Von den seltsamen Gestalten…

An den vergangenen Tagen dieser Republik saß ich des öfteren in meiner liebsten Stammkneipe und beobachtete das Publikum. Das ist in Schwabing-Maxvorstadt besonders interessant.

Ein nicht unerheblicher Teil der öfter mal kommenden Gäste ist – die Studenten mal außen vor gelassen – Künstler oder zumindest irgendwie in der Szene verankert. Nicht wenige malen, dichten oder musizieren – die KostBar wird jeden Freitag von einer wirklich tollen Musikertruppe heimgesucht die wirklich ordentlich Stimmung machen können.

(Es gibt davon eine Reihe eher unbrauchbarer Videos auf Youtube)

Was aber zeichnet so einen hübschen Laden noch aus? Genau, die Exzentriker. Da ist der alte Sozialdemokrat der irgendwie zum Inventar gehört, wenig trinkt und immer zu Abend ißt und der, fragt man ihn, eine Menge aus seiner Zeit zu erzählen weiß. Da ist die Dichterin, die über Morgensonnen schreibt und ein wenig, naja, eigen ist. Sie erzählt gerne allen im Semiselbstgespräch mit ihrem Hund wie es ihr („uns“) geht und auch gerne den Text des Liedes, das man grad hört. Der Hund, ein Cairn Terrier, (Solche Frauen haben immer Cairn Terrier, die sind serienmäßig irgendwo eingebaut) ist nicht überfüttert und heißt natürlich Romeo – und er ist treu genug, den Satz „gell, wir sind müde heute“ schwanzwedelnd und mit lebhaftem Kläffen zu bestätigen.

Da gibt es den Stammtisch vom Ring christlicher Studenten, der bewegt und engagiert wirkt, selbst bei der Geselligkeit. Dann gibt es da die Spiegelleser, sind einige an der Zahl, die nach Feierabend kommen und das Spiegelarchiv des Besitzers durchgehen und gerne mit den Malern diskutieren, die hier regelmäßig Ausstellungen haben. Die IT’ler, die nach Feierabend die Welt retten und hier stundenlange philosophische Gespräche führen.

Der Wirt, ein Inder, hat abends öfter das Besitzerpärchen des japanischen Restaurants nebenan zu Gast, wenn diese schließen. Dann trinkt sie, eine unglaublich gesittete, wohldiszilpinierte Dame vom alten Schlag eine Tasse Tee und er ein Glas Bier und beide starren in ihr Getränk. Ich habe sie noch nie miteinander reden hören, frage mich aber oft, ob sie gerade beide ein Stück ihrer Vergangenheit sehen – und ob es wohl das gleiche Stück ist.

Natürlich darf die Münchner SchickiMicki nicht fehlen, auch wenn sie hier eher zahnlos auftritt, die findet man eigentlich immer weiter vorne, näher bei der Bushaltestelle. Das sind die, die ein Risotto bestellen, aber kein schwarzer Pfeffer bitte, oder einen Zwiebelrostbraten – geht das auch ohne Zwiebeln? Die ihren Tisch nach Feng Shui Regeln neu gestalten und die Kerze immer links oben hinstellen – wie die das lösen wenn sie sich gegenüber sitzen habe ich noch nicht ergründet.

Hier findet sich, in meiner kleinen gemütlichen Münchner Kneipe so ziemlich alles an Persönlichkeiten, was ein Schriftsteller sucht wenn er nach Figuren und Charakterkonzepten Ausschau hält.

Ein Charakter fehlt seit genau einem Jahr hier allerdings: Erika. Erika war so um die 80 Jahre alt und setzte sich immer zu den jüngeren Besuchern. Sie diskutierte lebhaft mit und hatte eine Menge Frohsinn, Erfahrung und eine Jugendlichkeit, um die sie gute 50% der Studenten beneidet hat. Sie blieb stets bis Feierabend weil sie nicht gut zu Fuß war – der Wirt brachte sie dann nach Hause und kümmerte sich um sie. Er kaufte auch hin und wieder für sie ein oder fuhr sie mal zum Arzt.

Genau heute vor einem Jahr fand er Erika in ihrem Sessel. Sie ist einsam gestorben.

Facebook-Anwendungen, die das Leben nicht braucht. Die aber das Leben bereichern.

Im schulischen Alltag dieser Republik gibt es einen Umstand, den ein Schüler wie ich, der (zu seinem großen Glück) im Prä-Facebook-Zeitalter zur Schule ging, erst von außen wahrnehmen mußte: Online-Schüler-Erlebnis-Seiten.

Angesichts der Tatsache, daß auf seiten wie geschaut.com hauptsächlich olle Kamellen auftauchen, sprich: Schülersprüche die ich den Schülersprüche-Büchern meiner Eltern gelesen hatte (Was bedeutet daß die zu dem Zeitpunkt schon biblisches Alter hatten!) ignoriere ich normalerweise derartige Nachrichten die mir insbesondere meine Nachhilfeschüler immer wieder gönnen.

Weil aber die Weisheit oftmals durch Narren und Kinder kundgetan wird lese ich es dann doch immer mal wieder. Neben hin und wieder recht belanglosem Kalauertum finden sich dann geniale Perlen. Wer auch immer der Autor dieses Stück Textes ist, ich würde ihn gerne mal kennenlernen.

