem Grundfreibetrag von 7.664 €). 2007 setzt die SPD eine „Reichensteuer“ als Sondersteuer für Superverdiener durch: ab 250.001 € Jahreseinkommen werden wieder 45% Einkommenssteuer fällig.

Mittlerweile liegt der Grundfreibetrag bei 8.354 €, ab dann ist eine Einkommenssteuer von 14% fällig, ab 52.882 € sind dann 42% fällig. Die Reichensteuer beginnt 2013 inzwischen bei 250.731 €. All diese Daten kann man dem Abgabenrechner entnehmen.

Böse Grüne?
Die Grünen wollen also die Progressionsgrenze für den Spitzensteuersatz nach oben verschieben (was Gutverdienern erstmal gefallen dürfte) und dafür die Progressionsgrenze für die Reichensteuer massiv absenken (von 250.000€ auf 80.000€) und selbige um 4% erhöhen.

Das finde ich erst einmal nicht zwingend falsch – etwas schwammig wird das Programm aber dann, wenn es um das Ehegattensplitting geht. Irgendwie sollen ja die Lebenspartnerschaften gleichgeschlechtlicher Paar steuerlich gleichgestellt werden, aber das Ehegattensplitting aufgehoben werden…. also so richtig wie aus einem Guß wirkt das noch nicht – und hinsichtlich der Steuerpolitik noch nicht so richtig zu Ende gedacht. Trotzdem ist Steuerpolitik ein wichtiges Instrument, Ungerechtigkeiten auszugleichen – Selbst die Konservative FAZ hat das mittlerweile erkannt.

Bleibt ein Argument übrig, daß ich heute Abend – hm, eigentlich gestern Abend wenn ich so auf die Uhr schaue – auch gehört habe: „Ich will doch nicht die Hälfte meines Lohns für nichts hergeben – ich arbeite doch nicht die Hälfte meiner Zeit umsonst!“.

Verlangt ja keiner. Das nennt man Ehrenamt, aber das führt jetzt zu weit. Tatsache ist: Steuern frisst der Finanzminister nicht persönlich auf – die werden ja auch ausgegeben. Und zwar für uns. Man kann immer über Details streiten (Wie Flughäfen, ja ich hab den Witz die Woche mehrmals gehört. 😉 ) und es gehört für mich zum Faszinosum, daß sich die Menschen über winzige Posten im Haushalt unendlich erregen können (Siehe Dienstwagenaffäre) während richtige Verschwendung (siehe der gigantische Verteidigungshaushalt im Verhältnis zu dem, wie die Truppe ausgerüstet ist und was beim Soldaten ankommt) mit einem Achselzucken hingenommen wird. Aber Tatsache ist: Wir hier in Deutschland haben mit die beste Infrastruktur und Versorgung für die Bevölkerung auf diesem Planeten. Das beste Straßennetz, eine durchgehende Versorgung mit Wasser, Strom und Telefon und jederzeit ein Krankenhaus in der Nähe und die Polizei auf Streife. Wir haben Polizisten in halbwegs brauchbarer Rufweite, Plätze in Schulen für unsere Kinder und so weiter. Das alles kostet Geld – Geld, das wir gemeinsam aufbringen müssen damit wir auch alle was davon haben. Das kann man nicht privatisieren, das ist ideologischer Unsinn.

Da Kinder und Gerechtigkeit nicht gerade heiße Themen für eine gewisse Schicht sind, machen wir es mal an was einfachem fest: Wissen Sie, was ein Meter Straße kostet? Außerhalb von Ortschaften kann man pro Meter Landstraße etwa 525 Euro veranschlagen – und so eine Straße hat viele Meter. Man hat errechnet, daß ein Meter vierspurige Schnellstraße (also Autobahn) etwa 5.800 Euro verschlingt. Nur das Bauen. Wenn die Straße nun auch noch benutzt wird (was schlecht ist für Straßen) muß sie Instand gehalten werden. Das kostet auch. Wollen die Steuerverweigerer mit den dicken Autos das künftig selbst bezahlen? Ohne Staat? Na also.

Statt dem angekündigten: Endgültige Ergebnisse

Nachdem ich gestern durch einen unfreiwilligen Krankenhausaufenthalt daran gehindert worden bin, den angekündigten Artikel zu schreiben heute nur eine kurze Nachmeldung: Die endgültigen Ergebnisse der Landratswahl stehen nun fest.

Sie können diese entweder der Homepage des Landratsamtes oder aber meinen Tabellen entnehmen. An der urspünglichen Analyse hat sich im Grunde nichts geändert. Ein, zwei kleine Unterschiede gibt es zwar, aber die fallen nicht ins Gewicht.

