Die Türkei wünscht sich schon seit langem den Beitritt zur Europäischen Union. Davon verspricht sich das Land wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Vorteile. Europa steht dem Thema recht skeptisch gegenüber, insbesondere die christlichen Parteien wollen eigentlich nicht, daß ein muslimisch geprägtes Land im Christenclub mitmachen darf.
Erst im Februar war die deutsche Bundeskanzlerin wieder einmal in der Türkei und hat mit Premierminister Erdogan gesprochen. Dabei hat sie ihm, das muß man mal fassen, „ehrliche Verhandlungen“ versprochen – also ist das anscheinend etwas besonderes. „Ergebnisoffen“ kam auch vor, scheint also auch etwas selteneres zu sein.
Erdogan hatte im Gegenzug versprochen, die Türkei umfassend zu modernisieren. Wörtlich sagte er, er bereite „eine ganz andere Türkei“ für die kommenden Generationen vor. Passenderweise wird ihm stets eine antidemokratische Politik vorgeworfen, die Hinwendung zum modernen, postdemokratischen Europa läuft also.
Sicherlich wird sich die Türkei in den letzten Jahren angeschaut haben, wie das moderne, christliche Europa denn so entwickelt ist und wie es mit den Problemen, die Regierungen im Alltag haben, so umgeht. Und dann hat man das sofort und umgehend kopiert. Zum Beispiel mit Meinungsfreiheit, wenn es um Bauprojekte geht. Da blickte man in Istanbul mal über den Bosporus und schaute nach, wie man das unter Christen so regelt mit der Meinungsfreiheit und dem Demonstrationsrecht. Und siehe da, man fand tolle Beispiele in Wackersdorf, Stuttgart oder jetzt auch in Frankfurt und dachte bei sich: Na klar, das können wir auch. Und ganz in christlich-abendländischer Tradition schoß also auch die türkische Polizei auf Bürger, die nicht wollen daß da einer Bäume fällt.
Natürlich quatscht Erdogan nun von radikalen und gefährlichen Spinnern, die da herumstehen und den Fortschritt behindern wollen. Extremisten sind das, sagt er. Klar. Denn sie sind die Verlierer der boomenden Wirtschaftsmacht und werden nun im Tränengasnebel auch noch von der Staatsmacht dafür verprügelt, daß sie ihre Meinung kund tun. Stuttgart ist eben überall.
Der Blog Insanlik Hali dokumentiert auf recht aufrüttelnde Weise, wie sehr sich die Türkei bemüht, in ein marktkonformes CDU-Land zu mutieren. Zwei Menschen wurden von einem Panzer überrollt:
They came from all around Istanbul. They came from all different backgrounds, different ideologies, different religions. They all gathered to prevent the demolition of something bigger than the park:
The right to live as honorable citizens of this country.
They gathered and marched. Police chased them with pepper spray and tear gas and drove their tanks over people who offered the police food in return. Two young people were run over by the panzers and were killed.
Na, das sollte doch für mehr als eine privilegierte Partnerschaft reichen, oder Frau Merkel?
Ver.di wiederum will die unverhoffte Aufmerksamkeit nun nutzen, um endlich einen Tarifvertrag für die deutschen Zentren durchzusetzen: „Wir stehen aktuell mit Amazon in Gesprächen und wollen Verhandlungen über einen Tarifvertrag beginnen. Ein Abschluss wäre für Amazon als Arbeitgeber ein Prädikat“, hofft Ver.di-Mann Reimann.