Wahlsonntag

Gleich drei recht bedeutende Wahlen hat der heutige Sonntag gesehen. Ich möchte auf alle drei kurz eingehen, allerdings speziell auf die Nachdenkseiten verweisen, die sich diesen Themen deutlich intensiver annehmen werden. Alle drei Wahlen senden Signale aus – und nicht nur gute.

1. Frankreich: Die Wahl des François Hollande
Frankreich hat gewählt und mit einer knappen Mehrheit konnte erstmals seit siebzehn Jahren wieder ein Sozialist in den Élysée-Palast einziehen. Sarkozy hatte letztendlich zwar eine Wechselstimmung gegen sich, aber dennoch war das Ergebnis (48,38% <-> 51,62%) denkbar knapp. Die Beteiligung lag mit etwas mehr als 80% der Stimmen auch recht hoch, wenngleich niedriger als 2007 (knapp 84%) als Sarkozy sich gegen Ségolène Royal durchsetzte.
Bereits kurz nachdem das Ergebnis einigermaßen feststand tat sich der „Spiegel“ recht interessant mit einem Kommentar hervor, der letztendlich besagt daß die Sozialisten und ihr Präsident mit den Träumereien nun aufhören müssen. Nun sei wieder Realität angesagt und das im Artikel nicht benutzte Wort „alternativlos“ schwebt trotzdem irgendwie darüber. Tatsächlich ist Frankreich in einer recht schwierigen Lage aber die Losung „weniger Staat – Mehr Eigenverantwortung“ wird kaum einen Jugendlichen aus dem Pariser Ghetto in Lohn und Brot bringen, zumindest, wenn das „deutsche Modell“ Modell stehen soll
Im Gegenteil: Mit Hilfe des Leiharbeitstricks, der Fälschung der Statistik durch sinnlose Fortbildungsmaßnahmen und durch konsequentes Verschweigen der Aufstocker gelingt es der politischen Kaste nach wie vor recht erfolgreich, mit der Losung „Sozial ist, was Arbeit schafft“ Stimmen derer zu fangen, die nicht merken daß wir in Wahrheit zwischen 7 und 8 Millionen Menschen im Land haben, die von Staat unterstützt werden müssen. Arm trotz Arbeit ist längst das eigentlich Problem der „alternativlosen“ Politik. Auch wenn der Spiegel schon wieder Panik verspürt daß die Franzosen diesen Weg nicht gehen wollen – ich wünsche es ihnen von ganzem Herzen.
Nachtrag: Passend der Kommentar in der Sueddeutschen: „Adieu Wahlkampf – Bonjour Realität

2. Griechenland: Schlappe für die Demokratie
Die Griechen sind ja besonders für den deutschen Boulevard, aber auch für die deutschen Politiker insbesondere der Stammtisch-Fraktionen die Prügelknaben der Wahl. Faul, arbeitslos, sinnlos, nach allgemeiner Ansicht leben Griechen als Schmarotzer eine nicht zweckgebundene Daseinsform und entsprechend werden sie auch behandelt. Ihre eigenen Politiker huschen geduckt im europäischen Haus herum und hoffen, durch den Kotau an der rechten Stelle weitere Hilfen erhalten zu können. Die Quittung haben sie nun kassiert.
Sieger sind die Radikalen Linken mit 16,77% (+12,17%) und die „Unabhängigen Griechen“ mit 10,6% (+10,6%), die als rechtspopulistische gelten. Die Sozialdemokraten verloren über 30%, die Konservativen bleiben stärkste Kraft mit knapp 19%. Bedenklich ist, daß die griechischen Neonazis mit fast 7% ins Parlament eingezogen sind und künftig wohl 21 Mandate erhalten. Wenigstens blieben die Orthodoxen Spinner Volksalarmisten diesmal draußen.
Die nächste Schlappe ist die niedrige Wahlbeteiligung: nur knapp 65% der Wahlberechtigten (in Griechenland sogar Wahlpflichtigen!)  kamen zu den Urnen, ein weiterer Grund dafür, daß es den Radikalen leichter fiel, ins Parlament zu rutschen. Eine Besonderheit am Griechischen Parlamentarismus, nämlich daß die stärkste Fraktion automatisch 50 Sitze mehr erhält sorgt allerdings dafür, daß die Krisenmitverursacher der DN nun mit 108 von 300 Sitzen eine recht große und stabile Fraktion darstellen.
Die „Märkte“ reagierten gleich wieder mit Panik, weil die Bevölkerungen sowohl in Frankreich als auch in Griechenland den unendlichen Sparkurs mitzutragen nicht bereit sind. Dazu hat der Deutschlandfunk ein recht hörenswertes Interview mit dem Präsidenten des Europaparlamentes, dem Sozialdemokraten Martin Schulz, geführt.

