Es ist doch immer wieder erstaunlich….

…. da versüßte uns die BILD-Zeitung den Februar-Abschied am vergangenen Mittwoch doch glatt mit einem Artikel über die Integrationsunwilligkeit junger Muslime in Deutschland, spricht gar von einer „Schock-Studie“. Es wurde aber gar nicht der Schock studiert, es wurden stichprobenhaft Muslime befragt – um auf Verhaltens- und Denkmuster zu schließen und vor allem um herauszufinden, wie man Radikalismus eigentlich definieren soll.

Die zentrale Fragestellung der Studie findet man auf Seite 10 der 764 Seiten starken Studie: „Welche Kriterien lassen sich empirisch begründen, um junge Muslime in Deutschland auf der Grundlage ihrer Einstellungen und Verhaltensweisen als integriert beziehungsweise radikalisiert und unter Umständen extrem islamistisch beurteilen zu können?“ Nicht also wieviele sind es sondern „Wie beurteilt man das eigentlich?“ haben sich die Wissenschaftler gefragt. Eine legitime Frage. Zu diesem Zweck wurden (in der ersten Phase) 923 Teilnehmer interviewt, und zwar 206 deutsche Nichtmuslime, 200 deutsche Muslime und 517 nichtdeutsche Muslime (Siehe dazu S. 123 der Studie). Deutlich verweisen die Autoren der Studie darauf, daß die Ergebnisse gerade wegen dieser geringen Zahl an Teilnehmern kaum statistisch nennen kann (S. 277):

Aber, oh Wunder, der Springerstiefelpresse und ihren Handlangern kam das wieder einmal viel zu langweilig vor, sie konstatieren da lieber, daß 2,5% aller deutschen Muslime gefährlich und gewaltbereit seien. Bei 923 Teilnehmern sind das nicht ganz 4 Leute. Interessant, wenn von weniger als 1.000 plötzlich doch auf eine Zahl von 3,8-4,3 Millionen (!) hochgerechnet wird. Würde mich mal interessieren, ob das wohl stimmt, wenn ich die drei Minderbemittelten, die gestern in der Trambahn eine Bildzeitung lasen und in Fetzen rissen, um damit nach Passagieren zu werfen auf den Gesamtdurchschnitt der Bild-Leser hochrechne (BILD erscheint in eienr Auflage von etwa 2,7 Millionen)… Damit dürften die drei fast schon eine bessere statistische Aussage geben als die vier Typen (oder Typinnen) der Studie.

Warum macht dieses rechtsradikale Hetzblatt das? Als Wegbereiter eine arischen Gesellschaft? Mitnichten, das Ziel derartiger konservativer Hetzblätter ist es immer, die Bevölkerung soweit zu beeinflussen, daß sie vor Angst und Haß in eine Richtung zielt und so dem Dunstkreis von Döpfner und Diekmann die Meinungshoheit überlässt. Deutlich wird das am heutigen Samstag, wo Innenminister Friedrich brav wieder seine Sprechblasen über das gescheiterte Multikulti entleeren darf. Gibt man bei Bild.de in der Suche nur den Begriff „Muslime“ ein, erscheinen fast nur Hetz- und Tiradenartikel über gefährliche, gewaltbereite Muslime und – ganz wichtig! – blinde Linke und Grüne, die „die Augen vor der Wahrheit verschließen„.

Tja, hätte man es selbst halt mal mit der Wahrheit probiert. Aber für die Kaffeefahrtopfer wird es intellektuell noch reichen.

Anmerkungen:

Edit: Der Jakob Jung Blog hat einen ausführlicheren und deutlich lesenswerteren Artikel über den Inhalt der Studie erstellt auf den ich an dieser Stelle gerne verweisen möchte.

Von den ganz einfachen Erklärungen….

In den vergangenen Tagen hat es im britischen Königreich eine Reihe von Krawallen gegeben – genug, um die einschlägigen Welterklärungen wieder auszupacken und vor allem genug damit die Panikmacher Zeitungen in Altenheime liefern konnten auf denen die Frage stand, wann es bei uns soweit wäre. Das Geschäft mit der Situation brummte bestens, aber jetzt gibt es vielleicht eine Chance, auch mal Innezuhalten.

In Großbritannien ist es heute Nacht das erste Mal friedlich geblieben berichtet die Sueddeutsche. Eine Verschnaufpause die vielleicht mancher mal zum Nachdenken benutzen sollte, besonders jene, die sich auf die ganz einfachen Erklärungen versteift haben.
Zu den beliebtesten Erklärungsmodellen gehören zweifellos:

  • Das ist ein schwarzes Problem
  • Das waren Ausländer und Einwanderer
  • Daran sind die sozialen Verwerfungen schuld
  • Frau Thatcher hat schuld

Fangen wir mal an das zu zerlegen. Zweifellos sind nicht wenige der Plünderer schwarz, aber es sind auch eine Menge ganz „normaler weißer“ Bürger darunter. Es sind auch nicht Ausländer oder Immigranten alleine, aber eben auch. Soziale Verwerfungen, das ist die große These die auch die FAZ, die Sueddeutsche und weitere Medien besonders vertreten. Die Nachdenkseiten hingegen sagen, das liegt an Frau Thatcher und der Sparpolitik der britischen Regierung. Auch da ist was dran, aber eine alleinige Erklärung?

Die Riots begannen definitiv in den Armenvierteln der Städte. In Tottenham, London begann die Geschichte, in meinem geliebten Liverpool war es Toxeth. Und tatsächlich begann das Ganze mal als politischer Ausdruck zu sehen, als ein Aufstand der Verlierer einer Gesellschaft wie der britischen – eine Gesellschaft zu der wir ja nach dem Willen der Regierenden wollen. Aber dabei blieb es ja nicht. Ein Bürgeraufstand würde sich doch nicht die kleinen Einzelhändler oder Pubs vornehmen und abfackeln, ein politischer Aufstand hätte doch die Urheber der Armut im Sinn: Banken, Regierungsviertel, Große Kaufhäuser. Es ist in England nicht unüblich, daß man in einem Supermarkt nicht mehr von einer Kassiererin bedient wird sondern an einer „Self-Checkout“ Station landet. Man scannt seine Waren und bezahlt an einer Maschine, eine Kassierin überwacht so ca. 6 dieser Kassen. Wieder 5 Arbeitsplätze im unteren Segment weg.

Dagegen wehren sich manche. Gegen eine solche ausgrenzende Gesellschaft ohne Halt, aber mit Herren sowie ihren Dienern und Sklaven, die alle brav tun was man ihnen sagt. Deren Sozialhilfe als Leistung, als Zuckerbrot der Reichen verstanden wird und nicht als Konsequenz der kostensparenden Politik selbiger Reicher. Wer Arbeitskräfte einspart und Menschen durch Maschinen ersetzt der muß gesellschaftspolitisch für diese Leute anderweitig aufkommen wollen. So weit denkt jedoch, na sagen wir mal: nicht jeder.

