Von einem Medienunfall – Teil VI: Mal wieder gewohnt pietätvoll, die SZ

Frau Teofila Reich-Ranicki ist tot. Das vermeldete gestern, praktisch untergehend im Royal-Rummel die Sueddeutsche Zeitung und ich möchte Marcel Reich-Ranicki an dieser Stelle mein Beileid aussprechen.

Interessant aber ist, wie die Sueddeutsche damit umgeht. So hat man zunächst die Kommentarfunktion unter dem Artikel gesperrt. Und dann hat man eine interessante Auswahl geschaffen, aber sehen Sie selbst:

Toll, oder? Diese Zusammenstellung hat schon fast was von einem Gedicht…

Kontaktbörse Oktoberfest – Im Rausch der Sinne / Rentnerehepaar stirbt bei Frontalzusammenstoß /  Kühner Gewaltakt / „Das hat ja doch wieder gut geschmeckt“ / Scheidung im Alter – Das verflixte 25. Jahr / Farbpsychologie – Alles so schön bunt hier! / Gemeinsamer Tod – Nach 70 Jahren Ehe stirbt Paar am selben Tag / Homo-Hochzeiten: Freie Ortswahl – Trausaal? Nein danke! / Mann und Alter – Laptop und Sixpack / Alter – Der neue Mann – lebt lustvoll und lang

Nein? Naja, ich bin auch froh, daß virtuelle Gräber und Nachrufe nur virtuell sind. Bei der Vorstellung, der/die dafür Verantwortliche hielte eine Rede auf meiner Feier….

Die FAZ macht es besser.

Nachtrag: Der Link selbst hat auch seine eigene Komik…

Schande

Im politischen Alltag unserer Republik gab es ein Ereignis, das so beschämend für die Sozialdemokratie und die SPD ist, daß einem einfach die Worte fehlen sollten; Dennoch möchte ich einen offenen Brief an Frau Nahles schreiben, die sich in meinen Augen nun endgültig unmöglich gemacht hat.

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Frau Nahles,

mit großem Bedauern habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, daß Sie meiner Partei und meiner Grundüberzeugung offensichtlich mit einer gewissen Beklemmung entgegentreten. Grundwerte, die sich auf die rechtliche Gleichheit aller Menschen und der Gleichwertigkeit menschlichen Lebens berufen.

Die SPD ist eine Partei, die in ihrer stolzen Geschichte bereits von Menschen verfolgt worden ist, die so denken, wie das der von Ihnen in der Partei willkommen geheißene Thilo Sarrazin tut – und Sie sollten sich darüber im klaren sein daß eine Gruppe, die einen Sozialdarwinisten in ihrer Mitte duldet eigentlich vom Verfassungsschutz zu beobachten ist.

Ich muß Sie (als eine Vertreterin des SPD-Vorstandes!) offensichtlich an das Hamburger Programm erinnern: Wir, die SPD, kämpfen politisch für „eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft“ sowie die „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen“. Weitere Zitate gefällig?

Die gleiche Würde aller Menschen ist Ausgangspunkt und Ziel unserer Politik. Menschen tragen verschiedene Möglichkeiten in sich. Sie sind weder zum Guten, noch zum Bösen festgelegt. Sie sind vernunftbegabt und lernfähig. Daher ist Demokratie möglich. Sie sind fehlbar, können irren und in Unmenschlichkeit zurückfallen. Darum ist Demokratie nötig.
Jeder Mensch trägt Verantwortung für sein Leben. Niemand kann oder soll sie ihm abnehmen. Menschen dürfen nie zum Mittel für irgendwelche Zwecke erniedrigt werden, weder vom Staat noch von der Wirtschaft.
(…)
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ächten Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie haben Deutschland in seine schlimmste Katastrophe geführt. Wir werden deshalb immer dafür kämpfen, dass unser Land nie wieder in Barbarei abgleitet.
(…)
Wir sind für den Dialog zwischen den Kulturen. Er dient dem inneren und äußeren Frieden, aber auch der Integration. Wenn friedliche Globalisierung gelingen soll, brauchen wir eine Kultur der Anerkennung, die der Ausgrenzung von Minderheiten und ebenso der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. Wir wollen kulturelle Vielfalt statt fundamentalistischer Verengungen und der Politisierung von religiösen und kulturellen Unterschieden, aber auch statt globaler Monokultur. Erst eine lebendige Kultur der Anerkennung ermöglicht eine Gesellschaft, in der wir als Menschen ohne Angst verschieden sein können.

