Von der Meinung ohne Ahnung oder: Das Bankenwesen im Mittelalter

Die Allgemeine Ahnungsbefreiung scheint ja sehr fortgeschritten zu sein. Wenn man sich so durch das Internet klickt, besonders auf den großen Portalen wie Youtube oder Facebook, so begegnen einem eine Vielzahl von Usern und Kommentatoren mit einer erschreckend geringen Ahnung von der Welt – aber mit einer schwer festgefahrenen Meinung.

Nun ist es tatsächlich so, daß es oft leichter ist eine Meinung zu haben als eine Ahnung. Etwas zu wissen und zu verstehen kostet Zeit, Mühe und Anstrengung. Letztlich ist diese Mühe einer der Gründe warum sich so mancher Zeitgenosse mit dem „Informationsgehalt“ einer Bildzeitung oder einer News of the World begnügt.
Dieses Phänomen ist nicht gerade neu – wir haben Quellen aus Mittelalter und Antike die in großem Umfang Behauptungen aufstellen deren wirklicher Wahrheitsgehalt auch für den informierten Zeitgenossen deutlich war. Als Beispiel sollen hier beispielsweise die Judengerüchte dienen, die periodisch auftraten und vom Götzendienst mit Kindsopfer schwafelten.
Die Verbreitung solcher Geschichten hielt allerdings früher in der Regel mit der Verbreitung echten Wissens Schritt – soweit überhaupt Wissen rezipiert wurde. Einfache Bauern oder gar Knechte waren nicht gebildet, hatten keine Schule besucht und wußten nur wenig von der Welt. Die meisten kamen kaum jemals aus ihrem eigenen Dorf auch wenn das Mittelalter weit mobiler war als man so allgemein annimmt.

Einer der größten Vorteile des Internets ist auch sein größter Nachteil: Die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen. Wegen der Notwendigkeit der Erregung von Aufmerksamkeit um das Interesse des Lesers auf die eigene Seite zu lenken ist es wichtig, aktuelles wie Sensationsheischendes möglichst rasch zu veröffentlichen und das meistens ungeprüft. Bildblog und andere Watchblogs zeichnen auf wie die Verbreitung von Falschmeldungen funktioniert weil kaum einer sich die Zeit nimmt oder nehmen kann, eine Information richtig zu überprüfen – eine richtige Reportage leisten sich selbst Wochenzeitungen nur noch selten. Nicht nur weil die Erstellung zeitraubend und teuer ist sondern auch weil der Leser sich dem Verhalten der Medien angepasst hat: Er schenkt der Headline und vielleicht noch zwei Absätzen Aufmerksamkeit aber dann bricht diese Aufmerksamkeit ziemlich rasch zusammen und der Klick zum nächsten Inhalt folgt.
Das führt dazu, daß das Netz von Scharlatanen regelrecht überschwemmt wird. Neben der Boulevardisierung unserer Medienlandschaft ist die überreiche Präsenz von Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und religiös oder politisch motiviertem Informationswirrwarr eine Folge. Gerüchte werden als Wahrheiten verkauft und ungeprüft übernommen, Meinungen werden zum „Wissen“ geadelt und letztlich wird eine Informationsrecherche auf Wikipedia beschränkt – es muß ja schnell gehen denn morgen früh ist das Thema ja wieder unwichtig bzw. vergessen.
Das Ergebnis ist letztlich, daß eine Headline als vermeintliches Wissen ins kollektive Bewußtsein eindringt und hängenbleibt. Diesen Effekt nutzen die Schall-und-Rauch-Medien rund um Springer, Bertelsmann und Burda um Stimmung zu machen. Ein schönes Beispiel ist die Griechenlandkampagne der Bildzeitung oder auch der Kampf der Bunten gemeinsam mit dem Springerblatt zur Verteidigung des ehemaligen Verteidigungsministers. Dagegen konnte man sich mit noch so viel Information und Wissen stemmen, weder die Fakten zu Griechenland, noch jene zu Guttenberg erreichten eine nennenswert gleiche Verbreitung.

In dieser Suppe der Ahnungsfreiheit gären besonders gut negative Empfindungen wie Mißtrauen und Wut, gezielt und ungezielt geschürt von der vermeintlichen „Netzgemeinschaft“. Gezielt geschürt werden derartige Empfindungen von all jenen, die sich letztlich die Lenkung der wütenden Meute erhoffen, ungezielt schürt die „Netzgemeinschaft“ selbst da alle einer Meinung (also der Meinung von einem) sind und von daher kann das ja gar nicht falsch sein.

Ein sehr schönes Beispiel dafür sind die kapitalismuskritischen Videos auf Youtube. Im obrigen Beispiel verstehen die meisten schon nicht die eigentliche Aussage von Georg Schramm und es entspannt sich in den Kommentaren eine ziemlich heftige Diskussion. Ursprünglich war die Kapitalismuskritik ja eine eher linke Domäne und auch hier schon mit einer Vielzahl von Halbwahrheiten kommentiert werden derartige Videos seit einiger Zeit massiv von Rechtsradikal beeinflußten Personen begleitet. Ich sage ganz bewußt rechtsradikal beeinflußt weil sich einige, da bin ich mir sicher, gar nicht im Klaren darüber sind, was sie da eigentlich verbreiten.
Da wird von Juden gesprochen, die ja – das weiß man doch! – nur den Beruf des Bankiers ausüben durften und daher gar nicht anders konnten als Geldverleiher zu werden. Und dann, jetzt kommt die Mitleidsschiene der Ahnungslosen, ja quasi gar nicht anders konnten als sich schon aus Eigeninteresse gegen die Christenheit zu verschwören. Bankiers waren halt Juden (Christen war die Wucherei verboten!) und Banker sind, das wissen alle, Feinde der Menschheit oder des deutschen Volkes. (Nebenbei, weil Juden ja alles so unterwandert haben, haben sie auch Facebook gründen lassen – Zuckerberg ist Atheist, aber seine Eltern sind Juden – und die Farben blau-weiß verweisen auf die israelische Flagge…)