Aber das ist nicht alleine der Grund für die Riots. Da sind längst Kriminelle jeglicher Couleur beteiligt und längst geht es eher um einen neuen Fernseher, als um eine politische Aussage. Diejenigen, die tatsächlich auf etwas aufmerksam machen wollten sind verschwunden oder gehen in der Masse derer, die nur stehlen wollen unter. Umgekehrt wird der überwiedend anständige Teil der Gesellschaft, der in einem friedlichen Miteinander leben will in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgedrängt weil Rechtspopulisten die Situation ausnutzen und zum Generalangriff auf das friedliche Miteinander blasen.
Mit „Bürgerwehren“ wollen sie England vor dem Untergang, also vor „den Anderen“ retten. Das sind nichts anderes als Versuche, sich zusammenzurotten und auf die vermeintlichen Problemverursacher einschlagen zu dürfen. Riot, nur anders herum. Das Ergebnis wäre fatal, denn dann hätte man tatsächlich einen kleinen Bürgerkrieg und doch stehen genug in den Startlöchern die genau das hoffen – man lese nur mal die Kommentare bei der FAZ so durch.

Solange das System nicht die wirklichen Ursachen bekämpft sondern immer die Symptome (Siehe die hilflose Reaktion von Polizei und konservativer Medienlandschaft bei der Veröffentlichung aller Photos mit dem Slogen „Wir kriegen Euch alle!“) solange wird man mit Verwerfungen und unruhen rechnen müssen. In einer extrem mobilen, haltlosen Gesellschaft wie der britischen sicherlich schneller als bei uns aber lassen Sie Schwarz-Gelb mal noch zwei Jahre Zeit.  Oder – was das betrifft und wirklich Peer Steinbrück danach wieder eine große Koalition eingeht – der Seeheimer SPD und den mit ihr verbündeten Kräften.

Ich will das nicht. Aber wie soll man das verhindern, wenn Erkenntnis anscheinend in konservative Hirne nicht einzusickern vermag?

Angstpanikmache

Wozu dient die Angstkampagne der Medien? Welchen Zweck erfüllt die mediale Aufrüstung? Und warum will Mathias Döpfner in den Krieg ziehen?

Im politischen Alltag unserer Republik gab es eine Reihe von Ereignissen, die den Zustand dieser Republik von einem demokratischen Staat in etwas anderes zu transferieren suchen scheinen. Da war ich mal ein paar Tage in England (und bin weder auf dem Hin- noch auf dem Rückflug nervösen Sicherheitsbeamten, noch beunruhigten Passagieren begegnet) und habe dann doch eine Menge Dinge verpasst, die zumindest Anlaß zur Sorge geben müssen.
Zur Begrüßung in München erhielt ich eine Bildzeitung die von der „Terrorangst in Deutschland“ schwadronierte und ein kurzer Blick in die größte Suchmaschine der Welt offenbart ein massives Medienecho. Natürlich hat keiner aus dem Bombenattrappenvorfall gelernt. Ganz besonders die unsägliche Vierbuchstabenzeitung benutzt den Begriff ja recht gerne um mulmige Gefühle zu schüren und neben der von Heribert Prantl gut erkannten Problematik, daß selbst das frühere Qualitätsblatt Spiegel bei dieser Panikmache eifrig mitmacht, inzwischen aber wenigstens beginnt sich selbst ein bisschen zu hinterfragen, frage ich mich ehrlich gesagt vor allem, wem das eigentlich wirklich nützt.
Es stimmt: Der Innenminister hat kein einziges Gesetz angekündigt das er als Reaktion auf diese „Neue Bedrohungslage“  initiieren will, aber dennoch bleibt da ein diffuses Mißtrauen übrig. Man erinnere sich: Kurz vor der Bundestagswahl schein die SPD einen Aufwind zu erleiden und die Union samt Freiheitspartei bekamen es mit der Angst zu tun. Fast schon begeistert verkündete dann die Welt, daß doch endlich ein bisschen Angst vor dem Islamismus herrschen kann und deswegen der alte Wähler-Link wieder funktioniert: Islamismus –> Islam –> Ausländer –> Linke für Ausländer –> Grüne für Terrorismus –> CSU beschützt uns. Das ist eine moderne Rote-Socken-Kampagne die insbesondere bei konservativen Hirnen nicht schlecht zu funktionieren scheint. Schließlich wollte die SPD ja auch immer den Anschluß an die Sowjetunion, nicht wahr?
Das wird nun wieder vorbereitet. Wieder wird eine diffuse Angst geschürt und gezielt mit Ressentiments verbunden. Dabei vergißt man auch nicht die wirtschaftliche Keule. Einzig die ZEIT scheint in der Lage zu sein, bei all dem Rauschen im Blätterwald eine kleine, aber nicht unwichtige Information unterzubringen: Nämlich daß es gar keine konkreten Warnungen gibt.
Und das wirft auf den Herrn Innenminister ein ganz anderes, durchaus interessantes Licht. Denn wenn es gar keine konkreten Hinweise gibt – warum warnt der Herr de Mazière dann eigentlich so konkret, wenn auch unaufgeregt. Warum genau platziert er sich als Stimme der Vernunft in der von ihm selbst erzeugten Hysterie?
Hauptsächlich geht es in Politik und Medien darum, Themen zu besetzen. Nicht unbedingt Positiv, aber mit bestimmten Begriffen soll im Idealfall auch eine Partei verbunden werden. Besonders hervorstechen kann in dieser Hinsicht die CSU, der es gelungen ist, so ziemlich alles, was mit Bayern zusammenhängt zu verkörpern – selbst das Oktoberfest schafft einen gedanklichen Link zur Staatspartei. Sicherheit ist ein typisches von der Union besetztes Thema.
Wenn die konservativen Leitmedien wie die „Welt“ und ihr Chefangsthaber Döpfer sich um das Panikmachen kümmern, dann kann die Vernunftseite auch besetzt werden und andere Parteien bleiben in dieser Debatte außen vor. Googeln Sie Terror oder einen anderen Begriff, die Union ist der Meinungsführer in den Veröffentlichungen. In beiden Richtungen. Und dabei gelingt es, schon fast gemeingefährliches Gedankengut unterzubringen. Ich zitiere mal Döpfner (aus dieser Quelle):