(Alle Zitate entstammen dem Hamburger Programm)

Eugeniker wie Sarrazin, die zwischen wertem und unwertem Leben unterscheiden, gehören da nicht dazu. Sie gehören diskutiert, widerlegt und wenn sie erkenntnisresistent sind aus unserer Mitte entfernt. Sie sind Verräter am sozialdemokratischen Erbe und an sozialdemokratischer Grundüberzeugung.

Welchen Kompromiß Sie da geschlossen haben, womit Sie gekauft wurden, Frau Nahles, ist nicht ersichtlich. So manch schmerzhaften Kompromiß hat diese Partei schon aushalten müssen aber bei Fragen der grundsätzlichen Menschlichkeit war die SPD vielleicht wehrlos, aber nicht ehrlos.

Bei Ihnen verhält es sich genau anders herum.

Alleine der Vorgang in der Causa Sarrazin wird viele Mitglieder der SPD zum Austritt bewegen und das zu Recht. Ich selbst erwäge das, aber ich bleibe meinen Grundüberzeugungen treu und werde dafür kämpfen daß die SPD wieder eine SPD wird – und Menschen wie Sie in dieser Partei nichts mehr zu sagen haben.

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Grußlos und enttäuscht,

Lastknight Nik

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Artikel zum Thema finden sich bei Zeit.de, bei den Nachdenkseiten sowie der Sueddeutschen und der FAZ.

Berliner Erklärung

Eine Reihe von Genossen haben die Berliner Erklärung unterzeichnet.

Ich fordere alle Genossen mit Anstand auf, die Petition mitzuzeichnen.

(Dieser Link führt zur Petition)

Berliner Erklärung zur Beendigung des

Parteiordnungsverfahrens gegen Dr. Thilo Sarrazin

Von: Aziz Bozkurt aus Berlin

An:   Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) in Deutschland

Viele Menschen in Berlin, in der gesamten Bundesrepublik und auch im Ausland haben kein Verständnis für das Ergebnis und den Verfahrensablauf des Parteiordnungsverfahrens gegen Genossen Dr. Thilo Sarrazin. Nicht nachvollziehbar erscheint vor allem der Zickzackkurs der Partei. Wir entschuldigen uns bei den Menschen, die sich durch diese Haltung verletzt oder enttäuscht fühlen. Wir appellieren an die Genossinnen und Genossen unserer Partei, die sich mit dem Gedanken eines inneren Rückzuges oder gar Austritts tragen: Jetzt gerade nicht! Wir brauchen Euch! Die Partei braucht Euer politisches Rückgrat!
In gemeinsamer Verantwortung für unsere Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, stellen wir fest:

1. Wir sind und bleiben die Partei des sozialen Aufstiegs. Wir geben nicht große Teile der Bevölkerung verloren, sondern ringen um Konzepte für gerechte Teilhabe. Elitärer Dünkel, Ausgrenzung von Gruppen – mit oder ohne Migrationshintergrund –, menschenverachtendes Gerede oder gar rassistischer Habitus haben in unserer Mitte keinen Platz.

2. Wir verteidigen die Meinungsfreiheit aufrecht. Die SPD ist jedoch eine politische Wertevereinigung, die – wie bei jeder anderen Partei – durch ihr Grundwertekorsett einen äußersten Meinungsrahmen vorgibt. „Die gleiche Würde aller Menschen ist Ausgangspunkt und Ziel unserer Politik … und unabhängig von … wirtschaftlicher Nützlichkeit.“ Dieser äußerste Wirkungsrahmen ist nicht verhandelbar.

3. Die politische Verantwortung und der Gestaltungsanspruch der SPD enden nicht an irgendeinem Wahltag. Unsere Grundwerte sind nicht beliebig und stehen nicht zur Disposition Einzelner. Nachdem auf allen Parteiebenen Gremienbeschlüsse zum Parteiordnungsverfahren vorlagen war es politisch angezeigt, diese Gremien vor einer Verfahrensbeendigung ohne Sachentscheidung zu befassen.