Pizzabestellung im Jahr 2090
Pizzamann: „Danke, dass Sie Pizza Hut angerufen haben. Kann ich Ihre …“
Kunde: „Hi, ich möchte etwas bestellen.“
P: „Kann ich bitte erst Ihre NIDN haben?“
K: „Meine Nationale ID Nummer, ja, warten Sie, die ist 6102049998-45-54610.“
P: „Vielen Dank, Herr Schwardt. Sie wohnen in der Rosenstrasse 25 und Ihre  Telefonnummer lautet 89 568 345. Ihre Firmennummer bei der Allianz ist 74 523 032 und Ihre Durchwahl ist -56. Von welchem Anschluss aus rufen Sie an?“
K: „Hä? Ich bin zu Hause. Wo haben Sie alle diese Informationen her?“
P: „Wir sind an das System angeschlossen.“
K: (seufzt) „Oh, natürlich. Ich möchte zwei von Ihren Spezial-Pizzen mit besonders viel Fleisch bestellen.“
P: „Ich glaube nicht, dass das gut für Sie ist.“
K: „Wie bitte??!!“
P: „Laut Ihrer Krankenakte haben Sie einen zu hohen Blutdruck und extrem hohe Cholesterinwerte. Ihre Krankenkasse würde eine solche ungesunde Auswahl nicht gestatten.“
K: „Verdammt! Was empfehlen Sie denn?“
P: „Sie könnten unsere Soja-Joghurt-Pizza mit ganz wenig Fett probieren. Sie wird Ihnen bestimmt schmecken.“
K: „Wie kommen Sie darauf, dass ich das mögen könnte?“
P: „Nun, Sie haben letzte Woche das Buch ‚Sojarezepte für Feinschmecker‘ aus der Bücherei ausgeliehen. Deswegen habe ich Ihnen diese Pizza empfohlen.“
K: „Ok, ok. Geben Sie mir zwei davon in Familiengrösse. Was kostet der Spass?“
P: „Das sollte für Sie, Ihre Frau und Ihre vier Kinder reichen. Der Spass, wie Sie es nennen, kostet 45 Euro.“
K: „Ich gebe Ihnen meine Kreditkartennummer.“
P: „Es tut mir leid, aber Sie werden bar zahlen müssen. Der Kreditrahmen Ihrer Karte ist bereits überzogen.“
K: „Ich laufe runter zum Geldautomaten und hole Bargeld, bevor Ihr Fahrer hier ist.“
P: „Das wird wohl auch nichts. Ihr Girokonto ist auch überzogen.“
K: „Egal. Schicken Sie einfach die Pizza los. Ich werde das Geld da haben. Wie lange wird es dauern?“
P: „Wir hängen ein wenig hinterher. Es wird etwa 45 Minuten dauern. Wenn Sie es eilig haben, können Sie sie selbst abholen, wenn Sie das Geld besorgen, obwohl der Transport von Pizza auf dem Motorrad immer etwas schwierig ist.“
K: „Woher wissen Sie, dass ich Motorrad fahre?“
P: „Hier steht, dass Sie mit den Ratenzahlungen für Ihren Wagen im Rückstand sind und ihn zurückgeben mussten. Aber Ihre Harley ist bezahlt, also nehme ich an, dass Sie die benutzen.“
K: „@#%/$@&?#!“
P: „Achten Sie lieber darauf, was Sie sagen. Sie haben sich bereits im Juli 2006 eine Verurteilung wegen Beamtenbeleidigung eingefangen.“
K: (sprachlos)
P: „Möchten Sie noch etwas?“
K: „Nein, danke. Oh doch, bitte vergessen Sie nicht, die beiden kostenlosen
Liter Cola einzupacken, die es laut Ihrer Werbung zu den Pizzen gibt.“
P: „Es tut mir leid, aber die Ausschlussklausel unserer Werbung verbietet es uns, kostenlose Softdrinks an Diabetiker auszugeben.

Ich fand das brillant. Man könnte drüber nachdenken, warum das ausgerechnet bei Facebook mehr als 7.000 Fans hat…

Oh Mann, ZDF….

… da hast Du Dich aber sauber vertan. Im journalistischen Alltag unserer Republik ist es ja üblich, grausame Ereignisse, Leid und grauenerregende Momente möglichst als Unterhaltung zu präsentieren. Die Rede ist jetzt nicht von einem netten kleinen Horrorfilm, die Rede ist hier vom Horrorjournalismus: Infotainement.

Bislang dachte ich ernsthaft, daß diese Infotainement-Welle, als das Simplifizieren von Nachrichten auf den (je nach Partei Sender) genehmen Inhalt in Kombination mit Klatsch, Boulevard und vor allem Schadenfreude, sei eine Domäne des privaten Fernsehens. Einer der Hauptgründe warum ich das Privatfernsehen nicht leiden kann ist diese systematische Verblödung ganzer Landstriche durch Schnipsel von vermeintlicher Information und sorgsamer Lenkung der Massen durch geschickte Manipulation an Bild- und Textauswahl.

Vor kurzem tauchte jedoch schon bei der Tagesschau der Boulevard-Sprech auf und nun schießt ausgerechnet das ZDF den Vogel ab. Dank Bildblog bin ich auf dieses Video hier gestoßen und werde mich dem Blogger Martin Oetting anschließen. Das geht ja mal gar nicht!

Heute große Demo? Mal sehen…

Am heutigen Tage dieser Republik werden sich, so ist der Plan einer Facebook-Gruppe, eine große Mehrheit der Deutschen in 22 19 Großstädten treffen und für die Rückkehr von Karl-Theodor zu Guttenberg demonstrieren. Soweit der lustige Plan.

Warum der Plan lustig ist? Na weil das gar nicht funktionieren kann – nach der Entlassung als Minister und vor allem der Rückgabe des Bundestagsmandates kann er als Abgeordneter erst nach der nächsten Wahl wieder ins Parlament kommen. Aber er passt sehr gut zu dem, was man auf seinen diversen Fanpages lesen kann. Diese Bewegung will ich mir nun ein bißchen näher ansehen und dann auch mal auf sinnige und unsinnige Vergleiche kommen.

Der Ahnungslose Fan
Ein nicht unerheblicher Teil der Anhänger von zu Guttenberg ist in der Regel apolitisch. Die Leute sind nicht hauptsächlich mit politischen Themen befasst und wenn dann eher auf der Schlagzeilen-Ebene; Die Zeitungständer, die überall herumstehen und die Schnipsel, die man in den Mickey-Mouse-Nachrichten auf Sendern wie Pro7 oder RTL zu sehen bekommen genügen in der Regel ja, um einem den Eindruck zu vermitteln man bekomme vom tagesaktuellen Geschehen einiges mit und sei „relativ gut informiert“.

Sehr schön zeigen dies die Mitglieder der diversen Facebook-Gruppen. Ich habe hier mal Exemplarisch vier Beispiele herausgegriffen, es finden sich beliebig weitere. Wenn Sie auf Facebook sind, können Sie diese Gruppen hier, hier und hier finden.