Seit einer Woche ist Deutschland im Ausnahmezustand: Vor den Kaufhäusern steht ein Polizist, in den U-Bahn-Schächten wachen Sicherheitsbeamte, und vor dem Reichstag in Berlin stehen gepanzerte Fahrzeuge. Die Angst geht um in der Bundesrepublik, denn ein Aussteiger hat berichtet, dass islamische Fundamentalisten unser Land aus den Angeln heben wollen. Ein Anschlag auf den Reichstag sei geplant. Ausgerechnet der Reichstag, der 1933 brannte, bevor die Nazis das Land für den Holocaust mobilisiert haben. Wir aber üben uns in Gleichmut. Die Kanzlerin mahnt zur Gelassenheit. Ruhe sei die erste Bürgerpflicht. Das stimmt, denn wir wollen unsere Agenda nicht von Terroristen bestimmen lassen. Aber es stimmt auch nicht. Die Ereignisse haben viel miteinander zu tun. Unruhe ist auch Bürgerpflicht. Denn es geht um die Freiheit. Und die ist so gefährdet wie seit 70 Jahren nicht mehr.
(…)
Und die Deutschen? Ich fürchte: Die Deutschen haben aus dem Trauma des Dritten Reiches und des Holocaust leider überwiegend die falsche Lektion gelernt. Das nationalsozialistische Deutschland war eine von einem Diktator geführte Gesellschaft, die auf einer systematisch angelegten Freiheitsberaubung des Individuums basierte. Kollektivistisch, autoritär, ressentimentgeladen, neidgetrieben, rassistisch, nationalistisch, sozialistisch trieb Deutschland auf Vernichtungskrieg und Massenmord zu, ohne dass jemand rechtzeitig einschritt. Die Lektion dieser Erfahrung hätte sein müssen: Nie wieder Unfreiheit, nie wieder Rassismus, nie wieder antidemokratische Autorität. Und vor allem: mehr Wehrhaftigkeit der freien Gesellschaften. Konkret heißt das: Wehret des Anfängen! Und noch konkreter: Wo immer unfreiheitliche Energien auszumachen sind, vor allem dort, wo sie unsere Interessen berühren, muss mit Nachdruck und zur Not als Ultima Ratio auch mit militärischen Mitteln die Freiheit verteidigt werden. Und der beste Weg, die Ultima Ratio nicht eintreten zu lassen, ist es, sie nicht auszuschließen. Stattdessen hat man die deutsche Lektion so interpretiert: Nie wieder Krieg, nie wieder militärische Involvierung, nie wieder sollte Deutschland irgendwo eine Führungsrolle übernehmen wollen. Der gute Deutsche als europäisches Wir ohne eigene Interessen, als Pazifist, der sich heraushält. Dass mit dieser Haltung Unfreiheit, Diktatur, Rassismus, Massenmord ermöglicht statt verhindert werden, ist bisher kaum aufgefallen. Lernen wir aus der Geschichte nur, dass wir aus der Geschichte nichts lernen? Oder wird der freie Westen es diesmal besser machen?
Der 11. September war das Menetekel eines Heiligen Kriegs gegen unsere westlich-freiheitliche Lebensform. Entweder wir haben die Symbolik des gefallenen World Trade Center verstanden und nehmen den Kampf an. Oder wir sind verloren.

Haben Sie es gemerkt? Ausnahmezustand am Anfang, Angst und Panik die darin Ausdruck findet das ein Polizist das Kunststück vollbringt, vor allen Kaufhäusern zu stehen. Die Erklärung, Panik sei Pflicht weil ein Aussteiger irgendwelche Warnungen von sich gegeben hat. Und dann der Link nach unten – es geht um die Freiheit. Und die muß notfalls mit Krieg verteidigt werden. Natürlich nicht, indem man seine Grenze schützt sondern mit Krieg gegen die Kräfte der Unfreiheit (die „Islam“ zu nennen er sich hier wohlweislich weigert aber herausarbeitet und meint) bei denen zuhause. Hier bei uns ist Freiheit zu verteidigen, Angst zu haben vor der “ systematisch angelegten Freiheitsberaubung“ die uns droht, und diese Angst zu bekämpfen. Am besten durch systematisch angelegte Freiheitsberaubung?
Die deutsche Lektion, die er hier anspricht ist zunächst einmal eigentlich nicht falsch: Was haben wir militärische Verteidigungen von Wirtschaftsinteressen auf dem Globus zu installieren? Das hat der Deutsche kapiert. Bislang. Unter Rot-Grün kam es dann zum ersten militärischen Eingreifen Deutschlands im Ausland aber wo? Im ehemaligen Jugoslawien. Auch da könnte man drüber streiten aber de facto fand dort ein Völkermord vor unserer Haustür statt und dazusitzen und zuzuschauen hätte uns mit schuldig gemacht. Pazifismus um des Pazifismus willen ist der Gipfel des arroganten Egoismus, wenn er einen daran hindert jenen, die Not leiden, zu helfen. Ja.
Aber das findet doch kaum statt? Glaubt irgendwer wirklich, daß wir in Afghanistan Bürgerrechte verteidigen? Menschen beschützen? Glauben Sie, es geht um Menschenrechte beim Irak-Konflikt? Oder doch eher um Schürfrechte?
Döpfner entwirft in seinem Kommentar eine schöne konservative Welt, in der Deutschland Israel dabei hilft, sich gegen den Iran zu verteidigen und darum aufrüsten muß. Israel mißinterpretiert der Springerjournalist wohl im Gleichschritt zur BuReGier denkend offenbar als Bollwerk der Freiheit gegen den Kommunismus Islam.
Und so ganz nebenbei scheinen Konservative wie Döpfner ernsthaft zu glauben, daß der Deutsche seine Schuld sühnen kann, wenn er nun Israel verteidigt. Blut vergießen um der Sühne Willen, wie biblisch, wie antik. Um den friedensliebenden Deutschen aber dazu zu bringen sich für ein solche heheres Ziel zu engagieren ist es halt notwendig, ihm Angst zu machen und ihn im richtigen Sinne zu manipulieren. Willige Erfüllungsgehilfen sind die Boulevard – Medien. Und der Spiegel. Na dann gute Nacht.

Terrorwarnungen? Himmel hilf!

Im journalistischen Alltag unserer Republik gab es ein Ereignis, das zu Angst und Panik beim Leser führen sollte. Die Rede ist vom Innenminister De Maiziére, der „ruhig und sachlich“  und „unaufgeregt“ erklärte, es gebe dringende Hinweise auf geplante Anschläge. Islamischer Terroristen Ende November.
Dazu nur kurz:

  1. Ist dem so, dann wird unsere Polizei sicherlich dagegen vorgehen und alles tun, um das zu verhindern, wenn sie darf.
  2. Kann es sein, daß die Regierung hier eine Kombination aus Ablenkung von ihrer Schwäche in allen Feldern und Panikmache zur Durchsetzung fragwürdiger sicherheitspolitischer Ziele versucht? Immerhin sind die Vorratsdatenspeichertypen gleich wieder aus den Löchern gekrochen.

Ich kaufe der Regierung Merkel keinesfalls ab, daß die sich um meine Sicherheit sorgt. Das können Sie knicken. Darum geht es denen nicht. Ich sage Ihnen auch warum: Es sind die Schwarzen und die Gelben, die bei Polizei und Bildung streichen und dann mehr Gesetze und mehr Härte fordern. Die wollen keine Sicherheit für die Bürger, es geht drum den Bürger zu kontrollieren. Ich gehe jede Wette ein, daß hier ganz bewußt kurz vor der nächsten Reisezeit Panik geschürt werden soll. Es würde mich auch nicht wundern wenn man sich überlegt, bei einem echten Hinweis die Polizei etwas zurückzupfeifen – ein tatsächlicher Anschlag könnte helfen, Angst und Wut zu schüren, befreit Arbeitsplätz von ihren Besetzern (gut für die Statistik) und schafft das richtige Stimmungsverhältnis für ein deutsches Freiheitsgesetz (Freedom Act).

