Von der Direkten Demokratie – Teil III

Vielleicht können Sie sich erinnern – ich besuchte vor etwa einem halben Jahr das „Gustav Radbruch Forum“ der Arbeitsgemeinschaft der Juristinnen und Juristen in der SPD zum Thema „Direkte Demokratie auf Bundesebene“ und veröffentlichte darüber zwei Artikel (nachlesbar hier und hier). Nun ist daraus ein Gesetzentwurf geworden, denn ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten möchte.

Beschluss des ASJ-Bundesvorstandes
Einführung eines Verfahrens über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene durch Änderung des Grundgesetzes und Beschluss eines Ausführungsgesetzes

Auf der Basis des von den Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen 2002 eingebrachten Antrags (BT-Drs.14/8503) und im Ergebnis der Beratungen in Partei und ASJ, insbesondere der Klausurtagungen des ASJ Bundesvorstandes 2010 und 2011, des ASJ Bundesauschusses 2010 in Laatzen, der ASJ Bundeskonferenz 2010, des Gustav-Radbruch-Forums 2011 in München sowie den Ergebnissen der SPD Werkstatt Freiheit und Demokratie 2011 („Mehr Demokratie leben“) ruft der ASJ Bundesvorstand die SPD-Bundesfraktion auf, den folgenden Gesetzentwurf möglichst in Abstimmung mit anderen Parteien in den Bundestag einzubringen und um die notwendigen verfassungsändernden Mehrheiten zu werben:

I. Einführung
Die im Grundgesetz verankerte parlamentarische Demokratie hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Doch der Wunsch nach stärkerer Beteiligung wächst in der Bevölkerung. In den letzten Jahren wurden die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Ebene der Bundesländer deutlich ausgebaut. Die Erfahrungen damit waren überwiegend positiv.
Bürgerinnen und Bürger sollen die Möglichkeit erhalten, dem Parlament selbst Gesetzgebungsanträge zu stellen (Volksinitiative) und – falls das Parlament dem nicht entspricht – im Wahlvolk für einen Volksentscheid werben können. Wird dieses (Volks-) Begehren von genügend Wählerinnen und Wählern unterstützt, soll das Volk über das Gesetz wie bei einer Wahl selbst entscheiden.

Es wird folgendes Verfahren vorgeschlagen:

  • Die Volksinitiative ist ein Antrag aus dem Volk an das Parlament, ein konkret formuliertes Gesetz zu beschließen. Die Beratung des Antrags im Parlament mit den Antragstellern ermöglicht einen umfassenden Diskurs, die Vermittlung von Erkenntnissen, die Parlamentarier den Antragstellern voraus haben mögen – und umgekehrt. Argumente und Vorgänge werden plastisch und transparent. Die Möglichkeit, einen Volksentscheid herbeizuführen, wird die parlamentarische Arbeit positiv beeinflussen. Antragsteller einer Volksinitiative können im Parlament ähnlich verhandeln wie parlamentarische Antragsteller. Dabei bleibt die Souveränität des Parlaments in vollem Umfang erhalten: Das Parlament kann ein durch das Volk beschlossenes Gesetz genauso ändern wie ein parlamentarisches.
  • Kommen die Initiatoren mit dem Parlament nicht zu einem Ergebnis, das dem initiierten Gesetzentwurf entspricht, haben sie die Möglichkeit, für ein Volksbegehren zu werben. Das Quorum muss so hoch sein, dass erkennbar wird, dass viele Bürgerinnen und Bürger es unterstützen, über das Anliegen einen Volksentscheid herbeizuführen; aber es darf nicht so hoch sein, dass es regelmäßig mit den Mitteln ehrenamtlich tätiger Initiatoren nicht zu erreichen ist, weil sonst das Instrument der direkten Demokratie leer liefe. Vorgeschlagen wird deshalb eine Zahl von 2 Millionen Stimmen als Voraussetzung für ein erfolgreiches Volksbegehren.
  • Nach einem erfolgreichen Volksbegehren findet ein Volksentscheid nach dem Muster einer Wahl statt, bei dem regelmäßig über den Entwurf der Antragsteller, aber ggf. auch über einen Alternativentwurf des Parlaments abgestimmt wird.
  • Der Ablauf von Volksinitiativen soll so ausgestaltet werden, dass auf jeder erfolgreich genommenen Verfahrensstufe eines Plebiszits das Parlament eingeschaltet werden muss, damit dieses mit Korrekturen oder im Falle einer parlamentarischen Konkurrenzvorlage auch mit einem Kompromissangebot reagieren kann. Es sind obligatorische Hearings und Debatten im Parlament vorzusehen, in denen Initiatoren ihre Vorlage öffentlich verteidigen müssen. Eine solche Verzahnung der parlamentarischen Gesetzgebung mit Prozessen der direkten Demokratie führt zu einer Kontinuität der so erfolgreichen parlamentarischen Diskussions-, Verhandlungs- und Kompromisspotentiale auch bei direktdemokratischen Gesetzgebungsverfahren.
    Durch die Koppelung kann noch stärker garantiert werden, dass nicht das Einzelinteresse, sondern das Interesse des Gemeinwohls dominiert. Die Initiatoren von Volksentscheiden müssen die Möglichkeit haben, ihren Vorschlag im Laufe von Verhandlungen mit dem Parlament zu modifizieren oder zurückzuziehen. Das Parlament muss hingegen die Kompetenz besitzen, einen eigenen Alternativentwurf mit zur Abstimmung zu stellen. Und Parlamente sind natürlich berechtigt,
    volksbeschlossene Gesetze ihrerseits zu ändern.
  • Finanzwirksame Volksentscheide müssen, um zulässig zu sein, Kostendeckungsvorschläge enthalten. Ausgeschlossen sind Volksentscheide über das Haushaltsgesetz als solches.
  • Ein Volksentscheid kann sich – überwindet er das dann höhere Quorum – nur insoweit auf die Änderung der Verfassung richten, als dies auch der parlamentarische Gesetzgeber könnte.
  • Ein Gesetzentwurf ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und mindestens ein Fünftel der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben.
    Für Verfassungsänderungen gelten erheblich höhere Quoren. Ein verfassungsändernder Gesetzentwurf ist angenommen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden zugestimmt und mindestens fünfzig vom Hundert der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. Dies entspricht der erschwerten Abänderbarkeit der Verfassung im parlamentarischen Verfahren. Die Verfassung als Grundlage der Rechtsordnung und des politischen Prozesses soll nur dann durch Volksabstimmung geändert werden können, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht. Bei Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen und bei verfassungsändernden Gesetzen gilt das Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe seiner Bundesratsstimmen.
  • Neue direktdemokratische Beteiligungsrechte müssen sich wie parlamentarische Initiativen und Entscheidungen an den Grundrechten, den unveränderlichen Grundentscheidungen der Verfassung und den übrigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ausrichten. Auch bindendes Völkerrecht, EU-Recht und sonstiges Europarecht, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention müssen gerichtlicher Prüfungsmaßstab sein. Die Rechtmäßigkeit von Gesetzesinitiativen aus dem Volk und ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht sollen umfassend bereits im Zulassungsstadium geprüft werden können.
  • Der Präsident des Bundestages prüft jede Volksinitiative auf ihre Zulässigkeit. Sieht er die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Volksinitiative als nicht gegeben, entscheidet über die Zulassung das Bundesverfassungsgericht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss spätestens drei Monate nach Anrufung durch den Präsidenten des Bundestages erfolgen.
  • Parlamentarische Vertretung des Volkes und direkte Gesetzgebung kosten Geld. Es war – trotz vieler Anfeindungen – einer der größten Fortschritte der Demokratie, dass nicht nur Adelige und wohlhabende Bürger Politik machen oder Parteien gründen konnten. Genauso muss auch bei der Einführung direkter Demokratie verhindert werden, dass sich Konzerne Gesetze oder Reiche Volksabstimmungen „kaufen“ können oder es sich nur Reiche leisten können, Volksentscheide zu initiieren. Wie bei den Regeln über direkte Demokratie in den Bundesländern sollen deshalb auch auf der Bundesebene Erstattungen vorgesehen werden. Die Initiatoren erhalten einen Ausgleich für die ihnen entstandenen Kosten, wenn ein Volksbegehren oder ein Volksentscheid erfolgreich sind. Dies kann ähnlich gestaltet werden wie die Wahlkampfkostenerstattung der Parteien. Auch damit soll der Gefahr entgegen getreten werden, dass sich Volksbegehren und Volksentscheid nur leisten kann, wer Geld hat; umgekehrt muss die Erstattung so begrenzt werden, dass es sich nicht lohnt, nur ihretwegen Volksgesetzgebung zu initiieren.
  • Mit dieser Kostenerstattung müssen die Initiativen in Vorleistung gehen und bei einem nicht erfolgreichen Volksbegehren die Kosten für ihr Anliegen allein tragen. Zwar baut dies Hürden auf insbesondere für Anliegen, hinter denen keine finanzkräftigen Interessen stehen. Deswegen sind weitere Maßnahmen zu entwickeln, um die Zivilgesellschaft insofern auch finanziell zu stärken.
  • Es ist sicherzustellen, dass nicht durch finanzintensive Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit zur Durchsetzung individueller Interessen eine einseitige Beeinflussung der Öffentlichkeit erfolgt. Gegner und Befürworter eines Volksentscheides müssen auf Augenhöhe agieren und ihre Argumente der Öffentlichkeit vermitteln können. Sämtliche Offenlegungspflichten, die für Parteien gelten, sollen auch für die Initiatoren von Volksentscheiden gelten.
  • Angehörige bestimmter sozial schwacher Milieus beteiligen sich an Volksabstimmungen meist deutlich weniger als andere besserverdienende Bürger. Diese Entwicklung zeigt sich zwar auch bei Parlamentswahlen, etwa bei den Europawahlen. Trotzdem muss bei der Ausgestaltung der Volksgesetzgebung besonders auf Transparenz und Chancengleichheit geachtet werden. Um das Instrument allen zugänglich zu machen, bedarf es einer breiten Informationskampagne sowie der dauerhaften Einrichtung einer Beratungsinstanz durch die Bundesregierung oder den Bundestag. Dies erfordert insbesondere, dass ausführlicheAbstimmungsheftemit Informationen über die verschiedenen Positionen bereitgestellt werden, in denen u.a. die Abstimmungsempfehlungen von Parteien und Verbänden deutlich aufgeführt werden.
  • Volksentscheide vorzubereiten erfordert Sach- und Verfahrenskenntnis. Es muss gewährleistet werden, dass dieses Instrument für jede Bürgerin und jeden Bürger handhabbar ist und nicht ausschließlich von einer gesellschaftlich privilegierten Bevölkerungsschicht angewandt wird, weil politische Partizipation für alle sonst nicht gewährleistet ist. Dafür bedarf es auch einer öffentlichen Verwaltung, die die Initiierung von Volksbegehren unterstützt und sie nicht blockiert. Es muss sichergestellt sein, dass die Initiatoren durch die öffentliche Verwaltung fachkundig beraten und hinsichtlich des Verfahrens unterstützt werden (ähnlich wie die Mitglieder des Bundestages durch den wissenschaftlichen Dienst).
  • Die Einführung direkter Demokratie wird einerseits zu einem Verlust an Einfluss der Parteien führen, andererseits eröffnen sich aber auch neue Chancen für die Parteien. Die SPD muss sich auf diese neuen Herausforderungen einstellen: Parteien haben die Möglichkeit, neben den Wahlen für Themen zu werben und zu streiten.

Die tatsächlich erforderlichen Gesetzänderungen können Sie dem ASJ BuVo Beschluss Direkte Demokratie 09.07.2011 hier entnehmen. Ich freue mich auf Kommentare und Diskussion.

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