Hier sagt ein gewisser Martin Schumacher, daß er es enttäuschend finde, wie diese „Akademia-Spiesser“ selbstzerstörerisch mit „Leistungsträgern“ in Deutschland umgehen. Aha. Gemeint ist vermutlich das Stammtischbekannte „heit kaff ma uns an G’Studierden!“. In der Regel nennt man dergleichen Sozialneid, aber lassen wir das…
Hier machen sich gleich zwei Herren Luft, sehr heftig sogar. Alex Klein beklagt eine „gleichgeschaltete Presse, Elfenbeinturmakademiker und eine scheinheilige Berufspolitikerkaste“ und bedient sich dabei so ziemlich jeder linken Anarchistenrehetorik der letzten 20 Jahre. Guttenberg wurde als „Hoffnungsträger“ demontiert, „weil er eine Gefahr war“. Das finde ich interessant weil hier der Effekt eintritt daß der Berufspolitiker zu Guttenberg offensichtlich mehr als Bunte-Sternchen wahrgenommen wird. Und hier beginnen ernsthafte Zweifel aufzutauchen…
besonders gelungen: Aufruf zu einer Straftat, nämlich Mail-Bombing. Es gibt ja keinen erkenntbaren Zweck der Mails, es geht drum die elektronischen Postfächer zu überfüllen. Das spricht für den Diskussionswillen der Beteiligten…
Hier zeigt sich gleich in mehreren Beiträgen dann das ganze Ausmaß der Ahnungsfreiheit. „Jeder“ habe ja schlicßlich schon einmal „irgendwo abgeschrieben“. Den Leuten ist gar nicht bewußt, worum es ging – oder es ist ihnen egal. Was das mit einem Wissenschaftsstandort, der nichts hat an Ressourcen außer der Qualität seiner Akademiker und Schüler, anrichtet ist dem gemeinen Konservativen scheinbar völlig egal. Dabei bin ich mir nicht einmal sicher ob das da wirklich klassische „Konservative“ sind. Gerade der Post von Nadine Melanie zeigt eher, daß sie mit Sicherheit mehr Bilder von zu Guttenberg kennt als Reden oder Programme. Über die Forderung, daß eine Uni zurücktreten soll spreche ich lieber gar nicht weil das selbsterklärend ist….

Diese Auswahl ist sicherlich nicht repräsentativ, aber symptomatisch. Ich kann jedem Empfehlen sich die Pinnwände der betreffenden Facebook-Gruppen anzusehen und sich selbst ein Bild zu machen. Seit einiger Zeit geistert durch das Netz auch dieses Video, daß mir ebenso symptomatisch erscheint:
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=0LXGYMfG7bQ&w=480&h=390]

Es ist zugegebener Maßen nicht wirklich einfach, sich diese Dame 11 Minuten lang anzutun aber tatsächlich zeigt sie sehr schön, worin das eigenartige am Phänomen Guttenberg liegt: Man weiß gar nicht wofür er steht.

Von unpassenden Vergleichen
Eines vorneweg: Ich verabscheue Nazi-Vergleiche. Sie stellen in jeder Hinsicht ein Versagen in der Diskussionskultur dar und in der Regel den Moment, in dem eine Diskussion abgleitet. Man nennt das Godwin’s Law. Tatsächlich ist dergleichen auch immer ein Zeichen für Argumentemangel.

Gerade aber Argumente fehlen den Anhängern des zu Guttenberg aber grundsätzlich. Zeit seiner Karriere habe ich nicht verstanden was der Hype um den Mann herum soll – weder als Wirtschaftsminister, noch als Verteidigungsminister ist er mir durch irgendeine Großtat besonders aufgefallen, eher im Gegenteil. Skandal reihte sich an Skandal, Lüge an Lüge und Fehler an Fehler. Das war nichts weiter ungewöhnliches, man sah einem Konservativen halt beim regieren zu.

Beispiel gefällig? Guttenbergs einzige Leistung als Wirtschaftsminister – und das wird tatsächlich als Leistung verstanden – war gegen einen Plan der Kanzlerin zu sein, zu sagen, er würde zurücktreten wenn sie ihm nicht folge und dann zu erklären, er habe in dem Plan der Kanzlerin, der 1:1 umgesetzt wurde, seine „abweichende Haltung wiedergefunden“. Für sowas heißt man als Sozialdemokrat „Lügilanti“

Der Maßstab bei Guttenberg ist ein anderer. Ein Großteil der Fans wird seltsam still wenn man das Argument „Er hat doch einen tollen Job gemacht“  mal hinterfragt. Die Dame von dem Video da oben war ja nicht unbedingt eine intellektuelle Höhenfliegerin, aber dennoch ist das eines der schönen Beispiele dafür, daß es nicht um Argumente geht sondern daß eine gewisse Gruppe versucht daraus eine Neiddebatte zu machen.  Und der Versuch zu erklären, daß es nicht um Neid, um Ablehung, um Haß und sonst irgendwas geht, sondern schlicht um eine praktisch nicht tragbare Situation prallt ab. Die Leute hören nicht zu. Ich selbst war auch nicht unbedingt der Ansicht, daß er deswegen zurücktreten hätte müssen, im Gegenteil, als Beispiel für einen „ehrbaren Konservativen“ wäre er für meine Begriffe ideal in dem Amt gewesen.

Nun zieht ein inzwischen berüchtigter Artikel gleich einen Vergleich zwischen Hitler und zu Guttenberg. Das ist provokant und ideel sicher daneben. Aber einige der Thesen sind sicher nicht falsch. Die Erregung über den Artikel hat in der Regel etwas damit zu tun, daß kaum einer über die Schlagzeile hinaus guckt – und daß eine Bewegung oft mit dem Äußeren verbunden wird und nicht etwa mit dem politischen Inhalt. Unreflektiert, unpräzise und vor allem ahnungsbefreit und ich frage mich echt, warum?

Vergleichen kann man den Schaum vor dem Mund mancher Anhänger allerdings vielleicht mit der Reaktion der Fans von Kaiser Franz Beckenbauer, wenn jemand wie die Titanic da etwas gemeines tut.  Zur Erinnerung: Titanic hatte seinerzeit im Namen des Büros von Franz Beckenbauer gefälschte Bestechungsbriefe an die Mitglieder des FIfa-Ausschusses geschickt und so die Entscheidung zugunsten von Deutschland herbeigeführt. Daraufhin rief die Bild-Zeitung dazu auf, bei Titanic anzurufen und der Lemming-Zug setzte sich in Bewegung. Titanic hatte die Anrufe der Bild-Leser mitgeschnitten – da mein Titanic-Abo älter ist als mein Internetanschluß habe ich das noch auf CD. Inzwischen gibt es die Anrufe aber auch auf Youtube in drei Teilen und Titanic macht sowas seither öfter….

