Florian Freistetter hat in seinem Blog auf die Tatsache verwiesen, daß es in der Wissenschaft und in wissenschaftlichen Berufen immer mehr üblich ist, exorbitante Arbeitszeiten zu leisten und die eigene Freizeit immer weiter einzuschränken. Das beklagt er – zu Recht – als einen im Grunde unhaltbaren Zustand. Dabei ist das im privatwirtschaftlichen Bereich schon länger normal.
Immer mehr meiner ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen sind inzwischen in ihren Berufen unterwegs – manche noch in der letzten Ausbildungsphase, genannt Referendariat, manche schon seit einigen Jahren im Beruf selbst. Nicht viele davon haben den Sprung in eine wissenschaftliche Karriere gewagt oder geschafft, alleine schon wegen der zum Teil geradezu unterirdisch schlechten Bezahlung und der letztendlich prekären Verhältnisse. Hinzu kommt, daß Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen Ländern mit am wenigsten für unbefristete Stellen ausgibt – wir liegen da nun wirklich am untersten Rand.
Viele erzählen mir, daß Überstunden ganz normal sind und auch vom Arbeitgenber in aller Regel gefordert werden. Normalerweise müssen sie irgendwann abgebummelt werden weil der Arbeitgeber kein Interesse daran hat, sie zusätzlich zu bezahlen – nicht selten wird damit dann zum Beispiel der Jahresurlaub verlängert opder so. Dagegen gibt es auch gar nichts zu sagen. Andere Fälle gibt es aber auch: Eine Bekannte von mir hat ganz klassisch eine Banklehre gemacht und arbeitet seither in einem größeren Geldinstitut; mittlerweile im Bereich Investment und dort irgendwo in der Kundenbetreuung. Die Arbeitszeit beträgt regulär 42 Stunden in der Woche, das sind erst rinmal die normalen 8,5 Stunden von Montag bis Donnerstag und acht Stunden am Freitag. Nun aber geht es los: Viele Kunden sind nicht aus Deutschland, daher ist die Betreuung wenn nicht per Mail dann nur telefonisch in den Abendstunden zu amchen. Bis sie die zehn Stunden voll hat bekommt sie die Überstunden angerechnet, danach nicht mehr.
In der freien Wirtschaft wie auch in der Wissenschaft gelten nämlich in Deutschland eigentlich bestimmte Regeln. In § 3 S. 2 ArbZG (Arbeitszeitgesetz) wird festgelegt, daß ein Arbeitnehmer im, Regelfall maximal 10 Stunden am Tag arbeiten darf; Ausnahmen hiervon sind Notfälle (Wäre schon blöd wenn der Feuerwehrmann mit nem freundlichen Gruß aus dem brennenden Gebäude in den Feierabend geht) und leitende Angestellte, für die andere Zeiten gelten. Tatsächlich sammeln sich in Deutschland irrwitzige Summen an Überstunden an, der bis 2009 mit dem Tiefststand rückläufige Trend geht derzeit wieder steil nach oben:
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2011 hatten die Deutschen also eine Gesamtmenge von 1.393.300.000 Überstunden zusammengesammelt. Ja, das sind knapp 1,4 Milliarden. Fleißig sind sie, diese Deutschen… Bezahlt werden diese Überstunden wenig; Laut Financial Times Deutschland erhalten 55% der deutschen Arbeitnehmer keinen finanziellen Ausgleich, 30% werden mit zusätzlichem Urlaub abgegolten. Der Rest?
Es gibt immer mehr Arbeitsverträge, die eine Mehrarbeit ohne Ausgleich ausdrücklich mit einschließen. Und selbst wenn es nicht im Arbeitsvertrag steht: Die eben erwähnte Dame in der Bank hat da noch einen ganz anderen Druckpunkt dahinter. Jedes Jahr werden die Gewinne der einzelnen Abteilungen gemessen und die Leistungssteigerung gegenüber der erwarteten Steigerung gesetzt. Leistet eine Abteilung nicht genug, so sind Entlassungen die Folge, damit die Bilanz der entsprechenden Abteilung stimmt. Wer sich also nicht freiwillig mißbrauchen lässt, den erwischt die nächste Kündigung. Begründet werden muß das ja nur aus betriebswirtschaftlicher Maxime, wehren kann sich der Angestellte kaum.
Ein weiteres Phänomen sind die modernen Geräte: Jedes Mobiltelefon kann heutzutage eine durchschnittliche Office-Anwendung, kaum einer hat zuhause keinen Computer oder Laptop. Damit kann der Arbeitnehmer nun „Arbeit mit nach Hause nehmen“, was weder aufgezeichnet, noch vergütet wird. Die Familie kann in solchen Umständen kaum noch stattfinden, gesund ist das Ganze ohnehin nicht mehr. Das ist nicht in allen Berufen möglich, aber überall dort wo Büroarbeit zu tun ist kann mit Hilfe von Heimarbeit Büroarbeit auch außerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Grenzen stattfinden.
Überstunden in der Wissenschaft sind deswegen ein interessantes Phänomen, weil der Wissenschaftler primär mit dem Kopf arbeitet und dieser durch längere Zeiten auch nicht produktiver ist. Im Gegenteil: Die nachts um halb elf noch immer im Büro sitzen leisten mutmaßlich gar nichts für Firma, Forschung und Karriere sondern sitzen nur im Büro. Der Fetisch, daß längere Arbeitszeiten gut sind (sollen sogar Arbeitsplätze schaffen! Was für ein Witz..!) und man deswegen durch Mehrarbeit seine Bereitschaft, statt Privatleben sich lieber dem Geschwätz eines Hans-Werner Sinn unterzuordnen, darstellen muß, sollte endlich einmal beendet werden.