Fundstück der Woche (27.KW): Eklat in Baden-Württemberg

Georg Schramm ist ja immer wieder sehenswert. Hier können Sie ihn mal nur hören – aber es lohnt sich vor allem wegen des Publikums:


Gehört? Da sind sie aber fuchsteufelswild gewesen, die Damen und Herren Elite. Haben sich doch sogleich in den sprachlichen Lokus begeben. Dazu gibt es zwei Berichte der badischen Zeitung hier und hier und einen der Stuttgarter Zeitung hier. Dazu außerdem eine Kolumne von Joe Bauer hier.

Was ein wenig verwundert: Warum war man eigentlich so erbost? Kannten die versammelten Damen und Herren der ersten Reihe das Programm und den Inhalt der Reden von Herrn Schramm nicht? Haben Sie ihm weder in der Anstalt, noch bei den Demos gegen Stuttgart 21 zugehört? Vermutlich, denn wer einen Preis gar nicht als Preis versteht, der weiß i.d.R. gar nicht warum er jemanden auszeichnen muß.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie betreiben dank großzügiger Schmiergeldzahlungen (Abgaben) ein Glücksspielunternehmen in einem Land, in dem Glücksspiel eigentlich verboten ist. Damit helfen Sie, all denen in diesem Land, die nichts haben, vorzugaukeln, sie könnten vielleicht eines Tages mal alles werden. Die Chancen sind gleich Null, aber alle machen mit. Das ist exakt der Grund, warum das System, das genauso aufgebaut ist, funktioniert: Weil alle glauben, daß sie aufsteigen können und weil es kaum einer schafft. Volker Pispers nannte das „Die Lüge des Kapitalismus„, aber das nur am Rande.
Nun müssen Sie, weil die Leute ja noch nicht ganz doof sind, als Teil des Systems ein gewisses Maß an Kritik ertragen. Man nennt das eine Ventilfunktion, einer solchen diente beispielsweise der berühmte Weiß Ferdl in München. Um Sympathie zu erlangen kann es aber nützlich sein, die Ventilfunktion als solche ein bißchen zu unterstützen solange sie nur Ventil bleibt und sich nichts wirklich ändert. Ansonsten wäre das natürlich kontraproduktiv.
Um zu zeigen, daß man keine Diktatur ist, sondern „Freiheit“ auch im Sinne der Meinungsfreiheit zumindest duldet, stiftet man also einen kleinen Preis (also von rund 130 Millionen Euro Gewinn etwa 16.000, das reicht völlig um großzügig zu erscheinen und vielleicht sogar als „Mäzen“ eines Tages verklärt zu werden) und vergibt ihn auch an jemanden, der manchmal scharf an einem selbst Kritik übt. Bei Hofe hieß das früher „Narrenfreiheit“

Das Ganze könnte nun super funktionieren, wenn sich der auszuzeichnende Künstler auch an die Spielregel hät – also vorsichtig und ein bißchen freundlich ist, die versammelte Mannschaft über sich selbst zwar ein bißchen gezwungen lachen lässt aber letztlich mit ihr auch gerne mal ein Bierchen trinkt – in Bayern findet sowas ja jedes Jahr statt und zwar am Nockherberg. Und schon da zeigte sich, daß man, wenn sich jemand nicht an diese Regel hält, man schnell verschnupft wird.
Dies nun ist hier auch passiert: Schramm hat sich die Chance nicht nehmen lassen der versammelten Elite mal zu sagen was er – und ein gerüttet Maß der aufgerüttelten Bevölkerung auch – von ihr hält. Und das fanden viele nun gar nicht komisch, so etwas tut man nicht. Man gab ihm in der Konsequenz auch nicht die Hand (vermutlich fehlt der Figur Dombrowski deswegen die Rechte…)

Schön ist dann aber, daß die aufgebrachten Wutbürgerlichen tatsächlich die Rückgabe des Preises forderten. Moment – Rückgabe? Eine Rückgabe kann dann erfolgen, wenn eine Seite mit den erbrachten, vertraglich geregelten Leistungen nicht zufrieden ist. Das ist eine Alternative zum Widerrufsrecht. Eine Rückgabe ist also möglich wenn ein Handel abgeschlossen wurde – und scheinbar verstanden die vorderen Reihen das so. Schramm hat nicht für den Preis gebuckelt, hat nicht die Füße der Verleihenden geleckt. Das sieht man in bestimmten Teilen der Gesellschaft anscheinend als Vertragsverletzung.