Die große Demo
war dann so groß nicht. Ich war jetzt nur eine dreiviertel Stunde da, etwa dreihundert Menschen tummelten sich auf dem Rindermarkt in München und es war eine nicht unerhebliche Menge an Spaßdemonstranten dabei.

Da fragt man sich schon, wie bedeutungsvoll diese vermeintliche Bewegung ist, die besonders die Bild-Zeitung zum „Aufstand im Internet“ hochgejubelt hat. Gut, ein Klick ist schnell gemacht und Heidi, das schielende Opossum hat viermal so viel Fans wie Angie, die schielende Kanzlerin aber dennoch blieb ein gewisses Potential da das sich vor allem die Fans wohl erhofft hatten. Ich bin sehr gespannt ob bis heute Abend gegen 17 Uhr noch mehr kommen oder ob sich das ungefähr bei 300 Leuten einpendelt.

Fazit?
Was bleibt einem als Fazit zu schreiben? Zum Einen daß es besorgniserregend ist, inwieweit es den Menschen egal ist, was bestimmte Werte zu bedeuten haben. Zum Zweiten sicherlich, daß die Deutschen eine gewisse Demokratiemüdigkeit mitbringen, die „Lichtgestalten“ zu dem machen will was sie nicht sind. Das ist allerdings nicht nur die Schuld dieser Leute sondern allen voran ein Versagen der deutschen Politik vom Bürgermeister eines 100-Seelen-Dorfes bis hin zur Kanzlerin. Denn wenn Sie die Leute mal ernsthaft fragen, ob sie an unsere Demokratie glauben erstaunt doch immer wieder die Antwort: „Nein.“ Die Begründung liegt meistens darin, daß die Menschen die Politik als korrupt, abhängig von Lobbyisten und abgehoben wahrnehmen, nicht aber als Dienerin des Volkes. Das aber wäre ihre Aufgabe gewesen.

Aber es gibt auch eine dritte Sache, die nachdenklich stimmt. Die Menschen wehren sich gegen Medienmanipulation – so verstehen sie den Schildern nach zu urteilen die manche hochhielten die Guttenberg-Kampagne der „linken Hetzpresse“ – und lassen sich zu diesem Zweck bedenkenlos von den Medien, in dem Fall Bild und Bunte, manipulieren. Somit ist Manipulation okay, wenn sie von der richtigen Seite kommt?

Und ein letzter Gedanke überfällt eher rückwirkend noch meinen Artikel: Die Hetze von Seiten der Bild, aber auch von Seiten der vielen Fans des Barons führt zu einer ganz seltsamen Melange von Sarrazin-Anhängern und Guttenberg-Lemmingen, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf. Diese Leute verstehen sich als „Opfer“ eines linken Mainstreams, der ihnen aufgezwungen sei und verhindere, daß man die „Wahrheit“ sagen dürfe. Und das ist tatsächlich nicht ganz ungefährlich – denn das macht für Manipulation besonders anfällig.

 

 

 

 

 

 

Vom Plagiat, von KTzG und vom Riß im Volk

Am vergangenen Tage dieser Republik gelang es der Süddeutschen Zeitung, mit einem einzelnen Bericht einen kleinen Coup zu landen. Und erwartungsgemäß waren die Fans des entlarvten Karl-Theodor zu Guttenberg ein wenig, na sagen wir, ungehalten.

Nun muß ich vorneweg gestehen, daß ich kein Fan des Barons bin. Weder als er als Wirtschaftsminister nichts tat, noch als er als Verteidigungsminister den Schuldigen vom Dienst Jung ablöste und Fehler durch „Untergebene feuern“ korrigierte. Ich halte nicht viel von seinen bisherigen Taten sofern überhaupt welche registriert werden und den Medienhype um seine Person, der Bertelsmann, Burda und Springer veranstalten sehe ich eher kritisch.

Nun will die Süddeutsche herausgefunden haben, daß Herr zu Guttenberg in seiner Doktorarbeit offenbar teilweise ein Plagiat beging – zumindest hat er die wissenschaftlichen Anstands- und Ehrenregeln verletzt. Einen Beweis lieferte man auch. Der Vorwurf weitete sich binnen kurzen dahingehend aus, daß auch die konservative FAZ im Vorwort ein Plagiat erkannt zu haben glaubte. Die Affäre zog sich wie ein Lauffeuer durch die Medien, selbst die BILD-Zeitung mußte etwas bringen. Natürlich im Tenor verteidigend.

Soweit, so normal. Die Süddeutsche Zeitung fährt seit einiger Zeit ja eine Kampagne gegen den Verteidigungsminister – so wie die Springermedien eine Kampagne gegen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch fahren und fuhren oder Bertelsmann eine systematische Diffamierung von nicht neoliberalen Ideen betreibt.

Aber wenn ein solcher – tatsächlich eher in der wissenschaftlichen Welt interessanter – Vorwurf gegen Kalt-Theodor zu Guttenberg erhoben wird, dann kochen die Gemüter hoch.

Das SZ-Online Forum vermeldete gestern Abend unter dem ersten Artikel den sensationellen Endstand von 706 Kommentaren. Es spalteten sich hier recht schnell drei Fraktionen:

Die Guttenberg-Verteidigerfraktion

Menschen dieses Schlages sehen dahinter a) eine Diffamierung aus Neid vor dem großen Erfolg des Kompetenzministers, b) eine Verschwörung der SPD weil der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano auch Gastvorträge für die Friedrich-Ebert-Stiftung hält, c) eine unbedeutende Vergeßlichkeit von irgendwo einer Fußnote und d) eine im Vergleich zu den finsteren Linken der Republik nun wirklich läßliche Sünde. Sei nicht ein Steinewerfer Außenminister geworden und habe nicht Wallraff dreist plagiiert?

