Von einem Medienunfall (IV): Pietät ist, wenn….

… man Überschriften oder Header formuliert, die bei Toten trotzdem zum Schmunzeln anregen. Denn in den vergangenen Tagen dieser Republik gab es ein Ereignis, das den boulevardesken Alltag völlig durcheinanderrüttelte: Der Tod einer Ex-„BigBrother“ – Containerbewohnerin und Erotikdarstellerin, womöglich an den Folgen einer Schönheits-OP.

Die Sueddeutsche Zeitung online, nach wie vor eine Fachsite für Falschinformation und Halbgares, ging mit der für die Familie der Carolin Wosnitza sicherlich nicht einfachen Situation auch gewohnt pietätvoll um:

Daa fragt man sich auch sofort, was stimmt hier denn alles nicht? Eine Menge, aber lassen wie die „Vorerkranung“ mal beiseite.
Beginnen wir mal mit der Meldung als solche:

Erste Befunde zeigen: Die Erotikdarstellerin „Sexy Cora“ starb während ihrer Brust-OP an Hirnlähmung.

Okay. Erstens starb sie später. Zweitens sicher nicht an „Hirnlähmung“, das ist nämlich Unsinn. Und Drittens darf man sich schon fragen, ob man sich bei der Redaktion heimlich ins Fäustchen gelacht hatte, als man schreiben durfte, daß eine Erotikdarstellerin (und ehemalige Prostituierte) ausgerechnet an „Hirnlähmung“ gestorben sei.

Auch die Begleitung dieser Meldung ist interessant: Rechts oben sehen Sie den Link zu einem Video der Agentur Reuters, das nochmal ein bißchen von den soeben operierten Brüsten zeigt und als wichtige Nachricht vermeldet, daß die junge Dame zuletzt noch bei einem Oben-Ohne-Kickerturnier teilnahm.

Diese Hirnlähmung, die einer Pressemeldung des zuständigen Anwalts entstammt und die verschiedene Medien begierig aufgegriffen haben (und dabei das gleiche Maß an Rücksicht erwiesen inklusive Fotoklickstrecken, Brustbildern und Erotischen Videoclips) hat es sogar bis nach Wikipedia geschafft:

Was übrigens diesen kausalen Zusammenhang nahelegt:

Nur um das mal klarzustellen: Die als Hirnlähmung bezeichnete Krankheit (zu der sinnigerweise übrigens auch der Wikipedia-Link führt!) meint eigentlich Bewegungsstörungen, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung noch vor der Geburt quasi liegt. Das kann schlecht die Todesursache sein, da man dies ja nicht bei einer OP bekommen kann. Die Sueddeutsche Zensur Moderation entschuldigte das dann auch ganz lapidar:

Das veranlasste die SZ aber natürlich zunächst einmal nicht, ihren Artikel zumindest dahingehend zu ändern, daß das Zitat als solches erkennbar wurde (Siehe Nachtrag). Aber es passt in die seltsame Schlamperei und scheinheilige Heuchelei bei dem Fall, den nahezu alle Medien zeigen. So protokolliert BILD auch ein „verpfuschtes Leben“ in einer völlig geschmacklosen Bildstrecke.

Was sagt das über die Medienwelt aus? Sie leben und lebten von diesen kleinen, „verpfuschten“ Leben. Sie verkaufen sie den Bürgern als schlechtes Beispiel, als Niedlichkeit beim Versuch was aus sich zu machen und bei Bedarf auch als Wichsvorlage Erotiksternchen für einsame Stunden. Dabei helfen sie kräftig diesen Menschen, ihr Leben zu verpfuschen, immer mit dem Lockangebot, so „Erfolg“ haben zu können. Anschließend wird ebenso kräftig geheuchelt. Und die Süddeutsche Zeitung, nachdem sie von der Südwestdeutsche Medienholding gekauft wurde und jetzt ostentativ abgewirtschaftet werden soll, macht da eifrig mit. Na toll.