Alte Säue II: Der Mond, mein Computer, seine Frau und ich

Man wühlt sich ja manchmal so durch seine Vergangenheit. Dabei stieß ich auf einen Artikel, den ich irgendwann zwischen 2001 und 2002 bei der Sueddeutschen veröffentlich habe – damals bei der Jugendseite, die es gar nicht mehr so gibt. Ich denke, ich stand stark unter dem Eindruck des Songs der Toten Hosen und noch mehr unter dem literarischen Eindruck des Kabaretts zu der Zeit. Es ist kein echtes Plagiat, aber nahe dran. Keine Ahnung ob ich das überhaupt veröffentlichen darf.

Aber immerhin habe ich den Text geschrieben, fand ihn beim Durchlesen stark überarbeitenswert aber gut und veröffentliche ihn hier dennoch einfach nochmal in der damaligen Fassung. Liebe Sueddeutsche, wenn das gegen irgendeine Rechtsabsprache von mir als jugendlichem Autor seinerzeit und Euch als mächtiges Verlagshaus seinerzeit verstösst – schreibt mich per Mail an. Dann finden wir da schon eine Einigung. Ich bezweifle nämlich stark daß der Absatz von Zeitungen von 2002 oder 2001 stark zurückgeht, bloß weil gerade mein Text gratis verfügbar ist.

Also:

Der Mond, mein Computer, seine Frau und ich.

Gestern Nacht passierte etwas seltsames. Ich genoß gerade bei einer letzten Zigarre des Tages die Nachtluft und betrachtete die Sterne, als ich eine Stimme hörte. Verwundert sah ich mich um, aber ich sah niemanden. Ich wurde nervös, versuchte mich mit der Betrachtung der Sterne wieder zu beruhigen, doch da sprach die Stimme wieder zu mir: „Weißt Du, was Du tust?“, fragte sie mich.
Es war der Mond, der Mond hatte zu mir gesprochen. Nur hatte ich keine Lust, dem Mond zu antworten. Ich fand das unfair. Ich stand da draußen, hatte endlich meine Ruhe und meinen Frieden und konnte die Sterne ansehen, und dann kommt der Mond daher und fragt mich, ob ich wußte, was ich tat!
Natürlich wußte ich das. Ich sah mir die Sterne an. Nicht genug, der Mond fing zu plappern an und zog plötzlich über den Himmel, stellte sich vor die Sterne und störte mich weiter. Egal wo ich hinsah, der Mond hüpfte immer wieder in mein Blickfeld.
Da wurde ich wütend und ging wieder rein, setzte mich vor meinen Computer und schaltete den ein, um mich abzulenken. Doch was soll ich sagen? Kaum hatte ich mich richtig darauf eingestellt, fing plötzlich der Computer an: „Hallo..“, sagte er. Ich erstarrte und sah auf den Bildschirm, doch da war nur noch immer das BIOS – Startprogramm unterwegs, also konnte es nicht Windows sein. „Weißt Du, was Du tust?“, fragte mich daraufhin der Computer. Ich dachte mir: „Was ist denn jetzt nur los? Jetzt fängt der PC auch noch an!“ Da dachte ich mir: „Ich gehe lieber jetzt schlafen und erhole mich von euch allen“. Auch der PC war heute gemein zu mir.
Als ich endlich lag, da wußte ich plötzlich, daß ich beobachtet wurde. Ich spürte es, also setzte ich mich auf und sah zum PC hinüber. Doch der zwinkerte mir nur zu und sah dann demonstrativ weg.
Ich legte mich wieder hin versuchte an nichts zu denken, doch PC und Mond beschäftigten mich noch immer, an Einschlafen war also nicht zu denken. Diese gemeinen Hunde!
Auf einmal spürte ich wieder, daß ich beobachtet wurde. Irgendwer sah mir gerade beim Einschlafen und Nichtsdenken zu. Der Mond konnte es nicht sein, der war draußen. Der Computer sah noch immer demonstrativ hinaus (wahrscheinlich zum Mond, der Hund, aber wenigstens schwieg er!).
Da war es plötzlich klar. Ich sah hinunter zu den innig verschlungenen Kabeln und zu den Ringen, welche die Kabel zierten. Man muß wissen: Mein Computer hat die Stereoanlage geheiratet, schon vor ein paar Jahren. Und die Frauen, die starren bestimmt gerne. Ich sah zu der Stereoanlage und was ist? Natürlich, die Stereoanlage fragte mich, ob ich weiß, was ich da tue.
Das schien mir irgendwie zu einer interessanten Frage zu mutieren. Der Mond hatte nur Blödsinn im Kopf gehabt, er war ständig ins herum sausen und Plappern verfallen. Mein Computer wollte mich offenbar auf etwas aufmerksam machen, und seine Frau, die Stereoanlage, die war wie alle Weiberleut‘: Sie machte eifrig mit und ging dabei ebenso eifrig auf den Keks.
Also fragte ich mich, was die beiden wohl meinen konnten. Was konnten mir Mond und Computer sagen wollen? Was tat ich eigentlich wirklich?
Irgendwie nichts.
Also hakte ich nach. Was hätte ich tun müssen, damit mich weder Mond, noch Computer und natürlich die Stereoanlage ansprachen? Hausaufgaben? Kann nicht sein, heute war einer der wenigen Tage, an denen ich mich mit einer Art besessenem Enthusiasmus auf diese Aufgaben gestürzt hatte.
Weil im Moment hing irgendwie die für mich vorstellbare Welt von einigen wenigen Fächern, aber immerhin von stolzen drei Stück ab. Und ich hatte doch wirklich in jedem Fach meine Hausaufgaben gemacht, immer wieder bescheuerte Sätze übersetzt, mathematische Graphen, die nie wieder auftauchen werden, gezeichnet und dazu mir eine Reaktion ausgedacht, was ich mache, wenn ich in Mathe statt theoretisch praktisch durchkommen können würde.
Umkippen, zum Beispiel.
Aber warum fragen mich alle dann, ob ich weiß, was ich tue? Ich habe es noch immer nicht so ganz begriffen, aber ich kam damals neulich auf einen ganz anderen Gedanken. Ich plante nämlich nicht.
Was wollte ich eigentlich in Zukunft machen? Schriftsteller werden, klar, und natürlich die Welt verändern, sie verbessern. Why not? Nur – das kommt einem toll vor, ich kann davon nicht leben. Ich brauche also einen Job. Aber Polizist, zunächst angedacht, ist manchmal auch nicht so toll. Warum also nicht die Überweisen fragen, diejenigen, die es besser wissen? Da fragte ich den Mond, was ich machen soll, doch der tollte nur am Himmel herum, für etwas anderes als Herumhängen war der nicht zu gebrauchen. Ich fragte meinen Computer: „So sage mir, was soll ich tun?“, aber der konnte auch nichts antworten.
Wie immer im Leben, sind die Frauen die Weisesten. Ich fragte also die Stereoanlage, was ich denn tun soll, was aus mir werden soll, und sie antwortete ganz cool: „Glücklich!“
Da sagte ich zu ihr: „Ich vergebe euch, denn ihr wißt nicht, was ihr da tut!“