Begründung: s.o.

Im Namen aller Unterzeichner.

Berlin, 25.04.2011 (aktiv bis 24.10.2011)

Von Ungarn und seiner neuen Verfassung

An den Ostertagen dieses Jahres habe ich – ein wenig unangekündigt – meinen Blog ruhen lassen. Ich besuchte die Familie meiner Verlobten in Ungarn und durfte so Zeuge einer interessanten Entwicklung in dem Land werden, welches derzeit ja ausgerechnet die EU-Ratspräsidentschaft stellt.

Ungarn wird von einer wenig-Mitteviel-Rechts-Regierung beherrscht, die seit den letzten Parlamentswahlen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament innehat. Die Regierung unter Victor Orbán ist ja seit einiger Zeit immer mal wieder Tagesgespräch in Europa, hauptsächlich wegen des Umgangs des ungarischen Gesetzgebers mit solchen in der EU als selbstverständlich betrachteten Rechten wie der Pressefreiheit..

Vor dem Parlament in Ungarn

Nun hat sich Ungarn eine neue Verfassung gegeben. Und diese Verfassung wird von nicht wenigen Ungarn sehr kritisch betrachtet, auch wenn sie wahrscheinlich nicht die Mehrheit stellen. Diese Verfassung schafft die Republik Ungarn ab und macht zunächst einmal nur Ungarn daraus. Was dann noch kommen mag weiß eigentlich keiner so genau, aber manch einer befürchtet, daß sich der ohnehin schon sehr starke Nationalismus immer weiter durchsetzen wird. Einige Elemente erkennt man allerdings schnell: Das neue Reich/Land/Nation Ungarn beruft sich auf das mittelalterliche Ungarn – und ganz zuvorderst auf das Christentum (Was kein Wunder ist, Ungarn war katholisch bevor Jesus geboren wurde. Sagt man.) was ein paar Kleinigkeiten zu Folge hat wie den Umgang mit Ehe, Abtreibung, Homosexualität und einem Duzend anderer Elemente moderner Denkweisen. Natürlich begrüßen besonders rückwärtsgewandte  Zeitgenossen wie – ausgerechnet – Bernd Posselt dieses Bestreben.

Woran das liegen mag? Vielleicht auch an der Presse. Was man mir berichtete war, daß die Medien, zumindest das Fernsehen, eigentlich durch die Bank immer nur „Nation! Nation! Ungarn! Nation!“ brüllen, durchbrochen von seichtester Fernsehunterhaltung.

Nun muß man die Ungarn zunächst einmal verstehen. Jahrhundertelang als die „Geißel Europas“ gefürchtet und unterdrückt von zuerst den Osmanen und dann der Habsburger Monarchie erlebte Ungarn die europäischen Revolutionen von 1848 als Befreiungskriege die ihnen letztlich noch mehr Unterdrückung (Habsburg brachte den ungarischen Widerstand unter anderem mit Hilfe des russischen Zaren zu Fall. Zyniker behaupten, die Russen hätten sich schonmal umgesehen.) einbrachten, auch wenn sich die Habsburger dann „Kaiser von Österreich und König von Ungarn“ in besonderer Form nennen mußten. Ungarn wurde nicht von Ungarn regiert. Nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches in Folge des von ihnen begonnenen ersten Weltkrieges schaffte es Ungarn endlich zu einem Königreich ohne Fremdherrschaft zu werden.
Bis die Nazis kamen. Ungarn näherte sich dem Faschismus freiwillig an und wurde im Rahmen der „Restaurierung Großdeutschlands“ praktisch übernommen, letztlich, als das Land mit Rußland in Verhandlungen trat, besetzt. Im Zweiten Weltkrieg eroberte die stalinistische Sowjetunion Ungarn und hielt das Land unter Besatzung bis 1989. Die Ungarn kämpften im Volksaufstand von 1956 noch einmal unter großen Opfern gegen ihre neuen Unterdrücker, aber vergeblich.
Zwar gelang es den Sowjets nie so sehr, Ungarn die allgemeinen Beschränkungen und vor allem die Lebensmittelknappheit aufzuzwingen die man sonst unter dem Credo der „gerechten Verteilung“ erzwang, aber frei waren die Ungarn wieder nicht.