Ein wenig komplizierter stellen die Kommentatoren das schon dar, aber letztendlich ist das die Argumentationslinie. Und schon hier kann der „gebriefte“ Leser eine Vielzahl von Irrtümern vorfinden. Das geht los bei der Nichtkenntnis der Kommentatoren über die großen christlichen Bankhäuser des Mittelalters wie den Medici, den Bardi und anderen Norditalienischen Familien, aber auch den deutschen Großkaufleuten die nebenbei noch Bankiers waren. Das moderne Bankenwesen hat seine Wurzeln im europäischen Mittelalter und ist keine jüdische Erfindung, eher im Gegenteil. Ein nicht unerheblicher Teil des Reichtums der Bruderschaft der Ritter vom Tempel des heiligen Salomon (gemeinhin als Tempelritter bekannt) beruhte auf einem sehr raffinierten Geldwechselsystem: Man konnte in einem Ordenshaus Geld „einzahlen“ und erhielt eine Quittung dafür, die man an anderer Stelle, zum Beispiel auf dem Weg nach Jerusalem, wieder einlösen konnte und das sogar in der Landeswährung. Diese Quittung, ein Kreditbrief – letztlich hat sich das heute zum Scheck oder Geldschein entwickelt – war allerdings nur bei anderen Komturen des Templerordens einlösbar. Wegen des Zinsverbotes erhoben die Templer schlicht Gebühren – und von denen lebten sie gar nicht schlecht, auch wenn das Geld letztlich der Anwerbung von Soldaten für den Kampf im „heiligen Land“ diente.
Andere Geschäfte waren natürlich auch Kreditgeschäfte auf Gebühr und gegen Sicherheiten und natürlich auch Depotgeschäfte – also die Vermietung eines Platzes in einer Schatzkammer gegen Gebühr.

Man könnte sehr viel über das Bankwesen des Mittelalters schreiben und das ist auch schon gemacht worden. Eine Vielzahl von Feldzügen des Hoch- und Spätmittelalters wären gar nicht möglich gewesen ohne die Finanzierung durch Bankiers. Die immer aufwendiger werdende, immer teurere Hofhaltung der europäischen Königshäuser verlangte einfach nach neuen Geldquellen als den üblichen wie Steuern, Abgaben und den Einnahmen aus der Münze.
Einnahmen aus der Münze? Ja, damals war das Recht, Münzen zu schlagen (also zu prägen) ein königliches Recht, das verliehen werden konnte aber im Grunde nur an Territorialfürsten (ob Bischof, Graf oder Fürst), welche natürlich Lehnsleute des Königs waren, ging. Das Schlagen der Münze, also die Ausfertigung von Geld aus Rohstoffen bedeutete natürlich eine bedeutende Einnahmequelle.

Es bleibt unendlich viel zu schreiben – nicht wenige Historiker befassen sich praktisch ausschließlich mit der Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters – und zu forschen, denn wir wissen bei weitem noch nicht alles. So stellt sich die Frage nach der Sicherheit von Kreditbriefen (da gab es raffinierte Systeme) und nach der Verwertung von Sicherheiten bei hochgestellten Persönlichkeiten.

Die Vorstellung, daß nur Juden das Geldwechsel-, Geldverleiher- oder Bankiergeschäft führen durften ist jedenfalls eindeutig falsch. Auch heute werden „die Banken“ nicht von Juden kontrolliert, auch wenn es mit Sicherheit jüdische Banker gibt. Nur was soll das besagen? Wenn ein Banker religiös ist, dann könnte man vielleicht noch einen Rest Anstand unterstellen, aber garantieren würde ich das nicht. Die Idee, daß eine Religionszugehörigkeit einen Menschen in eine bestimmte gesellschaftliche Rolle zwingt ist nicht nur albern sondern eines Demokraten auch vollkommen unwürdig. Vielleicht sollte von bestimmten Herrschaften mal darüber nachgedacht werden.

One thought on “Von der Meinung ohne Ahnung oder: Das Bankenwesen im Mittelalter

  1. Es ist gut, dass wir scharfsinnige Denker und scharfzüngige Redner wie Georg Schramm haben, die das eigentlich Unfassbare der gegenwärtigen Gesellschaftssituation aufgreifen, analysieren und thematisieren. Und dass wir Menschen haben, die noch für Überzeugungen einstehen und gegen den von der herrschenden Kaste verordneten Universalgehorsam aufbegehren. Damit die Mappusse und Gutenbergs und ihrerlei, die sich selbst Eliten nennen, wieder dahin verschwinden, wo sie hin gehören: in die Versenkung. Der militärisch-industrielle-politsche Komplex ist seit Jahrzehnten erkannt, aber hat es geschafft, sich aus dem Bewusstsein und dem Tagesgeschäft der Menschen auszublenden, nicht zuletzt mithilfe der Medien, die den Komplex der Herrschenden um ein Atrribut erweitern. Und eines haben sie alle gemeinsam, die Beherrschung der Massen, deren Bestes sie nur wollen: Arbeitskraft zur Erweiterung ihres Reichtums und Soldaten zu dessen Erhaltung.

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