3. Schleswig-Holstein: Stell Dir vor es ist Wahl und keiner geht hin.
In Schleswig-Holstein schafft die FDP den Einzug ins Landesparlament, sogar mit dem zweitbesten Ergebnis ihrer Geschichte. Das ist wohl auch nicht verwunderlich, wie Wolfram Müller schreibt, aber man sollte das Ergebnis auch nicht so hoch hängen. Kubicki bläst schon wirklich lange gegen die FDP-Bundesspitze und wird in Medien immer gern als „FDP-Rebell“ (Ob bei Spiegel Online, Welt oder Bild) beschrieben, was dem Wähler natürlich gefällt. Ich glaube, daß die Menschen in S.-H. da eher Kucicki als FDP gewählt haben. Auch wenn die Medien wieder kräftig anschieben (Sogar der Deutschlandfunk!) würde ich mal vorsichtig abwarten, ob die Wahl in NRW davon ernsthaft beeinflußt wird.
Mehr Sorgen macht mir – neben dem schwachen Wahlergebnis für SPD und Linkspartei – die mieserable Wahlbeteiligung. Nur 60,1% gingen überhaupt noch zur Wahl. Die SPD konnte immerhin 1.300 Erststimmen mehr als 2009 verbuchen, die CDU verlor praktisch 100.000 Erst- und noch einmal soviele Zweitstimmen. Hier hat die SPD knapp 4.000 Stimmen mehr zu verzeichnen. Die geringe Wahlbeteiligung dürfte Hauptverursacher sein, daß die FDP trotz eines Verlustes von 101.600 Zweitstimmen (!) ihr „Zweitbestes Ergebnis der Geschichte“ verzeichnen darf. In Wahrheit hat sie die Hälfte ihrer Wähler verloren.
Blickt man in die realen Zahlen (Alle der Veröffentlichung des Statistikamtes Nord zu entnehmen) so stellt man anhand des Zweitstimmenergebnisses fest, daß die einzigen Parteien, die Stimmen hinzugewonnen haben, die SPD (+3.860) und die Piraten (+79.903) sind. Alle anderen haben Stimmenverluste zu verzeichnen. Das spricht Bände über unser Wahlsystem – und Bände über unsere Politiker, die sich am Wahlabend so ziemlich alle auf die Schultern klopften.

Über die Journaille, die das ebenfalls geflissentlich übersieht, sollte man lieber kein Wort verlieren.

Nicht berauschend

Ich gratuliere den Genossinnen und Genossen aus Bremen zu ihrem Erfolg und möchte ihn auch nicht kleinreden. Aber dieses Siegesgetaumel ganz besonders von Seiten bestimmter Bundespolitiker ist wahrscheinlich kontraproduktiv und bestenfalls peinlich. Die Wahlbeteiligung ist jedenfalls unglaublich schlecht gewesen und das ist nun wirklich kein Grund zum Feiern.

Wann immer Wahlsonntag ist freuen sich Politiker in der Öffentlichkeit über ihr Ergebnis – ein Vorgang der nicht selten zu Hohn und Spott führt. Dennoch gilt es als selbstverständlich daß Spitzenkandidaten hinterher a) ihren Wahlkampf (und damit die Wahlkämpfer) loben, b) von einem Wählervotum sprechen das „irgendwie“ auch für sie gut ist und c) klarstellen daß im Grunde ihre Inhalte und Ansichten gewonnen haben.

