Von den aktuellen Debatten

Nein, ich wollte es nicht. Weder bei der Sexismus-Debatte, noch bei der Debatte um die Änderungen in den Texten der Bücher von Otfried Preußler wollte ich mich ernsthaft zu Wort melden, zum Einen weil man als Mann bei der ersten Debatte ohnehin nur verlieren kann und zum Anderen, weil ich das Faß mit den „Gutmenschen-Debatten“ sowas von überhaupt nicht leiden kann, weil es gleich wieder dazu benutzt wird eine vermeintlich „linke Zwangsgesellschaft“ zu konstituieren. Und das geht mir als rational denkendem Menschen einfach auf die Nerven.

Warum ich es nun doch tue hat ein wenig damit zu tun, daß ich heute morgen sehr interessiert der Debatte im Deutschlandfunk gelauscht habe, die bis 11.30 Uhr lief. Diskutiert haben hier mit den Hörern in der Sendung „Journal am Vormittag“ unter dem Titel „Vom Umgang zwischen Männern und Frauen – Ist die Debatte über Sexismus überflüssig?“ die Journalistin Katja Kullmann, die ehemalige Chefredakteurin der TAZ Bascha Mika und Michael Rutz, dem ehemaligen Leiter des Rheinischen Merkurs. Alleine die Auswahl machte das Gespräch interessant, Mika, die eher links und feministisch orientiert ist in Kombination mit dem Konservativen Rutz versprach eine interessante Kontroverse. Vor allem verrät aber auch die Sendung eine Menge über den Umgang miteinander und den Mangel an Respekt, den beide alleine dadurch deutlich machten, daß sie sich selten ausreden ließen.

Ich finde es gut, daß diese Sexismus-Debatte endlich angestoßen wurde und noch mehr, daß unter dem Hashtag #aufschrei sich Frauen auch endlich mal öffentlich dazu äußern. Veränderungen können nur erreicht werden, wenn auch ein Problembewußtsein erzeugt wird. Viele der Beiträge sind wertvoll, auch weil ein zum Teil recht seltsam anmutender Umgang mit dem Thema wiederum thematisiert wird wie beispielsweise der Beitrag des Focus zu dem Thema.

Relativ selten wird erstaunlicher Weise darauf eingegangen, warum Frau Himmelreich eigentlich ein Jahr auf die Veröffentlichung gewartet hat – und warum sie das ausgerechnet im Stern veröffentlicht hat. Der Stern als „Tittenblatt für diejenigen, die sich genieren, einen Playboy zu erwerben“, fiel schon öfter mit sehr … naja, sagen wir mal mit Titelbildern auf, die jetzt die Frau eher in Richtung Sexobjekt darstellen. (Beispiele hier, hier, hier, hier und hier, wobei der Stern da jetzt nun nicht alleine dasteht) Als freministische Frontkämpferin würde ich da nun nicht grad veröffentlichen wollen. (Andererseits: Alice Schwarzer schrieb für Bild…)

Was mich an der Diskussion ein wenig stört ist zum Einen die relativ schnell ins Extreme rangierende Meinungsäußerung – das reicht von denen, die künftig keine Komplimente mehr machen wollen auf der einen, bis zu denen, die jedes Kompliment gleich für eine sexuelle Belästigung halten auf der anderen Seite – und der Mangel an relativ gemäßigten, aber nachdenklichen Stimmen. Eine davon wäre der – bescheuert betitelte, inhaltlich aber recht gelungene – Beitrag von Claudius Seidl in der FAZ. Auch die Debatte im Deutschlandfunk war geprägt von gleich wieder ins Extreme neigenden Ansichten – oder, und das ist das, was mich so ein bißchen nervt, der Unterstellungen von extremen Ansichten, bevor der jeweilige Gesprächspartner (egal welchen Geschlechts) seine Ansicht überhaupt artikuliert hatte.

Wenigstens eines drang bei der Gelegenheit ein wenig durch: Das das eigentlich schlimmste Problem des alltäglichen Sexismus die Tatsache ist, daß Frauen für die gleiche Arbeit ein viertel weniger bezahlt bekommen. Das halte ich für ein deutliches und echtes Problem und nicht die Frage, ob man Goethes Faust künftig „Faust_in“ schreiben muß, damit auch keiner beleidigt ist.

