Immer wieder liest man, der arme deutsche Steuerzahler wäre der „Zahlmeister Europas„, da Deutschland ja der größte Nettozahler der Europäischen Union ist. Wenn sich ein Politiker aus einem Umfragetief befreien will, wettert er dagegen. Das blöde ist nur: Es stimmt einfach nicht.
Deutschland zahlt zwar tatsächlich den größten Betrag ein, gemessen an den Ausgaben pro Kopf beziehungsweise am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland allerdings eher im Mittelfeld. Der Guardian hat den neuesten Bericht der EU-Kommission (hier als xls) kommentiert und natürlich vor allem hinsichtlich der Interessen des UK aufgeschlüsselt. Letztendlich hat sich im Vergleich zu 2010 (hier als pdf) nicht viel getan; Letztendlich gibt es 2011 insgesamt 9 Geberländer (also Nettozahler) und 18 Nehmerländer (Also Nettoempfänger).
Die Zahlen sind aber nur eine Seite der Medaille: Sieht man sich die Zahlen bezüglich der Geber- und Nehmerländer mal in der Kopfstärke an, gewinnt der Begriff der europäischen Solidarität gleich eine ganz andere Bedeutung. Blicken wir erstmal auf die nackten Zahlen (die des Guardian), denn Zahlen lügen nicht – nur die Art, wie sie interpretiert werden: (Hier als pdf downloaden )
Hier zeigt uns der erste Blick schon, daß Deutschland mit einem Anteil von 0,75% des BIP tatsächlich deutlich weniger als der Durchschnitt bezahlt (0,87% des BIP). Pro Kopf gesehen bezahlt Deutschland allerdings mehr als der Durchschnitt. Pro Kopf am meisten erhält interessanter Weise Luxemburg, am wenigsten Großbritannien. (Kroatien steht zwar dabei, wird aber erst im Juli 2013 der EU beitreten)
Interessant ist auch die Tabelle, wenn man mal die Einwohnerzahlen nebeneinander hält. Dann stellt man nämlich fest, daß im Gegensatz zu der Behauptung, eine Minderheit müsse eine Mehrheit finanzieren (wie es sich aus der Länderverteilung ergeben würde), eher eine große Mehrheit eine Minderheit mitfinanziert.
Geberländer | Einwohner |
---|---|
Dänemark | 5.580.729 |
Deutschland | 81.903.000 |
Finnland | 5.404.956 |
Frankreich | 65.447.374 |
Italien | 60.626.442 |
Niederlande | 16.680.000 |
Österreich | 8.460.390 |
Schweden | 9.514.406 |
Vereinigtes Königreich | 61.792.000 |
Insgesamt | 315.409.297 |
Nehmerländer | Einwohner |
Belgien | 10.951.266 |
Bulgarien | 7.364.570 |
Estland | 1.340.021 |
Griechenland | 9.903.268 |
Irland | 4.581.269 |
Lettland | 2.074.605 |
Litauen | 2.988.381 |
Luxemburg | 524.853 |
Malta | 417.608 |
Polen | 38.501.000 |
Portugal | 10.602.000 |
Rumänien | 19.042.936 |
Slowakei | 5.404.322 |
Slowenien | 2.057.660 |
Spanien | 47.212.990 |
Tschechische Republik | 10.526.685 |
Ungarn | 10.005.000 |
Zypern | 1.120.489 |
Insgesamt | 184.618.923 |
Summe aller EU-Bürger | 500.028.220 |
Also von wegen Minderheit bezahlt eine Mehrheit oder so ein Quatsch. 315 Millionen finanzieren 184 Millionen mit, das ist ein Verhältnis von 1,68:1; Anders formuliert: 37,4% der EU Bürger müssen von 62,6% unterstützt werden. Jeder Bürger aus den Nehmerländern wird von fast zwei Bürgern aus den Geberländern unterstützt.
Die EU ist auch eine Solidargemeinschaft. Das bedeutet, daß die Reichen die Armen unterstützen und das muß ja nicht gleich komplett altruistisch sein – durch die wachsende Wirtschaft am Ziel haben wir ja letztendlich auch Handelsvorteile.
Eines noch zum Schluß: Deutschland zahlt übereinstimmenden Presseberichten zufolge etwa 9 Milliarden Euro pro Jahr in die EU mehr ein, als es herausbekommt. Das sind 109,88€ pro Bürger und Jahr, 9,15€ im Monat und 30 Cent am Tag. Soviel könnten uns doch 60 Jahre Frieden und Freiheit wert sein, oder?