—-

Nachtrag (19.45 Uhr): danke an die vielen Hinweisgeber. Ich habe an pikater Stelle natürlich ausgerechnet das Wort „Hirnlähmung“ falsch geschrieben. xD

—-

Noch ein Nachtrag (21:00 Uhr):

Mittlerweile hat die SZ reagiert und folgende zwei Hinweise zum korrigierten Artikel dazugestellt:

und:

Also hat man inzwischen nachrecherchiert, was ich sehr gut finde.  Das Video ist nach wie vor da und das allerschärfste fällt mir erst jetzt auf: Man kann unter diesem Artikel tatsächlich ein Newsfeed zum Thema „Brust-OP“ abonnieren.

Hallo?

 

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19 thoughts on “Von einem Medienunfall (IV): Pietät ist, wenn….

  1. Danke für diesen Beitrag. Die Hirnlähmung war mir auch irgendwie suspekt, wie die Informationsgesellschaft läuft, weiß ich aus leidvoller Erfahrung, aber so schön grafisch dargestellt habe ich es noch nicht gefunden.

    Unsere Gesellschaft ist desinformierter denn je. Wirklich Fakten zu finden ist schwer…

  2. Pingback: Tweets that mention Von einem Medienunfall (IV): Pietät ist, wenn…. « Niks Notiz(en)-Blog -- Topsy.com

  3. Leider bin ich bei solchen Artikeln (wie der der Süddeutschen) in einem Zwiespalt. Soltle man diese Artikel mit Aufmerksamkeit würdigen? Soll man diese Artikel mit Aufmerksam würdigen um journalistische Missstände aufzudecken und zu erörtern?
    Ich weiß es nicht und danke trotzdem und gerade deswegen engagierten Journalisten, die die zweite Option wählen.

  4. „ob man sich bei der Redaktion heimlich ins Fäustchen gelacht hatte, als man schreiben durfte, daß eine Erotikdarstellerin (und ehemalige Prostituierte) ausgerechnet an „Hirnlämung“ gestorben sei.“
    Das ist genau die Art von Unterstellung, die man hier bei anderen anprangert.
    Nee, nee. So nicht. Es gibt ’ne Menge Mist – auch manchmal in der SZ – doch der „Cora“-Bericht gehört kaum dazu. Es werden Kleinigkeiten der Formulierung herausgepickt und Böswilligkeit oder Geilheit unterstellt… Nee, nee, so bitte nicht.

    • naja, also SZ-Online hat schon eine verdächtige Verdichtung von Mist parat. Mag sein, daß meine Formulierung inklusive des wunderbaren Tippfehlers etwas überspitzt war, aber meine Kritik richtet sich zentral an die Tatsache, daß der Tod der Frau medienwirksam ausgeschlachtet wird weil man damit Tittenbilder und -videos verknüpfen kann. Das bringt Klicks, sprich: Werbeeinnahmen. und da wird mit dem Tod einer jungen Frau verdient und zwar ausgerechnet von jenen, die sie im Grunde zu dem gemacht haben, was sie war.
      Und bei allem Verständnis für eine gewisse voyeuristische Haltung: Das finde ich einfach nur geschmacklos.

  5. Aber dennoch bitte Lähmung mit ‚h‘ …

    „… als man schreiben durfte, daß eine Erotikdarstellerin (und ehemalige Prostituierte) ausgerechnet an „Hirnlämung“ gestorben sei.“

  6. Wie bei einer Muskellähmung, kommt es bei einer Hirnlähmung zum Untergang von Zellen. Für eine Muskellähmung kann das Problem von den Muskelzellen ausgehen oder von den Nervenzellen. Bei der Hirnlähmung sind die Nervenzellen betroffen, meist korrespondierend mit einer Schwellung. Weitet sich diese Lähmung aus und betrifft sie irgendwann auch lebensnotwendige Bereiche des Hirns wie z.B. das Atemzentrum. Man könnte auch sagen, sie wäre an einem Hirnödem gestorben oder dem Hirntod erlegen.

    Keine dieser Aussagen ist für den Laien dazu geeignet, die Umstände des Todes näher zu beleuchten. Es bleibt also eine Art „Hausnummer“. Daher ist es ziemlich egal, wie man die Diagnose nun nennt. Wichtig war für die StA die Abklärung einer kardio-vaskulären Todesursache, die nun ausgeschlossen wurde, was wiederum Rückschlüsse auf möglich Fehler bzw. auf eben nicht gemachte Fehler der Operateure zuläßt.

