An den vergangenen Tagen dieser Republik saß ich des öfteren in meiner liebsten Stammkneipe und beobachtete das Publikum. Das ist in Schwabing-Maxvorstadt besonders interessant.
Ein nicht unerheblicher Teil der öfter mal kommenden Gäste ist – die Studenten mal außen vor gelassen – Künstler oder zumindest irgendwie in der Szene verankert. Nicht wenige malen, dichten oder musizieren – die KostBar wird jeden Freitag von einer wirklich tollen Musikertruppe heimgesucht die wirklich ordentlich Stimmung machen können.
(Es gibt davon eine Reihe eher unbrauchbarer Videos auf Youtube)
Was aber zeichnet so einen hübschen Laden noch aus? Genau, die Exzentriker. Da ist der alte Sozialdemokrat der irgendwie zum Inventar gehört, wenig trinkt und immer zu Abend ißt und der, fragt man ihn, eine Menge aus seiner Zeit zu erzählen weiß. Da ist die Dichterin, die über Morgensonnen schreibt und ein wenig, naja, eigen ist. Sie erzählt gerne allen im Semiselbstgespräch mit ihrem Hund wie es ihr („uns“) geht und auch gerne den Text des Liedes, das man grad hört. Der Hund, ein Cairn Terrier, (Solche Frauen haben immer Cairn Terrier, die sind serienmäßig irgendwo eingebaut) ist nicht überfüttert und heißt natürlich Romeo – und er ist treu genug, den Satz „gell, wir sind müde heute“ schwanzwedelnd und mit lebhaftem Kläffen zu bestätigen.
Da gibt es den Stammtisch vom Ring christlicher Studenten, der bewegt und engagiert wirkt, selbst bei der Geselligkeit. Dann gibt es da die Spiegelleser, sind einige an der Zahl, die nach Feierabend kommen und das Spiegelarchiv des Besitzers durchgehen und gerne mit den Malern diskutieren, die hier regelmäßig Ausstellungen haben. Die IT’ler, die nach Feierabend die Welt retten und hier stundenlange philosophische Gespräche führen.
Der Wirt, ein Inder, hat abends öfter das Besitzerpärchen des japanischen Restaurants nebenan zu Gast, wenn diese schließen. Dann trinkt sie, eine unglaublich gesittete, wohldiszilpinierte Dame vom alten Schlag eine Tasse Tee und er ein Glas Bier und beide starren in ihr Getränk. Ich habe sie noch nie miteinander reden hören, frage mich aber oft, ob sie gerade beide ein Stück ihrer Vergangenheit sehen – und ob es wohl das gleiche Stück ist.
Natürlich darf die Münchner SchickiMicki nicht fehlen, auch wenn sie hier eher zahnlos auftritt, die findet man eigentlich immer weiter vorne, näher bei der Bushaltestelle. Das sind die, die ein Risotto bestellen, aber kein schwarzer Pfeffer bitte, oder einen Zwiebelrostbraten – geht das auch ohne Zwiebeln? Die ihren Tisch nach Feng Shui Regeln neu gestalten und die Kerze immer links oben hinstellen – wie die das lösen wenn sie sich gegenüber sitzen habe ich noch nicht ergründet.
Hier findet sich, in meiner kleinen gemütlichen Münchner Kneipe so ziemlich alles an Persönlichkeiten, was ein Schriftsteller sucht wenn er nach Figuren und Charakterkonzepten Ausschau hält.
Ein Charakter fehlt seit genau einem Jahr hier allerdings: Erika. Erika war so um die 80 Jahre alt und setzte sich immer zu den jüngeren Besuchern. Sie diskutierte lebhaft mit und hatte eine Menge Frohsinn, Erfahrung und eine Jugendlichkeit, um die sie gute 50% der Studenten beneidet hat. Sie blieb stets bis Feierabend weil sie nicht gut zu Fuß war – der Wirt brachte sie dann nach Hause und kümmerte sich um sie. Er kaufte auch hin und wieder für sie ein oder fuhr sie mal zum Arzt.
Genau heute vor einem Jahr fand er Erika in ihrem Sessel. Sie ist einsam gestorben.