Ich frage mich, wann die Bundeswehr den Einsatz von Guttenberg im Inneren fordert…

 

 

Nachtrag:

Herr Körting von der SPD forderte: Bürger sollten verdächtige Nachbarn melden, falls diese sich selten zeigen würden und „nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen“.

Herr Körting, dann muß ich Sie bei der Polizei melden. Als Sozialdemokrat verstehe ich Sie nicht.

Hurra, wir dürfen wieder!

In den vergangenen Tagen unserer Republik gab es ein Ereignis, auf das eine große, polternde und eine kleine, verschwiegene Masse offenbar seit Jahren gewartet haben: Die Erlaubnis, „es wieder tun zu dürfen.“

Den Startschuss gab eine Veröffentlichung von einem Menschen, der bis dato noch in der SPD sein Dasein fristet und der einst im Vorstand der deutschen Bundesbank diente: Thilo Sarrazin. Aufgrund seiner (in einer anderen Notiz hinreichend beleuchteten) Veröffentlichung geraten die seit langem ihr Bekenntnis offen tragenden Rassisten (Wie die Hetzmedien BILD und BUNTE), als auch jene, die sich von gesellschaftlichen Konsens „unterdrückt“ gefühlt habenden Menschenächter in eine Art Freudentaumel.

Endlich darf man es wieder tun. Endlich darf man es wieder sagen. Endlich spricht einer die Wahrheit aus. Endlich dürfen wir feste druff.

Seither beobachte ich eine erstaunlich rasch wachsende Wut, die sich in offenem Haß gegenüber „Islamisten“ (womit grundsätzlich Muslime gemeint sind) entwickelt. Hetzseiten wie pi-news treiben die Geschichte bis zur bitteren Realsatire, wenn sie aufzählen wie oft Christen in muslimischen Ländern Schwierigkeiten bis Verfolgung erleben und in den Kommentaren die Nutzer dann als Beweis der überlegenen christlichen Zivilisation Mord, Verfolgung, Vergasung und Totschlag fordern.

Hassprediger unter sich, super.

Der allgemeine Umschwung ist schon lange dezent spürbar gewesen, aber nun endlich jagen die europäischen Konservativen im Verbund mit der nationalistischen Rechten das fremdländische Blut. So werden Scharia-Gerichte zitiert um die „Islamisierung Europas“ zu belegen. Dass dies ein Ergebnis einer Rechtslücke ist die zu schließen nun beabsichtigt wird, wird konsequent weggelassen. Dass der Islam als eine weltumspannende Religion eine Sammlung von Strömungen ist die jede für sich eine eigene Auslegung von Gesetzen und Rechtsgutachten (Fatwa) hat, wird totgeschwiegen, stattdessen die Situation im Iran als beispielhaft aufgeführt und als Endziel der hier lebenden Muslime dargestellt.

Das alles ist nicht nur Quatsch, die Verschwörungstheorie der Islamisierung der Welt (die nebenbei lediglich die „Judaisierung der Welt“ und die „kommunistische Weltverschwörung“, sowie natürlich die „jüdisch-kommunistische Weltverschwörung“ ersetzt hat) hat auch nichts mehr mit Sarrazin zu tun. Sarrazin ist ein hasserfüllter Wirrkopf der vor allem vor Bedeutungslosigkeit und Armut Angst hat und diese Angst in seine Aggressionen ummünzt, um sich seiner eigenen Bedeutungsfreiheit nicht gewahr zu werden. Eigentlich ein bemitleidenswertes Geschöpf.

Die sich da selbst aufbauende Woge aus Ablehnung, Fremdenangst und Fremdenhass, welche die verhasste „linke Republik“, die „Linke Intoleranz“ (der Intoleranz) und der „Multi-Kulti-Irrsinn“ hinwegspülen soll wird noch ganz erstaunliche Erkenntnisse liefern, da bin ich mir sicher. Aber keine guten.

Manipulation und Fälschung im Buch „Deutschland schafft sich ab“

Zum Beginn darf ich hier einen anderen Blog zitieren um meinen eigenen zu starten. Die Quelle hat sich besonders in den Kommentaren leidlich viel Mühe gegeben, die anbrandende Diskussion zu führen. Kommentare daher bitte dort posten, mir dient dies nur als Aufhänger und als Test für den Blog und die Software als solches.

Manipulation und Fälschung im Buch „Deutschland schafft sich ab“

Das Buch „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ von Thilo Sarrazin ist bereits erfolgreich, bevor es erschienen ist. Nicht weniger als 93% von 122.689 Lesern von www.bild.de, wo Vorabauszüge aus dem Buch erschienen waren, halten Sarrazins Thesen für richtig, darunter eine winzige Minderheit, die lediglich die Formulierungen für zu hart hält.[1] Auf www.amazon.de sind bereits am Vorabend des Erscheinens, am 29.8.2010, nicht weniger als 85% der Kundenrezensionen mit der Bestnote „5 Sterne“ versehen worden.[2]

Sarrazin behauptet wiederholt, er würde sich mit seinem Buch auf „empirische Erhebungen“ (S. 11) stützen und im Gegensatz zu „jener Kaste von Wissenschaftlern, Politikern und Verbandsfunktionären“ – für Sarrazin eine Art Horrorkabinett – „Daten und Fakten“ (S. 86) sowie „Zahlen und Analysen“ (S. 391) anführen, die seine Thesen belegen würden.

Immer wieder erweckt Sarrazin den Eindruck, Andersdenkende seien „Beschwichtiger und Verharmloser“ (S. 8), „politisch korrekt“ (S. 10, 18), „gefühlsbetont“ (S. 89), „selbstgerecht“ (S. 86) und vor allem „unvernünftig“ (S. 8, 207, 329, 377) und „unrealistisch“ (S. 11, 19, 49).

Tatsächlich enthält das Buch eine ganze Menge an Statistiken, die ihre Wirkung auf die Leser nicht verfehlt. So schreibt etwa ein Laienrezensent auf www.amazon.de „Alles was in diesem Buch steht ist statistisch belegt und unstrittig.“ Immerhin 75% der Kommentatoren fanden diese Rezension „hilfreich“. Eine zweite Rezension – 87% „hilfreich“ – schreibt: „Sarrazin belegt seine Thesen mit realen Fakten und Zahlen.“[3] Darüber hinaus erweckt Sarrazin den Anschein, sich auf anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen. Das Buch weist einen umfangreichen Fußnotenapparat auf, und Sarrazin verwendet immer wieder Formulierungen wie „es lässt sich zeigen, dass…“, „empirische Evidenz“, „aktueller Forschungsstand“ oder „in der Sache unstreitig“, die bei dem Leser den Eindruck erwecken, Sarrazin stütze sich auf den Stand der Forschung. An einigen Stellen maßt Sarrazin sich sogar an, über die „Seriösität“ von Wissenschaft ein Urteil abgeben zu können (S. 93, 98, 351).

