The Final Cut
(Cornelias Meinung)
Zuerst entwickelten Joseph Nicéphore Niepce (1765-1833) und Louis Jaques Mandé Daguerre (1787-1851) eine Technik, bei der sie mit Hilfe von Quecksilberdämpfen Bilder auf lichtempfindlichen Platten (Jodsilberpapier) dauerhaft festhalten konnten. Die Photographie war geboren. Ab der Jahrhundertwende wurde die Photographie durch die Forschung und Entwicklung von Kodak immer beliebter und weiter verbreitet.
Dann kam die digitale Revolution. Eine nahezu unendliche Anzahl von Bildern kann ohne Filmwechsel und extrem kostengünstig gemacht werden. Immer mehr von der Umgebung wird aufgenommen und gespeichert – (durchsucht mal Eure Fotodateien nach Bildern vom Kuchen, von der verbogenen Gabel, von dem Fensterrahmen). Auch Videoaufnahmen sind digital einfacher, schneller, automatisch verarbeitet.
Seit 10 Jahren fotografieren und filmen wir mit unseren Handys (na ja, einige von uns). Ein Handy hat man immer dabei – und so filmt man noch mehr von seinem Leben. Mehr und mehr Abschnitte werden für immer festgehalten.
In „the Final Cut“ zeigt Omar Naim den nächsten Schritt – das komplette Leben eines Menschen auf Film, mit Hilfe eines Implantats. Keine Lücken mehr. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, 3600 Sekunden pro Stunde Aufnahmen, digital gespeichert und im Anschluss bearbeitet um bei der Beerdigung einer Person als Kurzzusammenfassung seines Lebens vorgeführt zu werden.
Einer dieser „Bearbeiter“ – ein Cutter – ist der von Robin Williams dargestellte Alan Hakman. Seine Entscheidung beeinflusst die Darstellung eines Menschen vor seinen Mitmenschen.
Omar Naim zeigt, welche Lügen damit in die Welt gesetzt werden. Lügen, die Leben zerstören können. Der Cutter und seine Auftraggeber bestimmen, woran sich erinnert werden soll, und was vergessen werden soll. Doch wenn man vergisst, was einem unangenehm ist – wie sehr verletzt man damit andere? Kann man ein Verbrechen ignorieren, weil es aus dem perfekten digitalen Gedächtnis gelöscht worden ist?
Doch der Film geht weiter und stellt eine Grundsatzfrage: was ist wichtiger, die Erinnerung – oder die Wahrheit? Die Erinnerung eines Menschen ist eben keine Kamera – der Wortlaut einer Diskussion, die Farbe einer Pfütze, die Details einer Begegnung verändern sich in Abhängigkeit der Gefühle und Gedanken, die mit dieser Erinnerung in Verbindung stehen. Und somit kann eine Erinnerung heimsuchen und quälen und ein perfekte Aufzeichnung erlösen. Aber ebensogut kann die perfekte Aufzeichnung den Zauber und die Freude einer angenehmen Erinnerung zerstören – weil es eben doch anders war. Aber was zählt an einer Erinnerung – die Details, oder das Ergebnis? Im Nachhinein wirkt alles anders – auch wenn man eine wahrheitsgetreue Aufnahme sieht, empfindet man anders als in dem Moment. Menschen leben in der Gegenwart. Wir können sie nicht festhalten und unsere Vergangenheit gleicht nie unserer Gegenwart – sollten wir also mit Hilfe der Technik die Vergangenheit der Gegenwart gleichmachen – oder sollten wir der Natur vertrauen, die das System „menschliche Erinnerung“ in den letzten 20 000 Jahren erprobt und getestet hat?
Doch die Existenz dieser Aufzeichnungen, jeder einzelnen Sekunde aus dem Leben eines Menschen, birgt auch tödliche Gefahren in sich. Der perfekte Zeuge ist geboren, denn er vergisst nichts. Doch es wird auch jeder zum Zeugen, der ihn gesehen hat. Omar Naim zeigt ein System, in dem die Gefahr der Multiplikation von Aufzeichnungen bedacht worden ist. Keiner, der selbst ein Implantat besitzt, darf die Rohaufnahmen sehen und bearbeiten. Doch wie jeder Kontrollmechanismus, versagt das Gesetz eben manchmal … und die Folgen sind unabsehbar.
Die letzte moralische Frage, die – wie alle anderen – im Film unbeantwortet bleibt und dem Zuschauer als Denkhausaufgabe mitgegeben wird, lautet: Hat irgendjemand auf der Welt das Recht, die Erinnerungen an kostbare Momente zu sehen, zu verändern und zu benutzen? Wem gehört eine Erinnerung? Kurz gesagt, bringt „the Final Cut“ uns wieder zu der in letzter Zeit besonders aber nicht ausschließlich im Zusammenhang mit internationaler Terrorbekämpfung immer häufiger mit leiser Stimme diskutierten Frage: wie viel Privatsphäre bleibt uns, wenn mehr und mehr von unserem Leben aufgezeichnet, gespeichert und in vielen Fällen verteilt wird?
Bibliograhie:
http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/fotografie/geschichte_der_fotografie/index.jsp
http://www.direkthomepage.de/Digitalkamera/fotohandy.html
http://www.unwatched.org/node/633
http://www.politische-bildung.at/index.php?modul=themen&show_no_archiv=1&top_id=2033
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(Niks Meinung)
Der Science-Fiction-Film „The Final Cut“ stellt uns vor eine interessante, phantastische und irgendwie realistisch erscheinende Grundsatzfrage: Was ist der Erinnerung würdig?
Ganz so einfach ist die Frage nicht zu beantworten. Als Historiker ist mir alles irgendwie wichtig – jeder Fetzen Papier hat eine Geschichte, jede Fahrkarte, die aus einem längst vergessenen Fotoalbum fällt, ist ein Bestandteil eines Lebens gewesen. Diese Art der Erinnerungskultur wird besonders gerne und besonders oft im Zusammenhang mit der jüngsten Geschichte betrieben – wer schon einmal ein Museum über Vertreibung, Massenmord wie im KZ oder Ghettos besucht hat kennt dergleichen. Wer einmal Zeit hat, dem sei ein Besuch des jüdischen Museums in Prag sehr ans Herz gelegt.
Wie besuchen die Vergangenheit indem wir Dinge sehen oder sogar berühren, die einmal von Bedeutung waren und wir geben uns Mühe Dinge zu schaffen, die in Zukunft bestehen sollen. Reinhard Mey dichtete in meinem Lieblingslied „Die Mauern meiner Zeit“ einmal:
Erinnerungen verblassen, und des Tages Ruhm vergeht.
Die Spuren, die wir heute ziehen, sind morgen schon verweht.
Doch in uns ist die Sehnsucht, daß etwas von uns bleibt,
ein Fußabdruck am Ufer, eh‘ der Strom uns weiter treibt.
Diese Sehnsucht ist der Grund für Monument, Palast und Grabstein. Und für das Foto, die eigene Videokamera, das Tagebuch und wer weiß – warum nicht für einen Chip, der alles, was man sieht und hört speichert?
Was macht man mit allem vermeintlich unwichtigen Kram? Ein ganzes Leben aufgezeichnet? Also schon einmal – bei 80 Jahren Lebenserwartung – im Schnitt 27 Jahre Schlaf. Was ist mit dem Rest?
Der Film stellt in Verkörperung der Figur Alan Hakman (Robin Williams) die Frage danach. Wie gehen wir mit Erinnerung um? Die Antwort: Selektiv.
Unsere eigene, private Erinnerung ist immer eine subjektive Wahrnehmung die bereits im Moment der Speicherns abgeglichen wird mit Weltbild, Werten und Erfahrungen. Das macht Zeitzeugen so unzuverlässig und Preudohistoriker wie Guido Knopp so gefährlich: Die Behauptung, man wisse alles von seiner Zeit weil man „dabeigewesen ist“ ist ein Trugschluß. Man kriegt doch gar nicht alles mit und will es auch gar nicht. Vielleicht nehmen wir darum manchmal Dinge nicht wahr die nach unserer Maßgabe auch nicht sein können, Douglas Adams bezeichnete das einmal als das „PAL-Phänomen“ – das ist das „Problem anderer Leute“. Die selektive und subjektive Erinnerung jedes Einzelnen nun schreibt in ihrer Gesamtheit die Geschichte.
Sie obliegt wieder der subjektiven Ansicht, Gewichtung und Interpretation. Das machen die Historiker und können darüber zum Teil endlos streiten.
Das Zoe-Implantat nun, das der kanadische Regisseur Omar Naim dem verdutzten Zuschauer vor die Füße wirft, schafft auf einmal Fakten. Fakten die gesehen werden müssen, eingeordnet, verstanden von einer Nachwelt, die nun zwar einen Blick auf die Geschichte erhält, aber einen subjektiven. Und dieser ist nicht immer erwünscht. Als Alan nach einem erfolgreichen Projektabschluß durch die Trauergemeinde schreitet fallen ihm dutzende Erinnerungen ein die er mit dem Verstorbenen teilt – und daher kann er das Auftreten der Figuren anders beurteilen als jeder andere.
Die stärkste Szene des Films ist zweifellos, als Alan an einer Aufzeichnung hängenbleibt, die zeigt wie sich sein neuester Client an seiner Tochter vergeht. Kurze Zeit später versucht er mit dem Kind zu sprechen, zu verstehen und ihm den Schmerz zu nehmen, auch wenn er scheitert. Er bezeichnet sich etwas später als ein moderner „Sündenträger“, und er leidet eigentlich mit diesem selbstauferlegten Lebensweg. Denn Alan trägt die Schuld anderer um seine eigene Schuld zu verdrängen – als Kind hat er, so glaubt er jedenfalls, einen Jungen sterben lassen aus Angst. Seither bestraft er sich indem er die Sünden der Menschen betrachtet und verzeiht.
Die Bitterkeit, die sich angesichts der Verlogenheit einer fremd erscheinenden Erinnerungskultur, die ja doch die eigene ist, auftut ist erschütternd – interessant wird der Film sobald man sich selbst die Frage stellt, ob man eigentlich ein Leben lebt, das andere sehen wollen würden. Selbst gemeinsame Erlebnisse führen zu unglaublich verschiedenen Erinnerungen – im Film sehr schön durch die Anfrage eines Zuschauers über die Farbe eines Bootes dargestellt – so daß man sich sofort fragen muß: Haben wir wirklich eine Geschichte? Oder haben wir eigentlich nur eine Fiktion beruhend auf gewollten Erinnerungen und Aufzeichnungen und wirkliche Wahrheiten sind in der Geschichte eigentlich nicht rekonstruierbar?
Darauf könnte ich eine Antwort geben. Sie wäre lang, vage und an vielen Stellen müßte ich Grundsatzfragen diskutieren. Das könnte also einer der nächsten Blogartikel werden.
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Hm. Ah ja. Evtl.wirklich nicht so gut für ofdb, da so subjektiv. Aber dort kann man rasch Daten und Handlung nachlesen, bzw. hatte sie schon vor’m Anklicken der Review im Blick, so dass Ihr Fehlen in der Kritik zu verschmerzen ist. –