Die Guttenberg-Angreiferfraktion

Die Gegner des Ministers schlugen sofort erfreut zu. Damit sei ja hinlänglich bewiesen daß der Ministerbaron a) Nicht zur Eigenleistung fähig ist, b) sowieso keinen Doktor verdient und eigentlich zurücktreten müsse, c) der Medienhype um den Minister seine Hohlheit entlarve und d) die ganze Regierung sowieso nur ein Schwindlerhaufen ist.

Die Was-soll-der-Schmarrn-Fraktion

Diese Fraktion fragt nach der tatsächlichen Bedeutung der Affäre. So fragte ein User: „Das Deutschland den Garantierahmen für die Euro Sanierung so um schlappe 120 000 000 000 Euro erhöhen muß und wird und dann im Fall der Fälle dem totalen Staatsbankrott sprich Pleite entgegensteuern könnte regt anscheinend Niemanden auf?
Dr. von Guttenberg, ist doch wurscht von und woher. Wichtig sind die Ergebnisse und die sind ja in der Regel bei der derzeitigen Regierung ziemlich dürftig ! Wie hat denn eigentlich Guido seinen Dr. Titel erworben ? Und die Dame mit den 3 Knöpfe Sakko ?“

Faszinierend war an der Diskussion allerdings, wie massiert die Foristen aufeinander losgingen. Die unterschiedlichen Maßstäbe, nach denen links wie rechts stets gemessen wird, sind ein schönes Zeichen für den Riß in der Gesellschaft zwischen „bürgerlichem Block“ und „Volk“. Wenn die Vorwürfe vollständig zutreffen und nicht ausgeräumt werden können wird man dem oberfränkischen Politiker die Doktorwürde absprechen und verhindern müssen, daß er sie nochmal erhält. Stimmt etwas nicht an den Vorwürfen müssen sie zurückgezogen werden.

Den Foristen und das nicht nur bei der Sueddeutschen, war das aber egal. Der triefende Haß der hier zutage trat war geradezu erschreckend. Was macht diese Regierung nur mit dem deutschen Volk?


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Hilfe! Tagesschau-Sprech Boulevard ist!

Im journalistischen Alltag dieser Republik gibt es ein Phänomen, das die Sprachgestaltung aller Medien zu beeinflussen scheint. Einer Krankheit ähnlich, fast wie eine Seuche, schleppt sich das Boulevardeske, ja der Boulevard-Slang durch die Medien.

Sprechen Sie Boulevard? Das geht relativ leicht. „Wissenschaftler fordern: So spricht man!“ oder „Furchtbar: Alle können nicht alles!“ wichtig auch: „Politik überfordert: Küken brüten Küken aus! wird die Welt jetzt untergehen?“

Zum Boulevard-Sprech gehört aber neben sinnlosem Inhalt auch die Neuerschaffung von Begriffen durch Zusammensetzung möglich simpel gestrickter Einzelwörter. Ein Mann, der gerne Kohle mit Kohle schürfen verdient würde also zum „Kohle-Kumpel“. Begriffe wie pädophiler Straftäter oder gar das umständliche „der Vergewaltigung einer Frau angeklagt“ wird dank dieser schönen nicht gerade neuen Sprache zur „Sex-Bestie“.

Das springersche Vorzeigeprodukt ist darin ja sehr groß, der Begriff Bild-Zeitung ist mir da gerade noch boulevardesk genug. Diese widerwärtige Mißhandlung der deutschen Sprache in Zeitungsform, die ja auch gerne mal für die deutsche Sprache Petitionen betreibt, hat aber anscheinend weitreichende Konsequenzen.

Seit einiger Zeit wird besonders bei der Süddeutschen, aber auch bei anderen im Grunde bis dato brauchbaren Print- und Telemedien die Neigung deutlich, Schlagzeilen möglichst im Primitiv-Sprech auszudrücken, wahrscheinlich damit der Normalo-Leser auch eine Chance hat, dem ganzen zu folgen. Richtig bitter wurde es aber gestern Abend.

Mir ist Berlusconi, den ich gerne Urban Priol folgend als Bonzai-Duce betitle (auch ein boulevardeskes Wort, nicht wahr?), im Grunde ja relativ egal. Ich freue mich, daß er vor Gericht muß und bin zugleich sicher, daß ihm nichts passiert. Den wählen die Italiener sicher auch wenn er im Knast steckt wieder.

Aber muß ausgerechnet die Tagesschau von „Sex-Vorwürfen“ reden? Die Süddeutsche von der „Ruby-Sexaffäre“ schreiben? Hilfe, was macht ihr mit meiner Sprache? Wenn das, ja DAS Leitmedium der deutschen Fernsehberichterstattung (heutzutage wahrscheinlich Fernseher-Berichterstattung?) mit einer Headline wie „Prozess wegen Sex-Vorwürfen“ daherkommen darf und keiner merkt es – was genau passiert dann gerade mit der Republik, dem offensichtlich sedierten Publikum?

Von meinem Lieblingslied

Im rechthaberischen Alltag dieser Republik gab es ein Lied, das der deutsche Liedermacher Reinhard Mey im Jahr 1990 auf seinem Album Mit Lust und Liebe veröffentlicht hat – es ist eigentlich ein bißchen älter, aber es passte in dieser Zeit besonders in den Kontext. Das Lied heißt: Die Mauern meiner Zeit.

 

Wer auch immer sich fragt, wie ich eigentlich bin, dem sei hiermit eine Antwort gegönnt. So bin ich. Dieser Song drückt so ziemlich all das aus, was ich als Mensch mit einem sozialdemokratischem Wesen empfinde – zumindest oft. Nachdem Herr Mey endlich einen großen Teil seiner Liedtexte online gestellt hat darf ich diesen Text verlinken und nachdem ich die Quelle nannte auch zitieren:

 

Erinn‘rungen verblassen, und des Tages Ruhm vergeht,
Die Spuren, die wir heute zieh‘n, sind morgen schon verweht.
Doch in uns ist die Sehnsucht, daß etwas von uns bleibt,
Ein Fußabdruck am Ufer, eh‘ der Strom uns weitertreibt.
Nur ein Graffiti, das sich von der grauen Wand abhebt,
So wie ein Schrei, der sagen will: „Schaut her, ich hab‘ gelebt!“
So nehm‘ ich, was an Mut mir bleibt, und in der Dunkelheit
Sprühe ich das Wort „Hoffnung“ auf die Mauern meiner Zeit.