Und was die Monarchie, Fremdherrschaft, Unterdrückung und letztlich der „real existierende Sozialismus“ der Sowjetunion noch nicht an Stolz und Wirtschaftskraft zerstört hatten, das nahmen die europäischen Heuschrecken nach der Grenzöffnung mit. Ungarn erlebte eine kurze Boomzeit als westliche Firmen die niedrigen Löhne und Lebensstandards ausnutzten, Werke hochzogen und die Leute beschäftigten aber das war nur eine vorübergehende Periode. Wie üblich unter dieser Gesellschaftsklasse zogen die Firmen weiter nach Bulgarien und Rumänien als die staatlichen Förderungen ausliefen die als Motor dienen sollten und die Löhne „anzogen“ (sprich von „unanständig „zu „Unterklasse“ zu werden.). Das Ergebnis ist eine recht hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit, auch wenn es der Mehrzahl der Ungarn sicherlich deutlich besser geht als noch vor 20 Jahren.

Zu dem Gefühl der Perspektivlosigkeit kommt auch ein sich festgesetzter Glaube daran, im Vergleich mit den Nachbarn deklassiert zu sein. Die Idee des reichen Deutschen, der fünf Autos hat und in einer Villa wohnt, das westliche Eldorado hat sich dermaßen in den Köpfen als Wahrheit manifestiert und festgesetzt, daß jeder eigene Erfolg (nicht wenige Ungarn besitzen zwei Autos, Haus oder Hof) irgendwie als nicht gut genug erscheint. Und gegen einen derartigen Glauben (der wohl nicht nur in Ungarn weit verbreitet ist) kann man auch mit der Wahrheit nicht ankommen.

Wieder einmal zeigt sich, daß der ungezügelte Liberalismus als Nährboden für Nationalismus, Rassismus und Kriegstreiberei dient. Denn natürlich sind an der Situation schuld:

a) die Ausländer, besonders die EU die ja wirklich wie eine Heuschreckenbande das Land ausgeplündert hat.
b) die Ausländer, vor allem die Sinti und Roma, die grundsätzlich nur stehlen und sowieso nix arbeiten wollen und alle Verbrecher sind
c) die Nachbarn, besonders die Rumänen und Tschechen, denn diese Völker haben Minderheiten in Ungarn leben, die allen die Arbeitsplätze wegnehmen und sowieso faul sind und nix arbeiten wollen (Machen Sie sich nix aus dem Widerspruch, genügend Dieter Bohlen dazwischen und die Leute schlucken das)
d) die Nachbarn, besonders die Bulgaren und Rumänen, weil ungarische Minderheiten in Bulgarien und Rumänien leben und dort unterdrück werden und das ganze Gebiet sowieso eigentlich Ungarn gehört.

Diese Stimmung wird erzeugt und massiv befeuert im Land. Am Ende hat das oftmals sehr unangenehmes zur Folge. Hoffen wir, daß es nicht dazu kommt. Auch wenn sich der drohende Zusammenbruch des Geldsystems weltweit mit einem Krieg wunderbar verschleiern ließe.

Das ungarische Parlament

Das ungarische Parlament

Dies war das Ende meines kurzen Artikels den ich in Ungarn geschrieben hatte und mangels internet so veröffentlichen wollte. Kaum zurück in Deutschland und eigentlich nur auf der Suche nach eienr deutschen Übersetzung oder wenigstens zuverlässig seriösen Inhaltsbeschreibung der neuen Verfassung (Meine Kenntnisse entstammen alle ungarischen Medien und Menschen) führte zu:

Ich bitte den Leser sich nun selbst ein Bild zu machen. Vielleicht gibt es ja gar keinen Grund, hysteriSZch zu werden…

Von der Direkten Demokratie Teil II

Das Gustav-Radbruch Forum benennt sich nach dem ehemaligen Reichsjustizminister und Reichstagsabgeordneten Gustav Radbruch, der als Jurist und Sozialdemokrat eine Periode der Weimarer Republik entscheidend mitgestaltet hatte.