Nehmen wir beispielsweise die Daten von Ebersberg, so waren es im vorläufigen Ergebnis 4.250 Wähler (1643 Niedergesäß, 2585 Dr. Böhm, 22 ungültige), im amtlichen Endergebnis waren es 4252 Wähler (1643 Niedergesäß, 2584 Dr. Böhm, 25 ungültige). Herr Böhm hatte also einen Wähler weniger, dafür haben drei mehr ungültig gewählt. Das sind die beiden Wähler mehr, die auch den Unterschied bei der Gesamtwählerzahl ausmachen.

Vom klugen und weniger klugen Nichtwähler

Eine letzte Anmerkung möchte ich noch zum Thema Nichtwähler machen: Ich kann es gut verstehen, wenn einem Bürger keiner der angebotenen Politiker zusagt. Deswegen aber nicht zur Wahl zu gehen ist, gelinde gesagt, ziemlich einfältig.

Ich sage auch gerne warum: Nichtwähler werden von der Politik als desinteressiert abgetan und schaffen durch ihr Verhalten eine stillschweigende Zustimmung zur herrschenden Politik. Wer nicht wählen geht hat auch kein Recht, sich über das Ergebnis zu beklagen – er hätte es nämlich verhindern können.

Ein kluger Nichtwähler hingegen geht zur Wahl, macht aber seinen Stimmzettel ungültig (es genügt ein Durchstreichen oder auch das draufschreiben von „lala“). Daß bei einer Stichwahl das System so kompliziert war, daß 215 Leute den Stimmzettel falsch ausgefüllt haben, halte ich für Quatsch: Es zeigt, daß die Bürger Interesse an der Wahl und an der Politik haben, aber mit dem Kandidatenangebot nicht zufrieden sind. Wenn statt 60% Nichtwählern 50% ungültige Stimmzettel angekommen wären, würde sich vielleicht eine Menge in der Wahrnehmung der Politik ändern. Abwesende Nichtwähler schießen sich aber selbst in den Fuß.

Ich wäre ja dafür, zumindest bei der Bundes- und Landtagsebene die Nichtwähler zu berücksichtigen. Nicht als leere Sitze einer fiktiven Partei (den Vorschlag lese ich öfter), weil dann nämlich gar keine parlamentarische Arbeit mehr zustandekommt. Sondern dahingehend, daß man das Parlament um den Prozentsatz der Nichtwähler verkleinert. Also wenn das Parlament 1000 Sitze hätte und nur 40% gehen zur Wahl, dann teilen sich die Parteien das Wahlergebnis unter 400 Sitzen auf. Damit wären die Mehrheitsverhältnisse, die von den Wählern geschaffen wurden, noch immer abgebildet, aber es gäbe insgesamt weniger Abgeordnete und Posten, die Listenkandidaten hätten es schwerer und die Parteien müssten sich mehr Mühe geben, die Bevölkerung zur Wahl zu bewegen. Derzeit werden die Nichtwähler mit einem Schulterzucken abgetan: Denen kann man es eh nicht recht machen, aber die machen ja auch nicht mit; Was soll’s?

Mutmaßlich wird das nie so kommen. Das würde manche Parteien nämlich in große Bedrängnis bringen und so richtig auf politischen Selbstmord ist abgesehen von der FdP eigentlich keine Partei aus. Aber gerecht wäre es.

Christian Ude auf Deutschlandfunk

In der Sendung Tacheles spricht Christian Ude, Spitzenkandidat der SPD in Bayern, zu den wichtigen Themen wie Mieten und Mietsteigerung, Kita-Plätzen oder die Luftqualität in Städten.

mp3 Download hier. Nachlesen können Sie das Gespräch hier.

 

Suche Skandal – Donnerstag ohne Steinbrück?

Mein lieber Schwan: Schon Donnerstag und noch kein Steinbrückbashing? Was ist den los? Gut, über den Parteitag am Sonntag hat man sich noch volle Dose lustig gemacht, auch wenn die Berichterstattung danach eher positiv war. Aber es muß doch irgendeine schlimme Steinbrückaussage diese Woche geben, am besten ins Gegenteil verzerrt. Wo bleibt sie denn?

Ah – Thüringer Allgemeine sei Dank! „Steinbrück hält in Erfurt Wutrede gegen Politiker-Verächter und zieht NS-Vergleich“. Super! Gleich zwei Begriffe dabei, die sofort aufzeigen, daß der Mann mal wieder außer Kontrolle ist. Puh. Das hilft sicher bei der Skandaldokumentation (Hilfe für die deutsche Medienlandschaft bietet ja der tumblr-Blog Skandalpeer).