Schauen wir uns doch einmal genauer an, wie Sarrazin arbeitet.

Sarrazins zentrale These lautet, „dass Deutschland kleiner und dümmer wird“ (S. 17). Die Begründung findet sich auf Seite 91f.: Intelligenz sei, so Sarrazin, „zu 50 bis 80 Prozent erblich“. Es seien aber die wenig intelligenten Angehörigen der Unterschicht sowie die wenig intelligenten (Sarrazin sagt „bildungsfernen“) Migranten „aus der Türkei, dem Nahen Osten und aus Afrika“, die im Gegensatz zu den intelligenten Angehörigen der deutschen Oberschicht besonders hohe Geburtenziffern aufwiesen. „Deshalb bedeutet ein schichtabhängig unterschiedliches generatives Verhalten leider auch, dass sich das vererbte intellektuelle Potential der Bevölkerung kontinuierlich verdünnt. Dieser qualitative Effekt wirkt sich langfristig entscheidend auf die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft aus.“ (S. 91f.)

Besonders deutlich wird Sarrazin auf Seite 353:
„Die qualitativen Verschiebungen in der Geburtenentwicklung Deutschlands und deren langfristige Folgen, nämlich
–          relative Zunahme bildungsferner autochthoner Schichten
–          Zunahme des Anteils bildungsferner Migranten
–          starke Abnahme der Nachfahren bildungsnaher Schichten
–          homogame Partnerwahl der bildungsnahen Schichten

bewirken, dass der Anteil wie auch die Anzahl der intelligenteren Glieder in der deutschen Gesellschaft abnehmen wird, während der Anteil der nach heutigen Maßstäben unterdurchschnittliche Intelligenten wächst.“

Schauen wir uns einmal genauer an, mit welchen „Zahlen und Analysen“ Sarrazin seine Behauptungen zu belegen versucht.

Da heißt es auf S. 91 „Bei den Migranten wurde bereits gezeigt, dass jene Migrantengruppen besonders viele Nachkommen haben, die als besonders bildungsfern eingestuft werden müssen, also vor allem die Migranten aus der Türkei, dem Nahen Osten und aus Afrika (vgl. Tabelle 3.1).“ Die Formulierung „wurde bereits gezeigt“ sowie der Verweis auf Tabelle 3.1 erwecken den Eindruck, als habe er diese These mit „Daten und Fakten“ belegt. Der durchschnittliche Leser wird sich an dieser Stelle nicht mehr an Tabelle 3.1 erinnern können, denn sie ist 30 Seiten vorher abgedruckt. Macht man sich aber die Mühe,  Tabelle 3.1 nachzublättern, so erkennt man, dass Tabelle 3.1 die These überhaupt nicht belegt, sondern lediglich aufführt, wie viele Migranten aus welchem Land kommen und welche Altersverteilung sie haben.

Dass Sarrazin keine „Daten und Fakten“ zitiert, hat seinen Grund: Die Daten stützen seine These nämlich nicht. So ist die Fruchtbarkeitsziffer der türkischen Migrantinnen in Deutschland zwischen 1975 und 1993 von 4,3 auf 2,5 Kinder zurückgegangen, bei Türkinnen in der Türkei im gleichen Zeitraum von 5,1 auf 2,8 Kinder.[4] Der große Unterschied tritt zwischen der ersten und der zweiten Zuwanderergeneration auf. Liegt bei den türkischen Migrantinnen der ersten Generation der Anteil der Frauen mit mehr als zwei Kindern noch bei 59%, so haben nur noch 34 % der türkischen Migrantinnen der zweiten Generation mehr als zwei Kinder.[5]

Diese Erscheinung gehört zum Standardwissen der Demographie und wird als „demographischer Übergang“ bezeichnet. In vorindustriellen Gesellschaften ohne staatliche soziale Sicherungssysteme ist die Geburtenziffer hoch, weil Kinder die Altersversorgung bilden und wegen der hohen Kindersterblichkeit auch viele Kinder geboren werden müssen. In Industriegesellschaften mit leistungsfähiger sozialer Sicherung sinkt die Geburtenziffer eine Generation, nachdem die Kindersterblichkeit zurückgegangen ist. In Deutschland hat dieser demographische Übergang zwischen 1890 und 1930 stattgefunden, in der Türkei zwischen 1970 und 2010, und bei den türkischen Zuwanderinnen zwischen der ersten und zweiten Generation auch etwa zwischen 1970 und 2000.

Übrigens passen die Türkinnen ihr generatives Verhalten etwa doppelt so schnell an die in Deutschland übliche Fruchtbarkeit an als die Italienerinnen, bei denen der Anteil der Frauen mit mehr als zwei Kindern zwischen der ersten und der zweiten Gastarbeitergeneration „nur“ von 44% auf 33% gesunken ist.[6] Dieser Befund spricht nicht gerade für Sarrazins wiederholte Ansicht, die Türken stellten eine besonders anpassungsunwillige Migrantengruppe dar.

Die Geburtenrate ist also keine Eigenschaft einer Volksgruppe, wie Sarrazin meint, sondern hängt von dem gesellschaftlichen Umfeld ab, in dem man lebt. Die Migrantinnen, auch diejenigen aus der Türkei, haben ihr generatives Verhalten bereits binnen einer einzigen Generation weitgehend an das der Deutschen angepasst und werden es weiter annähern, bis keine Unterschiede mehr feststellbar sind.

Ebenfalls auf Seite 91 kommt eine zweite Kernthese: „Intelligenz ist aber zu 50 bis 80 Prozent erblich.“ Die Aussage klingt präzise, wird aber von Sarrazin an dieser Stelle nicht belegt. Stattdessen leitet er aus ihr seine zentrale Schlussfolgerung ab: „Deshalb bedeutet ein schichtabhängig unterschiedliches generatives Verhalten leider auch, dass sich das vererbte intellektuelle Potential der Bevölkerung kontinuierlich verdünnt.“ (S. 91f.) Dies ist die Kernthese des ganzen Buchs. Was Sarrazin meint, ist klar: Migranten aus der Türkei, dem Nahen Osten und aus Afrika seien von ihrem genetischen Potential her weniger intelligent als Deutsche und würden deshalb dümmere Kinder hervorbringen. Und weil die Intelligenz im wesentlichen erblich sei, könne man auch nichts dagegen tun.

Auf den folgenden Seiten versucht Sarrazin seine Behauptung, dass Intelligenz erblich sei, an mehreren Beispielen zu veranschaulichen. Er beginnt tatsächlich mit dem Hinweis, dass „jeder Hunde- oder Pferdezüchter“ davon lebe, dass Tiere unterschiedlich intelligent seien und dass diese Unterschiede erblich seien (S. 92).