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Die Frage nach der direkten Demokratie ist die Frage nach einer Wirklichkeit, die den Sinn hat, der Gerechtigkeit zu dienen, wie Radbruch es wahrscheinlich formulieren würde. In diesem Sinne fanden sich auf dem Podium Prof. Dr. Peter Huber (Richter des Bundesverfassungsgerichts), Prof. Dr. Jürgen Kühling (Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Regensburg), Dr. h. c. Moritz Leuenberger (Schweizer Bundesrat a. D.) und andere.

Argumentativ begann die Veranstaltung schnell mit der Skepsis (die ich ja bereits schilderte). Demagogie ist eine stete Gefahr der direkten Volksabstimmungen, ein Beispiel das sich sehr schön mit den regelmäßigen Wellen von Forderungen nach der Todesstrafe in Volk und Bildzeitung, beispielsweise im Zusammenhang mit den Taximorden in den Siebzigern oder beim Thema Kinderschänder derzeit.

Zudem ist es institutionell in Deutschland ein gewisses Problem – durch das unsägliche föderale System ist es nicht so ohne weiteres möglich, durch ein direktes Votum des Volkes den Bundesrat zu umgehen, das System müsse geändert werden. Und wer sagt, daß eine Entscheidungsmacht wirklich Zustimmung und Zufriedenheit generiert?

Da fragt man am besten die Schweizer. Und Dr. Leuenberger konnte eine Menge erhellender Gedanken bieten. So aktiviere die Entscheidungsmacht die Bürger, zwar mitunter polarisierend aber die Bürger in der Schweiz informieren sich auch tatsächlich über die Fragen, denen sie sich stellen. Jedes Gesetz wird mit Argumenten dafür und dagegen zuvor gedruckt und an die Haushalte verteilt. Auch der Rundfunkstaatsvertrag ist in der Schweiz keineswegs wie in Deutschland die Lizenz zum Verblöden, sondern erzwingt politisch neutrale Diskussionssendungen mit denen die Bürger sich eine Meinung bilden können.

Es ist also möglich, kostet aber Geld und Zeit – und manches ist in Deutschland auch nicht praktikabel, das sollte allen klar sein. Niemand möchte für 80 Millionen Bürger zig Gesetzesvorlagen mit Argumenten drucken, welcher Bürger liest denn schon das Bundesgesetzblatt? Eines muß man sich aber klarmachen, so Leuenberger, Demokratie ist ineffizient und direkte Demokratie ist noch ineffizienter. Aber zumindest den Schweizern sei Partizipation wichtiger als Effizienz.

Auch Professor Huber wiegelte ab – so viele Volksbegehren entstünden ja gar nicht und man müsse sich von dem Gedanken trennen, die Direkte Demokratie als Konkurrenz zu unserem Staatswesen zu verstehen. Ein Volksentscheid könne eine Ergänzung sein, kein Ersatz, egal wie polarisierend das Thema sei. Man denke nur an die Volksinitiativen zum Thema G8 oder auch zur Privatisierung des Waldes hier in Bayern – beides seien polarisierende Themen gewesen die es nicht über die Hürde geschafft hatten.

Letztlich könnte man die Direkte Demokratie als eine Methode zur Entwicklung einer Schere im Kopf der Politiker betrachten: „Will mein Volk das?“

Dr. Leuenberger zeigte bei der anschließenden Fragerunde der Bürger Verständnis für die Unsicherheit der Deutschen – Deutsche Bürger seien einfach in anderer Form sozialisiert. Deutsche Verbände, Parteien und Kirchen passten nicht immer zu den Milieus. Legitimität in der Interessenvertretung und Legitimität eines Staatsapparates sei kein natürlicher Zustand, sondern werde zugesprochen. Wenn die Deutschen dies verstünden würden sie vielleicht offener sein für die Verantwortung der Bürger. Aber dies sei ein schwieriges unterfangen – er berichtete von einem Treffen mit dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler am Bodensee, der ihm sagte: „Also Euer System mit der Direkten Demokratie bei Euch, das müsst Ihr jetzt dann mal aufhören.“

Ein Bürger griff den Faden auf und meinte, So mündig sei der Bürger gar nicht. Man sehe sich die Debatte zur doppelten Staatsbürgerschaft an oder frage sich, ob die Ostpolitik Willy Brandts wirklich möglich gewesen wäre. Guttenberg wäre wahrscheinlich noch Verteidigungsminister, immerhin hätten ihm in Kelkheim auch Akademiker und Intellektuelle applaudiert.