Die Herzen sind verschlossen, die Blicke leer und kalt.
Brüderlichkeit kapituliert vor Zwietracht und Gewalt.
Und da ist so viel Not und Sorge gleich vor unsrer Tür,
Und wenn wir ein Kind lächeln sehn, so weinen zehn dafür.
Der Himmel hat sich abgewandt, die Zuversicht versiegt.
Manchmal ist‘s, als ob alle Last auf meinen Schultern liegt.
Doch tief aus meiner Ohnmacht und aus meiner Traurigkeit
Sprühe ich das Wort „Hoffnung“ auf die Mauern meiner Zeit.

Um uns regiert der Wahnsinn, und um uns steigt die Flut.
Die Welt geht aus den Fugen, und ich rede noch von Mut.
Wir irren in der Finsternis, und doch ist da ein Licht,
Ein Widerschein von Menschlichkeit, ich überseh‘ ihn nicht.
Und wenn auf meinem Stein sich frech das Unkraut wiegt im Wind,
Die Worte „Ewig unvergessen“ überwuchert sind,
Bleibt zwischen den Parolen von Haß und Bitterkeit
Vielleicht auch das Wort „Hoffnung“ auf den Mauern jener Zeit.

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Der Text von Reinhard Mey gab mir an vielen Stellen Kraft und an noch mehr Stellen half er mir, den Sinn für das Wesentliche beizubehalten. Und dafür, lieber Reinhard, möchte ich Dir ganz herzlich danken.

Fundstück der Woche (07.KW): Wer hat denn heute noch Zeit zum Lesen?

Antwort:  Vegas.  Diese junge Dame aus Berlin macht sehr kreativ Kurzfilme und hat schon über 200 Stück zusammengebracht. Generell ist ihre Site witzig und erfrischend frech, alleine die durchwegs guten Ideen des wohl schon in die Jahre gekommenen Pictures of the Day sind einen Klick wert.

Als angehender Deutschlehrer begeistern mich aber eigentlich noch mehr die kurzen Zusammenfassungen von Werken der Literatur – verständlich und vor allem holt sie das beste aus dem Ganzen raus. Hier mal die ersten drei Folgen:
——
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=xoIcG2Z8rO8&fs=1&hl=de_DE]
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[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=10Gb0fN5FhQ&fs=1&hl=de_DE]
——
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=pmfkwwJXVEA&fs=1&hl=de_DE]

——

Wer sich näher mit ihr befassen möchte, dem sei hier ein Interview ans Herz gelegt.

Von der kritischen Betrachtung neuer Medien

Im journalistischen Alltag dieser Republik gibt es ein Phänomen, dessen Zweck und Daseinsbestimmung darin besteht, moderne Medien mit Gewalt in Verbindung zu bringen. So sollen Computerspiele Jugendliche gewalttätig machen und zu irrsinnigen Taten anstiften. Das ist etwas ganz neues, bestimmt.

Nur – ich glaube das nicht. In der Geschichte hat es immer wieder den gleichen Vorgang gegeben: Ein neues Medium entsteht und wird erfolgreich – und schon deutete der Konservative es als Bedrohung für alles „was gut und richtig ist“ – womit er meint, für alles was er kennt. Glauben Sie nicht?

Das finstere Theater, der böswillige Fußball

Im Jahr 2002 kramte der spätere PDS und WASG – Politiker Helge Meves für diesen Artikel einen Text von Philipp Stubbe heraus, und zwar „the anatomy of abuses in England„, also die „Anatomie der Mißstände in England“. Darin wehrt sich der Puritaner Stubbe massiv gegen die aus seiner Sicht geradezu obszönen Formen der Unterhaltung wie beispielsweise das Theater nach William Shakespeare.

Auch anderes kam nicht gut weg. Die Anatomy of Abuses beschreibt zum Beispiel Fußball so: „Ein teuflicher Zeitvertreib (…) der Neid, Groll und Bosheit wachsen lässt, und manchmal gar zu Streit, Mord, Totschlag und großem Blutverlust führt.“. Auch Tanz ist nicht gerade gesund: „Manche haben ihre Beine beim Hüpfen, Springen, Drehen und Kopfschlagen gebrochen (…) Männer und Frauen gemeinsam (…) bei öffentlichen Versammlungen mit grosser Beteiligung, mit so viehischem Geifern, Küssen und schlechtem Betragen (…) jeder Hüpfer oder Sprung im Tanz führt sie der Hölle näher.“

Infolge dieses Denkens wurde 1612 eine spezielle Order erlassen, die ein „Verbot der Gigues am Ende der Stücke aus dem Grunde, dass die unzüchtigen Gigues, Lieder und Tänze (…) es zum Sammelpunkt von Beutelschneidern und anderen übelgesinnten Personen machten und zu Verletzungen des Friedens führten.“

Für das Theater, bei dem es ja bekanntlich auch nur um Unkultur geht, fand Stubbe noch deutlichere Worte:
Bei ihren geheimen Treffen betreiben sie dann Sodomie und Schlimmeres. Und dies ist die Frucht von Schauspielen und Interludien, zum größten Teil. (…) wenn Du lernen willst zu morden, zu schinden, zu töten, zu klauen, zu stehlen, zu rauben, zu vagabundieren; wenn Du lernen willst, dich gegen Fürsten zu erheben, (…) dann brauchst du in keine andere Schule zu gehen, denn all diese guten Beispiele kannst Du in Interludien und Schauspielen vor deinen Augen ausgemalt sehen.“

Man kann deutlich erkennen, was uns das Theater antut: Es macht uns alle zu Mördern, zu Gotteslästerern und zu Widerstandskämpfern gegen die Obrigkeit. Und sowas wird im Deutschunterricht behandelt!

Die brutale Literatur

Apropos Deutschunterricht: Ganz übel ist ja die Unterhaltungsliteratur. Oder, um es christlich zu formulieren, die Schmutz- und Schundliteratur. Damit gemeint ist die besonders im 19. und 20. Jahrhundert aufkommende Welle von Abenteuer- und Unterhaltungsromanen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts sogar zu erotischer Literatur führten. Nicht, daß es dergleichen nicht vorher auch schon gegeben hätte – Goethes „Werther“ zum Beispiel mußte deutlich entschärft werden bevor er auf den Markt kommen durfte, er war an einigen Stellen dann doch zu direkt und deutlich. Nicht nur das – der „Werther-Effekt“ beschreibt ein Phänomen, das Jugendliche durch Literatur angestiftet worden sind, sich umzubringen. Das lesen Jugendliche in der Schule, wissen Sie!