Was ist eigentlich genau passiert? Hm, Steinbrück hat nichts anderes getan als anzumerken, daß in Deutschland das Gewicht der Politik auf dem Ehrenamt ruht – im Kommunalen Bereich sind zehntausende Menschen ehrenamtlich tätig und stellen neben Beruf und Familie auch noch Gemeinderäte, Bürgermeister und Kreisräte; Auch so mancher Stadtrat ist nicht hauptamtlich, sondern ehrenamtlich tätig. Dafür schlagen sie sich die Freizeit um die Ohren und kümmern sich um Schulwege, Schlaglöcher und Spielplätze. Dafür werden sie von manchen pauschal verurteilt weil sie „die Politiker“ sind, und das findet er nicht okay. Ich übrigens auch nicht.

Im Gegenteil: Ich bin Peer Steinbrück dankbar, daß er das mal deutlich gesagt hat. Er hat nämlich Recht mit seiner Frage: „Sondern dann frage ich Sie nämlich, wer an Stelle von demokratischen Parteien demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheidungen unter Wahrung eines Minderheitenschutzes in einer toleranten Gesellschaft vornehmen soll? Wer denn dann außer Parteien? Meinungsumfragen? Talkshows? Ältestenrat, natürlich nur aus alten Männern bestehend? Bürgerinitiativen?

Die Verachtung in der Bevölkerung für Politiker trifft besonders im kommunalen Bereich die demokratische Grundsubstanz unserer Gesellschaft. Wenn das keiner mehr machen will, dann übernimmt das die Verwaltung, und die wird nicht demokratisch legitimiert. Überlegen Sie sich mal ganz kurz, ob Sie wirklich vom örtlichen Bauamt regiert werden wollen. Ohne Mitsprache.

Wir stecken mittlerweile in der Situation, daß immer weniger Menschen bereit sind, diesen Job auf sch zu nehmen. Es gibt Orte, in denen keiner mehr Bürgermeister sein möchte (zum Beispiel Hechingen, Jonaswalde oder Friesenried, ganz aktuell in Sarnow), insbesondere wenn das ein Ehrenamt ist. Denn es kostet Zeit und verlangt einen Menschen, der sich für die Gesellschaft engagieren möchte; In einer „Wenn jeder an sich denkt ist an alle gedacht“ – Welt, wie sie sich die jung- und neoliberalen Macher der „geistig-moralischen Wende“ wünschen ist das eben nicht mehr drin. Der Preis wären größere Verwaltungsbezirke, die dann von Hauptamtlichen Politikern regiert werden müssten; Ist es aber nicht gerade im kommunalen Bereich ein riesen Vorteil, daß Gemeinderäte und Bürgermeister aus dem echten Leben kommen und eben keine Berufspolitiker sind? Daß sie die Erfahrung mit dem Leben vor Ort haben und auch die Problematik mit dem verdreckten Spielplatz und der Angst um die Kinder mit der ungesicherten Hauptstraße kennen und daher viel offener sind für die Bedürfnisse der Bevölkerung, als das ein königlich-bayerischer Hofbeamter aus JWD je sein konnte?

Die letzte Landratswahl im Landkreis Ebersberg vergangenen Sonntag hatte eine fürchterlich schlechte Wahlbeteiligung: 42,45%. Von 101.123 Wahlberechtigten sind gerade einmal 42.926 zur Wahl gegangen. Das kann man damit erklären, daß die Wähler nicht wissen was ein Landrat tut. Andererseits wurde auch das immer wieder erklärt.
Immer wieder begegnen mir an Infoständen Leute, die mich für das aufmerksam machen auf eine bevorstehende Wahl mit Sätzen wie „Ihr Politiker macht doch eh, was Ihr wollt!“, sagen wir, parieren. Manchmal auch beschimpfen. Das ist insofern interessant, weil immer dann, wenn die Politiker die Entscheidung in die Hände der Bürger legen (müssen), also bei Bürger- und Volksentscheiden, die Wahlbeteiligung auch eher lasch ist. Besonders amüsant ist das bei dem Hickhack rund um das „Nichtraucher-Schutzgesetz“, bei dem gerade einmal 37,7% der Bürger auch hingegangen sind um zu wählen. Jetzt beklagen sich viele, daß da eine Minderheit entschieden habe. Ja, warum geht Ihr dann nicht hin?
Auch wenn man als Partei versucht, die Stimmung der Bürger zu erkunden wird einem ungern weitergeholfen – Vereine und Gruppen wehren sich mit dem Verweis auf die „Neutralität“ gerne, wenigstens die Information zu einer Meinungsbefragung weiterzugeben.
Das Volksbegehren gegen Studiengebühren wurde von gerade einmal 14,3% der Wahlberechtigten unterzeichnet. Inzwischen versuche ich längst an den Infoständen auch Gegner dazu zu bringen, zur Wahl zu gehen. Zwar sammle ich damit manchmal Stimmen der Gegenseite, aber ohne eine hohe Bürgerbeteiligung hat dergleichen zumindest einen faden Beigeschmack was die Legitimität angeht und mir ist es wichtiger, daß die Menschen mitmachen bei unserem Staat.