Dann, auf Seite 93, wird die zwei Seiten zuvor geäußerte Behauptung wiederholt: „Unter seriösen Wissenschaftlern besteht heute zudem kein Zweifel mehr, dass die menschliche Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent erblich ist.“ Jetzt wird diese Behauptung mit einer Fußnote belegt (Fußnote 64 zu Kapitel 3). Schlagen wir die Fußnote nach, lesen wir ein wörtliches Zitat aus einer wissenschaftlichen Quelle, die tatsächlich seriös ist.[7]

In der Originalquelle heißt es: „1. Die hohen Langzeitstabilitäten in der Intelligenzleistung, die bereits in der frühen Kindheit um r = .50 betragen und ab der späten Kindheit auf über r = .80 ansteigen, sprechen für das Vorliegen eines stabilen Persönlichkeitsmerkmals.“ (S. 417f.) Hier tauchen also die Werte 0,50 und 0,80 auf – aber es sind keine Prozentsätze, sondern es handelt sich hier um den Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten nach Bravais/Pearson, das in der Statistik am häufigsten verwendete Zusammenhangsmaß. Tatsächlich kann man eine Korrelation auch in Prozent ausdrücken, nämlich wie viel Prozent der Varianz der abhängigen Variable durch die unabhängige erklärt werden. Dieses Maß wird vom Determinationskoeffizienten R2 angegeben, dieser ist aber das Quadrat von r, in unserem Fall also 0,25 und 0,64. Wenn hier etwas variiert, dann ist es nicht zwischen 50 bis 80 Prozent, sondern zwischen 25 und 64 Prozent.

Genau der gleiche Fehler, nämlich r mit R2 zu verwechseln, findet sich auf Seite 98. Auch hier spricht Sarrazin von einer Korrelation der Intelligenz getrennt aufgewachsener eineiiger Zwillinge von „78 Prozent“. Die Fachliteratur[8] spricht dagegen von Korrelationskoeffizienten von r = 0,67 (was einem R2 von 45% entspricht) bis r = 0,78 (R2 = 61%), was auch nicht übermäßig viel sagt, weil die sozioökonomischen Kontexte, in denen getrennte Zwillinge aufwachsen, häufig im Hinblick auf die Lernbedingungen nicht dramatisch unterschiedlich sind, zumindest keine Migrationserfahrung beinhalten.

Der Unterschied zwischen den Koeffizienten r und R2 ist keine höhere Wissenschaft, sondern Gegenstand jeder Einführung in die Statistik, wie sie Thilo Sarrazin in seinem Volkswirtschaftsstudium absolviert hat. Deshalb kann man hier wohl davon ausgehen, dass es sich um eine bewusste Irreführung des wissenschaftlich nicht vorgebildeten Lesers handelt.

Noch bedeutsamer ist, dass der zitierte Satz Sarrazins Behauptung auch inhaltlich nicht stützt. Bei der zitierten Korrelation geht es überhaupt nicht darum, wie viel Intelligenz erblich ist, sondern lediglich darum, dass Intelligenz ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal darstellt, das sich in der Entwicklung eines Kindes nur wenig ändert, und zwar umso weniger, je älter das Kind ist, oder, im Umkehrschluss, umso stärker, je jünger das Kind ist. Bei jüngeren Kindern gibt es also – positive oder negative – Einflüsse auf die Entwicklung der Intelligenz, die über die erbliche Veranlagung hinausgehen. Das ist aber genau das Gegenteil von dem, was Sarrazin behauptet.

Das Zitat in Fußnote 64 geht weiter und scheint auf den ersten Blick Sarrazins Behauptung zu stützen: „2. In Kulturkreisen, in denen Kindern weitgehend alle Lerngelegenheiten offen stehen, können mindestens 50% der Varianz in der Intelligenztestleistung durch die genetischen Unterschiede erklärt werden.“ (S. 418) Ausgerechnet die Einschränkung, die die Autoren vornehmen, ist aber für Sarrazins Argumentation zentral: Die Erblichkeit der Intelligenz gilt nur, wenn den Kindern alle Lerngelegenheiten offen stehen.

Dass dies für Migrantenkinder und Kinder aus sozial schwachen Familien gerade nicht der Fall ist, hat die von Sarrazin an anderer Stelle durchaus zu Kenntnis genommene PISA-Studie eindrucksvoll bestätigt: In keinem anderen Land haben Migrantenkinder und Kinder aus sozial schwachen Familien so schlechte Chancen, ihre angeborene Intelligenz zu entwickeln wie in Deutschland.[9] In anderen Ländern können Migrantenkinder deutlich bessere Bildungserfolge erreichen.

Es ist genau die PISA-Studie, die belegt, dass die schlechten Bildungserfolge von Migrantenkindern eben nicht erblich sind. Vielmehr spielen zwei Faktoren eine Rolle:

Erstens die mangelhafte Frühförderung der Kinder durch die Eltern, die durch die Migrationssituation und/oder durch Sprachbarrieren nicht in der Lage sind, die Intelligenzentwicklung von Kleinkindern in dem Maße zu fördern, in dem das in Familien der Mittelschicht üblich ist oder das durch die stärker auf Bildung ausgerichteten Vorschuleinrichtungen in anderen Ländern erfolgt.

Und zweitens das deutsche Schulsystem, das nicht in der Lage ist, Kindern, die bei der Einschulung nur mangelhaft deutsch sprechen, gute Bildungschancen zu bieten. Ein sechsjähriges türkisches Kind, das kaum deutsch spricht, wird auch im Sachkunde- und Rechenunterricht scheitern, weil es dem Unterricht nicht folgen kann. In dem auf Selektion und nicht auf Förderung ausgerichteten Schulsystem entsteht so in der Grundschulzeit ein Lernrückstand, der nicht mehr aufgeholt werden kann. Die Talente, die Migrantenkinder mitbringen, werden durch die Unzulänglichkeiten des deutschen Schulsystems systematisch vergeudet.

Der Harvard-Professor Richard Lewontin hat den Zusammenhang zwischen angeborener Intelligenz und sozialem Umfeld mit folgender Analogie veranschaulicht:

Man stelle sich vor, man teile einen Sack mit Weizenkörnern zufällig in zwei Hälften und streue die eine Hälfte auf fruchtbaren, die andere Hälfte auf unfruchtbaren Boden. Betrachtet man nur den fruchtbaren Acker, so wird man, nachdem die Pflanzen ausgewachsen sind, Unterschiede in der Größe der Ähren feststellen und diese richtigerweise auf genetische Unterschiede der Samenkörner zurückführen. Betrachtet man die insgesamt mickrigeren Halme auf dem unfruchtbaren Acker wird man dort ebenfalls genetisch bedingte Unterschiede finden. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Unterschiede zwischen der durchschnittlichen Größe der Ähren auf dem fruchtbaren und dem unfruchtbaren Boden ebenfalls genetisch bedingt sind.

Genau diesen Fehlschluss begeht Sarrazin. Er sieht die Unterschiede zwischen den Bildungsleistungen deutschstämmiger und türkischstämmiger Schüler und führt diese auf genetische Unterschiede zurück, obwohl er weiß, dass es die Migrantenkinder – allein aufgrund der Sprachbarrieren – im Schulsystem viel schwerer haben.