Also, wie war das jetzt nochmal..?

Preisrätsel des Monats: Wer mir diesen Satz erklären kann, nimmt an der Verlosung für einen Duden Teil.

Der Satz lautet „Liefert nur den Hinweis, betätigt den materiellen Gegenstand ist der Standard.“ und ist teil der Vertragsbedingungen in einem Münchner Lokal – das ist auf der Speisekarte zu finden. Und liefert den Hinweis. Hä?

Tipp des Tages

Manche Menschen werden ungern beschenkt. Da gehöre ich auch dazu. Über die Gründe kann man spekulieren. Aber nun habe ich endlich die ultimative Methode gefunden, einen „Ich-schenk-Dir-nix-und-Du-mir-nix“ – Handel zu unterlaufen.

Künftig gibt es für die Beschenkungsunwillige(n) dann eben einen

„Launenaufbesserungszuschlag in Sachgegenstandsform“

Deutsch sei Dank.

P.S.:
Auch wenn man den Tip anders schreiben müßte.

Von meinem Lieblingslied

Im rechthaberischen Alltag dieser Republik gab es ein Lied, das der deutsche Liedermacher Reinhard Mey im Jahr 1990 auf seinem Album Mit Lust und Liebe veröffentlicht hat – es ist eigentlich ein bißchen älter, aber es passte in dieser Zeit besonders in den Kontext. Das Lied heißt: Die Mauern meiner Zeit.

 

Wer auch immer sich fragt, wie ich eigentlich bin, dem sei hiermit eine Antwort gegönnt. So bin ich. Dieser Song drückt so ziemlich all das aus, was ich als Mensch mit einem sozialdemokratischem Wesen empfinde – zumindest oft. Nachdem Herr Mey endlich einen großen Teil seiner Liedtexte online gestellt hat darf ich diesen Text verlinken und nachdem ich die Quelle nannte auch zitieren:

 

Erinn‘rungen verblassen, und des Tages Ruhm vergeht,
Die Spuren, die wir heute zieh‘n, sind morgen schon verweht.
Doch in uns ist die Sehnsucht, daß etwas von uns bleibt,
Ein Fußabdruck am Ufer, eh‘ der Strom uns weitertreibt.
Nur ein Graffiti, das sich von der grauen Wand abhebt,
So wie ein Schrei, der sagen will: „Schaut her, ich hab‘ gelebt!“
So nehm‘ ich, was an Mut mir bleibt, und in der Dunkelheit
Sprühe ich das Wort „Hoffnung“ auf die Mauern meiner Zeit.

Die Herzen sind verschlossen, die Blicke leer und kalt.
Brüderlichkeit kapituliert vor Zwietracht und Gewalt.
Und da ist so viel Not und Sorge gleich vor unsrer Tür,
Und wenn wir ein Kind lächeln sehn, so weinen zehn dafür.
Der Himmel hat sich abgewandt, die Zuversicht versiegt.
Manchmal ist‘s, als ob alle Last auf meinen Schultern liegt.
Doch tief aus meiner Ohnmacht und aus meiner Traurigkeit
Sprühe ich das Wort „Hoffnung“ auf die Mauern meiner Zeit.

Um uns regiert der Wahnsinn, und um uns steigt die Flut.
Die Welt geht aus den Fugen, und ich rede noch von Mut.
Wir irren in der Finsternis, und doch ist da ein Licht,
Ein Widerschein von Menschlichkeit, ich überseh‘ ihn nicht.
Und wenn auf meinem Stein sich frech das Unkraut wiegt im Wind,
Die Worte „Ewig unvergessen“ überwuchert sind,
Bleibt zwischen den Parolen von Haß und Bitterkeit
Vielleicht auch das Wort „Hoffnung“ auf den Mauern jener Zeit.

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Der Text von Reinhard Mey gab mir an vielen Stellen Kraft und an noch mehr Stellen half er mir, den Sinn für das Wesentliche beizubehalten. Und dafür, lieber Reinhard, möchte ich Dir ganz herzlich danken.

Fundstück der Woche (07.KW): Wer hat denn heute noch Zeit zum Lesen?

Antwort:  Vegas.  Diese junge Dame aus Berlin macht sehr kreativ Kurzfilme und hat schon über 200 Stück zusammengebracht. Generell ist ihre Site witzig und erfrischend frech, alleine die durchwegs guten Ideen des wohl schon in die Jahre gekommenen Pictures of the Day sind einen Klick wert.

Als angehender Deutschlehrer begeistern mich aber eigentlich noch mehr die kurzen Zusammenfassungen von Werken der Literatur – verständlich und vor allem holt sie das beste aus dem Ganzen raus. Hier mal die ersten drei Folgen:
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Wer sich näher mit ihr befassen möchte, dem sei hier ein Interview ans Herz gelegt.

Von der kritischen Betrachtung neuer Medien

Im journalistischen Alltag dieser Republik gibt es ein Phänomen, dessen Zweck und Daseinsbestimmung darin besteht, moderne Medien mit Gewalt in Verbindung zu bringen. So sollen Computerspiele Jugendliche gewalttätig machen und zu irrsinnigen Taten anstiften. Das ist etwas ganz neues, bestimmt.

Nur – ich glaube das nicht. In der Geschichte hat es immer wieder den gleichen Vorgang gegeben: Ein neues Medium entsteht und wird erfolgreich – und schon deutete der Konservative es als Bedrohung für alles „was gut und richtig ist“ – womit er meint, für alles was er kennt. Glauben Sie nicht?

Das finstere Theater, der böswillige Fußball

Im Jahr 2002 kramte der spätere PDS und WASG – Politiker Helge Meves für diesen Artikel einen Text von Philipp Stubbe heraus, und zwar „the anatomy of abuses in England„, also die „Anatomie der Mißstände in England“. Darin wehrt sich der Puritaner Stubbe massiv gegen die aus seiner Sicht geradezu obszönen Formen der Unterhaltung wie beispielsweise das Theater nach William Shakespeare.

Auch anderes kam nicht gut weg. Die Anatomy of Abuses beschreibt zum Beispiel Fußball so: „Ein teuflicher Zeitvertreib (…) der Neid, Groll und Bosheit wachsen lässt, und manchmal gar zu Streit, Mord, Totschlag und großem Blutverlust führt.“. Auch Tanz ist nicht gerade gesund: „Manche haben ihre Beine beim Hüpfen, Springen, Drehen und Kopfschlagen gebrochen (…) Männer und Frauen gemeinsam (…) bei öffentlichen Versammlungen mit grosser Beteiligung, mit so viehischem Geifern, Küssen und schlechtem Betragen (…) jeder Hüpfer oder Sprung im Tanz führt sie der Hölle näher.“

Infolge dieses Denkens wurde 1612 eine spezielle Order erlassen, die ein „Verbot der Gigues am Ende der Stücke aus dem Grunde, dass die unzüchtigen Gigues, Lieder und Tänze (…) es zum Sammelpunkt von Beutelschneidern und anderen übelgesinnten Personen machten und zu Verletzungen des Friedens führten.“

Für das Theater, bei dem es ja bekanntlich auch nur um Unkultur geht, fand Stubbe noch deutlichere Worte:
Bei ihren geheimen Treffen betreiben sie dann Sodomie und Schlimmeres. Und dies ist die Frucht von Schauspielen und Interludien, zum größten Teil. (…) wenn Du lernen willst zu morden, zu schinden, zu töten, zu klauen, zu stehlen, zu rauben, zu vagabundieren; wenn Du lernen willst, dich gegen Fürsten zu erheben, (…) dann brauchst du in keine andere Schule zu gehen, denn all diese guten Beispiele kannst Du in Interludien und Schauspielen vor deinen Augen ausgemalt sehen.“

Man kann deutlich erkennen, was uns das Theater antut: Es macht uns alle zu Mördern, zu Gotteslästerern und zu Widerstandskämpfern gegen die Obrigkeit. Und sowas wird im Deutschunterricht behandelt!

Die brutale Literatur

Apropos Deutschunterricht: Ganz übel ist ja die Unterhaltungsliteratur. Oder, um es christlich zu formulieren, die Schmutz- und Schundliteratur. Damit gemeint ist die besonders im 19. und 20. Jahrhundert aufkommende Welle von Abenteuer- und Unterhaltungsromanen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts sogar zu erotischer Literatur führten. Nicht, daß es dergleichen nicht vorher auch schon gegeben hätte – Goethes „Werther“ zum Beispiel mußte deutlich entschärft werden bevor er auf den Markt kommen durfte, er war an einigen Stellen dann doch zu direkt und deutlich. Nicht nur das – der „Werther-Effekt“ beschreibt ein Phänomen, das Jugendliche durch Literatur angestiftet worden sind, sich umzubringen. Das lesen Jugendliche in der Schule, wissen Sie!

Literatur hat sogar weitergehende, gefährliche Einflüsse, wie das unten stehende Beispiel sehr schön zeigt:

 

 

 

Ein junger Mensch von 17-18 Jahren geht aus meinem Dorfe vor etwa zehn Jahren ins ‚Niederland‘ in Arbeit. Zurückgekehrt macht er seine Kameraden mit einem Buche bekannt, das Aufschluß gibt über die lüsternen Dinge. (…) Einer von diesen jungen Leuten, ein körperlich wie geistig nicht völlig normaler Mensch, arbeitet später als Handwerksgeselle in der Großstadt, sucht hier die Gelegenheit zu dem, wovon er durch das Buch Kenntnis hat – und versinkt im Sumpf des Lasters. Er kommt zurück, teilt den Genossen seine Erlebnisse mit, und da es ihm hier an solchem Umgange fehlt, lockt er kleine Kinder zu sich heran und vergeht sich mit ihnen, wie sich später herausstellt in der schwersten Weise. (…)

Wie Sie sehen, machen Bücher über ‚lüsterne Dinge‘ Menschen zu Kinderschändern. Welch Fluch das Buch also für die Gesellschaft ist.

Das mordende Kino

Damit aber nicht genug! Denn die Menschen begannen Anfang des 20. Jahrhunderts den „Bildern das Laufen beizubringen“ – der Film wurde erfunden und praktisch im gleichen Atemzug dann auch der Pornofilm. Aber schon die unterhaltende Branche war schlimm. Oftmals zitiert wurde ein Aufsatz von Robert Gaupp (Über die Gefahr des Kinos in: Süddeutsche Monatshefte 9 (1911/ 12), S. 363-366; Nachdruck in Jörg Schweinitz (Hrsg.): Prolog vor dem Film 1992 ) und daraus hat Meves diesem Abschnitt zitiert gehabt: „(…) Die widerliche Spekulation auf die Freude der Menschen am Krassen und Schauerlichen, am Sentimentalen, am sexuell Aufregenden macht sich breit. Von historischen und politischen Ereignissen früherer Zeit bekommen wir namentlich grauenerregende Dinge zu sehen: die Schrecken der Bartholomäusnacht, die Folter der Inquisition, die Grausamkeiten der russischen Justiz. (…) Zerrbilder von Elend und Not, Armut und Krankheit erzeugen quälende Gedanken über die Ungerechtigkeit der Welt, rauben die Achtung vor dem Gesetz und staatlicher Autorität (…) Für noch gefährlicher halte ich die grauenhaften Darstellungen aus dem Verbrecherleben … auch der Selbstmord wird mit allem nur denkbarem Grauen im Kino vor Augen geführt. Die Zeitungen melden uns erschreckende Vorkommnisse, bei denen jugendliche Personen das im Kino gesehene Verbrechen in der Wirklichkeit nachahmen wollen.“

Auch hier folgt wieder der Fall – das Kino macht die jungen Menschen zu Selbstmördern, zu Verrückten, zu gefährlichen Menschen und vor allem zu richtig ungehorsamen Wesen!

Das Selbstmörderische Fernsehen

Derartiges findet sich erst recht beim Fernsehen wieder, der nächsten Stufe der „Vergewaltung der Gesellschaft“. Auch das Fernsehen macht uns krank, bringt uns zu Gewalttaten und anhand des Beispiels der Sendung „Der Tod eines Schülers“ (eine Arbeit dazu findet sich hier auf Seite 6) wird der Nachahmungseffekt exemplarisch deutlich gemacht. Damals stieg die Suizidrate nach einer sechsteiligen Sendung recht brutal in die Höhe, ähnlich wie das durch den Werther geschah. Blieb dort allerdings nicht sondern sank wieder, wenn auch nicht ebenso rasch.

Das verstandraubende Rollenspiel

Aber die Macher unseres Untergangs sind ja noch nicht fertig – sie erfanden Rollenspiele! in den 60er Jahren erfanden zwei Männer namens Gary Gygax und Dave Arneson das Pen&Paper Rollenspiel, das in den 70er und 80er Jahren einen Boom erlebte. Rollenspiele, eine frühe Form der interaktiven Geschichte, quasi ein neues Medium des Interaktiven Erzählens beschäftigten viele junge Menschen und fanden sofort wieder Gegner, diesmal wieder aus der christlich-konservativen Ecke. Woher auch sonst?

1980 brachte sich der gerade einmal 18 Jahre alte Schüler James Dallas Egbert III um – und war selbst ein Rollenspieler. Diesen Fall als Ausgang nehmend – und dabei auch möglichst die Fakten ignorierend – machte eine recht lautstarke Bewegung auf sich aufmerksam, die das Rollenspiel als Teufelei wider die natürlich Ordnung verstand und die junge Menschen dazu bringe, Menschen für Objekte zu halten und zu töten, sie in den Selbstmord treibe und überhaupt, da treffen sich die jungen Leute und tun – ja, was miteinander?

Gut, sie spielen, so wie andere Leute sich treffen und Karten spielen. Aber das ist nicht gut, dagegen muß man vorgehen. Zweifelhafte und sicherlich interessante Höhepunkte dieser Bewegung sind der Roman „Mazes and Monsters“ von Rosa Jaffe und der darauf basierende Film „Labyrinth der Monster“ – einem der ersten Filme von Tom Hanks.

Sie haben sicherlich bemerkt, daß die christlichen Bewegungen hier zu „Schundliteratur und Gewalttätigkeitsfilm“ gegriffen haben, um ihre Kampagne voranzutreiben. Aber Zwecke heiligen ja bekanntlich Mittel. Die Bewegung „Bothered About Dungeons And Dragons“ definierte ihre Existenz sehr deutlich: „Dungeons & Dragons ist ein Fantasy-Rollenspiel, das Dämonologie, Hexerei, Voodoozauber, Mord, Vergewaltigung, Gotteslästerung, Geisteskrankheit, Suizid, Attentate, sexuelle Perversion, Homosexualität, Prostitution, satanische Rituale, Glücksspiel, Barbarei, Kannibalismus, Sadismus, Schändung, Geister- und Totenbeschwörung, Hellseherei und andere Lehren nutzt.“

Ähnlichkeiten mit vorangegangenen Beispielen sind sicherlich kein Zufall.

BADD löste sich 1990 auf, nachdem der Science-Fiction Autor Michael A. Stackpole seinen „Pulling Report“ veröffentlichte und darin die fragwürdigen und manipulierenden Methoden der BADD nachwies. Das bedeutet aber nicht, daß die Idee einer solchen Bewegung gestorben wäre.

Das Mörder machende Killerspiel

Nun sind wir in der heutigen Zeit – eine Zeit die nicht nur vom Computerspiel als Unterhaltungsmedium entschieden beeinflusst wird sondern deren digitale Community-Erschaffung auch eine neue Gesellschaft bildet, deren genaue Entwicklung wir in Wahrheit weder absehen noch begreifen können. Die Cyber-Demokratie kommt, so orakelten manche noch vor kurzem, andere sehen in dem daraus sich ableitenden Unterhaltungsangebot, das ja ein nicht unerheblicher finanzieller Motor dieser Entwicklung ist, die Vorboten unseres Untergangs.

Der Begriff Killerspiel, eine inflationär gebrauchte Bezeichnung für Ego-Shooter, impliziert eigentlich nicht ein Spiel, in dem „gekillt“ wird sondern versucht den Link zu einem Killer, also einem Mörder herzustellen. Dieselben Leute, die wutentbrannt aufschreien wenn jemand Tucholsky zitiert und „Soldaten sind Mörder“ schreibt, schreiben nun im Grunde „Spieler sind Mörder“. Jeder Mensch, der Computerspiele spielt ist also ein Mörder, oder, um mit Dieter Hildebrand zu sprechen, ein „potentieller Mörder“.

So werden Computerspiele mit allem in Verbindung gebracht, was irgendwie schlecht ist in der Welt: Terrorismus oder Amokläufe, Selbstmorde, Beziehungszerfall oder unregelmäßiges Niesen. Kein Anlaß ist zu nichtig, auch wenn sich die kritischen oder wenigstens nachdenklichen Stimmen durchaus mehren.

Foll finsteres Fazit

Ja, da ist ein Rechtschreibfehler aber ich brauchte hier eine Alliteration. So etwas ist auch ein Spiel, eines mit Sprache eben, und es macht niemanden zum Mörder. Unterhaltung ist längst nicht nur ein Teil unserer Gesellschaft und zumindest im Westen sicherlich einer der wichtigsten Wirtschaftszweige – wenn man den Profisport dazurechnet denke ich mal, daß im Unterhaltungsbereich am meisten Geld umgesetzt wird. Ich habe zu dieser Behauptung keine Zahlen finden können und wäre dankbar um Hinweise.

Unterhaltung hatte schon immer mit Gewalt zu tun – jeder Krimi hat seine Leiche, jedes Drama seinen Mord. Offensichtlich ist es ein für den Menschen durchaus wichtiges Detail der Unterhaltung, daß Gefahr und Tod dabei sind – wir fiebern mit Helden mit die in Lebensgefahr geraten und freuen uns wenn sie es schaffen beziehungsweise leiden ein bißchen wenn sie es nicht schaffen.

Das ist seit Jahrhunderten so – mittelalterliche Romane sprechen Bände davon und erst antike Geschichten bis hinunter zu homerischen Zeiten? Da wird gemordet und überlebt was das Zeug hält, es zerbrechen Ehen und Beziehungen, da wird erschlagen und gewütet, geliebt und gestraft so weit das Auge reicht.

All das war schon immer Unterhaltung und ist es auch heute. Die neuen Medien steigern lediglich die Unmittelbarkeit des Erlebens oder geben dem Konsumenten die Möglichkeit, Protagonist zu sein, sich auszuleben. Das wird an nicht wenigen Stellen zu unbequemen Erkenntnissen führen, auch mitunter über sich selbst. Eine mögliche Endstufe ist sicherlich das „Holodeck„, das in der Fernsehserie „Star Trek: The Next Generation“ sehr ausgiebig behandelt wurde und innerhalb der Serie auch als Idee diskutiert werden konnte.

Ich gehe felsenfest davon aus, daß nahezu jedes neue Medium seine Kritiker finden wird. In der Regel stets Leute, die es nur vom Hörensagen kennen, begleitet von (eben meist konservativen) Politikern die mit einer gewissen Panikmache und dem damit verbundenen Versprechen „etwas zu tun“ Punkte zu sammeln erhoffen. Meistens hat das nichts mit Überzeugung zu tun sondern es geht in der Regel nur darum, Menschen die keine Ahnung haben vorsichtshalber für sich zu gewinnen, bevor sie aufgeklärt werden können.

Im Grunde ist das schade, auch wenn ein gesundes Mißtrauen gegenüber allem Neuen nicht unbedingt dumm oder verkehrt ist. Ich vermute mal, daß dies am treffendsten der als Philosoph leider kaum beachtete Douglas Adams zusammengefasst hat:

Ich habe ein paar Regeln aufgestellt, die unsere Reaktion auf technische Neuerungen beschreiben:

1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.

2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen.

3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Die beiden Grafiken entstammen einem Scan des „Wächters von Jugendschriften“ vom 15.10.1910. Danke an dieser Stelle an Johanna Altheintz

Weil es durchaus Interesse wecken könnte, woher ich so alles bezogen habe, sei hier eine weiterführende Linklist gegeben. Ich bin nicht mit jedem Link einer Meinung, aber um das Thema zu vertiefen ist dies erst einmal geeignet:

Dissertationen:

Medium und Initiation. Béla Balázs: Märchen, Ästhetik, Kino Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz vorgelegt von Hanno Loewy aus Frankfurt am Main

Medienrevolutionen und Redereflexe. Die Etablierung neuer Medien im Spiegel ihrer Diskurse. Dissertation
am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Gesamthochschule Siegen vorgelegt im Jahr 2000 von Tilman Welther
Eine hochinteressante Arbeit!

Gesammeltes:


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Oh, Du mein Verkehrsverbund IV

In den vergangenen Tagen dieser deutschen Sprache gab es ein Ereignis, das bestimmte neue Regeln in sie zementierte und dafür sorgte, daß es zu aufwändig wurde, Panter, Elefant und Delfin das schreiben beizubringen: Die Rechtschreibreform. Sie machte die Dinge unleserlich, war aber nicht alleine schuld.

Den treuen Lesern meines Blogs ist sicherlich schon aufgefallen, daß ich kosequent die alte Rechtschreibung verwende – ich schreibe aufwendig, Panther, Elephant und Delphin noch so, daß man es lesen kann. Allerdings gibt es eine andere Krankheit, die mich seit langem nervt und das ist das Binnen-I. Sie wissen schon, die PolizistInnen, die den Täter (!) fangen. Dazu schrieb ich vor nicht allzu langer Zeit auch mal was.

Nun hat mir mein geliebter Verkehrsverbund noch ein Beispiel gezeigt, warum das mit dem Gender in der Sprache Nachteile hat:

Nun, ich bin sicher die Frauenwelt ist ein großes Stück weitergekommen, seit es der Bus „Ring Neuperlach Außen“ als Ergänzung auch die Linie 197 „Ring NeuperlachInnen“ gibt. Ich mußte wirklich dreimal hinschauen bis ich entschlüsselt hatte, was die Anzeige mir zu sagen versucht.

Fundstück der Woche (03.KW): Right where it belongs

Seit Jahren gucke ich mir diesen Schnitt immer wieder an. Und irgendwie wollte ich immer mal was dazu schreiben – nun, heute ist es so weit. Bevor ich das aber tue möchte ich Sie bitten, das Video anzusehen. Erläuterungen folgen dann im Anschluß.

Das ist der Song „Right where it belongs“ von Nine inch Nails. Er hat folgenden Text:

See the animal in his cage that you built
Are you sure what side you’re on?
Better not look him too closely in the eye
Are you sure what side of the glass you are on?
See the safety of the life you have built
Everything where it belongs
Feel the hollowness inside of your heart
And it’s all
Right where it belongs

[Chorus:]
What if everything around you
Isn’t quite as it seems?
What if all the world you think you know
Is an elaborate dream?
And if you look at your reflection
Is it all you want it to be?
What if you could look right through the cracks?
Would you find yourself
Find yourself afraid to see?

What if all the world’s inside of your head
Just creations of your own?
Your devils and your gods
All the living and the dead
And you’re really all alone?
You can live in this illusion
You can choose to believe
You keep looking but you can’t find the woods
While you’re hiding in the trees

[Chorus:]
What if everything around you
Isn’t quite as it seems?
What if all the world you used to know
Is an elaborate dream?
And if you look at your reflection
Is it all you want it to be?
What if you could look right through the cracks
Would you find yourself
Find yourself afraid to see?

Die Filmausschnitte, welche Sie gerade gesehen haben stammen aus dem Film Children of Men. Falls Sie ihn noch nicht gesehen haben, gucken Sie sich den unbedingt an.

Er spielt in etwa 2027. Aus irgendeinem Grund werden keine Kinder mehr geboren, Großbritannien hat sich in einen Polizeistaat gewandelt. Terror überzieht den Planeten und in dieser Welt der Verfolgung ausgerechnet wird eine junge Frau schwanger. Sehen Sie sich den Film an, ich kann es nur wiederholen.

Gerade der Zusammenschnitt hier gefällt mir aber sehr gut. Er ist nicht nur wegen Clive Owen sehenswert sondern auch weil er einfach passt und uns sehr schön zeigt, wohin wir unsere Welt führen, wenn wir nicht endlich diesen Haß füreinander einstellen. Und ich finde, wir müssen uns nicht hassen, wir tun uns keinen Gefallen damit.

Niks Notitz(en)-Blog zwischen den Jahren 08

Das Jahr 2010 war auf der künstlerischen Ebene das Jahr des Weggangs von Georg Schramm aus dem deutschen Fernsehen. Er wollte wieder auf die Bühne. Sein neuestes Programm, Meister Yodas Ende, läuft das ganze Jahr 2011 und ist vielerorts schon ausverkauft. Wer es noch nicht gesehen hat, der sollte es schleunigst nachholen, hier sind die Termine.

Zur Einstimmung auf das Widerstandsjahr 2011 nun eine Reihe von Videos von und mit Georg Schramm. Zum letzten Mal in diesem Jahr und damit auch das Ende des Programms: Mephistos Faust von 2002, Teil 8 und das Ende.

Frohes Neues Jahr!