In Ebersberg hatte ich im Zuge der Landratswahl oftmals gehört, daß es vor allem der „Spam“ war, der den Leuten auf den Keks ging. Jeden Tag ein Flyer im Briefkasten, im Falle der Schwarzen auch gleich noch amerikanisch, also mit Frau und Hund und wenig Inhalt. Überall wimmelte es von Plakaten, Anzeigen in der Zeitung…. die Leute fühlen sich belästigt. Andererseits ist es schwer, den Wahlkämpfern zu erklären, daß es sich so verhält: Meiner Erfahrung nach ist die Angst größer, daß die Flyer ausgehen, als daß der Kandidat verspätet kommt. Das spricht Bände, finde ich. Mehr Präsenz als Papier wäre ein gutes Motto…

Steinbrück hat mit seiner Aussage also einen wichtigen Punkt berührt, und keine „Wutrede“ gehalten. Im Gegenteil: Er hat versucht seinem Publikum klarzumachen, daß eine gewisse Politik- und Politikerverdrossenheit zwar verständlich und insbesondere im Bezug auf Berufspolitiker (wie ihn) sogar nachvollziehbar ist, aber die Beteiligung des Volkes an seinem Staat ein zu wichtiges Element demokratischer Ordnung ist, als daß er das kampflos den Giftpilzen überlassen will, die außer Häme und Haß nicht viel für die Gesellschaft tun können. Auf bayerisch heißen derartige Figuren übrigens „Bosnigl“, also „bösartiger Kobold“ – und die sind dank Internetforen gefühlt dabei sich explosionsartig zu vermehren.

Ach – und der Nazi-Vergleich? Richtig. In der Thüringer Allgemeinen liest sich das so: „Dabei zog er auch Parallelen zum Aufstieg der Nationalsozialisten: Die ‚Verachtung‘, die Politikern entgegen schlage, erinnere ihn da das, was man ‚in Deutschland schon mal‘ gehabt hätte. Vor 80 Jahren sei das Ergebnis dieses Umgangs mit Politikern sichtbar geworden.“
Hm. Die Überschrift „Steinbrück hält in Erfurt Wutrede gegen Politiker-Verächter und zieht NS-Vergleich“ ist also ein schöner Fall von „Wie formuliere ich das jetzt so hin, daß ich dem noch eins reinwürgen kann“. Es ist nämlich keine Zuspitzung, sondern falsch: Steinbrück bezieht sich darauf, daß die Weimarer Republik letztendlich auch an den antidemokratischen Tendenzen in der Gesellschaft eingegangen ist; Die Nazis haben schlichtweg ausgenutzt, daß die anständigen Parteien versucht hatten, wenn auch unter Opfern, die Karre irgendwie wieder aus dem Dreck zu ziehen. Dazu gehört die Lüge vom Dolchstoß (die bis heute erzählt wird und beim Begriff „Das Voilk verraten“ manchmal eine seltsame Renaissance erlebt) und die Umlage von Unzufriedenheit mit – in dem Falle – Reichspolitik auf kommunale Ebenen.
Das haben aber nicht nur die Nazis ausgenutzt, sondern ebenso die stramm rechten Kaiserzurückwünscher und die Kommunisten. Vielleicht sollten also sogenannte Journalisten, deren Geschichtskenntnisse nichtmal ausreichen um wenigsten die Wikipedia zu lesen, die verkaufsfördernden Nazi- und Führerschlagzeilen einfach mal im Schrank lassen.

P.S.: Übrigens: Die gesamte Rede war etwa 2 Stunden lang; Darin hat er (mehreren übereinstimmenden Berichten zufolge) auch eine Menge selbstkritisches über sein Verhalten als Politiker gesagt, darüber, daß er als Finanzminister nicht alles richtig gemacht hat und darüber, was er inzwischen anders machen will. Natürlich findet sich darüber im Artikel nichts. So funktioniert Meinungsbildung….