Literatur hat sogar weitergehende, gefährliche Einflüsse, wie das unten stehende Beispiel sehr schön zeigt:

 

 

 

Ein junger Mensch von 17-18 Jahren geht aus meinem Dorfe vor etwa zehn Jahren ins ‚Niederland‘ in Arbeit. Zurückgekehrt macht er seine Kameraden mit einem Buche bekannt, das Aufschluß gibt über die lüsternen Dinge. (…) Einer von diesen jungen Leuten, ein körperlich wie geistig nicht völlig normaler Mensch, arbeitet später als Handwerksgeselle in der Großstadt, sucht hier die Gelegenheit zu dem, wovon er durch das Buch Kenntnis hat – und versinkt im Sumpf des Lasters. Er kommt zurück, teilt den Genossen seine Erlebnisse mit, und da es ihm hier an solchem Umgange fehlt, lockt er kleine Kinder zu sich heran und vergeht sich mit ihnen, wie sich später herausstellt in der schwersten Weise. (…)

Wie Sie sehen, machen Bücher über ‚lüsterne Dinge‘ Menschen zu Kinderschändern. Welch Fluch das Buch also für die Gesellschaft ist.

Das mordende Kino

Damit aber nicht genug! Denn die Menschen begannen Anfang des 20. Jahrhunderts den „Bildern das Laufen beizubringen“ – der Film wurde erfunden und praktisch im gleichen Atemzug dann auch der Pornofilm. Aber schon die unterhaltende Branche war schlimm. Oftmals zitiert wurde ein Aufsatz von Robert Gaupp (Über die Gefahr des Kinos in: Süddeutsche Monatshefte 9 (1911/ 12), S. 363-366; Nachdruck in Jörg Schweinitz (Hrsg.): Prolog vor dem Film 1992 ) und daraus hat Meves diesem Abschnitt zitiert gehabt: „(…) Die widerliche Spekulation auf die Freude der Menschen am Krassen und Schauerlichen, am Sentimentalen, am sexuell Aufregenden macht sich breit. Von historischen und politischen Ereignissen früherer Zeit bekommen wir namentlich grauenerregende Dinge zu sehen: die Schrecken der Bartholomäusnacht, die Folter der Inquisition, die Grausamkeiten der russischen Justiz. (…) Zerrbilder von Elend und Not, Armut und Krankheit erzeugen quälende Gedanken über die Ungerechtigkeit der Welt, rauben die Achtung vor dem Gesetz und staatlicher Autorität (…) Für noch gefährlicher halte ich die grauenhaften Darstellungen aus dem Verbrecherleben … auch der Selbstmord wird mit allem nur denkbarem Grauen im Kino vor Augen geführt. Die Zeitungen melden uns erschreckende Vorkommnisse, bei denen jugendliche Personen das im Kino gesehene Verbrechen in der Wirklichkeit nachahmen wollen.“

Auch hier folgt wieder der Fall – das Kino macht die jungen Menschen zu Selbstmördern, zu Verrückten, zu gefährlichen Menschen und vor allem zu richtig ungehorsamen Wesen!

Das Selbstmörderische Fernsehen

Derartiges findet sich erst recht beim Fernsehen wieder, der nächsten Stufe der „Vergewaltung der Gesellschaft“. Auch das Fernsehen macht uns krank, bringt uns zu Gewalttaten und anhand des Beispiels der Sendung „Der Tod eines Schülers“ (eine Arbeit dazu findet sich hier auf Seite 6) wird der Nachahmungseffekt exemplarisch deutlich gemacht. Damals stieg die Suizidrate nach einer sechsteiligen Sendung recht brutal in die Höhe, ähnlich wie das durch den Werther geschah. Blieb dort allerdings nicht sondern sank wieder, wenn auch nicht ebenso rasch.

Das verstandraubende Rollenspiel

Aber die Macher unseres Untergangs sind ja noch nicht fertig – sie erfanden Rollenspiele! in den 60er Jahren erfanden zwei Männer namens Gary Gygax und Dave Arneson das Pen&Paper Rollenspiel, das in den 70er und 80er Jahren einen Boom erlebte. Rollenspiele, eine frühe Form der interaktiven Geschichte, quasi ein neues Medium des Interaktiven Erzählens beschäftigten viele junge Menschen und fanden sofort wieder Gegner, diesmal wieder aus der christlich-konservativen Ecke. Woher auch sonst?

1980 brachte sich der gerade einmal 18 Jahre alte Schüler James Dallas Egbert III um – und war selbst ein Rollenspieler. Diesen Fall als Ausgang nehmend – und dabei auch möglichst die Fakten ignorierend – machte eine recht lautstarke Bewegung auf sich aufmerksam, die das Rollenspiel als Teufelei wider die natürlich Ordnung verstand und die junge Menschen dazu bringe, Menschen für Objekte zu halten und zu töten, sie in den Selbstmord treibe und überhaupt, da treffen sich die jungen Leute und tun – ja, was miteinander?

Gut, sie spielen, so wie andere Leute sich treffen und Karten spielen. Aber das ist nicht gut, dagegen muß man vorgehen. Zweifelhafte und sicherlich interessante Höhepunkte dieser Bewegung sind der Roman „Mazes and Monsters“ von Rosa Jaffe und der darauf basierende Film „Labyrinth der Monster“ – einem der ersten Filme von Tom Hanks.

Sie haben sicherlich bemerkt, daß die christlichen Bewegungen hier zu „Schundliteratur und Gewalttätigkeitsfilm“ gegriffen haben, um ihre Kampagne voranzutreiben. Aber Zwecke heiligen ja bekanntlich Mittel. Die Bewegung „Bothered About Dungeons And Dragons“ definierte ihre Existenz sehr deutlich: „Dungeons & Dragons ist ein Fantasy-Rollenspiel, das Dämonologie, Hexerei, Voodoozauber, Mord, Vergewaltigung, Gotteslästerung, Geisteskrankheit, Suizid, Attentate, sexuelle Perversion, Homosexualität, Prostitution, satanische Rituale, Glücksspiel, Barbarei, Kannibalismus, Sadismus, Schändung, Geister- und Totenbeschwörung, Hellseherei und andere Lehren nutzt.“

Ähnlichkeiten mit vorangegangenen Beispielen sind sicherlich kein Zufall.