Dem entgegnete Prof. Huber ganz nonchalant die Frage, wenn die Bürger denn nicht mündig wären, wer wähle denn dann? Lobbyarbeit gegen das Volk sei im Parlament nun einmal einfacher (und billiger!) als gegen eine breite Masse. Um die Akzeptanz und die Erkenntnis über die Möglichkeiten dem Bürger klar zu machen sei es wichtig, niedrige Quoren einzuführen und den Bürgern zu zeigen, daß sie etwas bewegen könnten. Zudem sei die Außenpolitik aufgrund ihrer immensen Komplexität tatsächlich nicht von einer direkte Bürgerentscheidung abhängig zu machen, auch sollte man zumindest diskutieren, ob man dem Parlament nicht das Budgetrecht überlässt.

Fragen gab es viele die im Einzelnen aufzuzeichnen hier jeden Rahmen sprengen würde (ich habe auch bei weitem nicht alles mitgeschrieben). Aber abgesehen von der tatsächlichen Ausgestaltung ist die direkte Demokratie vielleicht wirklich eine Möglichkeit, bestimmte Elemente der Politik wieder für das Volk umzugestalten und nicht gegen seine Interessen. Dr. Leuenberger rundete das Ganze mit einem schönen Satz ab:

Es gibt nur zwei politische Systeme: Solche mit unzufriedenem Volk und solche mit unzufriedenen Politikern. Überlegen Sie wo Sie leben wollen.

Von der direkten Demokratie – Teil I

In der vergangenen Woche besuchte ich eine Veranstaltung der ASJ, der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen über die Direkte Demokratie. Als Diskussion mit Podium und Publikum konzipiert konnte man beim Gustav-Radbruch-Forum eine Menge Erkenntnisse über ein schwieriges Thema gewinnen und durchaus spannende Einblicke in den schweizer Alltag bekommen.

Wer weiß, wie die direkte Demokratie in der Schweiz wirklich funktioniert? Jeder kennt so Schnipsel aber zumindest ich mußte zu meiner Schande gestehen, daß ich über den genauen Ablauf des Schweizer Modells gar nicht so informiert war. Man geht halt häufig doch eher vom eigenen Stand aus und die Vorstellung einer direkten Demokratie unter der Leitung von Springer, Bertelsmann und Pro7 hat ihre ganz eigene gruselige Wirkung. Tatsächlich ging ich mit einer sehr vorgefassten Meinung hin und kam mit einer recht anderen wieder zurück.

Wenn ich an Direkte Demokratie denke, so fallen mir spontan vor allem erstmal Volks- und Bügerentscheide ein. Ein Element unseres Staatswesens, das mehr oder weniger normal ist, auch wenn es eher selten bis zu einer Abstimmung kommt. Das war zuletzt eigentlich nur beim sogenannten Nichtraucherentscheid so. Anhand dieses Vorgangs konnte man auch wunderbar beobachten, mit welchen Mitteln hier gearbeitet wurde und welche Gewaltpotentiale sich hier plötzlich auftaten

Für politisch Handelnde hat der Volksentscheid den gewichtigen Nachteil, daß manchmal etwas ganz anderes herauskommt als man haben wollte. So war das politische Establishment in Europa ziemlich schockiert als die Iren die Eu-Verfassung ablehnten und seit sich in Baden-Würtemmberg langsam die Erkenntnis durchsetzt, daß sich möglicherweise keine Mehrheit gegen S21 finden lässt, rotieren die Grünen vor Ort hauptsächlich zu Belustigung des rechtskonservativen Fleischhauer, der den Vorgang gleich zu einer ätzenden Hetze nutzte um mit vielen Behauptungen möglichst die wenigen Tatsachen auch noch zu zerreden. (Zitat: „Wenn es der guten Sache dient, sind in der grünen Überzeugungswelt Gesetzesübertretungen immer erlaubt, ja geradezu geboten.„) Auch die Schweizer waren völlig verblüfft daß es den rechtsnationalen Hetzern gelungen war, aus einer Bauvorschriftenfrage eine Kulturdebatte zu machen.