In der psychologischen Fachliteratur ist natürlich zu lesen, dass ein Teil der Intelligenz angeboren ist. Aber Erziehung und Bildung können für eine Variation von immerhin 20 IQ-Punkten verantwortlich sein – das entspricht dem Unterschied zwischen einem durchschnittlichen Hauptschüler und einem durchschnittlichen Abiturienten.[10]

Als Kronzeugen für seine Argumente führt Sarrazin die US-amerikanischen Autoren Herrnstein und Murray an, die er wiederholt zitiert (Fußnote 61, 78, 79, 84, 86, 87, 88).[11] Mit diesen Autoren versucht Sarrazin folgende Aussagen zu belegen:

  • Frauen, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, tendierten dazu, „die Schar ihrer Kinder noch zu vergrößern“ (S. 91).
  • Intelligenz sei teilweise erblich und nicht auf die sozialen und politischen Verhältnisse zurückzuführen (S. 97).
  • Der Einfluss der (angeborenen) Intelligenz auf den Schulerfolg sei größer als der des sozio-ökonomischen Hintergrunds (S. 97).
  • Der gemessene Zusammenhang der Intelligenz von Ehepaaren liege zwischen 40 und 45 Prozent (wieder der Fehler, Korrelationen in Prozenten zu messen) (S. 99).
  • Es gebe eine 90prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus einer Unterschichtsfamilie mit einem Durchschnitts-IQ der Armut entkommt (S. 99).

Durch das häufige Zitieren dieser Quelle erweckt Sarrazin den Eindruck, er stütze sich auf seriöse Forschungsergebnisse. Formulierungen wie „es lässt sich zeigen, dass…“ (S. 97) legen dem Leser nahe, es handele sich um allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse. Aber welche Quelle hat Sarrazin sich da ausgesucht, die er derart prominent in den Mittelpunkt seines Buchs stellt?

  • Professor Michael Nunley, Anthropologe an der University of Oklahoma, schrieb: “Ich glaube, dieses Buch ist eine Fälschung, und die Autoren müssen es gewusst haben … Nach sorgfältigem Lesen kann ich nicht glauben, dass es den Autoren nicht bewusst war, wie sie ihr Material verfälscht haben.“
  • Professor Leon Kamin, ehemaliger Dekan der Fakultät für Psychologie der Princeton University, nannte das Buch „einen Missbrauch der Wissenschaft.”
  • Professor Howard Gardner, Psychologe an der Harvard University, Graduate School of Education, bezeichnete das Buch als “ein akademisches Spiel mit dem Feuer“, weil die Autoren selber nie sagen, dass Intelligenz angeboren ist, dass sie aber den Leser verleiten, eben dies zu folgern (was Sarrazin auch tut).
  • Der Journalist Bob Herbert beschrieb das Buch in der New York Times gar als “ein geschmackloses Stück rassischer Pornographie, das sich als seriöse Wissenschaft maskiert.“[12]

Diese Aussagen dokumentieren, dass Sarrazins Quelle höchst umstritten ist. Das war ihm selber nicht entgangen, wie er in einer Fußnote anmerkt. Aber wie geht Sarrazin mit dieser Kritik um? „Dieses sehr erfolgreiche Buch löste eine heftige Diskussion aus und traf auf eine große Welle öffentlicher Kritik. Diese konzentrierte sich aber auf das Grundsätzliche und Ideologische.“ (S. 419)

Das ist ein weiterer Beleg für Sarrazins Methode, jegliche Kritik an seinen Thesen als „ideologisch“ abzuqualifizieren. Tatsächlich war die Kritik an Herrnstein/Murray alles andere als ideologisch.

Ein Team von Wissenschaftlern der University of California, Berkeley, prüfte die statistische Methodologie von Herrnstein/Murray und kam zur Schlussfolgerung, dass die von Sarrazin behauptete These, dass (angeborene) Intelligenz wichtiger sei als die sozio-ökonomische Herkunft, im wesentlichen ein Effekt einer von Herrnstein/Murray vorgenommenen Datenmanipulation sei.[13]

Sanders Korenman vom National Bureau of Economic Research und Christopher Winship von der Harvard University wiesen ebenfalls gravierende methodische Fehler nach.[14]

Und James Heckmann, immerhin Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften, kritisierte, dass Herrnstein/Murray mit der Absicht, ihre Theorie zu stützen, das falsche Testverfahren für die Intelligenzmessung benutzt haben, obwohl sie wussten, dass ein besseres zur Verfügung gestanden hätte.[15]

Diese Kritiken kann man wohl kaum als „grundsätzlich“ oder „ideologisch“ bezeichnen.

Am Ende setzte die zuständige wissenschaftliche Fachgesellschaft, die American Psychologist Association, sogar eine Task Force ein, um Herrnstein/Murrays Thesen (auf die sich Sarrazin stützt) zu überprüfen. Zur Frage, ob es angeborene Intelligenzunterschiede zwischen Rassen gibt (was Sarrazin im Anschluss an Herrnstein/Murray behauptet), kam die Fachgesellschaft zu folgender Schlussfolgerung:

“Es gibt nicht viele direkte Belege zu diesem Punkt, aber das wenige, das es gibt, unterstützt nicht die genetische Hypothese.”[16] Eine beachtenswerte Untersuchung zu diesem Thema stammte übrigens aus Deutschland: Bei Kindern, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Verbindungen zwischen Besatzungssoldaten und deutschen Frauen hervorgingen, gab es keine Unterschiede in der Intelligenz zwischen den Kindern weißer und schwarzer Väter.[17] Schwarze Kinder, die in Ghettos aufwuchsen, hatten schlechte Testergebnisse, schwarze Kinder, die in deutsche Schulen gingen, dagegen nicht.

Sarrazin scheut nicht davor zurück, seine Behauptung, Intelligenz sei erblich, mit dem Verweis auf die angeblichen Erbmerkmale von Juden zu begründen (S. 93 bis 97). Sarrazin behauptet allen Ernstes, „bereits die frühe Intelligenzforschung“ habe bei Juden europäischer Provenienz einen um 15 Punkte höheren IQ festgestellt (S. 93, wiederholt auf S. 97). Eine Quelle für diese Behauptung nennt er nicht. Stattdessen führt er überproportionale Anteile von Juden unter Wissenschaftlern und Künstlern als Beleg an, die er in sozialdarwinistischer Manier durch hohen „Selektionsdruck“ (S. 95) erklärt.

