Das ist doch mal eine alte Sau:
Erinnern Sie sich noch, wie sie durch’s Dorf getrieben wurde? Das war ein Thema, ist aber lange her. Damals war es in Tibet schlimm: Es war von China besetzt. Die Welt schrie daher auf und man boykottierte China überall, zum Beispiel bei der Olympiade. Oder so…
In Wirklichkeit interessierte es kurz nach der Olympiade seinerzeit niemanden mehr. Andere Säue mußten durch andere Dörfer getrieben werden, auch wenn es noch immer die sich kümmernden Vereine gibt. Der völkerrechtliche Status von Tibet ist letztlich ungeklärt auch wenn alle deutschen Bundesregierungen (darunter auch die Rot-Grüne) Tibet als Bestandteil des chinesischen Staates betrachten.
Daran hat sich nichts geändert. Der gewaltlose Widerstand tibetischer Mönche, die betend von chinesischen Soldaten mißhandelt und ermordet wurden hatte ein interessiertes Medienecho hervorgerufen (schließlich verkaufen sich solche Geschichten gut) aber die Welt hat diese Menschen schnell wieder vergessen. Das wäre vielleicht anders gewesen wenn sie sich mit Waffengewalt gegen die Besatzer gewehrt hätten (–> Das nennt man Terrorismus, wenn’s ein guter Staat ist und Befreiungskampf wenn’s ein böser Staat ist. Was ein guter, was ein böser Staat ist bestimmt die Tageslage. Böse Staaten sind aber per Definition kommunistisch und richten nicht die Olympiade aus!) und nicht nur im 08/15-Steinewerfer-Modus. Die Sympathien reichten weit genug, um kritische Fragen nach dem Idealzustand Tibets (wie auch im verlinkten Hollywood-Film dargestellt) als unerwünscht zu unterdrücken.
Inzwischen war der Dalai Lama auch ein paar Mal in Deutschland. Er hat dabei viel gelächelt und es duldsam ertragen, wie widerlich die deutsche Bundesregierung mit ihm umging: Nicht die Kanzlerin empfing ihn zunächst, sondern nur die Entwicklungshilfeministerin. Und das auch nicht als Geste sondern im Rahmen einer Intrige der Kanzlerin gegen Kurt Beck. Für Fotos war man zwar da, aber einen Standpunkt zu vertreten, der China möglicherweise tatsächlich geärgert hätte (Sprich: Nicht nur wie 2007 „Irritation“ weil Merkel den Dalai traf) oder gar das mit den Tibetern gerade aktuell (nur kurz) sympatisierende deutsche Volk, dazu fehlte dann doch das Rückgrat.
Worum es geht
Für die meisten war das irgendwie eine Diskussion darüber, daß China Tibet besetzt hat und hält und die Tibeter unterdrückt. Das Schwarz-Weiß Schema ist eine schöne Methode um ein Stück Geschichte Schlagzeilentauglich aufzubereiten. Ganz so einfach ist die Welt aber nicht.
Tibet stand über viele Jahrhunderte hinweg unter dem indirekten Einfluß Chinas. Zwar war Tibet aufgrund seiner Lage („Das Dach der Welt„) und dünnen Besiedelung militärisch wie wirtschaftlich völlig uninteressant aber indem die chinesische Führung 1720 Tibet zu einem Protektorat erklärte (bei voller innerer Autonomie!) konnte China den Anspruch auf die Gebiete in und um Tibet bekräftigen. Tibet hatte den Vorteil, vor äußeren Feinden durch China geschützt zu werden.
Das alles änderte sich 1907, als China und Rußland ihre Interessensphären in Asien absteckten. Im Vertrag von Sankt Petersburg erklärte sich China zur Schutz- und Verwaltungsmacht Tibets. Tibets innere Unabhängigkeit war damit formell vorbei. Allerdings dauerte es noch einmal bis zur Durchsetzung, weil die chinesische Revolution von 1911, der schreckliche Bürgerkrieg, der chinesisch-japanische Krieg und letztlich der erneute Bürgerkrieg in China nach der japanischen Kapitulation 1945 China davon abhielt, effektiv Tibet zu besetzen. Daher erklärte sich Tibet schon 1913 für unabhängig.
Infolge des Bürgerkrieges 1945 wuchs die Besorgnis in Tibet und bat um internationale Unterstützung, aber nicht zuletzt weil die westliche Welt durch den 2. Weltkrieg ungemein geschwächt war gab es keine Hilfe durch das Ausland. Tibet war China ausgeliefert. 1950 „befreite“ die Volksarmee Mao Zedongs Tibet von den „imperialistischen Einflüssen“ und holte Tibet „Heim ins Reich“.
1955 kommt es erstmals zum Aufstand gegen die chinesische Oberherrschaft. Großbritannien und die Vereinten Nationen hatten zuvor jedwede Hilfe für Tibet wegen des „unklaren Rechtsstatus“ abgelehnt, das Faß zum Überlaufen brachte eine Landreform. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.
1959 kommt es erneut zum Aufstand, auch dieser wird brutal niedergeschlagen und der Dalai Lama flieht nach Indien. Die Exilregierung wird von China nicht mehr anerkannt.
1966 beginnt die sogenannte „Kulturrevolution„. Tausende Tempel, Kulturbauten und Denkmäler werden zerstört, auch tibetische Klöster werden vernichtet. Was mit den Mönchen geschah ist unklar – die Exilregierung spricht von tausenden ermordeten Mönchen, die chinesische Führung bestreitet das aber. Die Tibeter empfanden diesen Vorgang vor allem als gegen sie als Volk gerichtete Aktion und nicht als politischen Vorgang.
1987/88 kam es in Lhasa erneut zu Unruhen. Auch diese ohne Erfolge oder Konsequenzen.
2008 nun gab es erneut Proteste und letztlich gewalttätige Ausschreitungen.
Und was jetzt?
Es ist nicht so einfach, eine Position zu beziehen denn beide Seiten verargumentieren die historischen Fakten für sich. So stellt die chinesische Seite die Oberherrschaft über Tibet als einen Jahrhunderte alten Zustand dar während die tibetische Exilregierung auf die Autonomie verweist und diese als staatliche Unabhängigkeit interpretiert. Beide haben nicht ganz recht und beide verharren in historischen Argumenten und können sich davon nicht lösen.
Tatsache ist: Die Tibeter möchten frei sein. Sie wollen nicht von China beherrscht werden. Und der (ehemalige) Führer der Tibeter, der Dalai Lama, predigt Gewaltverzicht egal was passiert. Das ist mutig und schwierig und trägt den Tibetern viele Sympathien entgegen, sogar von recht Abenteuerlustigen Aktivisten, auch wenn die Tibeter selbst die Ideen des Dalai Lama nicht immer unumstritten hinnehmen und die Jugend besondes den Gewaltverzicht ablehnt.
Letztlich aber nur ein paar Wochen lang.