Tatsächlich muß man sich immer fragen, in wie weit man dem Volk eigentlich trauen möchte. Wie sehen denn die Bundesbürger das Thema Griechenlandkrise? Kann es sein, daß die „Ihr griecht von uns nix!“ – Kampagne der Bildzeitung da doch auf fruchtbareren Boden stieß als gedacht? Eine Studie beschäftigte sich unter anderem mit diesem Vorgang. Möchte ich wirklich haben, daß „der Stammtisch die Politik bestimmt“?

Die Veranstaltung trug nicht umsonst den Untertitel „Volksbegehren und Volksentscheide – das Recht mündiger Bürger oder die ‚Prämie für jeden Demagogen‘?“. Beobachtet man politische Diskussionen in Online-Foren, den zum Teil an krasser Unkenntnis oder unglaublichem, aufgestautem Hass leidenden User, sprich: Bürger, so stellt sich schon die Frage, ob man wirklich möchte, daß ein solcher Mensch maßgebliche Entscheiedungen für viele mitbestimmen kann.

Ein nicht unerheblicher Teil dieses Vorgangs ist aber die Mitbestimmung. Natürlich gibt es Leute denen man keinen Staat anvertrauen sollte, bei manchen Wählern, die man so erlebt, habe ich schon Zweifel ob man ihnen überhaupt die Uhrzeit anvertrauen kann. Andererseits stellen solche Leute deutlich eine Minderheit dar – es würde mich wundern wenn das mehr als ein Promille ist. Ist also – ganz entgegen Schiller – die Vernunft doch in der Masse zu suchen?

Meine Antwort wäre gewesen: „Nicht unbedingt.“ Denn der Historiker in mir weiß um die Verführbarkeit der Menschen von Ideen, sobald diese Ideen ein Gemeinschaftsgefühl einerseits entstehen lassen und andererseits aus dem Gemeinschaftsdenken heraus eine Gegnerschaft zu etwas anderem definiert. So funktioniert zu einem nicht unerheblichen Teit der Nationalismus, aber auch die kommunistische Idee lebt davon, letztlich ist das auch der Grund warum Konservative von „den Sozen“ oder „den Grünen“ sprechen und wir von „den Schwarzen“. Die Zugehörigkeit einer Gruppe wird – auch –  durch die Gegnerschaft zu einer anderen definiert und man sieht derzeit in der explosionsartig auflebenden Islamfeindlichkeit (hinter dem Begriff „Kritik“ versteckt um unkritisch „Kritik“ zu konsumieren) sehr schön, wie schnell Ressentiments, Vorurteile und Ahnungsfreiheit zu einer Meinung werden.

Man erinnere sich nur an solche Vorgänge wie Helmut Kohls und Roland Kochs Doppelstaatsbürgerschaftsdebatte („Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“) oder auch das „Minarettverbot“ in der Schweiz, als eine einfache Entscheidungsfrage über ein baurechtliches Vorhaben mal eben zu einer Kulturdebatte ausartete, die dann vom Diskurs „Überfremdung“ und „Islam ist Islamismus“ bestimmt wurde. Vernunft war da nicht mehr zu finden, die Debatte wurde mit Emotionen geführt.

Mit dieser Ansicht also marschierte ich hin und dann…. [der zweite Teil erscheint am Sonntag]

Von Irrationaler Freude – Vorwärts-Version

Nachdem ich zu meiner großen Freude eingeladen wurde, den Artikel beim Vorwärts noch einmal zu veröffentlichen erfuhr er eine leichte Überarbeitung. Lesen Sie selbst:

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Am vergangenen Tage dieser Republik haben die Bürgerinnen und Bürger in drei Bundesländern gewählt – und CDU und FDP eine heftige Klatsche verpasst. besonders die FDP flog – zu recht – aus dem Rheinland-Pfälzischen Parlament und schaffte nur mit Mühe den Wiedereinzug in Baden-Württemberg. Das ist positiv. Die Ergebnisse der SPD sind es nicht.