Dass Juden intelligenter seien, ist ein klassisches antisemitisches Vorurteil, das direkt zur nationalsozialistischen Judenvernichtung beigetragen hat.[18]

Interessanterweise steht diese deutsche Sicht in striktem Kontrast zu Erkenntnissen aus den USA. Dort haben nämlich Juden zur Zeit des Ersten Weltkriegs (als erstmals massenhaft Intelligenztests durchgeführt wurden) in den Tests regelmäßig eine niedrigere Intelligenz gezeigt als der amerikanische Durchschnitt, wie überhaupt europäische Einwanderer – also auch Deutsche – eine geringere Intelligenz gezeigt hatten.[19] Einen klareren Beleg, dass Intelligenz keine Frage der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder Rasse, sondern eine Frage der sozio-ökonomischen Lebensumstände und Bildungschancen ist, kann es wohl kaum geben. Im übrigen ist die Erklärung für den hohen Judenanteil unter Wissenschaftlern und Künstlern ziemlich nahe liegend: Während talentierte Nichtjuden in Militär und Verwaltung Karriere machen konnten, blieb talentierten Juden nur die Option, in das Bankwesen, die Wissenschaft oder die Kunst zu gehen, weil diese Bereiche weitgehend frei von Diskriminierung waren.

Türkischstämmige (und arabischstämmige und afrikanischstämmige etc.) Migranten in Deutschland weisen nicht deshalb im Durchschnitt schlechtere Bildungsergebnisse auf, weil sie, wie Sarrazin behauptet, eine schlechtere genetische Veranlagung hätten, sondern weil das deutsche Bildungssystem nicht in der Lage ist, die besonderen Belastungen der Migrationssituation auszugleichen.

Von den „Daten und Fakten“, die Sarrazin bringen will, bleibt nach gründlicher Analyse nicht mehr viel übrig. Vielmehr ist das Buch von Verfälschungen, Unterschlagung von Wissen, zweifelhaften Quellen und Fehlschlüssen geprägt.

  • Verfälschend ist beispielsweise die Praxis, Korrelationskoeffizienten als Prozente auszugeben, um sie nach oben zu manipulieren. Eine Verfälschung ist auch, „angeboren“ mit „erblich“ zu verwechseln.
  • Unterschlagen werden beispielsweise die statistischen Daten zur Angleichung des generativen Verhaltens oder zu den Auswirkungen von Förderung und Erziehung auf Intelligenz und Bildungsleistungen.
  • Zweifelhafte Quellen sind extrem umstrittene Arbeiten wie die von Herrnstein/Murray oder wie die des auf S. 353 zitierten Eugenikers Richard Lynn.
  • Ein Fehlschluss ist, dass die schlechten Bildungsleistungen von Migranten- oder Unterschichtskindern auf erbliche Intelligenzdefizite bestimmter Bevölkerungsgruppen zurückzuführen seien. Ein Fehlschluss ist auch die zentrale These, dass die deutsche Bevölkerung immer dümmer werden würde, weil die Prämisse, dass die Migranten und Unterschichtsangehörigen weniger intelligente Erbanlagen hätten, nicht zutrifft.

Worauf Sarrazin mit seinem Buch abzielt, lässt sich auf Seite 93 lesen. Dort schreibt er, dass die evangelische Kirche seit der Reformation „die intelligentesten Knaben für die geistliche Laufbahn ausgewählt“ habe. Da „evangelische Pfarrersfamilien traditionell sehr kinderreich“ gewesen seien, habe sich diese Auslese darin niedergeschlagen, dass ein Pool von besonders intelligenten Menschen gezüchtet worden sei, aus dem sich „ein erstaunlich großer Teil der deutschen wissenschaftlichen Elite“ rekrutiert habe, während die katholische Kirche durch den Zölibat die Vermehrung der Intelligenzgene verhindert habe.

Abgesehen davon, dass diese Behauptungen (wieder einmal) nicht belegt und im übrigen auch falsch sind (nicht die evangelische Kirche hat Knaben ausgewählt, sondern häufig wurden die drittgeborenen Knaben von ihren Eltern in die geistliche Laufbahn entsandt), legt diese Passage Sarrazins Vorstellung von einem idealen Deutschland offen: Ein totalitäres System, das Menschen mit ihren Erbanlagen so züchtet, wie dies Hunde- und Pferdezüchter tun. Das nennt sich „Eugenik“ – der Erfinder dieses Begriffs, Francis Galton, wird von Sarrazin hoch gelobt (S. 92f.) – oder auf deutsch „Rassenhygiene“ und diente zur Zeit des Nationalsozialismus zur Rechtfertigung von Zwangssterilisierungen, Euthanasie und Völkermord.

Kontakt:
Prof. Dr. Volker Eichener
Rektor der EBZ Business School – University of Applied Sciences
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Tel. 0234-9447-700
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v.eichener@ebz-bs.de
www.ebz-business-school.de


[1] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/08/23/thilo-sarrazin/deutschland-immer-aermer-und-duemmer.html, zugegegriffen am 29.8.2010.

 

[2] http://www.amazon.de/Deutschland-schafft-sich-unser-setzen/dp/3421044309/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1283114738&sr=8-1, zugegriffen am 29.8.2010.

[3] http://www.amazon.de. Kundenrezensionen zum Buch von Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. Abgerufen am 28.8.2010.

[4] Nadja Milewski: Fertility of Immigrants. A Two-Generational Approach in Germany. Diss., Heidelberg et. al. 2010, S. 59.

[5] Ebda., S. 98.

[6] Ebda.

[7] Elsbeth Stern/Jürgen Guthke: Perspektiven der Intelligenzforschung. Lengerich 2001, S. 9.

[8] Amelang, M. et al: Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. 6. Auflage Stuttgart 2006, S. 463; Asendorpf, J.: Psychologie der Persönlichkeit. 4.Aufl. Heidelberg 2007.

[9] Jürgen Baumert u. a.: PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Deutsches PISA-Konsortium. Opladen 2001.

[10] Gerhard Roth: Wer oder was bestimmt unser Handeln? Beobachtungen zur Zeit Nr. 7, Warburg, 2006, S. 9.

[11] Herrnstein, Richard/Murray, Charles: The Bell Curve – Intelligence and Class Structure in America. New York 1994.

[12] Alle Zitate nach http://en.wikipedia.org/wiki/The_Bell_Curve, eigene Übersetzung.

[13] Claude S. Fischer, Michael Hout, Martín Sánchez Jankowski, Samuel R. Lucas, Ann Swidler, & Kim Voss: Inequality by Design: Cracking the Bell Curve Myth. Princeton 1996.

[14] Korenman, Sanders and Winship, Christopher: A Reanalysis of The Bell Curve”. NBER Working Paper Series, Vol. w5230, 1995.

[15] Heckman, James J.: Lessons from the Bell Curve. Journal of Political Economy 103 (5), 1995, S. 1091–1120.

[16] Ulrich Neisser et al.: Intelligence: Knowns and Unknowns. American Psychologist, February 1996,  S. 95.

[17] Ebda.

[18] vgl. Sander L. Gilman: Die schlauen Juden. Über ein dummes Vorurteil. Berlin 1998.

[19] Sowell, Thomas: Ethnicity and IQ. The American Spectator 28 (2), 1995.

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Ich möchte nochmals betonen daß jedwedes Recht an diesem Text bei der Quelle liegt.