In dem Zusammenhang stoße ich mich ehrlich gesagt auch an der Debatte um die „Modernisierung“ oder Anpassung von Ottfried Preußlers Werken. Der Thienemann-Verlag hatte einige Stellen insbesondere in der „kleinen Hexe“ verändert, konkret hängte sich die Debatte an zwei Begriffen auf: Das eine war der Begriff „Neger(lein)“, das andere das Verb „durchwichsen“.
Beide Fälle haben eine unterschiedliche Bedeutung. Der letztere Fall ist die Anpassung an den heutigen Sprachgebrauch, da das Verb „wichsen“ nun einmal nicht mehr als Verb für „polieren“ oder  – in diesem Fall halt – „schlagen, verprügeln“ verstanden wird, es sei denn, man hat sich über die betreffende Wortentwicklung informiert – was einem Studenten oder Sprachwissenschaftler zuzutrauen ist, einem Kind jedoch eher weniger. Die andere Geschichte ist die mit dem „Neger“, was seinerzeit als normaler Begriff benutzt wurde und nicht abwertend gemeint war, heute aber so verstanden wird.

Nun bin ich selber kein sonderlich großer Freund der politisch überkorrekten Sprache. Ich bin der Überzeugung, daß wir unserer Sprache keinen Gefallen tun, wenn wir sie unlesbar machen (beispielsweise durch angehängte weibliche Formen oder gar durch substantivierte Adjektive wie „Studierende“), außerdem gehöre ich nicht zu den Anhängern der These, daß Sprache prinzipiell unterdrückend ist, wenn sie Menschengruppen eingeschlechtlich anspricht. Im Französischen wird eine Gruppe mit „ils“ definiert, außer, sie besteht nur aus Frauen. Nur in diesem einen Fall wird von „elles“ gesprochen. Deswegen sind Frauen in Frankreich aber keine unterdrückte Spezies.

Sprache kann sehr mächtig sein und Sprache kann zur Unterdrückung und Diskriminierung benutzt werden, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Macht man nun das Faß mit dem Geschlechterkampf in der Anrede und der Berufsbezeichnung auf, wird irgendwann ein Schuh daraus: Man kann das weiterspinnen und dann sogar richtig zum Spinnen anfangen, indem man beispielsweise darauf verweist, daß die Quote dunkelhäutiger Feuerwehrleute im Begriff „Feuerwehrleute“ ignoriert wird, daß die hohe Männerquote diskriminiert wird weil der Substantivplural im Deutschen feminin ist und es keinen eigens maskulinen Plural gibt und so weiter…. irgendwann fühlt man sich weit genug getrieben, daß man Projekte wie „Redesign Deutschland“ richtig entspannend findet. Die Hyperparallelisierung, die manche gerne benutzen („jedefrau“), könnte man auch weitertreiben und manche Städte umbenennen („Mann-und-Frauheim! oder auch „Man-and-Woman-Chester“), die Frage darf sich aber stellen, wann da der Gipfel des Schwachsinns im Namen der Vernunft erreicht wurde.

Sprache wird dann diskriminierend, wenn Begriffe benutzt werden, die abwertend verwendet werden. Die Anrede „Sie Schwein“ ist eine Beleidigung und sogar strafrechtlich relevant, gleiches gilt eben auch für Begriffe, die wegen der fortschreitenden Spracherntwicklung heute als diskriminierend verstanden werden. Dazu gehört natürlich der Begriff „Neger“ sowie der noch abwertendere Begriff des „Niggers“, beides sind heute unübliche, und je nach Kontext sogar beleidigende Wörter.

Nun hat „Neger“ aber eine andere sprachliche Entwicklung hinter sich, eine vergleichbare hat der Begriff „Weib“, der heute ebenfalls abwertend verstanden wird. (Wobei auch das wiederum eine hochsprachliche Sache ist, im Dialekt ist das „Weiberl“ beispielsweise nicht zwingend negativ besetzt. Dann gibt es noch Wortungeheuer wie „Mannweiber“, die zwar wenigstens geschlechtsneutral in der Wortsammlung, aber diskriminierend in der Bedeutung verstanden werden können.) Niemand würde heute einen Text schreiben, der sich mit „Mann und Weib“ befasst und ich glaube auch nicht, daß sich dabei irgendwer etwas denkt.

Wenn ich nun mal in die diversen Bibelübersetzungen blicke, dann fällt mir da spontan Epheser 5, Vers 22 ein: „Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN“, so steht es in der Lutherbibel von 1912. Nimmt man hingegen die zweite Revision der Schlachter-Bibel von 1951, so findet sich der Satz hier so: „Die Frauen seien ihren eigenen Männern untertan, als dem Herrn“. Ganz unauffällig hat man in der zweiten Revision ein paar der Begriffe angepasst, um die grundsätzlich ein Geschlecht unterdrückende Botschaft wenigstens sprachlich neutral zu halten.