So feiert Sigmar Gabriel laut Sueddeutsche.de einen „Riesenerfolg“. Mit 38% hat die SPD dort tatsächlich Prozente eingefahren wie sie, sagen wir, in Bayern eher unwahrscheinlich sind (wo sich der Landesparteivorstand aber sehr um das Projekt 10% bemüht).  Aber real betrachtet sind es gar nicht 38%, sondern nur 54% davon. Das sind 20,52%. Das ist immer noch mehr als die andern bekommen haben, aber lediglich ein Fünftel aller Wahlberechtigten haben der SPD ihre Stimme gegeben. Nur die Hälfte ist überhaupt hingegangen und das ist ein viel dramatischeres Ergebnis als die Tatsache, daß diese Spinner von „Bürger in Wut“ ihr Ergebnis vervierfacht haben.
Andrea Nahles, die ehemalige Linke der SPD, spricht von einer Stärke der SPD in den Städten. Natürlich, wo denn auch sonst – als wäre das etwas einmaliges in der Parteigeschichte. Andererseits, bei der Dame ist eh nicht so ganz klar, was ihr gerade so alles neu ist (Was? Sarrazin hat ein Buch geschrieben?). Die Grünen legen kräftig zu und dürften meiner Einschätzung nach die einzige Partei mit echtem Stimmenzuwachs sein. Die SPD hat zwar auch gewonnen ±2%) aber ich hege die Vermutung daß das eher daran liegt, daß weniger SPD-Wähler im Schnitt zuhause blieben als bei anderen Parteien und nicht weil real mehr sie gewählt haben.

Demokratie? Machen eh die andern.

Die geringe Wahlbeteiligung von gerade mal 54% ist eine Katastrophe. Zwar war die Wahlbeteiligung in Bremen schon lange nicht besonders kräftig und seit den 70er Jahren auch am Sinken wie überall in der Republik, aber sie ist so schlecht wie bisher noch nie. Das dramatische daran ist aber, daß es ein Novum bei dieser Wahl gab: 16- und 17-Jährige durften erstmals auch wählen. Davon hatte sich die Piratenpartei besonders Vorteile versprochen. Rein zufällig natürlich ist der Server der Piratenpartei aber polizeilich beschlagnahmt worden.Könnte daher sein daß die Piraten vielleicht auch eine Verfassungsklage gegen die Wahl anstreben.
Das hat aber an der miesen Wahlbeteiligung nichts geändert. Wenn überhaupt, dann sie über die 50% gerettet aber das muß sich erst zeigen. Ist das ein Grund zum Feiern? Nein, das ist ein Grund nachdenklich zu sein.
Kein Politiker aber war an diesem Abend nachdenklich zu hören. Bislang jedenfalls. Nur noch die Hälfte ist überhaupt hingegangen, die andere Hälfte scheint kein wählbares Angebot auf den Listen entdeckt zu haben. Viele glauben nicht mehr an das Land und die Demokratie – nicht zuletzt weil sie das Gefühl haben daß Demokratie nur eine Scheinveranstaltung ist die dazu dient, eine bestimmte Clique an den Schalthebeln zu belassen. Demokratie als Diktatur  mit dem Anstrich von Mitbestimmung.
Ist das so? Existiert die Demokratie in Wahrheit doch nur auf dem Papier? Oder gelingt es den Parteien nicht mehr, die Möglichkeiten der Bürger zu vermitteln und als Stimme der Menschen den Interessen einiger weniger entgegenzutreten? Liegt die Schwäche im System oder bei seinen Trägern?
Wenn das System das Problem ist – warum gehen dann die Nichtwähler bloß nicht zur Wahl, warum ändern sie es nicht? Sind sie doch so faul und desinteressiert wie man es ihnen gerne unterstellt? Warum überlassen sie sich und das Leben ihrer Kinder dann dem System, wenn sie es ablehnen?
Wenn es nur die Trägerschaft ist – also die Parteien und vor allem die maßgeblichen Figuren darin – dann ergibt das Nichtwählen in gewisser Hinsicht Sinn. Aber es wäre dann besser hinzugehen und den Stimmzettel absichtlich unbrauchbar zu machen. Sonst könnten jene, die genau von dieser miesen Wahlbeteiligung profitieren letztlich das Gefühl bekommen, sie hätten schon fast gewonnen.

Von Irrationaler Freude – Vorwärts-Version

Nachdem ich zu meiner großen Freude eingeladen wurde, den Artikel beim Vorwärts noch einmal zu veröffentlichen erfuhr er eine leichte Überarbeitung. Lesen Sie selbst:

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Am vergangenen Tage dieser Republik haben die Bürgerinnen und Bürger in drei Bundesländern gewählt – und CDU und FDP eine heftige Klatsche verpasst. besonders die FDP flog – zu recht – aus dem Rheinland-Pfälzischen Parlament und schaffte nur mit Mühe den Wiedereinzug in Baden-Württemberg. Das ist positiv. Die Ergebnisse der SPD sind es nicht.

Unverständlich der frenetische Jubel der Genossen in Bund wie den Ländern ob der Wahlergebnisse. Um es mal ganz ohne Scheuklappen zu sagen: Die SPD hat eine historische Niederlage eingefahren. Noch knapp 23% der Wähler (15,29% der Wahlberechtigten) in Baden-Württemberg und 35% der Wähler (22,06% der Wahlberechtigten) in Rheinland-Pfalz gaben den Sozialdemokraten ihre Stimme. Vermutlich ist das der Grund, warum Jörg Schönenborn so verhalten erfreut guckte.
Alle Parteien die verloren hatten erklärten ihre Niederlage mit dem Atomthema, das den Grünen halt so genützt hätte, aber so ganz stimmt das nicht. Die Werte der SPD werden nicht mehr mit der SPD identifiziert. Deswegen nützt die Schwäche der vermeintlich „bürgerlichen“ Parteien nicht der SPD.
Auch wenn Konservative die „Sozialdemokratisierung“ der CDU beklagen so sollten Sozialdemokraten sich vielleicht mal über die Christdemokratisierung der SPD Gedanken machen. Es ist nicht unbedingt so daß die Wähler der SPD davonlaufen – vielmehr läuft die SPD thematisch den Wählern weg.
Es mag durchaus sein, daß das Thema Kernkraft alles weitere überstrahlt hat – blickt man aber in die Wählerwanderungen der einzelnen Wahlen so kann man den Trend erkennen, daß sich SPD-Wähler zu Nichtwählern entwickeln, wenn sie nicht an andere Parteien, vor allem an die Linke abwandern. Das ist ein langfristiges Phänomen daß diesmal genauso zugeschlagen hat wie die Male zuvor, nur hat es diesmal anscheinend keiner gemerkt.

Adieu Volkspartei?
Was ist eigentlich eine Volkspartei?Alle naselang wird ja das Ende der Volksparteien beschworen so als sei eine Volkspartei eine Partei die irgendwie 40%+X der Stimmen erhält. Das ist Unsinn, und zwar bedauerlicher Unsinn. Eine Volkspartei ist eine Partei, die programmatisch aus jeder Schicht, jeder Klasse und jedem Lager gewählt werden kann. Eine Partei, die Inhalte anbietet die sowohl den Arbeitslosen als auch den Manager ansprechen.
Anders als eher monoprogrammatische Parteien wie besonders die FdP oder die Grünen haben und hatten die beiden Volksparteien Inhalte und auch Fachpolitiker in (fast) jeder Richtung zu bieten. Und das muß auch weiterhin ein Markenzeichen der SPD bleiben, sonst wird sie sich noch weiter aufsplitten.

Die Grünen als Konkurrenz- und Volkspartei?
Die Grünen sind im Augenblick natürlich trendy, aber das wird sich vermutlich schnell wieder auszaubern. Es ist unwahrscheinlich, daß die Grünen Stuttgart 21 kippen können und bislang ist hinter dem Ruf „Abschalten!“ noch nicht hinaus klar gemacht worden, was man denn mit den alten Atomkraftwerken eigentlich tun will. Die Dinger strahlen nämlich noch ein paar hundert oder tausend Jahre. Alleine das geregelte Herunterfahren wird ca. 2 Jahre in Anspruch nehmen, die „Entsorgung“ der Brennstäbe ist ebenso wie die „Entsorgung“ der Gebäude noch gar nicht geklärt. Und das wird richtig teuer weil die Betreibergesellschaften mit Sicherheit „irgendwie pleite gehen“ und ihren Abfall natürlich dem Staat, also uns um den Hals hängen.
Somit werden die Grünen ihren Wählern erklären müssen warum vieles von dem versprochenen dann doch nicht geht – und warum daran „keiner gedacht hat“. Eine Aufgabe, der sich auch die anderen Parteien noch stellen müssen, dies aber nicht als Kernelement haben.
Das allerdings könnte eine Chance für die SPD werden, ein vermeintlich ″grünes″ Thema zu besetzen und auch im Umweltbereich wieder ernst genommen zu werden. Denn auf diese Fragen haben bislang keine Parteien vernünftige Antworten geliefert – auch die Grünen nicht. Es könnte somit durchaus sein, daß sich der ″monothematische Wahlsieg″ der Grünen langfristig als Bumerang erweist.