BADD löste sich 1990 auf, nachdem der Science-Fiction Autor Michael A. Stackpole seinen „Pulling Report“ veröffentlichte und darin die fragwürdigen und manipulierenden Methoden der BADD nachwies. Das bedeutet aber nicht, daß die Idee einer solchen Bewegung gestorben wäre.

Das Mörder machende Killerspiel

Nun sind wir in der heutigen Zeit – eine Zeit die nicht nur vom Computerspiel als Unterhaltungsmedium entschieden beeinflusst wird sondern deren digitale Community-Erschaffung auch eine neue Gesellschaft bildet, deren genaue Entwicklung wir in Wahrheit weder absehen noch begreifen können. Die Cyber-Demokratie kommt, so orakelten manche noch vor kurzem, andere sehen in dem daraus sich ableitenden Unterhaltungsangebot, das ja ein nicht unerheblicher finanzieller Motor dieser Entwicklung ist, die Vorboten unseres Untergangs.

Der Begriff Killerspiel, eine inflationär gebrauchte Bezeichnung für Ego-Shooter, impliziert eigentlich nicht ein Spiel, in dem „gekillt“ wird sondern versucht den Link zu einem Killer, also einem Mörder herzustellen. Dieselben Leute, die wutentbrannt aufschreien wenn jemand Tucholsky zitiert und „Soldaten sind Mörder“ schreibt, schreiben nun im Grunde „Spieler sind Mörder“. Jeder Mensch, der Computerspiele spielt ist also ein Mörder, oder, um mit Dieter Hildebrand zu sprechen, ein „potentieller Mörder“.

So werden Computerspiele mit allem in Verbindung gebracht, was irgendwie schlecht ist in der Welt: Terrorismus oder Amokläufe, Selbstmorde, Beziehungszerfall oder unregelmäßiges Niesen. Kein Anlaß ist zu nichtig, auch wenn sich die kritischen oder wenigstens nachdenklichen Stimmen durchaus mehren.

Foll finsteres Fazit

Ja, da ist ein Rechtschreibfehler aber ich brauchte hier eine Alliteration. So etwas ist auch ein Spiel, eines mit Sprache eben, und es macht niemanden zum Mörder. Unterhaltung ist längst nicht nur ein Teil unserer Gesellschaft und zumindest im Westen sicherlich einer der wichtigsten Wirtschaftszweige – wenn man den Profisport dazurechnet denke ich mal, daß im Unterhaltungsbereich am meisten Geld umgesetzt wird. Ich habe zu dieser Behauptung keine Zahlen finden können und wäre dankbar um Hinweise.

Unterhaltung hatte schon immer mit Gewalt zu tun – jeder Krimi hat seine Leiche, jedes Drama seinen Mord. Offensichtlich ist es ein für den Menschen durchaus wichtiges Detail der Unterhaltung, daß Gefahr und Tod dabei sind – wir fiebern mit Helden mit die in Lebensgefahr geraten und freuen uns wenn sie es schaffen beziehungsweise leiden ein bißchen wenn sie es nicht schaffen.

Das ist seit Jahrhunderten so – mittelalterliche Romane sprechen Bände davon und erst antike Geschichten bis hinunter zu homerischen Zeiten? Da wird gemordet und überlebt was das Zeug hält, es zerbrechen Ehen und Beziehungen, da wird erschlagen und gewütet, geliebt und gestraft so weit das Auge reicht.

All das war schon immer Unterhaltung und ist es auch heute. Die neuen Medien steigern lediglich die Unmittelbarkeit des Erlebens oder geben dem Konsumenten die Möglichkeit, Protagonist zu sein, sich auszuleben. Das wird an nicht wenigen Stellen zu unbequemen Erkenntnissen führen, auch mitunter über sich selbst. Eine mögliche Endstufe ist sicherlich das „Holodeck„, das in der Fernsehserie „Star Trek: The Next Generation“ sehr ausgiebig behandelt wurde und innerhalb der Serie auch als Idee diskutiert werden konnte.

Ich gehe felsenfest davon aus, daß nahezu jedes neue Medium seine Kritiker finden wird. In der Regel stets Leute, die es nur vom Hörensagen kennen, begleitet von (eben meist konservativen) Politikern die mit einer gewissen Panikmache und dem damit verbundenen Versprechen „etwas zu tun“ Punkte zu sammeln erhoffen. Meistens hat das nichts mit Überzeugung zu tun sondern es geht in der Regel nur darum, Menschen die keine Ahnung haben vorsichtshalber für sich zu gewinnen, bevor sie aufgeklärt werden können.

Im Grunde ist das schade, auch wenn ein gesundes Mißtrauen gegenüber allem Neuen nicht unbedingt dumm oder verkehrt ist. Ich vermute mal, daß dies am treffendsten der als Philosoph leider kaum beachtete Douglas Adams zusammengefasst hat:

Ich habe ein paar Regeln aufgestellt, die unsere Reaktion auf technische Neuerungen beschreiben:

1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.

2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen.

3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Die beiden Grafiken entstammen einem Scan des „Wächters von Jugendschriften“ vom 15.10.1910. Danke an dieser Stelle an Johanna Altheintz

Weil es durchaus Interesse wecken könnte, woher ich so alles bezogen habe, sei hier eine weiterführende Linklist gegeben. Ich bin nicht mit jedem Link einer Meinung, aber um das Thema zu vertiefen ist dies erst einmal geeignet:

Dissertationen:

Medium und Initiation. Béla Balázs: Märchen, Ästhetik, Kino Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz vorgelegt von Hanno Loewy aus Frankfurt am Main

Medienrevolutionen und Redereflexe. Die Etablierung neuer Medien im Spiegel ihrer Diskurse. Dissertation
am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Gesamthochschule Siegen vorgelegt im Jahr 2000 von Tilman Welther
Eine hochinteressante Arbeit!

Gesammeltes:


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