Nun also werden aus manchen Kinderbüchern vielleicht, ganz sicher halt aus einem, Begriffe wie „Negerlein“ entfernt. Und das ist nicht einmal ein heiliges Buch, sondern nur ein Buch für Kinder, die einen kulturhistorischen Hintergrund eines Wortes, das sie lesen, nicht unbedingt voll erfassen können.
Eine sprachliche Anpassung an gegebene Zielgruppen ist für Texte nichts ungewöhnliches, mein erster Kontakt mit einem Text namens „Parzival“ fand auch nicht mit dem Originaltext statt; Damals war ich nämlich gerade mal acht Jahre alt und wäre sicher nicht in der Lage gewesen, auch nur den Anfang zu verstehen, ja ich habe nicht einmal die durchgereimte, neuhochdeutsche Fassung von Karl Simrock bekommen (auch die hätte einen Achtjährigen überfordert) sondern eine Kinderbuchfassung. Hätte ich sowas lesen sollen:

Sigûne doschesse
hôrte selten messe:
ir leben was doch ein venje gar. (435,25)
ir dicker munt heiz rôt gevar
was dô erblichen unde bleich,
sît werltlîch freude ir gar gesweich.
ez erleit nie magt sô hôhen pîn:
durch klage si muoz al eine sîn.(435,30)

naja, ich wäre wahrscheinlich nicht lange in dem Buch hängen geblieben. Macht ja auch Sinn, ein Kind erst einmal mit einer Ausdruckswelt zu beschäftigen, mit der es auch etwas anfangen kann. Und denjenigen unter den verzweifelten Verteidigern der urspünglichen Druckversion der „Kleinen Hexe“ möchte ich sehen, der seinem Kind etwas auf Mittelhochdeutsch vorträgt.

Ein Kinderbuch um Begriffe wie „Mohr“ oder „Neger“ zu befreien, ohne den eigentlichen Inhalt zu verändern halte ich nicht für schlimm, selbst wenn das manche eigentlich ganz brauchbare Leute auf die albernsten Barrikaden treibt. Auch beim Parzival, dessen Halbbruder Feirefiz ja von einer dunkelhäutigen Prinzessin abstammt, kam der Begriff „Mohr“ meine ich nicht vor – obwohl er im Originaltext durchaus steht. Verloren habe ich dadurch aber nichts.

Die Diskussionen um Sexismus und die um die Änderungen von Preußlers Texten ähneln einander deswegen, weil in beiden Fällen eine vermeintlich angegriffene und kulturbewahrende Minderheit sich mit dem Vorwurf von „Gutmenschentum“ und „linker Gewissensdiktatur“ wehrt – und das ist etwas, was ich überhaupt nicht leiden kann. Neben der schwachsinnigen Begrifflichkeit des „Gutmenschentums“ (Muß ich daraus schließen, daß die betreffenden ein „Schlechtaffentum“ leben?) ist es eigentlich erstaunlich, daß es so etwas wie eine „Gewissensdiktatur“ geben kann: Daß man sich so benimmt, daß man sich nicht schämen muß, kein schlechtes Gewissen hat und niemanden gedankenlos beleidigt wird gleich als Diktatur mißverstanden – das ist nicht nur falsch, sondern einem vernünftigen Diskurs auch abträglich. Ich habe oben dargelegt, daß ich eine Überkorrektheit auch nicht gut finde – insbesondere wo die Umschreibung eines mißliebigen Begriffes irgendwann dazu führt, daß ich jemanden erst recht beleidige oder gar letztendlich die Aussage verkehre – aber ein bißchen darauf achten, wie man daherredet könnte man schon. So viel Erziehung sollte auch liberal denkenden Konservativen in Freiheit zumutbar sein.

Post Scriptum: Mir fiel gerade ein, daß wir ja nicht das einzige Land mit solchen Debatten sind. Siehe dazu die Geschichte rund um einen vermeintlich rassistischen Werbespot von VW in den USA.

Vom Plagiat, von KTzG und vom Riß im Volk

Am vergangenen Tage dieser Republik gelang es der Süddeutschen Zeitung, mit einem einzelnen Bericht einen kleinen Coup zu landen. Und erwartungsgemäß waren die Fans des entlarvten Karl-Theodor zu Guttenberg ein wenig, na sagen wir, ungehalten.