Parteitag in Augsburg

Die SPD beschloß ihr Wahlprogramm auf dem Außerordentlichen Parteitag in Augsburg. Leider hatte ich keine zeit mehr für die Reden von Roth und Steinbrück, aber ich konnte im SPD-Livestream die Grußworte von Sigmar Gabriel und Christian Ude verfolgen – und hab spaßeshalber parallel den Liveticker auf sueddeutsche.de verfolgt. Wie macht man positives kaputt? Eine Anleitung.

Thorsten Denkler ist ja ein eingeschworener Feind der Sozialdemokratie, er scheint uns zu hassen und lässt keine Gelegenheit unverstrichen, über die SPD zu meckern. Folgerichtig schickt ihn die Redaktion zum Bundesparteitag nach Augsburg und lässt ihn, sowie Detlef Esslinger und Andreas Glas darüber twittern.

Denkler macht das auch vorsichtshalber mit seinem privaten Twitter-Account – und das so schnodderig er kann. Ein paar Beispiele:

BPT 01BPT 02BPT 04Ist zwar mitunter ganz lustig zu lesen, aber irgendwie gezielt immer gegen den „bösen“ Steinbrück oder die „doofe SPD“. Ich frage mich manchmal wirklich, was die Presse mit Steinbrück hat; Daß seine Kampagne unterirdisch schlecht ist, ist ja jedem klar, aber inzwischen finde ich so manches eher sympathisch: DIe Clown-Sprüche zum Beispiel sind nun wirklich nicht daneben, eher zu höflich…

Überhaupt ist die Kommentierung gerade von Denkler, aber auch von Detlef Esslinger (Herrn Glas hat man anscheinend hauptsächlich als Fotografen für die beigefügten Gimmicks und Biergläser mitgeschleppt, schreiben durfte er nur wenig…) hauptsächlich von Antipathie geprägt, anscheinend war man genervt, dort überhaupt hingeschickt zu werden. Esslinger gibt dabei auch noch ein wunderbares Beispiel für den modernen Journalisten, der nicht mehr in der Lage ist (oder es für eine Zumutung hält), aufmerksam zuzuhören:

Esslinger 01Esslinger 02Esslinger hatte sich das Redemanuskript vorher geben lassen und war empört, daß hin und wieder mal die Reihung anders war. So kann man doch mit einem Journalisten nicht umgehen, nachher muß er zuhören und verstehen, was gesagt wird! Au weia! Aus genau dem gleichen Grund hatte die Hauptstadtjournaille stets den Bundespräsidenten Johannes Rau verabscheut – der hatte nämlich manchmal gar kein Redemanuskript, sondern sprach frei. Das fanden alle sehr gemein.

Wer sich selbst ein Bild machen will: Die Reden sind im Netz zu finden. Ist ohnehin besser sich selbst ein Bild zu machen, als sich von Denkler das Denken verbieten zu lassen.

Interessant finde ich an diesem Parteitag, daß man Redner mit so unterschiedlichen Redestilen erleben kann: Sigmar Gabriel ist eher vorlaut, deftiger, geradliniger. Er spricht mit vielen Ausrufezeichen und verlangt wenig Konzentration; Im Parlament nennt man das „Einpeitschen“. Ude und auch Steinbrück sind da anders: Intellektueller und gewitzter, manchmal entwickeln sie einen Gedanken über mehrere Sätze hinweg: Man muß ihnen zuhören um zu verstehen, was sie sagen. Das ist in einer von Überschriften dominierten Welt nicht immer ganz praktisch; Die Nummer mit dem Kanzlergehalt war ja auch so etwas: Hätte man den ganzen Satz gelesen, hätte man ihn auch verstanden. So aber hörten alle nur „Steinbrück will mehr Geld“ und stellten das Denken ein.

Im Gegensatz zu den beiden ist Claudia Roth ganz die einpeitschende Rednerin. Viel in Schlagworten, sanft im Inhalt, die Zuschauer möglichst nicht überfordern. Kein Wunder daß sich Denkler gleich wieder wohl gefühlt hat. Andrea Nahles‘ Rede habe ich selber noch nicht nachgehört und zögere auch ein bißchen das zu tun; Sie hat eine etwas, hm, anstrengende Stimme. Aber die vier Hauptredner sollten Sie sich – besonders des Vergleichs wegen – gönnen:
Gabriel:

Ude:

Roth:

Steinbrück: