Von der Meinung ohne Ahnung oder: Das Bankenwesen im Mittelalter

Die Allgemeine Ahnungsbefreiung scheint ja sehr fortgeschritten zu sein. Wenn man sich so durch das Internet klickt, besonders auf den großen Portalen wie Youtube oder Facebook, so begegnen einem eine Vielzahl von Usern und Kommentatoren mit einer erschreckend geringen Ahnung von der Welt – aber mit einer schwer festgefahrenen Meinung.

Nun ist es tatsächlich so, daß es oft leichter ist eine Meinung zu haben als eine Ahnung. Etwas zu wissen und zu verstehen kostet Zeit, Mühe und Anstrengung. Letztlich ist diese Mühe einer der Gründe warum sich so mancher Zeitgenosse mit dem „Informationsgehalt“ einer Bildzeitung oder einer News of the World begnügt.
Dieses Phänomen ist nicht gerade neu – wir haben Quellen aus Mittelalter und Antike die in großem Umfang Behauptungen aufstellen deren wirklicher Wahrheitsgehalt auch für den informierten Zeitgenossen deutlich war. Als Beispiel sollen hier beispielsweise die Judengerüchte dienen, die periodisch auftraten und vom Götzendienst mit Kindsopfer schwafelten.
Die Verbreitung solcher Geschichten hielt allerdings früher in der Regel mit der Verbreitung echten Wissens Schritt – soweit überhaupt Wissen rezipiert wurde. Einfache Bauern oder gar Knechte waren nicht gebildet, hatten keine Schule besucht und wußten nur wenig von der Welt. Die meisten kamen kaum jemals aus ihrem eigenen Dorf auch wenn das Mittelalter weit mobiler war als man so allgemein annimmt.

Einer der größten Vorteile des Internets ist auch sein größter Nachteil: Die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen. Wegen der Notwendigkeit der Erregung von Aufmerksamkeit um das Interesse des Lesers auf die eigene Seite zu lenken ist es wichtig, aktuelles wie Sensationsheischendes möglichst rasch zu veröffentlichen und das meistens ungeprüft. Bildblog und andere Watchblogs zeichnen auf wie die Verbreitung von Falschmeldungen funktioniert weil kaum einer sich die Zeit nimmt oder nehmen kann, eine Information richtig zu überprüfen – eine richtige Reportage leisten sich selbst Wochenzeitungen nur noch selten. Nicht nur weil die Erstellung zeitraubend und teuer ist sondern auch weil der Leser sich dem Verhalten der Medien angepasst hat: Er schenkt der Headline und vielleicht noch zwei Absätzen Aufmerksamkeit aber dann bricht diese Aufmerksamkeit ziemlich rasch zusammen und der Klick zum nächsten Inhalt folgt.
Das führt dazu, daß das Netz von Scharlatanen regelrecht überschwemmt wird. Neben der Boulevardisierung unserer Medienlandschaft ist die überreiche Präsenz von Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und religiös oder politisch motiviertem Informationswirrwarr eine Folge. Gerüchte werden als Wahrheiten verkauft und ungeprüft übernommen, Meinungen werden zum „Wissen“ geadelt und letztlich wird eine Informationsrecherche auf Wikipedia beschränkt – es muß ja schnell gehen denn morgen früh ist das Thema ja wieder unwichtig bzw. vergessen.
Das Ergebnis ist letztlich, daß eine Headline als vermeintliches Wissen ins kollektive Bewußtsein eindringt und hängenbleibt. Diesen Effekt nutzen die Schall-und-Rauch-Medien rund um Springer, Bertelsmann und Burda um Stimmung zu machen. Ein schönes Beispiel ist die Griechenlandkampagne der Bildzeitung oder auch der Kampf der Bunten gemeinsam mit dem Springerblatt zur Verteidigung des ehemaligen Verteidigungsministers. Dagegen konnte man sich mit noch so viel Information und Wissen stemmen, weder die Fakten zu Griechenland, noch jene zu Guttenberg erreichten eine nennenswert gleiche Verbreitung.

In dieser Suppe der Ahnungsfreiheit gären besonders gut negative Empfindungen wie Mißtrauen und Wut, gezielt und ungezielt geschürt von der vermeintlichen „Netzgemeinschaft“. Gezielt geschürt werden derartige Empfindungen von all jenen, die sich letztlich die Lenkung der wütenden Meute erhoffen, ungezielt schürt die „Netzgemeinschaft“ selbst da alle einer Meinung (also der Meinung von einem) sind und von daher kann das ja gar nicht falsch sein.

Ein sehr schönes Beispiel dafür sind die kapitalismuskritischen Videos auf Youtube. Im obrigen Beispiel verstehen die meisten schon nicht die eigentliche Aussage von Georg Schramm und es entspannt sich in den Kommentaren eine ziemlich heftige Diskussion. Ursprünglich war die Kapitalismuskritik ja eine eher linke Domäne und auch hier schon mit einer Vielzahl von Halbwahrheiten kommentiert werden derartige Videos seit einiger Zeit massiv von Rechtsradikal beeinflußten Personen begleitet. Ich sage ganz bewußt rechtsradikal beeinflußt weil sich einige, da bin ich mir sicher, gar nicht im Klaren darüber sind, was sie da eigentlich verbreiten.
Da wird von Juden gesprochen, die ja – das weiß man doch! – nur den Beruf des Bankiers ausüben durften und daher gar nicht anders konnten als Geldverleiher zu werden. Und dann, jetzt kommt die Mitleidsschiene der Ahnungslosen, ja quasi gar nicht anders konnten als sich schon aus Eigeninteresse gegen die Christenheit zu verschwören. Bankiers waren halt Juden (Christen war die Wucherei verboten!) und Banker sind, das wissen alle, Feinde der Menschheit oder des deutschen Volkes. (Nebenbei, weil Juden ja alles so unterwandert haben, haben sie auch Facebook gründen lassen – Zuckerberg ist Atheist, aber seine Eltern sind Juden – und die Farben blau-weiß verweisen auf die israelische Flagge…)

Ein wenig komplizierter stellen die Kommentatoren das schon dar, aber letztendlich ist das die Argumentationslinie. Und schon hier kann der „gebriefte“ Leser eine Vielzahl von Irrtümern vorfinden. Das geht los bei der Nichtkenntnis der Kommentatoren über die großen christlichen Bankhäuser des Mittelalters wie den Medici, den Bardi und anderen Norditalienischen Familien, aber auch den deutschen Großkaufleuten die nebenbei noch Bankiers waren. Das moderne Bankenwesen hat seine Wurzeln im europäischen Mittelalter und ist keine jüdische Erfindung, eher im Gegenteil. Ein nicht unerheblicher Teil des Reichtums der Bruderschaft der Ritter vom Tempel des heiligen Salomon (gemeinhin als Tempelritter bekannt) beruhte auf einem sehr raffinierten Geldwechselsystem: Man konnte in einem Ordenshaus Geld „einzahlen“ und erhielt eine Quittung dafür, die man an anderer Stelle, zum Beispiel auf dem Weg nach Jerusalem, wieder einlösen konnte und das sogar in der Landeswährung. Diese Quittung, ein Kreditbrief – letztlich hat sich das heute zum Scheck oder Geldschein entwickelt – war allerdings nur bei anderen Komturen des Templerordens einlösbar. Wegen des Zinsverbotes erhoben die Templer schlicht Gebühren – und von denen lebten sie gar nicht schlecht, auch wenn das Geld letztlich der Anwerbung von Soldaten für den Kampf im „heiligen Land“ diente.
Andere Geschäfte waren natürlich auch Kreditgeschäfte auf Gebühr und gegen Sicherheiten und natürlich auch Depotgeschäfte – also die Vermietung eines Platzes in einer Schatzkammer gegen Gebühr.

Man könnte sehr viel über das Bankwesen des Mittelalters schreiben und das ist auch schon gemacht worden. Eine Vielzahl von Feldzügen des Hoch- und Spätmittelalters wären gar nicht möglich gewesen ohne die Finanzierung durch Bankiers. Die immer aufwendiger werdende, immer teurere Hofhaltung der europäischen Königshäuser verlangte einfach nach neuen Geldquellen als den üblichen wie Steuern, Abgaben und den Einnahmen aus der Münze.
Einnahmen aus der Münze? Ja, damals war das Recht, Münzen zu schlagen (also zu prägen) ein königliches Recht, das verliehen werden konnte aber im Grunde nur an Territorialfürsten (ob Bischof, Graf oder Fürst), welche natürlich Lehnsleute des Königs waren, ging. Das Schlagen der Münze, also die Ausfertigung von Geld aus Rohstoffen bedeutete natürlich eine bedeutende Einnahmequelle.

Es bleibt unendlich viel zu schreiben – nicht wenige Historiker befassen sich praktisch ausschließlich mit der Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters – und zu forschen, denn wir wissen bei weitem noch nicht alles. So stellt sich die Frage nach der Sicherheit von Kreditbriefen (da gab es raffinierte Systeme) und nach der Verwertung von Sicherheiten bei hochgestellten Persönlichkeiten.

Die Vorstellung, daß nur Juden das Geldwechsel-, Geldverleiher- oder Bankiergeschäft führen durften ist jedenfalls eindeutig falsch. Auch heute werden „die Banken“ nicht von Juden kontrolliert, auch wenn es mit Sicherheit jüdische Banker gibt. Nur was soll das besagen? Wenn ein Banker religiös ist, dann könnte man vielleicht noch einen Rest Anstand unterstellen, aber garantieren würde ich das nicht. Die Idee, daß eine Religionszugehörigkeit einen Menschen in eine bestimmte gesellschaftliche Rolle zwingt ist nicht nur albern sondern eines Demokraten auch vollkommen unwürdig. Vielleicht sollte von bestimmten Herrschaften mal darüber nachgedacht werden.

Eine alte Sau! (Folge 1)

Das ist doch mal eine alte Sau:

Free TIbet

Erinnern Sie sich noch, wie sie durch’s Dorf getrieben wurde? Das war ein Thema, ist aber lange her. Damals war es in Tibet schlimm: Es war von China besetzt. Die Welt schrie daher auf und man boykottierte China überall, zum Beispiel bei der Olympiade. Oder so…

In Wirklichkeit interessierte es kurz nach der Olympiade seinerzeit niemanden mehr. Andere Säue mußten durch andere Dörfer getrieben werden, auch wenn es noch immer die sich kümmernden Vereine gibt. Der völkerrechtliche Status von Tibet ist letztlich ungeklärt auch wenn alle deutschen Bundesregierungen (darunter auch die Rot-Grüne) Tibet als Bestandteil des chinesischen Staates betrachten.
Daran hat sich nichts geändert. Der gewaltlose Widerstand tibetischer Mönche, die betend von chinesischen Soldaten mißhandelt und ermordet wurden hatte ein interessiertes Medienecho hervorgerufen (schließlich verkaufen sich solche Geschichten gut) aber die Welt hat diese Menschen schnell wieder vergessen. Das wäre vielleicht anders gewesen wenn sie sich mit Waffengewalt gegen die Besatzer gewehrt hätten (–> Das nennt man Terrorismus, wenn’s ein guter Staat ist und Befreiungskampf wenn’s ein böser Staat ist. Was ein guter, was ein böser Staat ist bestimmt die Tageslage. Böse Staaten sind aber per Definition kommunistisch und richten nicht die Olympiade aus!) und nicht nur im 08/15-Steinewerfer-Modus. Die Sympathien reichten weit genug, um kritische Fragen nach dem Idealzustand Tibets (wie auch im verlinkten Hollywood-Film dargestellt) als unerwünscht zu unterdrücken.
Inzwischen war der Dalai Lama auch ein paar Mal in Deutschland. Er hat dabei viel gelächelt und es duldsam ertragen, wie widerlich die deutsche Bundesregierung mit ihm umging: Nicht die Kanzlerin empfing ihn zunächst, sondern nur die Entwicklungshilfeministerin. Und das auch nicht als Geste sondern im Rahmen einer Intrige der Kanzlerin gegen Kurt Beck. Für Fotos war man zwar da, aber einen Standpunkt zu vertreten, der China möglicherweise tatsächlich geärgert hätte (Sprich: Nicht nur wie 2007 „Irritation“ weil Merkel den Dalai traf) oder gar das mit den Tibetern gerade aktuell (nur kurz) sympatisierende deutsche Volk, dazu fehlte dann doch das Rückgrat.

Worum es geht

Für die meisten war das irgendwie eine Diskussion darüber, daß China Tibet besetzt hat und hält und die Tibeter unterdrückt. Das Schwarz-Weiß Schema ist eine schöne Methode um ein Stück Geschichte Schlagzeilentauglich aufzubereiten. Ganz so einfach ist die Welt aber nicht.
Tibet stand über viele Jahrhunderte hinweg unter dem indirekten Einfluß Chinas. Zwar war Tibet aufgrund seiner Lage („Das Dach der Welt„) und dünnen Besiedelung militärisch wie wirtschaftlich völlig uninteressant aber indem die chinesische Führung 1720 Tibet zu einem Protektorat erklärte (bei voller innerer Autonomie!) konnte China den Anspruch auf die Gebiete in und um Tibet bekräftigen. Tibet hatte den Vorteil, vor äußeren Feinden durch China geschützt zu werden.
Das alles änderte sich 1907, als China und Rußland ihre Interessensphären in Asien absteckten. Im Vertrag von Sankt Petersburg erklärte sich China zur Schutz- und Verwaltungsmacht Tibets. Tibets innere Unabhängigkeit war damit formell vorbei. Allerdings dauerte es noch einmal bis zur Durchsetzung, weil die chinesische Revolution von 1911, der schreckliche Bürgerkrieg, der chinesisch-japanische Krieg und letztlich der erneute Bürgerkrieg in China nach der japanischen Kapitulation 1945 China davon abhielt, effektiv Tibet zu besetzen. Daher erklärte sich Tibet schon 1913 für unabhängig.
Infolge des Bürgerkrieges 1945 wuchs die Besorgnis in Tibet und bat um internationale Unterstützung, aber nicht zuletzt weil die westliche Welt durch den 2. Weltkrieg ungemein geschwächt war gab es keine Hilfe durch das Ausland. Tibet war China ausgeliefert. 1950 „befreite“ die Volksarmee Mao Zedongs Tibet von den „imperialistischen Einflüssen“ und holte Tibet „Heim ins Reich“.
1955 kommt es erstmals zum Aufstand gegen die chinesische Oberherrschaft. Großbritannien und die Vereinten Nationen hatten zuvor jedwede Hilfe für Tibet wegen des „unklaren Rechtsstatus“ abgelehnt, das Faß zum Überlaufen brachte eine Landreform. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.
1959 kommt es erneut zum Aufstand, auch dieser wird brutal niedergeschlagen und der Dalai Lama flieht nach Indien. Die Exilregierung wird von China nicht mehr anerkannt.
1966 beginnt die sogenannte „Kulturrevolution„. Tausende Tempel, Kulturbauten und Denkmäler werden zerstört, auch tibetische Klöster werden vernichtet. Was mit den Mönchen geschah ist unklar – die Exilregierung spricht von tausenden ermordeten Mönchen, die chinesische Führung bestreitet das aber. Die Tibeter empfanden diesen Vorgang vor allem als gegen sie als Volk gerichtete Aktion und nicht als politischen Vorgang.
1987/88 kam es in Lhasa erneut zu Unruhen. Auch diese ohne Erfolge oder Konsequenzen.
2008 nun gab es erneut Proteste und letztlich gewalttätige Ausschreitungen.

Und was jetzt?

Es ist nicht so einfach, eine Position zu beziehen denn beide Seiten verargumentieren die historischen Fakten für sich. So stellt die chinesische Seite die Oberherrschaft über Tibet als einen Jahrhunderte alten Zustand dar während die tibetische Exilregierung auf die Autonomie verweist und diese als staatliche Unabhängigkeit interpretiert. Beide haben nicht ganz recht und beide verharren in historischen Argumenten und können sich davon nicht lösen.
Tatsache ist: Die Tibeter möchten frei sein. Sie wollen nicht von China beherrscht werden. Und der (ehemalige) Führer der Tibeter, der Dalai Lama, predigt Gewaltverzicht egal was passiert. Das ist mutig und schwierig und trägt den Tibetern viele Sympathien entgegen, sogar von recht Abenteuerlustigen Aktivisten, auch wenn die Tibeter selbst die Ideen des Dalai Lama nicht immer unumstritten hinnehmen und die Jugend besondes den Gewaltverzicht ablehnt.
Letztlich aber nur ein paar Wochen lang.

Dinge, die sich irgendwie ums Verrecken nicht vermeiden lassen….

Im vergangenen Dreiviertel Jahr hat sich der „Kachelmannprozess“ zum wichtigsten Element deutscher Presseberichterstattung hochgeschwungen. Ein unbedeutender ARD-Wettermoderator der für seine „Blumenkohlwolken“ eher berühmt war als für seine durchaus gehobene Stellung im Metereologischen Geflecht geriet für seine Vorstellung von Sexualität nicht nur in Schwierigkeiten, nein, er skandalisierte dank der höchst aktiven Printpresse ganz Deutschland. Warum?

Ein Mann hat Sex mit einer Frau. Das ist soweit für einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung nichts ungewöhnliches. Ist eigentlich kaum erwähnenswert, vielleicht noch beim Boulevard. Dort gerne in der Form einer kurzen Erotikgeschichte Marke „Carolyn hat gerne kräftige Beine beim Sex. Ihr BAG (Bett-Abschnitts-Gefährte) fährt deswegen extra Fahrrad. ‚Weil er mich damit so anmacht!‘, erklärt die 21-jährige Studentin aus Unterniedergriesbachsulz.“ Ansonsten interessiert sich allerhöchstens dann noch die Kirche dafür, wenn der Akt irgendwie öffentlich gezeigt wird, zum Beispiel in Film, Fernsehen oder Internet.
Davon abgesehen muß Sex, damit der Printtauglich wird, einen Skandal beinhalten. Also irgendwas der Abteilung „Alt mit Jung, Mann mit Mann (aber prominent!), Frau mit Frau (dann aber sehr wohlwollend), Mensch mit Tier (Kai Diekmann zählt nicht als Tier!) oder aber abstoßend, öffentlich oder extrem sein. Eine Zeitung, ich erinnere mich an einen ehemaligen Schulkameraden der mittlerweile bei der Sueddeutschen versumpft ist, muß „Geschichten erzählen die interessant genug sind.“ Anders formuliert: Ein Skandal muß schon sein, weil’s die Leute sonst nicht kaufen. Warum kaufen’s die Leute sonst nicht? Na weil sie es gewohnt sind nichts anderes als Skandale zu kaufen. Man könnte sagen, daß sich das System hier selbstständig macht.

Ungewöhnlich war aber diesmal die Parteiergreifung die sich in einem sehr seltsamen Rahmen abspielte: In aller Regel gibt es da die konservative („Sie wird’s schon auch gewollte haben“) und die feministische („Sex ist grundsätzlich die Erniedrigung der Frau“) Seite. Diesmal bliesen allerdings Bild, Bunte und Emma ins gleiche Horn und mehr reflexartig als überlegt nahmen andere Medien eine dazu konträre Haltung ein.
Anstatt nun über den Prozeß zu berichten, vielleicht ein paar mehr oder weniger hysterische Gedankenspiele über die Gesetzgebung bei Sexualdelikten zu verfassen und letztlich das Urteil als zu lasch bzw. ungerecht zu kritisieren lieferte sich die deutsche Presse eine Vorverurteilungsschlacht par Excellance. Alice Schwarzer (Darf man das noch schreiben oder ist das irgendwie Alice Afro-Afrikaner?) brachte also ihre Kompetenz (als Nichtjuristin) ein um dann die feministische Sichtweise auf einen Vergewaltigungsprozeß direkt neben den blanken Brüsten von „Corinna, die es hart und dreckig mag“ darzustellen.
Im Gegenzug postulierte ausgerechnet die linke Presse eher die Unschuldsvermutung. Der arme Kerl. Und nun von der rachsüchtigen Ex-Geliebten vor Gericht gezerrt. Oh Mann!

Jörg Kachelmann, das hat der Prozeß sehr wohl gezeigt, ist offensichtlich privat ein nicht sonderlich angenehmer Zeitgenosse. Aber ein Vergewaltiger? Immer dann, wenn Emotionen in Berichterstattung und Urteilsbeurteilung fließen werden die Grenzen schwammig. Da ist ein kranker Mann schnell ein Teufel in Menschengestalt, der im Grunde auf einen Scheiterhaufen gehört. Die Emotionen, mit denen die Presse spielt, reichen von Rachegelüsten über Wut zu Haß – mehr bieten sie nicht. Eine differnzierte Betrachtung? Bloß nicht!
Ein Mann wie Kachelmann, der sich offenbar nicht besonders um die Gefühle seiner Mitmenschinnen kümmert ist kein guter Mensch. Eine Frau wie Schwarzer, die eine Hysteriewelle lostritt nur weil sie es kann und um im Zweifel trotz jeglichem Urteil die Volkswut auf die Person zu lenken, allerdings auch nicht. Und warum können wir es nicht vermeiden, sogar Geld dafür auszugeben um zu lesen wie sich schlechte Menschen Böses antun?

Von einem Medienunfall

Im journalistischen Alltag unserer Republik gibt es eine Vielzahl von Ereignissen die einen nachdenklich machen. Dazu zählt unter anderem, daß es derzeit noch immer Mode ist, die SPD als die finstere Verräter- und Übeltäterpartei zu brandmarken und ausgerechnet die eher dem Neoliberalen zuneigenden Grünen als Hoffnungsträger für den anständigen Teil der Bevölkerung hochzujubeln.

Typisch für dieses Verhalten war und ist auf der Printmedienseite stes die Sueddeutsche und auch der Spiegel (Wenn der nicht gar konservativ wurde), aber vor allem die Tagesschau und die Tagesthemen lassen es sich normalerweise nicht nehmen, alle Parteien zu einer Sache Stellung nehmen zu lassen – nur nicht die zweitgrößte des Landes. Nun ist eine totale Ausgewogenheit unmöglich und auch blödsinnig, kein Problem wenn bei bestimmten Themen eben eher bestimmte Parteien gehört werden. Aber es war symptomatisch seit der Großen Kollision Koalition.

Nun brachten die Tagesthemen gestern die Hartz-IV – Debatte, die nebenbei sehr interessant anzusehen war, im Abendprogramm. Zu meinem gelinden Erstaunen fanden hier nun ausgerechnet die Grünen nur anfangs als Auseinandersetzung mit dem Bundestagspräsidenten statt, vielleicht um das unsinnige Bild der „Randaliererpartei“ weiter zu bedienen. Dafür war der Schlagabtausch zwischen Siegmar Gabriel und Ursula von-der-Leyen ausführlich drin und sogar Gysi durfte 15 Sekunden von seiner ausgezeichneten Rede wiederfinden.

Kein Wort von den Grünen und auch keines von der FDP. Keine liberale Partei mit einer Stellungnahme im Beitrag – was ist los?

Presse überrascht: Schnee im Winter und Nachts wirds dunkel!

Im klimatischen Alltag unserer Republik gab es ein Ereignis, mit dem kein Mensch hatte rechnen können und das dementsprechend auch eine seltene, große Replik in der Medienwelt erhielt: Schnee im Winter.

 

Ist es nicht amüsant zu beobachten daß jeden Winter der selbe Medienzirkus beginnt? So titeln Bild, Sueddeutsche, FAZ, TZ, AZ, FR und sogar die ZEIT mit dem Winter in ihren Online-Angeboten und beschäftigen die Werbekunden klickende Leserschaft mit gefrorenem Wasser. Nicht mit dem berühmten Sack Reis, aber mit Schnee im Winter. Lobenswerte Ausnahme war da die TAZ.

So machen die alle das auch 2009, 2008 und so weiter….

Liebe Medien: Mich interessiert es nicht daß es Winter geworden ist. Oder daß ein gerüttet Maß unserer Bevölkerung deutlich zu dumm ist, rechtzeitig Winterreifen aufzuziehen und daher als Anwärter auf den Darwin-Award enden. Auch nicht, daß Bahnunternehmen von den hiesigen klimatischen Bedingungen überrascht sind – das merkt man, wenn man dann mal ne Stunde an einem Bahnhof steht und langsam eingeschneit wird weil’s nicht einmal ein Dach gibt – sowas muß ich aber doch nicht in der Zeitung lesen. Beschäftigt Euch doch bitte stattdessen mal wieder ein bisschen tiefer mit wirklich interessanten Themen. So richtig mit Recherche. Täte uns allen gut.

Eklig, der Boulevard – vor allem bei den seriösen Medien!

In den vergangenen Tagen unserer Republik gab es ein Ereignis, welches Volk und Justiz erneut auf die fragwürdigen Mißstände des deutschen Presserechts hätte hinweisen können aber nicht tat.

Die Rede ist diesmal vom Umgang mit dem an Parkinson erkrankten Kabarettisten und Sprachkünstler Ottfried Fischer, der, so scheint es, wohl einmal eine Prostituierte in bezahlte Dienste genommen hat. Oder auch nicht. So ganz klar ist der Fall wohl nicht wie eine Meldung der SZ vom 17.10.2010 schildert. Irgendwie kam es halt zu Sex und sowieso scheint dann alles nicht so mit rechten Dingen zugegangen sein.

Was ein Mensch, auch ein Öffentlicher Mensch, in seinem Schlafzimmer tut bleibt ihm selbst überlassen. Bei dem ein oder anderen Promi bleibt es vielleicht auch noch in der Phantasie der Fans, okay, aber das Thema beerdigen wir hier ganz schnell wieder.

Etwas ganz andere ist es aber, wenn ein Titten-Sperma-Schwarzer – Blatt wie das Springerleitmedium die Menschenrechte mit Füßen tritt und das auch noch tun darf im Namen der sogenannten Presse- und Meinungsfreiheit. Derzeit steh wieder ein – mittlerweile gefeuerter – Bildjournalist vor Gericht weil er Fischer und seine Agentin genötigt haben soll, Exklusivinterviews zu geben.

Dabei ist die ganze Geschichte von vornherein etwas merkwürdig gewesen. Fischer soll also Sex gehabt haben und die Damen keine Liebschaft gewesen sein sondern Prostituierte, die das ihm aber nicht sagten und stattdessen versuchten, ihn mittels Kreditkartenbetrug um 32.000 Euro zu erleichtern versuchten. Das war dann nix weil Fischer sie anzeigte. Zuvor schon gab es, mitten in der WM, die Bunte Story von Fischers Liebschaft zur Überbrückung zweier Deutschlandspiele.

Das meiste hier waren nun SZ-Links, weil sich die Sueddeutsche nicht zu blöd ist das Verhalten der Kollegen von Bild und Bunte noch zu verteidigen. Außerdem ist die Sueddeutsche nach eigenem Bekennen ja eine Zeitung mit Selbstverpflichtung. Naja.

Wohin geht das eigentlich mit der Pressefreiheit? Pressefreiheit ist ein hohes Gut heiß es immer, sie dient dazu daß die Politik und auch die Wirtschaft nicht machen kann was sie will weil Journalisten krumme Dinge an die Öffentlichkeit bringen können. Die Pressefreiheit beschützt sogar die Anonymität der Zeugen für Geschichten, zumindest bis es vor Gericht geht. Das ist soweit auch eine gute Sache.

Aber. Und es gibt ein Aber so wie es fast immer ein Aber gibt. Der Mißbrauch der Pressefreiheit um frei erfundene Geschichten zu drucken, zu Lügen ohne daß auch nur einer rot wird und die daraus resultierende Macht dann in Persönlichkeitsverletzung ausartet, ist das damit gewollt?

Ja, es gibt den deutschen Presserat. Und ja, die betreffenden Medien juckt das nicht im geringsten. Es gibt Bildblog und es gibt Fernsehkritik.tv. Aber auch die ändern nichts. Solange die Richtlinien des Presserates nicht Gesetz sind und Zeitungen für Falschmeldungen mit empfindlichen Geldbußen belegt werden (statt auf Seite 31 einen 3-Zeiler zum, äh, ″Irrtum der Stunde″ veröffentlichen zu müssen), solange wird sich nichts bewegen. Und solange vermeintlich anständige Zeitungen wie die Süddeutsche sich weiterhin auf jedes Boulevardthema stürzen um es genüßlich-eklig zu zelebrieren während man zeitgleich die Anstandsdame mimt wird auch kaum jemand etwas anderes lesen wollen. Es gibt ja praktisch nichts sonst. Wen wundert es da, daß die Printmedien (verdient) am Sterben sind..?