Nun muß ich vorneweg gestehen, daß ich kein Fan des Barons bin. Weder als er als Wirtschaftsminister nichts tat, noch als er als Verteidigungsminister den Schuldigen vom Dienst Jung ablöste und Fehler durch „Untergebene feuern“ korrigierte. Ich halte nicht viel von seinen bisherigen Taten sofern überhaupt welche registriert werden und den Medienhype um seine Person, der Bertelsmann, Burda und Springer veranstalten sehe ich eher kritisch.

Nun will die Süddeutsche herausgefunden haben, daß Herr zu Guttenberg in seiner Doktorarbeit offenbar teilweise ein Plagiat beging – zumindest hat er die wissenschaftlichen Anstands- und Ehrenregeln verletzt. Einen Beweis lieferte man auch. Der Vorwurf weitete sich binnen kurzen dahingehend aus, daß auch die konservative FAZ im Vorwort ein Plagiat erkannt zu haben glaubte. Die Affäre zog sich wie ein Lauffeuer durch die Medien, selbst die BILD-Zeitung mußte etwas bringen. Natürlich im Tenor verteidigend.

Soweit, so normal. Die Süddeutsche Zeitung fährt seit einiger Zeit ja eine Kampagne gegen den Verteidigungsminister – so wie die Springermedien eine Kampagne gegen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch fahren und fuhren oder Bertelsmann eine systematische Diffamierung von nicht neoliberalen Ideen betreibt.

Aber wenn ein solcher – tatsächlich eher in der wissenschaftlichen Welt interessanter – Vorwurf gegen Kalt-Theodor zu Guttenberg erhoben wird, dann kochen die Gemüter hoch.

Das SZ-Online Forum vermeldete gestern Abend unter dem ersten Artikel den sensationellen Endstand von 706 Kommentaren. Es spalteten sich hier recht schnell drei Fraktionen:

Die Guttenberg-Verteidigerfraktion

Menschen dieses Schlages sehen dahinter a) eine Diffamierung aus Neid vor dem großen Erfolg des Kompetenzministers, b) eine Verschwörung der SPD weil der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano auch Gastvorträge für die Friedrich-Ebert-Stiftung hält, c) eine unbedeutende Vergeßlichkeit von irgendwo einer Fußnote und d) eine im Vergleich zu den finsteren Linken der Republik nun wirklich läßliche Sünde. Sei nicht ein Steinewerfer Außenminister geworden und habe nicht Wallraff dreist plagiiert?

Die Guttenberg-Angreiferfraktion

Die Gegner des Ministers schlugen sofort erfreut zu. Damit sei ja hinlänglich bewiesen daß der Ministerbaron a) Nicht zur Eigenleistung fähig ist, b) sowieso keinen Doktor verdient und eigentlich zurücktreten müsse, c) der Medienhype um den Minister seine Hohlheit entlarve und d) die ganze Regierung sowieso nur ein Schwindlerhaufen ist.

Die Was-soll-der-Schmarrn-Fraktion

Diese Fraktion fragt nach der tatsächlichen Bedeutung der Affäre. So fragte ein User: „Das Deutschland den Garantierahmen für die Euro Sanierung so um schlappe 120 000 000 000 Euro erhöhen muß und wird und dann im Fall der Fälle dem totalen Staatsbankrott sprich Pleite entgegensteuern könnte regt anscheinend Niemanden auf?
Dr. von Guttenberg, ist doch wurscht von und woher. Wichtig sind die Ergebnisse und die sind ja in der Regel bei der derzeitigen Regierung ziemlich dürftig ! Wie hat denn eigentlich Guido seinen Dr. Titel erworben ? Und die Dame mit den 3 Knöpfe Sakko ?“

Faszinierend war an der Diskussion allerdings, wie massiert die Foristen aufeinander losgingen. Die unterschiedlichen Maßstäbe, nach denen links wie rechts stets gemessen wird, sind ein schönes Zeichen für den Riß in der Gesellschaft zwischen „bürgerlichem Block“ und „Volk“. Wenn die Vorwürfe vollständig zutreffen und nicht ausgeräumt werden können wird man dem oberfränkischen Politiker die Doktorwürde absprechen und verhindern müssen, daß er sie nochmal erhält. Stimmt etwas nicht an den Vorwürfen müssen sie zurückgezogen werden.

Den Foristen und das nicht nur bei der Sueddeutschen, war das aber egal. Der triefende Haß der hier zutage trat war geradezu erschreckend. Was macht diese Regierung nur mit dem deutschen Volk?


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