    Es ist ja nicht so, dass der geneigte Leser die Meldung völlig anders aufnimmt, wenn es eine restlos andere Todesursache gäbe. Max Mustermann ist egal, ob sie an einem Hirnödem, einem Herzversagen, einer Fettembolie oder etwas anderem gestorben ist.

    Wie schon bei vielen Blogs ausgeführt wurde, ist der Tod dieser Dame für die Medien nur deshalb überhaupt von einem Interesse, weil man eben Tittenbilder zeigen kann und das PageImpressions über Klickstrecken in die Höhe treibt. Wäre die Frau zwar bei BigBrother gewesen, wäre aber Sachbearbeiterin mit normaler Brust gewesen, hätte es mit Glück eine Kurzmeldung darüber gegeben…mehr nicht. Das sagt schon alles über diese Parasiten.

    Gnothi

  7. Es gab bei SZ-Online eine Bildergalerie „Louvre des Lachens“, die meisten waren ganz lustig, aber auf einem Bild waren zwei amerikanische Soldaten mit zwei kleinen irakischen oder afgahnischen kleinen Kindern zu sehen die ein Schild hielten wo in Englisch irgendeine Anspielung mit Michael Jackson stand. Sowas wie, lieber hier als bei Michael Jackson.

    Das war schon übel, die Kinder sahen ziemlich abgerissen aus, wer weiß, was sie erlebt haben, wahrscheinlich haben sie sich gefreut, daß die Soldaten sich mit ihnen fotografieren lassen wollten und diese haben sie in ihrer, mit ihrer Leidenssituation verarscht und es ins Netz gestellt.

    SZ-online hatte damit kein Problem.

  8. > […] eine Erotikdarstellerin (und ehemalige Prostituierte)
    > ausgerechnet an „Hirnlämung“ gestorben sei.

    „Vorerkranung“ ist lustig. „Hirnlämung“ aber auch.

  9. Es gilt nach wie vor „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ und andererseits: Das Niveau ist vielen Medienkonsumenten ziemlich egal, wie sonst könnte man die TV-Quoten vom Dschungelcamp erklären?
    Das regulär-Ekelerregende Stück von Meldung, wobei der Durchschnittsbürger wieder sagen kann „Selbst Schuld!“ und sich dabei auch noch gut fühlt eben.

  10. Vielleicht hätte die SZ ein fetziges „[sic!]“ hinschreiben sollen. Dann hätte sie gleich noch eine Doppeldeutigkeit mehr gehabt.

    Schön fand ich auch die gehalt- und pietätvoll Meldung zu Eichingers Tod bei flirt-dating 24: http://bit.ly/fHmPJG So macht Eigenwerbung noch Spaß!

  11. Ich weiß nicht, ob Sie Ahnung von den heutigen Medien haben!
    Ich hab einen kleinen Einblick, weil ich in einem Medienunternehmen arbeite.
    Viele wolle kostenlose Angebote im Netz. Gut, dann müssen diese Leute akzeptieren, dass Werbung auf der Seite erscheint. Um Werbepartner zu bekommen, braucht man viele Klicks. Die Klicks kommen über seichte Themen. Ist leider so, doch es ist die Erklärung dafür, dass auch seriöse Medien sich platter Themen annehmen.
    Wer sich darüber aufregt, kann ja anfangen, für die Online-Angebote der Verlage zu zahlen! Über die GEZ macht es derjenige eh schon, siehe die Online-Auftritte von ARD und ZDF.

    • Naja. Der Kern Ihres Argumentes ist ja, daß man Boulevard und platte Themen braucht weil nur das von den Leuten geguckt wird. Das ist das Arument, mit dem ARD und ZDF meine Gebühren für eine Sommernachtssause mit Call-In-Verbrechern wie Milski verschwenden.
      Sagt das jetzt was über die Leute die das gucken, das mediale System oder über die Verteidiger des Ganzen aus? Zudem – nix gegen platten Boulevard aus er Abteilung „Wer vögelt heute den Prinzen“ aber die Tittenbildchen am medialen Grab einer jungen Frau find ich halt schon fürchterlich.

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