Unverständlich der frenetische Jubel der Genossen in Bund wie den Ländern ob der Wahlergebnisse. Um es mal ganz ohne Scheuklappen zu sagen: Die SPD hat eine historische Niederlage eingefahren. Noch knapp 23% der Wähler (15,29% der Wahlberechtigten) in Baden-Württemberg und 35% der Wähler (22,06% der Wahlberechtigten) in Rheinland-Pfalz gaben den Sozialdemokraten ihre Stimme. Vermutlich ist das der Grund, warum Jörg Schönenborn so verhalten erfreut guckte.
Alle Parteien die verloren hatten erklärten ihre Niederlage mit dem Atomthema, das den Grünen halt so genützt hätte, aber so ganz stimmt das nicht. Die Werte der SPD werden nicht mehr mit der SPD identifiziert. Deswegen nützt die Schwäche der vermeintlich „bürgerlichen“ Parteien nicht der SPD.
Auch wenn Konservative die „Sozialdemokratisierung“ der CDU beklagen so sollten Sozialdemokraten sich vielleicht mal über die Christdemokratisierung der SPD Gedanken machen. Es ist nicht unbedingt so daß die Wähler der SPD davonlaufen – vielmehr läuft die SPD thematisch den Wählern weg.
Es mag durchaus sein, daß das Thema Kernkraft alles weitere überstrahlt hat – blickt man aber in die Wählerwanderungen der einzelnen Wahlen so kann man den Trend erkennen, daß sich SPD-Wähler zu Nichtwählern entwickeln, wenn sie nicht an andere Parteien, vor allem an die Linke abwandern. Das ist ein langfristiges Phänomen daß diesmal genauso zugeschlagen hat wie die Male zuvor, nur hat es diesmal anscheinend keiner gemerkt.

Adieu Volkspartei?
Was ist eigentlich eine Volkspartei?Alle naselang wird ja das Ende der Volksparteien beschworen so als sei eine Volkspartei eine Partei die irgendwie 40%+X der Stimmen erhält. Das ist Unsinn, und zwar bedauerlicher Unsinn. Eine Volkspartei ist eine Partei, die programmatisch aus jeder Schicht, jeder Klasse und jedem Lager gewählt werden kann. Eine Partei, die Inhalte anbietet die sowohl den Arbeitslosen als auch den Manager ansprechen.
Anders als eher monoprogrammatische Parteien wie besonders die FdP oder die Grünen haben und hatten die beiden Volksparteien Inhalte und auch Fachpolitiker in (fast) jeder Richtung zu bieten. Und das muß auch weiterhin ein Markenzeichen der SPD bleiben, sonst wird sie sich noch weiter aufsplitten.

Die Grünen als Konkurrenz- und Volkspartei?
Die Grünen sind im Augenblick natürlich trendy, aber das wird sich vermutlich schnell wieder auszaubern. Es ist unwahrscheinlich, daß die Grünen Stuttgart 21 kippen können und bislang ist hinter dem Ruf „Abschalten!“ noch nicht hinaus klar gemacht worden, was man denn mit den alten Atomkraftwerken eigentlich tun will. Die Dinger strahlen nämlich noch ein paar hundert oder tausend Jahre. Alleine das geregelte Herunterfahren wird ca. 2 Jahre in Anspruch nehmen, die „Entsorgung“ der Brennstäbe ist ebenso wie die „Entsorgung“ der Gebäude noch gar nicht geklärt. Und das wird richtig teuer weil die Betreibergesellschaften mit Sicherheit „irgendwie pleite gehen“ und ihren Abfall natürlich dem Staat, also uns um den Hals hängen.
Somit werden die Grünen ihren Wählern erklären müssen warum vieles von dem versprochenen dann doch nicht geht – und warum daran „keiner gedacht hat“. Eine Aufgabe, der sich auch die anderen Parteien noch stellen müssen, dies aber nicht als Kernelement haben.
Das allerdings könnte eine Chance für die SPD werden, ein vermeintlich ″grünes″ Thema zu besetzen und auch im Umweltbereich wieder ernst genommen zu werden. Denn auf diese Fragen haben bislang keine Parteien vernünftige Antworten geliefert – auch die Grünen nicht. Es könnte somit durchaus sein, daß sich der ″monothematische Wahlsieg″ der Grünen langfristig als Bumerang erweist.